Schlüsselwörter Lymphödem - Entstauungstherapie bei Lymphödem - Erhaltungstherapie bei Lymphödem -
manuelle Lymphdrainage - intermittierende pneumatische Kompression - Kompressionsstrümpfe
Key words Lymphedema - decongestant therapy - maintenance therapy - manual lymph drainage -
intermittent pneumatic compression - compression stockings
Nach der Definition des Lymphödems in der aktuellen AWMF-Leitlinie [1 ] ist es eine „… im unbehandelten Zustand, progrediente, chronische Erkrankung als
Folge einer primären oder sekundären Schädigung des Lymphdrainagesystems (Lymphkapillaren,
Lymphkollektoren, Lymphknoten, Lymphstämme) mit konsekutiver Vermehrung und Veränderung
der interstitiellen Gewebsflüssigkeit. Im weiteren Verlauf ist die Erkrankung durch
eine Alteration von Geweben, mit einer Zunahme von Binde- und Fettgewebe sowie Veränderung
der extrazellulären Matrix (Hyaluronsäure, Kollagen, Glykosamine) gekennzeichnet.“
So stellte sich Mitte Februar dieses Jahres ein athletischer 64-jähriger Mann in unserer
Sprechstunde vor und berichtete, vor nicht ganz einem Jahr (11 Monaten) aufgrund eines
Urothel-Carcinoma-in-situ mittels Zystoprostatektomie und Anlage einer Ileum-Neoblase
operiert worden zu sein. Dabei sei eine bi-pelvine Lymphadenektomie (links > rechts)
und eine Harnleiterresektion durchgeführt worden. Nachfolgend habe sich eine Lymphozele
links inguinal gebildet, welche gefenstert worden sei. Während des Jahresverlaufes
habe er nahezu seine alte Konstitution zurückgewonnen; nur das linke Bein sei zunehmend
angeschwollen und nun habe sich auch das Bindegewebe verhärtet, sodass ein normales
Gehen nicht möglich sei. Die Knickbewegung im Kniegelenk sei aufgrund des „enger gewordenen
Bindegewebes“ eingeschränkt; dabei wünsche er sich als leidenschaftlicher Radfahrer
nur, dass das Radfahren wieder möglich sei. Bisher keine Behandlung, außer Tragen
von rundgestrickten Kompressionsstrümpfen KKL II A-G ohne Fußspitze, offen.
Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich folgendes Bild ([
Abb. 1
]). Ohne Längendifferenz fand sich die Ödemkonsistenz derb fibrotisch, eine Dellenbildung
bleibend, Stemmer-Zeichen mit Gewebefibrosierung positiv, insgesamt war das Ödem eher
Hüft-/Oberschenkel-betont (s. Foto); Lymphknoten konnten sonographisch links inguinal
nicht nachgewiesen werden. Puls palpabel. Funktionseinschränkung der Beugung im linken
Kniegelenk auf 0–0–30 Grad. Hautbefund blande. Es wurde ein sekundäres Lymphödem des
linken Beines, Stadium II, diagnostiziert, da sich bereits Gewebefibrosierungen zeigten
([
Abb. 1
]). Ein Hochlagern des Beines war ohne Wirkung.
Abb. 1 Lymphödem, Ausgangsbefund.
Eine Insuffizienz im epifaszialen oder tiefen Beinvenensystem konnte duplexsonographisch
ausgeschlossen werden. Als Therapieziel vereinbarten wir eine Reduktion des Ödems,
sodass ein Radfahren wieder möglich sein sollte; der Patient war hochmotiviert und
wurde über Hautpflege zur Verhinderung des Erysipels etc. aufgeklärt. Er selber berichtete
von einer maschinellen Lymphdrainage als Heimgerät, von der er gehört habe. Wir einigten
uns initial zu einer manuellen Lymphdrainage (MLD, [
Abb. 2
]), 6 × 45 Minuten für das linke Bein mit anschließender Kompressionsbandagierung
mit einer Schaumstoffwickel unter einer Kurzzugwickel sowie Übungsbehandlungen in
der Bandagierung (medizinisch komprimierende Bandagen mit hohem Arbeitsdruck, [
Abb. 3
]).
Abb. 2 Befund nach erster MLD.
Abb. 3 Mehrlagige Kompressionsbandagierung.
Nach der fünften manuellen Lymphdrainage sollten noch im Liegen flachgestrickte Kompressionsstrümpfe
der KKL II A-G angemessen werden ([
Abb. 4
]). Zudem sollte er einen Antrag auf eine Heilmittelverordnung außerhalb des Regelfalls
(s. Genehmigungsverfahren zur Heilmittelverordnung außerhalb des Regelfalls) zur kontinuierlichen
manuellen Lymphdrainage aufgrund der Tumoreigenanamnese beantragen. Einen Monat später
stellte sich der Patient erneut vor. Weiterhin ungeduldig ob seiner doch schneller
erwarteten besseren Beweglichkeit bittet er um Erweiterung der Therapiemaßnahmen.
Das Ödem zeigt sich palpatorisch deutlich weicher. Wir empfahlen aufgrund der ambulant
beinahe ausgereizten Maßnahmen (eine 2 × tgl. ambulante manuelle Lymphdrainage mit
Kompressionsbandagierung und Übungsbehandlung in der Bandagierung über die Dauer von
mind. 24 Tagen im Sinne der Phase I der komplexen physikalischen Entstauungstherapie
konnte nicht durchgeführt werden, da er keinen Lymphtherapeuten fand, der dazu bereit
war) zeitnah einen lymphologischen Reha-Aufenthalt in einer Lymphfachklinik, welchen
der Patient auch gleich beantragte. Zudem empfahlen wir ein maschinelles 12-Kammer-Lymphdrainage-Gerät
mit Bauchteil (AIK, apparative intermittierende Kompression) zur Heimbehandlung, um
die Abstände zwischen den derzeitig stattfindenden ambulanten manuellen Lymphdrainage-Terminen
zu überbrücken. Der Patient bekam unverzüglich ein derartiges Leihgerät aus einem
Sanitätshaus zur Verfügung gestellt.
Abb. 4 Ausmessen flachgestrickter MKS im Liegen.
Einen Monat später stellte er sich hochfieberhaft in reduziertem AZ und depressiver
Verstimmung mit einem akuten Erysipel des linken Beines und Beckens notfallmäßig zur
stationären Aufnahme vor ([
Abb. 5
] und [
Abb. 6
]). Er hatte in den vergangenen Wochen hochmotiviert – leider ohne adäquate Anleitung
und vorherige Schulung über die Anregung der Lymphbahnen – das maschinelle Lymphdrainagegerät
mehrmals täglich „exzessiv“ angewendet und durch einen Hautinfekt im Bereich des vormals
angelegten Fistelkatheters hat sich ein hüft- und oberschenkelbetontes Erysipel ausgebildet.
Abb. 5 Hüftbetontes akutes Erysipel über Hautinfekt im Bereich des ehemaligen Fistelkatheters
nach „exzessiver“ Anwendung der AIK (ohne vorherige Schulung über Selbstanregung des
Lymphtransports).
Abb. 6 Hüftbetontes akutes Erysipel über Hautinfekt im Bereich des ehemaligen Fistelkatheters
nach „exzessiver“ Anwendung der AIK (ohne vorherige Schulung über Selbstanregung des
Lymphtransports).
Nach adäquater Antibiotikatherapie und supportiven Maßnahmen sowie einer erneuten
ausführlichen Aufklärung über Ursache und die Langfristigkeit einer lymphologischen
Behandlung, konnte der Patient rasch entlassen werden. Noch unter stationären Bedingungen
(nach Rückgang der klinischen sowie laborchemischen Infektparameter) wurde die manuelle
Lymphdrainage sowie das Tragen von flachgestrickten Kompressionsstrümpfen wieder aufgenommen.
Es ergab sich obiges Bild ([
Abb. 7
]) und auch die selbst gemessenen Umfangsmaße zeigten sich regredient ([
Tab. 8
]). Ambulant erhielt er 2–3 ×/Woche manuelle Lymphdrainage à 60 Minuten für das linke
Bein, ergänzte dies durch das 1 × tgl. Anwenden der maschinellen Lymphdrainage (derzeit
ohne Steigerung des Anpressdruckes) nach Selbstanregung der Lymphbahnen und trug täglich
den Kompressionsstrumpf, in dem er selbst moderate Bewegung (Spazieren, Bewegungstherapie
im Wasser etc.) durchführte. Der Patient ist soeben in den Urlaub gefahren und kann
sich deutlich besser bewegen; auch vorsichtiges Radfahren ist möglich. Somit hat dieser
Patient – obwohl er noch immer auf die Zusage zur lymphologischen Reha wartet – seine
Therapieziele (Verbesserung des Lymphabflusses, Erweichung fibrosklerotischer Gewebsveränderungen,
Verbesserung der Funktionsdefizite, Verbesserung der Lebensqualität) erreicht.
Abb. 7 Ambulante, derzeitige Erhaltungstherapie.
Tab. 1
Messdaten des Patienten.
Tag
Tageszeit
Oberschenkel
Unterschenkel
Fuß
1
Morgens
53
35
27
Abends
52
35
26
2
Morgens
52
34
25
Abends
54
36
26
3
Morgens
51
31
25
Abends
53
36
26
4
Morgens
52
33
27
Abends
53
36
26
5
Morgens
52
36
26
Abends
53
36
26
6
Morgens
52,5
35,5
26,5
Abends
53
37
26
7
Morgens
53
34
26
Abends
53
36
26
8
Morgens
52,5
36
26
Abends
53
36
24
9
Morgens
52
36
22
Abends
54
37
23
10
Morgens
52,5
35,5
26
Abends
52
37,5
26
11
Morgens
52
34
25
Abends
52,5
35
26
12
Morgens
53
35
26
Abends
53
35
26
13
Morgens
52
35,5
26
Abends
54
36
26
15
Morgens
52,5
34
25
17
Morgens
52,5
35
26
19
Morgens
52
35
26
Abends
53
35
26
21
Morgens
53
35
26
22
Morgens
54
35,5
27
Abends
54
36
26
23
Morgens
53
35,5
26
Abends
53
34
26
24
Morgens
53
34
26
Abends
54
33
27
25
Morgens
55,5
34,5
26
26
Morgens
52
33,5
25
27
Morgens
54
36,5
26
28
Morgens
55
35
26
Abschließend zeigt sich, dass das stadiengerechte Abstimmen der komplexen physikalischen
Entstauungstherapie (Entstauungs-, Optimierungs- und Konservierungsphase) einer adäquaten
Schulung und Aufklärung des Patienten (u. a. der Selbstbehandlungsmöglichkeiten und
-einschränkungen) und der die Therapie zu überwachenden Lymphtherapeuten (Schulungsauftrag)
und Ärzte bedarf und aufgrund des Zeitaufwandes schwerlich unter ambulanten Bedingungen
adäquat umgesetzt werden kann. Hier ist ggf. eine spezielle Ausbildung des medizinischen
Assistenzpersonals hilfreich für das Zeitmanagement im Handling mit dieser Patientengruppe.