ergopraxis 2019; 12(11/12): 50-53
DOI: 10.1055/a-1009-0458
Perspektiven | Ergotherapie in Ghana
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Wo man durch Zufall Ergo wird – Ergotherapie in Ghana

Michael Schiewack
Further Information

Publication History

Publication Date:
08 November 2019 (online)

 

2005 reiste Michael Schiewack nach Ghana und arbeitete dort für ein Jahr in einem Akutkrankenhaus. Diese Zeit prägte ihn nachhaltig – und lässt ihn bis heute, fast 15 Jahre später, immer noch nicht los. Für ergopraxis nutzte er seine alten Kontakte und erfuhr, was sich in Ghana seitdem in Sachen Ergotherapie getan hat.


#

Michael Schiewack

Zoom Image

Michael Schiewack ist seit 2003 Ergotherapeut in eigener Praxis und Mitherausgeber der ergopraxis. Während seines Aufenthaltes in Ghana arbeitete er in einer Klinik und führte gesundheitsbezogene Projekte in einer Grundschule durch. Dabei sammelte er nicht nur viele Erfahrungen als Ergotherapeut, sondern fand auch neue Freunde.

Ghana, die Goldküste Afrikas, gilt mit seinen knapp 30 Millionen Einwohnern als eines der politisch stabilsten Länder auf dem afrikanischen Kontinent. Seit 1957 ist das Land unabhängig und hatte nur wenig unruhige Zeiten zu verzeichnen. Kein Wunder, dass sich das Land im Bereich der Bildung und auch im Gesundheitssektor kontinuierlich entwickeln konnte und darin als führend in Afrika gilt.

Ergotherapie so gut wie unbekannt

Schon in den späten 1980er Jahren versuchte man, Ergotherapie im ghanaischen Gesundheitssystem zu etablieren. Damit sollte vor allem die Betreuung psychisch erkrankter Menschen in den wenigen existierenden Einrichtungen des Landes unterstützt werden. Da es keine eigenen Ausbildungsstätten gab, schickte man geeignete Kolleginnen und Kollegen in Partnerländer, welche im Rahmen von Entwicklungshilfe Ausbildungsplätze zur Verfügung stellten. Dazu zählten Rumänien, England oder Kuba. Leider kehrten die fertig ausgebildeten Therapeuten in der Regel nicht nach Ghana zurück, sondern versuchten, in anderen Ländern Fuß zu fassen. Dies führte dazu, dass Ergotherapie für die Patienten und das Gesundheitssystem praktisch unbekannt blieb.

Im Jahr 2006 führte Ghana eine gesetzliche Krankenversicherung ein, in der die finanziellen Aufwendungen für Ergotherapie im Rahmen einer stationären Behandlung eingeschlossen gewesen wären – hätte es überhaupt Ergotherapeuten gegeben, die eine Regelversorgung hätten anbieten können. Damals waren es vor allem Studierende oder Freiwillige aus Entwicklungshilfeprojekten, die Leistungen der Ergotherapie vereinzelt anboten und Kollegen vor Ort in Fortbildungen qualifizierten.


#

Der erste Studiengang

Um das Abwandern von qualifizierten Fachkräften ins Ausland zu verhindern und um die Ergotherapie zu etablieren, richtete man 2012 einen eigenen Bachelorstudiengang in Ghana ein. Vier Jahre später schlossen die ersten 16 Ergotherapieabsolventen ihr Studium ab und sind seitdem in zumeist staatlichen, stationären Einrichtungen beschäftigt.

Da der Beruf und das Arbeitsfeld nach wie vor völlig unbekannt sind, müssen die ghanaischen Ergotherapie-Enthusiasten kräftig dafür werben. Das tun sie zum Beispiel an der University of Ghana, an der viele junge Menschen versuchen, einen der begehrten Studienplätze für Medizin zu bekommen. Da dafür nur eine begrenzte Zahl an Studierenden aufgenommen werden kann, bekommen diejenigen, die keinen Erfolg mit ihrer Bewerbung hatten, unter anderem einen Studienplatz der Ergotherapie angeboten. Dies nehmen viele an, da sie sich freuen, einen Beruf aus dem Gesundheitssektor erlernen zu können. Man kann also sagen, dass es mehr oder weniger Zufall ist, wer in Ghana Ergotherapeut wird.

In Ghana kann man seit 2012 Ergotherapie studieren.


#

Arbeiten auch als Assistent möglich

In Anbetracht der jungen Historie der Profession in Ghana ist es logisch, dass es momentan nur wenige praktizierende Ergotherapeuten gibt. Deshalb schuf man zusätzlich die Möglichkeit, mit niedrigeren Zugangsvoraussetzungen eine Ausbildung zum Assistenten der Ergotherapie zu absolvieren.

Die Aufgabe dieser Assistenten ist es in erster Linie, die Therapiepläne ihrer Vorgesetzten, also die der studierten Ergotherapeuten, mit den Klienten umzusetzen. Diese praktische Arbeit findet vor allem im stationären und nur zum Teil im ambulanten Setting statt. Hausbesuche werden – aufgrund der großen Distanzen und der fehlenden Verkehrsinfrastruktur – so gut wie gar nicht durchgeführt. Privat verdienen sich allerdings einige Ergotherapeuten etwas dazu, indem sie Hausbesuche anbieten.


#

Andere Rahmenbedingungen

In Ghana bekommen Klienten von ihrem Arzt eine Empfehlung für Ergotherapie. Man kann sie mit einer Art Blankoverordnung vergleichen. Ergotherapeuten können allerdings auch direkt und ohne Empfehlung eines Arztes Klienten ambulant betreuen. Diese müssen die Behandlung dann allerdings selbst bezahlen.

Schwierig wird es für die ghanaischen Ergotherapeuten bei der Versorgung mit Hilfsmitteln. Das afrikanische Land ist in diesem Bereich vor allem auf Sachspenden aus dem Ausland angewiesen. Beispielsweise passen Rollstühle selten zu den individuellen Bedürfnissen der Klienten. Ersatzteile sind ebenfalls Mangelware. Eigenbauten sind dann keine Seltenheit und fordern Ergotherapeuten und Klienten gleichermaßen in ihrem Ideenreichtum.

Ghana hat sich auf den Weg gemacht, um Ergotherapie in seinem Gesundheitssystem als wichtigen Baustein zu etablieren. Mittlerweile ist es in dieser Hinsicht gemeinsam mit Südafrika das führende Land seines Kontinents. Der Berufsverband „Occupational Therapy Association of Ghana (OTAG)“ ist seit 2016 Mitglied in der internationalen Familie des Ergotherapie-Weltverbands und entwickelt sich seither kontinuierlich weiter.

Michael Schiewack

Zoom Image
Abb.: boldg/stockadobe.com
Zoom Image
Abdul Hafiz Kwakye ist 28 Jahre alt, stammt aus der ghanaischen Hauptstadt Accra und ist einer der wenigen Ergotherapeuten seines Landes. Er liest gerne Mangas, geht schwimmen oder trifft seine Freunde. Später möchte er seine eigene Praxis haben und sein Wissen in Vorlesungen weitergeben. ergopraxis hatte die Gelegenheit, Hafiz zu seinem Werdegang und seiner täglichen Arbeit zu befragen.
Abb.: A. H. Kwakye [rerif]

Hafiz, warum hast du dich für den Beruf des Ergotherapeuten entschieden?

Ursprünglich wusste ich nicht sehr viel über Ergotherapie. Ich wollte Medizin studieren, habe aber die Aufnahme nicht geschafft. Danach bekam ich das Ergotherapiestudium angeboten. Ich wollte es probieren, weil es ein Beruf aus dem Gesundheitssystem ist, der es mir ermöglicht, andere Bildungswege in diesem Bereich einzuschlagen.

Ergotherapie ist eine recht junge Profession in Ghana. Seit wann werden Ergotherapeuten in deinem Land ausgebildet?

Die ersten Ergotherapeuten starteten ihr Studium 2012, so wie ich. Mein Kurs war der erste, der 2016 seinen Abschluss gemacht hat.

Wo kann man sich in Ghana zum Ergotherapeuten ausbilden lassen und welchen Berufsabschluss erhält man?

Wenn man, so wie ich, an der University of Ghana Ergotherapie studiert, erhält man den Bachelor of Science in Occupational Therapy. Verzichtet man auf das Studium, hat man auch die Möglichkeit, sich an der School of Hygiene am Korle-Bu Teaching Hospital zum Ergotherapieassistenten ausbilden zu lassen.

Gibt es ein bestimmtes ergotherapeutisches Modell oder Konzept, nach dem du arbeitest?

Ich arbeite vor allem mit dem Kawa-Modell. Es ist für Klienten leicht verständlich, und ich kann es flexibel nutzen. Im Studium haben wir auch andere Modelle kennengelernt, Kawa war allerdings der Favorit von vielen Lehrenden und Studierenden.

Wo arbeiten du und deine Kollegen hauptsächlich?

Wir sind vor allem in Kliniken mit psychiatrischer Ausrichtung, Förderschulen und Allgemeinkrankenhäusern angestellt. Hausbesuche sind in unserem derzeitigen Gesundheitssystem nicht vorgesehen.

Seit 2006 gibt es eine gesetzliche Krankenversicherung in Ghana. Damit werden auch die Kosten für Ergotherapie übernommen. Wie oft nehmen Klienten Ergotherapie in Anspruch?

Die Frequenz ist sehr unterschiedlich und richtet sich nach der Diagnose und dem Bedarf der Klienten. Stationär können sie durchaus täglich betreut werden. Klienten, die ambulant in die Ergotherapie kommen, müssen die Behandlung allerdings selbst zahlen. Sie erscheinen in der Regel ein- bis zweimal.

Wie sieht eure Zusammenarbeit mit den Ergotherapieassistenten aus?

Wir Ergotherapeuten nehmen die Klienten allein auf und erstellen einen Therapieplan. Das Team der Assistenten hilft uns bei dessen Umsetzung und führt die Intervention mit den Klienten durch. Ich unterstütze die Assistenten bei Fallsupervisionen und organisiere für sie Fortbildungen sowie Teambesprechungen.

Hast du einen besonderen Klientenfall, von dem du berichten möchtest?

In der Regel sind die besten Geschichten diejenigen, bei denen sich die Klienten für meine Arbeit bedanken und mich an andere weiterempfehlen. Manchmal sind die Fälle allerdings kompliziert. Ich erinnere mich an einen stationären Klienten, mit dem wir an feinmotorischen Funktionen und dem Schreiben gearbeitet haben. Wir haben in acht Wochen große Fortschritte erzielen können. Allerdings hatte seine Frau, eine Krankenschwester, Ergotherapie und seinen Aufenthalt im Krankenhaus abbrechen lassen, weil sie die Therapie und die Rehabilitation nicht als wichtig empfunden hat.

Vier Monate später rief mich die Ehefrau an und bat mich, wieder mit ihrem Mann zu arbeiten, da sie in den von mir behandelten Bereichen deutliche Verschlechterungen beobachtet hatte. Allerdings sind Hausbesuche in den umliegenden Dörfern nicht möglich. So konnte ich sie trotz guter Prognose nicht mehr unterstützen.

Hast du es schon mal bereut, nicht Medizin studiert zu haben?

Nein, denn ich lerne gerade so viel über meinen Beruf und merke, dass es noch viel mehr zu erfahren gibt. Wir stehen noch am Anfang. Da bleibe ich dran und will mich in diesem Bereich unbedingt weiterbilden. Ich empfinde es allerdings als schwierig, mit Menschen mit psychischen Erkrankungen zu arbeiten. Das ist momentan noch sehr herausfordernd für mich.

Auch der Berufsverband „Occupational Therapy Association of Ghana (OTAG)“ stand ergopraxis Rede und Antwort und berichtete über den Alltag von ghanaischen Ergotherapeuten.

Ergotherapie ist eine sehr junge Profession in Ihrem Land. Warum ist das so?

Wir haben erst 2012 damit angefangen, selbst Ergotherapeuten auszubilden. Davor erlernten sie ihren Beruf über Hilfsprojekte in anderen Ländern. Leider sind sie selten nach Ghana zurückgekehrt, sodass dieser Beruf faktisch gar nicht existierte. Der Bedarf daran war aber schon immer da.

Wie viele Ergotherapeuten und Ergotherapieassistenten gibt es in Ghana aktuell?

Im Moment sind im ganzen Land 27 Ergotherapeuten und 11 Ergotherapieassistenten tätig.

Nach welchen Modellen oder Behandlungskonzepten arbeiten ghanaische Ergotherapeuten?

In den unterschiedlichen Arbeitsbereichen kommen natürlich auch verschiedene Modelle und Konzepte zum Einsatz. Meist nutzen Ergotherapeuten hierzulande das Model of Human Occupation (MOHO), das Kawa-Modell und das Occupational Therapy Practice Framework (OTPF). Zudem kommen in der Pädiatrie die Sensorische Integration (SI), Theorien der Neurowissenschaften und Erkenntnisse der Entwicklungstheorien zum Einsatz.

Wo liegen die Haupteinsatzgebiete der Ergotherapeuten in Ghana?

Sie arbeiten in den typischen Fachabteilungen der Krankenhäuser wie in der Pädiatrie, Ortho-pädie, Chirurgie und im Bereich der plastischen Chirurgie. Neben den Rehabilitationseinrich- tungen dieser Fachbereiche ist der psychiatrische Bereich ein weiteres wichtiges Arbeits-feld für Ergotherapeuten. Dort nehmen sie neue Klienten auf, planen die Behandlungen, betreuen die Menschen auf den Stationen oder in der Ambulanz. Zudem gestalten sie Fort-bildungen oder nehmen selbst an ihnen teil.

Welche anderen Länder haben Einfluss auf die Entwicklung der Ergotherapie in Ghana?

Ein wichtiger Partner für uns ist ganz klar Südafrika. Unsere beiden Länder haben auf unserem Kontinent die führenden Rollen in der Entwicklung der Ergotherapie inne.

Auch Großbritannien hat unser Land bei der Etablierung unseres Studiengangs unter-stützt. Aktuell können unsere Studierenden in England praktische Erfahrungen sammeln. Die USA fördert uns ebenso mit Fortbildungen hier vor Ort und mit dem Wissenaustausch durch ein Studierendenaustauschprogramm. Auch Australien berät uns sehr zuverlässig in der Entwicklung unserer Profession.

Wir freuen uns über die Kooperationen und sind dankbar für das Engagement unserer internationalen Kollegen!

Die Gespräche führte Michael Schiewack.

Zoom Image
Auf individuell angepasste Hilfsmittel müssen Klienten in Ghana meist verzichten und das nehmen, was an Sachspenden aus dem Ausland ankommt.
Abb.: M. Schiewack [rerif]

#
#
Zoom Image
Zoom Image
Abb.: boldg/stockadobe.com
Zoom Image
Abdul Hafiz Kwakye ist 28 Jahre alt, stammt aus der ghanaischen Hauptstadt Accra und ist einer der wenigen Ergotherapeuten seines Landes. Er liest gerne Mangas, geht schwimmen oder trifft seine Freunde. Später möchte er seine eigene Praxis haben und sein Wissen in Vorlesungen weitergeben. ergopraxis hatte die Gelegenheit, Hafiz zu seinem Werdegang und seiner täglichen Arbeit zu befragen.
Abb.: A. H. Kwakye [rerif]
Zoom Image
Auf individuell angepasste Hilfsmittel müssen Klienten in Ghana meist verzichten und das nehmen, was an Sachspenden aus dem Ausland ankommt.
Abb.: M. Schiewack [rerif]