physiopraxis 2019; 17(11/12): 1
DOI: 10.1055/a-1009-9637
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Wissen wir, was in uns schlummert?

Stephanie Moers
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Publication Date:
26 November 2019 (online)

Gibt es Verhaltensweisen, die Sie an Patienten schätzen? Und welche, die Sie an ihnen missbilligen? Haben Sie an sich selbst bemerkt, dass Sie Vorurteile gegen bestimmte Patienten haben? Gibt es Patienten, die Sie als abstoßend erleben? Wenn ja: warum?

„Oft sind uns unsere Vorurteile – auch gegenüber Patienten – nicht bewusst.“

Fragen, die ich Physiotherapeuten letztes Jahr im Rahmen meiner Masterarbeit gestellt habe. Persönliche, intime Fragen, die auch unangenehm sein können. Vorannahmen, Wertungen oder Vorurteile sind dadurch ans Licht gekommen, über die man sich selbst vorher gar nicht im Klaren war und die unbewusst in einem schlummern. Auch ich habe natürlich welche, wie ich erneut im Seminar „Implicit Bias“ auf dem WCPT-Kongress in Genf bemerkte (S. 14). Der Titel klingt intim, dachte ich. Vielleicht wird’s auch unangenehm. Wurde es nicht. Im Gegenteil: Es war bewegend und hat mich nachhaltig beeindruckt. Es kann so vieles anstoßen, wenn einem der Spiegel auf nicht moralisierende Weise vors Gesicht gehalten wird. Und das taten die Referenten. In offener, sicherer Atmosphäre war es möglich, sich selbst zu reflektieren und über die eigenen Vorannahmen zu sprechen. Das war nicht nur ernst und schwierig, wir haben auch viel gelacht. Eine wunderbare Möglichkeit, eigenen Annahmen auf den Zahn zu fühlen. Auch danach kreisten die Gespräche von mir und meinen Kollegen immer wieder um Implicit Bias.

Mit mir allein ist diese Reflexion mühsam. Im offenen Austausch gelingt dies besser. Gut für uns und die Patienten, wenn dieser Austausch zu Wertungen und Vorurteilen im beruflichen Alltag genauso seinen festen Platz hat wie Gespräche über die beste Übung bei einer Hamstring-Tendinopathie.

Stephanie Moers