Aktuelle Dermatologie 2019; 45(12): 599-603
DOI: 10.1055/a-1010-3145
Eine Klinik im Blickpunkt
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Fallstricke in der Dermatologie: Hautläsionen am Shuntarm einer Dialysepatientin durch Steal-Phänomen

Skin Lesions on the Fistula Arm of a Dialysis Patient Due to Steal Phenomenon
R. Saternus
1   Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
,
B. Stange
2   Klinik für Allgemeine Chirurgie, Viszeral-, Gefäß- und Kinderchirurgie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
,
R. Körner
3   Hautärztliche Gemeinschaftspraxis, Kleinblittersdorf
,
M. Glanemann
2   Klinik für Allgemeine Chirurgie, Viszeral-, Gefäß- und Kinderchirurgie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
,
T. Vogt
1   Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
,
C. S. L. Müller
1   Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Dr. med. Roman Saternus
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum des Saarlandes
Kirrbergerstr. 100
66421 Homburg/Saar

Publication History

Publication Date:
12 December 2019 (online)

 

Zusammenfassung

Wir berichten über eine 78-jährige dialysepflichtige Patientin, welche sich mit stark schmerzhaften Nekrosen distal eines Dialyseshunts vorstellte und bei der abschließend ein Steal-Phänomen diagnostiziert wurde. Beim Steal-Syndrom handelt es sich um eine seltene Komplikation eines Gefäßshunts durch Minderperfusion der Extremität distal der AV-Anastomose. Diabetiker sind aufgrund des höheren peripheren Gefäßwiderstandes und der Mikroangiopathie eher gefährdet, ein Steal-Syndrom nach Shuntanlage zu entwickeln. Der vorgestellte Fall soll verdeutlichen, dass das Steal-Syndrom dringlich in die differenzialdiagnostischen Überlegungen bei kutanen Nekrosen am Shuntarm einzuschließen ist und die Patienten schnellstmöglich gefäßchirurgisch vorzustellen sind, um einen Zeitverlust bis zur therapeutischen Intervention mit der Gefahr des irreversiblen Gewebsverlust und damit verbunden ggf. konsekutiv erforderliche Amputationen zu vermeiden.


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Abstract

We report on a 78-year-old female patient with dialysis who presented with severe painful necrosis distal to a dialysis shunt and who was finally diagnosed with a steal phenomenon. Steal syndrome is a rare complication of vascular access for hemodialysis caused by underperfusion of the extremity distal to the av anastomosis. Diabetics are more at risk of developing a steal syndrome after creation of an arteriovenous fistula because of the higher peripheral vascular resistance and microangiopathy. The presented case is intended to illustrate that steal syndrome should be urgently included in the differential diagnosis of skin necrosis of the fistula arm and that patients should be rapidly presented to a vascular surgeon in order to avoid loss of time from therapeutic interventions with the risk of irreversible tissue loss with possibly subsequent necessary amputations.


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Eine 78-jährige Patientin in reduziertem Allgemein- und adipösem Ernährungszustand (BMI > 30) stellte sich im Dezember 2018 aufgrund von schmerzhaften Hautveränderungen an der rechten Hand sowie am rechten Unterarm in unserer Hochschulambulanz der Universitätshautklinik vor. Blasen hatte die Patientin zu keinem Zeitpunkt beobachtet. An dermatologischen Erkrankungen war eine Prurigo simplex bekannt. Nebenbefundlich bestanden mulitple Vorkerkankungen, u. a. ein Diabetes mellitus, eine primäre benigne arterielle Hypertonie, eine Hypercholesterinämie sowie ein sekundärer Hyperparathyreoidismus. Seit 2003 bestand aufgrund einer terminalen Niereninsuffizienz bei Z. n. Poststreptokokkennephritis im Kindesalter mit chronischer Glomerulonephritis Dialysepflichtigkeit. Zum Zeitpunkt der Vorstellung wurde die Hämodialyse über einen arteriovenösen Shunt (vorverlagerte Basilikafistel) am rechten Oberarm durchgeführt. Die nephrologische und gefäßchirurgische Versorgung erfolgt bis dato im niedergelassenen Sektor. 2003 erfolgte zunächst die Anlage einer ateriovenösen (AV)-Fistel am rechten distalen Unterarm als klassische Cimino-Fistel. Im Verlauf waren aufgrund diverser Shunt-Komplikationen (u. a. Infektionen, Wundheilungsstörungen, Bildung eines Shuntulkus) mehrere Revisionsoperationen erforderlich. 2016 erfolgte schließlich die Anlage einer Ellenbeugenfistel mit der V. basilica mit sekundärer Vorverlagerung der Vene, über die die Dialyse seitdem komplikationslos erfolgte.

Acht Wochen vor dermatologischer Erstvorstellung kam es zu einer Schwellung und Rötung der rechten Hand. Unter der initial antiinflammatorischen und antiseptischen topischen Therapie war der Befund weiter progredient. Es bildeten sich blutende, schmerzhafte Einrisse und wie ausgestanzt wirkende ulzerierende Hautdefekte mit Krustenauflagerungen. Durch die Kollegen der Nephrologie, welche die Patientin ambulant regelmäßig zur Hämodialyse sahen, wurde zunächst der V. a. medikamenteninduzierte Nekrosen gestellt. Folgende Medikamente wurden probatorisch abgesetzt: Cinacalcet (Mimpara®), Benfotiamin/Pyridoxin (Milgamma®) und Phenprocoumon (Marcumar®). Bei weiter progredienten Hautveränderungen und starker Schmerzhaftigkeit erfolgte eine stationäre Aufnahme in der Universitätshautklinik zur weiteren Diagnostik.

Hautbefund, Histopathologie und Umfelddiagnostik

Am rechten lateralen ulnarseitigen Unterarm mit Übergang zu rechter Hand und Finger unter Betonung des kleinen Fingers zeigten sich ausgestanzte, trockene Nekrosen i. S. einer Gangrän mit Auflagerung hämorrhagischer Krusten und scharfer Demarkationslinie zur benachbarten intakten Haut ([Abb. 1 a] und b). Zudem fanden sich vereinzelt Prurigoknoten am mittleren Rücken mit Kratzexkoriationen sowie vereinzelt am linken Arm, bei bekannter diabetogener und renaler Prurigo simplex. Duplexsonografisch konnte eine arterielle Einstromproblematik ausgeschlossen werden. Es zeigten sich zwar ausgeprägte ubiquitäre atherosklerotische Veränderungen in den Armarterien, hämodynamisch jedoch keine relevanten Stenosen. In der rechten Arteria brachialis zeigte sich ein erhöhter diastolischer Fluss. Eine Shuntflussmessung wurde zu diesem Zeitpunkt nicht durchgeführt.

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Abb. 1 a, b Klinischer Befund bei dermatologischer Vorstellung und stationärer Aufnahme mit stark schmerzhaften Hautnekrosen. c In der Ellenbeuge AV-Shunt mit Shuntaneurysma im Anastomosenbereich, am Unterarm Narben von mehrfachen Shuntrevisionen. d, e Fast vollständige Abheilung der Läsionen 7 Wochen nach Shuntrevision durch Proximalisierung des arteriellen Einstroms.

Dazu folgte eine orientierende laborchemische Untersuchung. Mit Ausnahme der pathologischen renalen Retentionsparameter im Rahmen der nephrologischen Grunderkrankung gab es keine relevanten pathologischen Laborbefunde. Ein zuvor ambulant durchgeführter Hautabstrich zeigte eine Besiedelung durch Bakterien der normalen Hautflora. Viren aus der Herpes-Gruppe konnten nicht nachgewiesen werden. Die zusätzlich unter dem V. a. eine Pseudoporphyrie bzw. Porphyria cutanea tarda durchgeführte Porphyriediagnostik zeigte eine Erhöhung des Uroporphyrins auf 6,7 µg/l (Normwert < 2,0 µg/l) und eine leichte Erhöhung des Heptacarboxyporphyrins auf 1,2 µg/l (Normwert < 1,0 µg/l) bei normwertigem Koproporphyrin und Protoporphyrin. Diese Befunde waren differenzialdiagnostisch mit einer subklinischen bzw. chronischen hepatischen Porphyrie oder einer kompensiert-latenten, hepatischen Porphyrie vom Typ AIP (akute intermittierende Porphyrie) oder HCP (hereditäre Koproporphyrie) als auch mit einer durch renale Dysfunktion bedingten Uroporphyrinämie (sog. Pseudoporphyrie) vereinbar. Eine Porphyria variegata konnte anhand des negativen Fluoreszenz-Scans ausgeschlossen werden. Zur weiteren diagnostischen Einodnung wurde eine Biopsie aus läsionaler Haut am Unteram entnommen. Histologisch zeigte sich ein Ulkus der Haut mit aufgelagertem Debris. Dermal konnten keine Zeichen einer Vaskulitis gefunden werden, ebenso keine Gefäßokklusionen. Auffallend war eine Adipozytennekrose bzw. ischämische Fettnekrose. Eine Vaskulitis, perforierende Kollagenose oder Kalziphylaxie konnten ausgeschlossen werden ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Befunde der Stanzbiopsie. Hämatoxylin-Eosin-Färbung. Links: 40-fache Vergrößerung, Mitte und rechts: 100-fache Vergrößerung. Beachte die Nekrose an der Oberfläche. Intakte Epidermis ist nicht vorhanden. Auffallend ist die ischämische Fettgewebsnekrose bei sonst weitgehend unauffälligem Befund.

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Verlauf

Während des stationären Aufenthaltes wurde die Patientin nach der dermatologischen und angiologischen Diagnostik den Kollegen der Gefäßchirurgie vorgestellt, welche klinisch die Diagnose eines Steal-Phänomens stellten und die Indikation zur Shuntrevision sahen. In Zusammenschau der Befunde entschied man sich zur Proximalisierung des arteriellen Einstroms der AV-Fistel durch Anlage eines sogenannten Krückstockshunts. Hierbei wird die ursprüngliche AV-Anastomose zwischen V. basilica und der distalen A. brachialis in der Ellenbeuge durch Zwischenschalten eines PTFE-Interponats auf die A. axillaris proximalisiert.

Zudem wurde ein bestehendes Shuntaneurysma reseziert ([Abb. 1 c]). Begleitend erfolgte eine schmerzadaptierte Analgesie. Die betroffene Extremität wurde trocken mit Watteumschlägen verbunden und tief gelagert. Bereits am 1. postoperativen Tag waren die Schmerzen der Patientin im Bereich der nekrotischen Läsionen deutlich gebessert.

Die Patientin wurde postoperativ zur Dialyse und fachspezifischen Nachbetreuung in die nephrologische Abteilung verlegt. Eine Shuntduplexsonografie 4 Tage nach der Operation zeigte eine gute Shuntfunktion. Der Shuntfluss im Interponat betrug im Mittel aus 3 Messungen 1232 ml/min. Die Dialyse war problemlos über den revidierten Shunt im Bereich der nativen Shuntvene ab dem 1. postoperativen Tag möglich.

Die Patientin wurde durch uns im Verlauf noch einmal konsiliarisch mitbetreut. Hierbei konnte eine beginnende Abheilung befundet werden, welche topisch antiseptisch unterstützt wurde. Sieben Wochen postoperativ waren die Läsionen fast komplett abgeheilt ([Abb. 1 d] und e).


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Diskussion

Patienten im Endstadium einer chronischen Niereninsuffizienz sind, sofern keine Nierentransplantation erfolgen kann, ihr Leben lang auf eine Dialyse angewiesen [1]. Cimino und Brescia entwickelten eine arteriovenöse Fistelanlage (AV-Fistel), bei welcher eine Anastomose zwischen der Arteria radialis und einer nahegelegenen Vene erfolgt [1] [2]. Die Cimino-Fistel gilt als Methode der Wahl für einen Gefäßzugang bei Hämodialyse, wobei am häufigsten die Vena cephalica antebrachii mit der distalen Arteria radialis End-zu-Seit anastomosiert wird [1] [2]. Diese klassische AV-Fistelanlage am Unterarm ist jedoch nicht immer möglich, sodass es zahlreiche Alternativen sowohl mit nativen Gefäßen als auch Kunststoffinterponaten zur Shuntanlage gibt.

Eine seltene Komplikation nach Shuntanlage ist das Steal-Phänomen, auch als Dialysis Access Steal Syndrome (DASS) bezeichnet [3]. Es handelt sich hierbei um eine Minderperfusion der Extremität distal der AV-Anastomose. Durch den Einstrom eines Teils des arteriellen Blutes in das Shuntgefäß kommt es zu einer Senkung des Drucks in der Arterie distal der AV-Anastomose, dem sog. peripheren Perfusionsdruck. Diese Drucksenkung ist abhängig von den Widerständen der beteiligten Gefäße. Diese Widerstandsverhältnisse ändern sich mit der Zeit und können dadurch auch zu einer Änderung des peripheren Perfusionsdrucks führen. Der kritische periphere Perfusionsdruck, bei dem Minderperfusionen auftreten, ist individuell sehr unterschiedlich. Bestimmte Patientengruppen wie z. B. Diabetiker sind aufgrund des höheren peripheren Gefäßwiderstandes und der Mikroangiopathie jedoch eher gefährdet, ein Steal-Syndrom nach Shuntanlage zu entwickeln.

Sidway et al. nahmen eine Klassifikation des DASS unter Berücksichtigung der klinischen Schweresymptomatik vor (Stadium 0 – 3, s. [Tab. 1]) [3]. Eine weitere Klassifikation stammt von Tordoir et al. (Stadium I – IV, s. [Tab. 2]) [4]. Klinisch äußert sich das Steal-Phänomen durch Parästhesien, Schmerzen, Ulzerationen, Gewebsverlust, kalte Extremität, Krämpfe und veränderte Sensibilität [5] [6].

Tab. 1

Klassifikation des Steal-Syndroms nach Sidway et al. [3].

Stadium

Symptome

Behandlung

0

keine

keine

1

mild (kühle Extremität mit wenigen Symptomen, aber nachweisbare Flusserhöhung mit Shuntokklusion)

keine Behandlung erforderlich

2

moderat (intermittierende Ischämie nur während der Dialyse [Claudicatio])

Intervention manchmal erforderlich

3

schwer (ischämischer Ruheschmerz/Gewebeverlust)

Intervention obligatorisch

Tab. 2

Klassifikation nach Tordoir et al. [4].

Stadium

Symptome

I

blasse/blaue und kalte Hand ohne Schmerzen

II

Schmerzen während Anstrengung und/oder Hämodialyse

III

Ruheschmerz

IV

Ulzerationen/Nekrosen/Gangrän

Die Ursache einer distal des Shunts gelegenen peripheren Ischämie ist in ca. 33 % aller Fälle eine sog. Inflow-Stenose [5] [7]. Zum anderen kann eine distale arterielle Gefäßerkrankung als Ergebnis einer generalisierten vaskulären Kalzifizierung oder Diabetes mellitus zu einem Steal-Phänomen führen [5] [8]. Darüber hinaus kann – überwiegend bei Frauen – eine sog. High-flow-Fistel bzw. High-Flow-Graft die Kapazität des zuführenden Gefäßes übersteigen. Dies wird dadurch erklärt, dass Frauen im Vergleich zu Männern relativ kleinlumige Arterien aufweisen [9]. Ein gesteigerter Fluss führt dazu, dass der Blutfluss direkt zur AV-Fistel geleitet wird und dadurch peripher ein Steal-Phänomen entsteht [6] [10]. Weiterhin kann ein sog. retrograder Flow ein Steal-Phänomen bedingen [5]. Unter Ruhebedingungen führt der hohe Widerstand der muskelversorgenden Arterien während der Diastole zu einem retrograden Flow in die distal der AV-Anastomose gelegene Arterie sowie in den AV-Shunt selbst [11]. Die Umkehrung des distalen arteriellen Flusses tritt gewöhnlich dann auf, wenn der Durchmesser der Fistelöffnung den Durchmesser der versorgenden Arterie übersteigt. Durch Kollateralarterien kann diese Flussumkehrung in der Regel kompensiert werden [9] [11]. Dieses Phänomen wird auch als physiologisches Steal-Phänomen bezeichnet und tritt in 73 % aller AV-Fisteln und in 91 % aller AV-Grafts auf [5] [11] [12]. Eine Gefäßpathologie, welche diesen Kompensationsmechanismus einschränkt, führt dann zu einer distalen Ischämie durch ein Steal-Phänomen [11].

Generell ist eine Ischämie der betroffenen distalen Extremität, welche durch ein Steal-Phänomen nach Shuntanlage hervorgerufen wird, selten. Sahasrabudhe et al. untersuchten in einer retrospektiven Analyse 271 Patienten nach AV-Shuntanlage [1]. 16/271 Patienten entwickelten ein distales Ödem, 32/271 ein manifestes Steal-Phänomen [1]. Weitere ähnliche Fälle wurden in der Literatur beschrieben und eine Häufigkeit von 1 – 5 % angegeben [13] [14]. Klinisch frühe Zeichen einer Ischämie mit typischen Symptomen wie Schmerzen oder Parästhesien kommen jedoch deutlich häufiger vor, nämlich bei 10 – 20 % [9]. Je nach Lokalisation der Shuntanlage variiert das Risiko erheblich: AV-Fisteln am Oberarm haben eine höhere Inzidenz für ein Steal-Syndrom als Fisteln am Unterarm durch den größeren Durchmesser der Arterie und somit in der Regel einen höheren Shuntfluss [4].

Es konnte gezeigt werden, dass ein bestehender Diabtes mellitus als Risikofaktor für die Entwicklung eines Steal-Phänomens agiert, wie im vorliegenden Fall [6].

Zur Therapie des Steal-Phänomens eines Dialyseshunts gehören, je nach zugrundeliegender Ursache, zahlreiche, unterschiedlichste operative Revisionseingriffe. Prinzipielles Ziel dieser Eingriffe ist immer eine Verbesserung des peripheren Perfusionsdrucks distal der AV-Anastomose. Die zu wählende Operationsmethode ist individuell verschieden und ist von der Shuntphysiologie abhängig. So wird bei High-Flow-Shunts eher eine Flussreduktion durchgeführt, bei normalen Shuntflüssen eher eine Proximalisierung der arteriellen Speisung des AV-Gefäßes, wofür es unterschiedliche Techniken gibt, wie z. B. die auch im vorliegenden Fall durchgeführte Proximalisierung des arteriellen Einstroms durch ein Protheseninterponat (PAI = Proximalisation of arterial inflow) [15]. Zahlreiche andere Techniken wurden ebenfalls beschrieben wie die DRIL-Prozedur (distal revascularization-interval ligation), die distal radial artery ligation (DRAL), die revision using distal inflow (RUDI) sowie die minimally invasive limited ligation endoluminal-assisted revision (MILLER) [11]. Nur bei Versagen dieser Therapiemethoden muss der Shunt ligiert und damit aufgegeben werden, was nur selten der Fall ist.

Diesbezüglich sei auf die gefäßchirurgische Fachliteratur verwiesen.


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Fazit

Der hier vorgestellte Fall verdeutlicht die dringende Notwendigkeit der engen klinischen Zusammenarbeit der verschiedenen Fachdisziplinen bei untypischen Hautläsionen am Shuntarm von Dialysepatienten. Nach Ausschluss dermatologischer Differenzialdiagnosen sowie frustraner topischer symptomorientierter Dermatotherapie ist es, gerade vor dem Hintergrund der internistischen und auch angiologischen Multimorbidität sowie bei Vorliegen eines Diabetes mellitus, dringend indiziert, die klinischen Befunde zusammenzuführen und die differenzialdiagnostischen Überlegungen zu erweitern. Histologisch kann aus Hautbiopsien läsionaler Haut lediglich eine Ausschlussdiagnostik stattfinden: Außer der pathogenetisch bedeutsamen ischämischen Fettgewebsnekrose hat das Steal-Syndrom mehrheitlich dermatopathologisch kein morphologisches Korrelat und dient v. a. dem Ausschluss klinisch-dermatologischer Differenzialdiagnosen: Herpesvirusinfektion, Kalziphylaxie und Vaskulitis. Die pathologische Porphyriediagnostik ist in diesem Falle vor dem Hintergrund der terminalen Niereninsuffizienz schlecht beurteilbar und kann sogar auf die falsche diagnostische Schiene lenken.

Patienten mit Diabetes mellitus weisen gehäuft atypische Symptome auf, so können auf Basis der diabetischen Kleinfaserneuropathie auch der differenzialdiagnostisch wegweisende Ischämieschmerz und auch Parästhesien als frühe Anzeichen eines Steal-Syndroms nur gering ausgeprägt sein oder gänzlich fehlen. Somit kommt dem Hautarzt, so wie auch im präsentierten Fall, eine besondere Bedeutung in der Erstkonsultation zu. Hauteffloreszenzen wie kleine Nekrosen am Shuntarm können das erste klinische Zeichen eines Steal-Phänomens sein.

Was können wir lernen? Es gilt bei Auftreten von Nekrosen distal eines Dialyseshunts das Steal-Phänomen in die differenzialdiagnostischen Überlegungen einzuschließen und die Patienten schnellstmöglich gefäßchirurgisch, besser noch einem versierten Shuntchirurgen, vorzustellen, um einen Zeitverlust bis zur therapeutischen Intervention mit der Gefahr des irreversiblen Gewebsverlust und damit verbunden ggf. konsekutiv erforderliche Amputationen zu vermeiden.


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Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Sahasrabudhe P, Dighe T, Panse N. et al. Retrospective analysis of 271 arteriovenous fistulas as vascular access for hemodialysis. Indian J Nephrol 2013; 23: 191-195
  • 2 Brescia MJ, Cimino JE, Appel K. et al. Chronic hemodialysis using venipuncture and a surgically created arteriovenous fistula. N Engl J Med 1966; 275: 1089-1092
  • 3 Sidawy AN, Gray R, Besarab A. et al. Recommended standards for reports dealing with arteriovenous hemodialysis accesses. J Vasc Surg 2002; 35: 603-610
  • 4 Tordoir JH, Dammers R, van der Sande FM. Upper extremity ischemia and hemodialysis vascular access. Eur J Vasc Endovasc Surg 2004; 27: 1-5
  • 5 Polkinghorne KR, Chin GK, MacGinley RJ. et al. KHA-CARI Guideline: vascular access – central venous catheters, arteriovenous fistulae and arteriovenous grafts. Nephrology (Carlton) 2013; 18: 701-705
  • 6 van Hoek F, Scheltinga MR, Kouwenberg I. et al. Steal in hemodialysis patients depends on type of vascular access. Eur J Vasc Endovasc Surg 2006; 32: 710-717
  • 7 Asif A, Gadalean FN, Merrill D. et al. Inflow stenosis in arteriovenous fistulas and grafts: a multicenter, prospective study. Kidney Int 2005; 67: 1986-1992
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  • 9 Suding PN, Wilson SE. Strategies for management of ischemic steal syndrome. Semin Vasc Surg 2007; 20: 184-188
  • 10 Bussell JA, Abbott JA, Lim RC. A radial steal syndrome with arteriovenous fistula for hemodialysis. Studies in seven patients. Ann Intern Med 1971; 75: 387-394
  • 11 Mickley V. Steal syndrome – strategies to preserve vascular access and extremity. Nephrol Dial Transplant 2008; 23: 19-24
  • 12 Schanzer H, Eisenberg D. Management of steal syndrome resulting from dialysis access. Semin Vasc Surg 2004; 17: 45-49
  • 13 Berman SS, Gentile AT, Glickman MH. et al. Distal revascularization-interval ligation for limb salvage and maintenance of dialysis access in ischemic steal syndrome. J Vasc Surg 1997; 26: 393-402; discussion 402–394
  • 14 Salati SA, Abdullah-Al-Subaie S, Rabah SM. Digital gangrene in end-stage renal disease. J Coll Physicians Surg Pak 2011; 21: 708-709
  • 15 Zanow J, Kruger U, Scholz H. Proximalization of the arterial inflow: a new technique to treat access-related ischemia. J Vasc Surg 2006; 43: 1216-1221; discussion 1221

Korrespondenzadresse

Dr. med. Roman Saternus
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum des Saarlandes
Kirrbergerstr. 100
66421 Homburg/Saar

  • Literatur

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Abb. 1 a, b Klinischer Befund bei dermatologischer Vorstellung und stationärer Aufnahme mit stark schmerzhaften Hautnekrosen. c In der Ellenbeuge AV-Shunt mit Shuntaneurysma im Anastomosenbereich, am Unterarm Narben von mehrfachen Shuntrevisionen. d, e Fast vollständige Abheilung der Läsionen 7 Wochen nach Shuntrevision durch Proximalisierung des arteriellen Einstroms.
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Abb. 2 Befunde der Stanzbiopsie. Hämatoxylin-Eosin-Färbung. Links: 40-fache Vergrößerung, Mitte und rechts: 100-fache Vergrößerung. Beachte die Nekrose an der Oberfläche. Intakte Epidermis ist nicht vorhanden. Auffallend ist die ischämische Fettgewebsnekrose bei sonst weitgehend unauffälligem Befund.