Aktuelle Dermatologie 2019; 45(12): 593-598
DOI: 10.1055/a-1010-3409
Eine Klinik im Blickpunkt
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Autoimmunhämolytische Anämie als seltene Nebenwirkung einer Therapie mit Pembrolizumab bei metastasiertem Melanom

Autoimmune Hemolytic Anemia as a Rare Side Effect of a Therapy with Pembrolizumab for Metastatic Melanoma
C. Pföhler
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
,
S. Koch
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
,
L. Weber
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
,
C. S. L. Müller
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
,
T. Vogt
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Claudia Pföhler
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum des Saarlandes
Kirrbergerstr. 100
66421 Homburg/Saar

Publication History

Publication Date:
12 December 2019 (online)

 

Zusammenfassung

Checkpoint-Inhibitoren wie Pembrolizumab, Nivolumab und Ipilimumab stellen unverzichtbare Wirkstoffe zur Behandlung fortgeschrittener oder metastasierter Melanome dar. Durch eine Aktivierung zytotoxischer T-Zellen durch diese Substanzen kommt es neben einer antitumoralen Immunantwort bei vielen Patienten auch zu einer Vielzahl an immunvermittelten Nebenwirkungen, die jedes Organ des Körpers betreffen können. Neben häufigen autoimmun vermittelten Nebenwirkungen, wie z. B. einer Kolitis, einer Pneumonitis, einer Thyreoiditis und einer Hypophysitis, die in der Regel rasch erkannt werden, können auch seltene Nebenwirkungen auftreten, die initial oft nicht direkt als Nebenwirkung der Therapie interpretiert werden.

Bei einer 66 Jahre alten Patientin wurde ein Melanom am linken Unterschenkel exzidiert (Typ NMM, Tumordicke 3 mm; BRAF, NRAS und c-Kit jeweils Wildtyp), Sentinelnodebiopsie inguinal positiv, darauffolgende Lymphknotendissektion ohne Metastasennachweis. Sechs Monate später traten inguinale Lymphknotenfiliae sowie mehrere kutane Metastasen am linken Bein auf. Es erfolgte eine knappe Resektion in toto mit anschließender adjuvanter Radiatio (inguinal und Knie links, GRD 45 Gy). Bereits einige Wochen später zeigten sich am linken Bein erneut mehrere kutane Filiae sowie Lymphknotenfiliae inguinal und iliakal links. Aufgrund des mittlerweile ausgebildeten massiven Lymphödems wurde bei nicht-operabler, lokoregionärer Metastasierung 2016 eine Therapie mit Pembrolizumab begonnen.

Nach der 12. Gabe bildete sich eine normochrome, normozytäre Anämie mit transfusionsbedürftigem Hämoglobin (Hb)-Abfall bis auf 8,4 mg/dl aus. Gastro- und koloskopisch konnte keine Blutungsquelle nachgewiesen werden, mittels Knochenmarksbiopsie wurden eine Infiltration des Knochenmarks durch Melanomzellen sowie eine Pure Red Cell Aplasia ausgeschlossen. Bei erhöhter LDH, erniedrigten Werten für Haptoglobin und Retikulozyten sowie positivem direkten Coombs-Test für c3d wurde die Diagnose einer autoimmunhämolytischen Anämie (AIHA) mit Beteiligung aller Vorstufen der roten Reihe gestellt und eine Therapie mit Methylprednisolon begonnen. Bei jedem Versuch die Therapie mit Pembrolizumab nach Stabilisierung des Hb-Wertes fortzuführen, zeigte sich ein erneuter transfusionsbedürftiger Abfall auf Hb-Werte von bis zu 6 mg/dl. Wir entschieden uns die Therapie mit Pembrolizumab nach 15 Zyklen bei kompletter Remission der Metastasen zu beenden; seitdem zeigen sich in Laborkontrollen normwertige Hb-Werte. Da sich nach einigen Monaten erneut ein Progress ausbildete, wurde bei negativem BRAF-Mutationsstatus eine Therapie mit Nivolumab begonnen, hierunter kam es nicht zur erneuten Ausbildung einer AIHA.

Die Entwicklung einer Anämie ist eine seltene Nebenwirkung einer Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren. Als weitere Ursache wurde neben der hier gezeigten AIHA auch die aplastische Anämie als immunvermittelte Nebenwirkung beschrieben.

In den wenigen bisher publizierten Fällen bildete sich die Anämie i. R. der Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren frühzeitig aus und zeigte oft ein zögerliches Ansprechen auf Steroide. Bisher sind nur wenige Fälle beschrieben, bei denen eine Re-Exposition ohne erneutes Aufflammen der Anämie möglich war. Trotz immunsuppressiver Therapie sind letale Verläufe beschrieben. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit regelmäßiger Laboruntersuchungen unter und nach der Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren. In unserem Fall kam es erfreulicherweise nach erneuter Gabe eines Checkpoint-Inhibitors nicht zum erneuten Auftreten der AIHA. Ob dies dem Wechsel von Pembrolizumab zu Nivolumab geschuldet ist, muss derzeit leider unbeantwortet bleiben.


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Abstract

Checkpointinhibitors such as pembrolizumab, nivolumab or ipilimumab are indispensable substances in the treatment of advanced or metastatic melanoma. By activation of cytotoxic T-cells they cause an antitumoral response and in many cases a multitude of autoimmune mediated side effects such as colitis, pneumonitis, thyreoiditis or hypophysitis that can usually be recognized quickly. However, there are rare side effects that are not recognized directly because they are not initially interpreted as such.

We report the case of a 66-year-old female patient who was diagnosed with a malignant melanoma on her left lower leg (nodular melanoma, tumor thickness 3 mm, BRAF, NRAS and c-kit wildtype). Sentinel lymph node biopsy in the ipsilateral groin was positive, a subsequent performed lymphadenectomy showed no further metastases. Six months later she developed lymph nodes metastases in the left groin and several cutaneous metastases on her left leg that could be treated by surgery and an adjuvant radiation (45 Gy). Only a few weeks later she developed a progression of disease with skin and lymph node metastases on her left leg and groin. As a complete surgical removal could not be attained a therapy with pembrolizumab was begun. After 12 cycles of this therapy the patient developed of normochromic and normocytic anemia and a drop of haemoglobin (8.4 mg/dl) that needed to be treated with packed red blood cells. Gastric or intestinal bleeding could be ruled out by gastroscopy and coloscopy. A bone marrow biopsy could rule out the infiltration of the bone marrow by melanoma cells as well as a pure red cell anaplasia. Elevated lactatdehydrogenase (LDH) values, decreased values for haptoglobin and reticulocytes in combination with a positive direct Coombs test for c3d an autoimmune hemolytic anemia (AIHA) with involvement of all precursors of the red cell line could be diagnosed. Subsequently, a therapy with methylprednisolone was initiated and led to a rapid improvement of lab values. Each attempt of a re-challenge with pembrolizumab led to a drop of haemoglobin again (6 mg/dl). Therefore, the therapy with pembrolizumab was stopped after 15 cycles, the patient showed no evidence of disease at time of termination. However, some months later the patient showed progression of disease and due to the non-existence of a BRAF-mutation we decided to begin a therapy with nivolumab. The patient did not develop a relapse of her AIHA.

The development of an anemia is a rare side effect of therapies with checkpointinhibitors. In these cases either an AIHA or an aplastic anemia may be causative.

Up to date there are only a few cases of anemia published that developed under treatment with checkpoint inhibitors. In most cases, anemia developed early after start of therapy and responded only hesitantly to treatment with corticosteroids. According to our knowledge there are only few cases published in which a re-exposure was possible without the development of a new episode of anemia. Some of the cases reported showed a fatal outcome. This elucidates the need of regularly performed lab controls during and even after stop of therapies with checkpointinhibitors. Fortunately, in our case AIHA did not reoccur during treatment with nivolumab. Whether this was due to the fact that pembrolizumab was replaced by nivolumab must currently remain to be unanswered.


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Einleitung

In der Therapie des Melanoms sowie vieler weiterer Neoplasien führte die Zulassung von Checkpoint-Inhibitoren wie den anti-programmed death 1 (anti-PD1)-Antikörpern Pembrolizumab und Nivolumab zu einem Paradigmenwechsel [1] [2]. Weitere Checkpoint-Inhibitoren sind anti-PD-ligand (anti-PD-L1)-Antikörper wie z. B. Avelumab, das zur Behandlung des fortgeschrittenen Merkelzellkarzinoms zugelassen ist [3], oder der anti-cytotoxic T-lymphocyte antigen-4 (anti-CTLA-4)-Antikörper Ipilimumab, der als erster Checkpoint-Inhibitor zur Behandlung metastasierter Melanome zugelassen wurde [4]. Stetig kommen neue Substanzen hinzu, in Deutschland wurde kürzlich der anti-PD1-Antikörper Cemiplimab zur Behandlung nicht-operabler oder metastasierter Plattenepithelkarzinome der Haut zugelassen [5]. Pembrolizumab und Nivolumab sind monoklonale, humane IgG4-Antikörper, die das Immuncheckpoint-Molekül PD-1 angreifen und somit zur Aktivierung zytotoxischer T-Zellen führen. Diese Aktivierung läuft nicht nur im Mikroenvironment des Tumors ab, sondern zum Teil auch in den Organen und führt somit zu immunvermittelten Therapienebenwirkungen [6]. Autoimmunvermittelte Nebenwirkungen können sich in jedem Organsystem manifestieren und treten bei mehr als 75 % aller behandelten Patienten auf [6]. Am häufigsten finden sich Nebenwirkungen an der Haut, autoimmunvermittelte Kolitiden und Hepatitiden sowie Endokrinopathien wie eine Thyreoiditis oder Hypophysitis [6]. Die meisten autoimmunvermittelten Nebenwirkungen können, sofern sie rechtzeitig erkannt werden, gut behandelt werden und sind in der Mehrzahl der Fälle reversibel [7] [8] [9]. Endokrinopathien wie eine Thyreoiditis, eine Hypophysitis oder eine Adrenalitis führen jedoch oft zu einer entzündungsbedingten Zerstörung der betroffenen Organe mit Notwendigkeit einer lebenslangen Hormonsubstitution [7]. Irreversible Nebenwirkungen sind oft schwerwiegender, so kann es z. B. durch eine autoimmun bedingte Pankreatitis zur Entwicklung eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus kommen oder infolge einer autoimmunvermittelten Nephritis zu einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz [7]. Potenziell lebensbedrohliche Nebenwirkungen umfassen neuromuskuläre Nebenwirkungen wie Myositiden und Myokarditiden sowie Lähmungen und Enzephalopathien [10] [11] [12] [13]. Autoimmunvermittelte Nebenwirkungen im Blut wie beispielsweise Neutropenien oder Thrombopenien sind selten und werden oft nicht gleich als therapiebedingte Nebenwirkungen interpretiert und erkannt [14] [15]. Gleiches gilt für autoimmunhämylotische Anämien (AIHA) [16]. Die Food and Drug Administration (FDA) fand in ihrer Datenbank 68 Fälle von Patienten mit AIHA, die auf die Gabe von Checkpoint-Inhibitoren entstanden sind [16]. 43 traten nach der Gabe von Nivolumab auf, 13 auf Pembrolizumab, 7 auf Ipilimumab und 5 auf Atezolizumab [16]. In allen Fällen war der Schweregrad ausgeprägt, in 2 Fällen verlief die AIHA trotz Therapie tödlich [16].


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Kasuistik

Anamnese

Bei einer 66 Jahre alten Patientin wurde ein Melanom am linken Unterschenkel exzidiert (Typ NMM, Tumordicke 3 mm), Sentinelnodebiopsie inguinal positiv, darauffolgende Lymphknotendissektion ohne Metastasennachweis. Sechs Monate später traten inguinale Lymphknotenfiliae sowie mehrere kutane Metastasen am linken Bein auf. Es erfolgte eine Resektion mit anschließender adjuvanter Radiatio (inguinal und Knie links, GRD 45 Gy). Bereits einige Wochen später zeigten sich am linken Bein erneut mehrere kutane Filiae sowie Lymphknotenfiliae inguinal und iliakal links.


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Dermatologischer Befund

Im Bereich des gesamten linken Beines zeigte sich eine disseminierte kutane und subkutane Metastasierung mit multiplen amelanotischen Noduli. Durch die Voroperationen, die Metastasierung in der Leiste und die Radiatio bedingt lag eine deutliche Umfangsvermehrung des betroffenen Beines durch ein Lymphödem vor ([Abb. 1]). In der linken Leiste zeigen sich sonografisch nachweisbare Lymphknotenmetastasen ([Abb. 2]).

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Abb. 1 Disseminierte kutane und subkutane amelanotische Metastasen im Bereich des linken Beines (a im Bereich der Primärtumorregion, b im Bereich des gesamten Beines, blaue Pfeile zeigen exemplarisch die größten Metastasen), das postoperativ und nach Radiatio sowie aufgrund der Metastasierung in die inguinalen und iliakalen Lymphknoten deutlich umfangsvermehrt ist (b).
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Abb. 2 Sonografisch nachweisbare Lymphknotenmetastasen in der linken Leiste, die sich als echoarme, runde Raumforderungen mit randständiger Perfusion darstellen.

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Therapie und Verlauf

Aufgrund des mittlerweile ausgebildeten massiven Lymphödems wurde bei nicht-operabler, lokoregionärer Metastasierung eine Therapie mit Pembrolizumab (2 mg/kg KG, q3w) begonnen. Nach der 12. Gabe bildete sich eine normochrome, normozytäre Anämie mit transfusionsbedürftigem Hämoglobin (Hb)-Abfall bis auf 8,4 mg/dl aus. Gastro- und koloskopisch konnte keine Blutungsquelle nachgewiesen werden, mittels Knochenmarksbiopsie wurde eine Infiltration des Knochenmarks durch Melanomzellen sowie eine Pure Red Cell Aplasia ausgeschlossen. Bei erhöhter LDH, erniedrigten Werten für Haptoglobin und Retikulozyten sowie positivem direkten Coombs-Test für c3d wurde bei autoimmunhämolytischer Anämie mit Beteiligung aller Vorstufen der roten Reihe eine Therapie mit Methylprednisolon (initial 1 mg/kg KG/Tag) begonnen. Bei jedem Versuch, die Therapie mit Pembrolizumab nach Stabilisierung des Hb-Wertes fortzuführen, zeigte sich ein erneuter transfusionsbedürftiger Abfall auf Hb-Werte bis 6 mg/dl ([Abb. 3]). Die Therapie mit Pembrolizumab wurde nach 15 Zyklen bei eingetretener kompletter Remission (CR) beendet; seitdem und bis heute zeigen sich in Laborkontrollen normwertige Hb-Werte. Da sich nach einigen Monaten erneut ein Progress ausbildete, wurde bei negativem BRAF-Mutationsstatus eine Therapie mit Nivolumab (480 mg Fixdosis, q4w) begonnen, hierunter kam es bislang nach 5 Zyklen dieser Therapie nicht zur erneuten Ausbildung einer autoimmunhämolytischen Anämie.

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Abb. 3 Verlauf der Hämoglobin- und LDH-Werte. Graue Pfeile kennzeichnen Pembrolizumab-Gaben, orangene Sterne die Gabe von Erythrozytenkonzentraten, der rote Pfeil kennzeichnet den Beginn der Prednisolontherapie.

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Diskussion

Die AIHA ist ein seltenes Krankheitsbild, dem die Bildung von Autoantikörpern vom Typ IgG oder IgM gegen Oberflächenantigene auf Erythrozyten zugrunde liegt [17]. 50 % aller AIHA sind idiopathisch, andere Auslöser können Krebserkrankungen, insbesondere Lymphome, autoimmune Erkrankungen wie z. B. Lupus erythematodes, Infektionen durch z. B. Mykoplasmen oder Epstein-Barr-Viren und Medikamente sein [17]. Man unterscheidet eine durch Wärmeantikörper verursachte Form (Hämolyse ab 37 °C) von einer durch Kälteantikörper verursachten Form [17].

Bei der Medikamenten-induzierten Form unterscheidet man die sog. Medikamenten-unabhängige AIHA, bei der es zur Produktion von Autoantikörpern gegen Rhesus-Antigene kommt, sowie die Medikamenten-abhängige Form, bei der das Medikament selbst (z. B. Cephalosporine) an die Erythrozyten-Membran bindet und dadurch eine Antikörperbildung gegenüber Bestandteilen der Erythrozytenoberfläche hervorruft [17].

Es ist nicht gänzlich geklärt, über welchen Mechanismus die PD-1-induzierten AIHA ablaufen. Es wird vermutet, dass neben den aktivierten T-Zellen auch B-Zellen autoimmun aktiv werden, indem sie Auto-Antikörper bilden, welche an Oberflächenantigene der Erythrozyten binden, was schließlich über die Aktivierung des Komplementsystems sowie von Makrophagen und T-Zellen und daraus resultierender Zytokinfreisetzung in einer Zellzerstörung mündet [16]. Auch eine verminderte Aktivität von regulatorischen T-Zellen unter immunonkologischer Therapie scheint eine Rolle zu spielen [16].

Das Auftreten einer AIHA unter Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren ist sehr selten. In einer kürzlich publizierten Datenbankauswertung der FDA wurde eine AIHA bei 0,055 % der mit Ipilimumab behandelten Patienten gefunden sowie bei 0,211 % der Patienten unter Therapie mit Nivolumab und bei 0,146 % der Patienten, die Pembrolizumab erhalten hatten [16]. Die Patienten hatten diese Wirkstoffe wegen unterschiedlicher Tumorerkrankungen erhalten (malignes Melanom, Bronchialkarzinom, Nierenzellkarzinom, Ovarialkarzinom und andere). Möglicherweise ist der Prozentsatz der Patienten, die unter Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren eine AIHA entwickeln, aber etwas höher, da mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht hinter jeder Anämie, die bei einem Tumorpatienten unter Systemtherapie auftritt, ein autoimmuner Pathomechanismus vermutet und nachgewiesen wird. Bei den bislang dokumentierten Fällen zeigte sich keine Geschlechterbevorzugung, das mediane Alter der betroffenen Patienten betrug zwischen 62 und 68 Jahren, was sich mit dem Alter der hier vorgestellten Patientin deckt [16]. Eine durch Checkpoint-Inhibitoren ausgelöste AIHA entwickelt sich im Median nach 10 Wochen (range 2 – 78 Wochen), was bedeutet, dass regelmäßige Laborkontrollen unter und auch nach Beendigung einer Therapie mit diesen Wirkstoffen notwendig sind, da es möglich ist, dass sich autoimmunvermittelte Nebenwirkungen auch noch nach Beendigung der Therapie ausbilden [16].

Tritt bei einem Melanompatienten unter Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren eine Anämie auf, so muss immer primär eine akute oder chronische Blutungsquelle, z. B. im Gastrointestinaltrakt ausgeschlossen werden. Liegt kein Blutungsgeschehen vor, müssen weitere Untersuchungen angeschlossen werden. Zeigt sich in vitro eine Erythrozytenagglutination nach Mischung einer Blutprobe mit Antikörpern gegen Immunglobuline und/oder gegen Komplementfaktoren, so spricht man von einem positiven Coombs-Test, der in der Diagnostik wegweisend ist. Hierbei muss jedoch bedacht werden, dass ein positiver Coombs-Test ohne klinische Bedeutung auch alleinig durch die Gabe der monoklonalen Therapieantikörper auftreten kann und daher in der Diagnostik einer Immuncheckpoint-Blockade-induzierten AIHA keine absolute Aussagekraft besitzt. Diagnostisch wegweisend sind laborchemische Hämolysezeichen ([Tab. 1]). Uncharakteristischerweise zeigte unsere Patientin eine Retikulozytopenie, weshalb anfangs eine Pure Red Cell Aplasia vermutet wurde. Zur Differenzierung zwischen einer AIHA und einer Pure Red Cell Aplasia ist eine Knochenmarksbiopsie notwendig, wie sie auch bei unserer Patientin durchgeführt wurde. Während man bei einer AIHA ein normales bis hyperreaktives Zellbild erwartet, zeigt sich bei der Pure Red Cell Aplasia eine Aplasie der Erythrozyten-bildenden Reihe.

Tab. 1

Unterschiede zwischen Autoimmunhämolytischer Anämie (AIHA) und Red Cell Aplasia.

AIHA

Red Cell Aplasia

Formen/Genese

Idiopathisch

Infektionen (z. B. EBV, Mykoplasmen)

Malignome/Lymphome

Medikamente

Angeboren

Erworben:

Thymom-assoziiert

Parvovirus-B19-Infektion

Malignome

Medikamente

Diagnostik

Hämoglobin ↓

Haptoglobin ↓

LDH ↑

Indirektes Bilirubin ↑

Retikulozyten ↑

Positiver Coombs-Test

Hämoglobin ↓

Retikulozyten ↓

Knochenmarksbiopsie: Aplasie, keine Fibrose oder Infiltration

Therapie

Erythrozytenkonzentrate

Steroide

Rituximab

Immunglobuline

Plasmapherese

Immunsuppressive

Erythrozytenkonzentrate

Immunsuppressiva

Immunglobuline

Weitere Ursachen einer Anämie bei Melanompatienten können ein Eisen- oder Vitaminmangel, Ernährungsschwierigkeiten, Nieren- oder Leberinsuffizienz, die (Knochenmarks-)Toxizität von aktuellen oder vorangegangenen Therapien oder eine Tumoranämie im eigentlichen Sinne sein, der eine chronische Entzündung durch den Tumor selbst zugrunde liegt [18]. [Tab. 2] zeigt notwendige Laboruntersuchungen auf, die bei Anämie erforderlich sind und die es erlauben, verschiedene Ursachen der Anämie zu differenzieren.

Tab. 2

Labordiagnostik bei Anämie.

Wert/Parameter

Bedeutung

Kleines Blutbild

Zur Bestimmung des Ausmaßes der Anämie

MCH, MCV und MCHC

Größe und Hb-Gehalt der Erythrozyten können Hinweise auf einen Eisen- oder Vitaminmangel sein. Chemotherapien haben Einfluss auf diese Parameter.

GOT, GPT, Kreatinin und Kreatinin-Clearance

Erhöhte Werte zeigen eine möglicherweise beeinträchtige Leber- oder Nierenfunktion an. Bei V. a. renale Anämie sollte zusätzlich der Serum-Erythropoetin-Spiegel bestimmt werden.

C-reaktives Protein (CRP)

Erhöhte CRP-Werte sind nicht zwingend Ausdruck einer Infektion. Erhöhte Werte finden sich bei Tumorpatienten häufig. Wenn der CRP-Wert erhöht ist, wird der Eisenstoffwechsel beeinträchtigt.

Ferritin

Maß für die Menge an Speichereisen. Erhöhte Werte finden sich bei Entzündungen oder Eisenüberladung. Erniedrigte Werte bei normalem CRP-Wert sprechen für einen absoluten Eisenmangel.

Transferrin-Sättigung

Maß dafür, wieviel Eisen der Erythropoese zur Verfügung steht. Erniedrigte Werte finden sich bei absolutem und relativem Eisenmangel.

Löslicher Transferrin-Rezeptor (sTfR)

Maß für den Eisenbedarf der Hämatopoese. Der Serumspiegel des sTfR korreliert mit der Anzahl der erythropoetischen Vorläuferzellen im Knochenmark.

sTfR/log-Ferritin-Index

Je höher der sTfR und je niedriger der Ferritin-Wert, umso ausgeprägter ist ein relativer Eisenmangel. Bei relativem Eisenmangel sind die Eisenspeicher (oft übervoll) gefüllt, eine Eisensubstitution ist nicht angezeigt.

Retikulozyten-Hb (CHr oder Ret-Y)

Direktes Maß für die Eisenversorgung der Hämatopoese. Bei erniedrigten Werten liegt ein Eisenmangel vor.

Vitamin B12-Spiegel, Folsäurespiegel

Direkte Messung der Vitamine im Serum

Methylmalonsäure im Serum

Bei V. a. Vitamin B12-Mangel kann eine Erhöhung der Methylmalonsäure bei (noch) normalen Werten für Vitamin B12 auf einen beginnenden Vitamin B-12-Mangel hindeuten.

Lactatdehydrogenase (LDH)

Erhöhte Werte finden sich bei Hämolyse. Erhöhte Werte finden sich aber auch bei hoher Tumorlast und Progress der Erkrankung.

Haptoglobin

Erniedrigte Werte sprechen für eine Hämolyse, erhöhte Werte finden sich bei (tumorbedingten) Entzündungen.

Die Therapie der AIHA besteht in der Regel aus der Gabe von hochdosierten Glukokortikoiden und einem Absetzen der auslösenden Therapie. Es gibt auch positive Fallberichte über die Gabe von Immunglobulinen und Rituximab [16] [19] [20]. Inwieweit eine Re-Challenge mit Checkpoint-Inhibitoren bei Patienten möglich ist, die in der Vergangenheit eine AIHA entwickelten, kann aus den wenigen publizierten Fällen, in denen dies erfolgreich gelang, nicht sicher abgeleitet werden [20]. Bei fehlenden therapeutischen Alternativen kann aber unter engmaschigem Monitoring eine Re-Challenge erwogen werden.


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Interessenkonflikt

CP erhielt Redner- und Beraterhonorare sowie Reiseunterstützung von: Novartis, BMS, Roche, Merck Serono, MSD, Celgene, AbbVie and LEO.
SK und LW erhielten Reiseunterstützung von Novartis.

  • Literatur

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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Claudia Pföhler
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum des Saarlandes
Kirrbergerstr. 100
66421 Homburg/Saar

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Abb. 1 Disseminierte kutane und subkutane amelanotische Metastasen im Bereich des linken Beines (a im Bereich der Primärtumorregion, b im Bereich des gesamten Beines, blaue Pfeile zeigen exemplarisch die größten Metastasen), das postoperativ und nach Radiatio sowie aufgrund der Metastasierung in die inguinalen und iliakalen Lymphknoten deutlich umfangsvermehrt ist (b).
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Abb. 2 Sonografisch nachweisbare Lymphknotenmetastasen in der linken Leiste, die sich als echoarme, runde Raumforderungen mit randständiger Perfusion darstellen.
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Abb. 3 Verlauf der Hämoglobin- und LDH-Werte. Graue Pfeile kennzeichnen Pembrolizumab-Gaben, orangene Sterne die Gabe von Erythrozytenkonzentraten, der rote Pfeil kennzeichnet den Beginn der Prednisolontherapie.