Einleitung
Das Merkelzellkarzinom (MCC) ist ein seltener neuroendokriner Hauttumor, der als sehr
aggressiv gilt und mit einer ungünstigen Prognose verbunden ist. Die Hälfte der Patienten
weist bei Diagnosestellung bereits lokale oder Fernmetastasen auf, oder die Betroffenen
erleiden im Verlauf meist innerhalb von 2 Jahren ein Rezidiv [1]. Die MCC-spezifische Sterblichkeit wird mit 40 % angegeben [2]. Die Behandlungsmöglichkeiten für fortgeschrittene inoperable Stadien haben sich
in den letzten Jahren mit Einführung der Immuncheckpoint-Inhibitoren verbessert. Durch
die Therapie mit Inhibitoren, die gegen den programmed death (PD)-1-Rezeptor sowie dessen Liganden PD-L1 gerichtet sind, konnten langfristige
Remissionen auch in höheren Tumorstadien beobachtet werden [3]. In Phase-II-Studien wurden Ansprechraten von über 50 % bei der Erstlinientherapie
und über 30 % bei Patienten, die zuvor eine Chemotherapie erhalten hatten, erzielt
[3]
[4]
[5]. Dabei waren 74 % der ansprechenden Patienten nach einem Jahr noch Rezidiv-frei
[3]. Die 2-Jahres-Überlebensrate unter den Immuncheckpoint-Inhibitoren betrug 36 % [7]. Bei Immuntherapieresistenz, also dem unzureichenden oder nur passageren Ansprechen
in der ersten Therapielinie, blieb bisher häufig nur die systemische Chemotherapie.
Die Chemotherapie ist beim metastasierten MCC bisher nicht in prospektiven Studien
untersucht worden, in retrospektiven Analysen konnte jedoch keine signifikante Verlängerung
des Gesamtüberlebens gezeigt werden, vielmehr wurden progressionsfreie Überlebenszeiten
von lediglich 2 – 3 Monaten im Median beschrieben [4]
[6].
Neben der Verwendung von anderen Immuncheckpoint-Inhibitoren wie dem nebenwirkungsreichen
CTLA-Inhibitor Ipilimumab außerhalb der Zulassung könnte ein neuer Therapieansatz
sein, bei anti-PD-L1-refraktären MCC-Patienten eine anti-PD-1-Therapie anzuschließen
(und umgekehrt). Der PD-1-Antikörper Pembrolizumab ist von der FDA bereits für die
Therapie des MCC zugelassen. Der vorliegende Fall zeigt einen Patienten, bei dem nach
Progress unter PD-L1-Blockade eine komplette Remission unter PD-1-Inhibition erzielt
werden konnte.
Falldarstellung
Dem 67-jährigen Patienten war 5 Jahre zuvor ein MCC an der linken Wange in unserer
Klinik mit einem Sicherheitsabstand von 1 cm exzidiert worden. Bei der Wächterlymphknotenbiopsie
wurden 3 Lymphknoten entnommen, von denen alle tumorfrei waren. Im Stadium IA fand
eine adjuvante Radiotherapie der Primärtumorregion sowie der linksseitig zervikalen
Lymphknotenstationen mit 50 Gy statt. Die regelmäßig erfolgte Nachsorge war stets
unauffällig. Nun zeigten sich bei der im Rahmen der Nachsorge erfolgten Abdomensonografie
und anschließend im MRT bestätigt mehrere metastasensuspekte Leberläsionen.
Die größte Raumforderung maß 55 mm × 43 mm. Nach Entnahme einer Stanzbiopsie einer
der Läsionen in der Leber zeigten sich histologisch ausgedehnte Infiltrate von Tumorzellen
mit deutlich vermehrten Mitosen. Immunhistochemisch exprimierten diese Chromogranin
und Zytokeratin-20, sodass sich die Läsionen zweifelsfrei als Metastasen des vorbekannten
MCC identifizieren ließen ([Abb. 1]).
Abb. 1 Stanzbiopsie der Leberläsion mit ausgedehnten Infiltraten atypischer epithelialer
Zellen mit sehr spärlichem Zytoplasma. Die Tumorzellen exprimieren CK20 (20 ×).
Nach Feststellung der Fernmetastasierung wurde eine systemische Chemotherapie mit
jeweils 200 mg/m2 Paclitaxel und Carboplatin alle 3 Wochen begonnen. Nach 3 Zyklen wurde die Therapie
bei Progress abgebrochen, und die erste Immuntherapie mit dem PD-L1-Inhibitor Avelumab
(10 mg/kg alle 2 Wochen) eingeleitet. Die Infusionen wurden stets gut vertragen, der
Patient äußerte keine Nebenwirkungen. Bereits im ersten Staging 6 Wochen nach Erstgabe
zeigte sich eine partielle Remission der Lebermetastasen ([Abb. 2]).
Abb. 2 a Lebermetastasierung vor Avelumabgabe. b Partielle Remission der Lebermetasasen 6 Wochen nach Erstgabe Avelumab.
Im 2. Staging 12 Wochen nach Therapieeinleitung wurde nur noch ein gemischtes Ansprechen
beobachtet ([Abb. 3]): nur die große Metastase im rechten Leberlappen war progredient. Der Patient wurde
rechtsseitig hemihepatektomiert; im darauffolgenden Staging zeigten sich keine neuen
Metastasen, sodass dem Patienten zunächst ein abwartendes Beobachten empfohlen wurde.
Abb. 3 Mixed Response der Lebermetastasen nach 12 Wochen (sum of targets < 20 % Zunahme).
6 Monate nach der Hemihepatektomie wurden hepatische Residuen und neue Metastasen
sowie neue Lymphknotenmetastasen festgestellt. Es wurden alle 3 Wochen 2 mg/kg des
PD-1-Inhibitors Pembrolizumab verabreicht. Leider musste diese Therapie frühzeitig
nach nur 2 Gaben aufgrund einer schweren Autoimmunkolitis abgebrochen werden. Seitdem
wurde keine neue Therapie begonnen. Der Patient befindet sich in einer kompletten
Remission ([Abb. 4]), die seit mehr als 2 Jahren anhält.
Abb. 4 a Mixed Response 12 Wochen nach Einleitung Avelumab: neue hepatische Rundherde. b Komplette Remission 12 Monate nach 2-maliger Pembrolizumab-Gabe.
Diskussion
Immuncheckpoint-Inhibitoren haben die Therapie des metastasierten Merkelzellkarzinoms
revolutioniert [7|. Das Immuncheckpoint-Molekül PD-L1 wird auf MCC-Tumorzellen exprimiert;
die Blockade der Interaktion von PD-1 und PD-L1 durch monoklonale Antikörper stellt
einen Angriffspunkt in der Tumortherapie dar. Das MCC tritt vorwiegend bei älteren
und/oder immunsupprimierten Menschen auf und wird zu einem Teil durch eine Infektion
mit dem Merkelzellpolyomavirus (MCPyV), zum anderen durch somatische Mutationen als
Resultat von lebenslanger kumulativer UV-Strahlung verursacht. Interessant ist, dass
sowohl MCPyV-positive als auch -negative Tumoren immunogen sind und auf eine PD-1-
bzw. PD-L1-Blockade ansprechen [8].
Während die Inhibitoren des PD-1 Moleküls seit 2015 für das Melanom verfügbar sind,
ist Avelumab als PD-L1-Inhibitor als einzige Substanz für das MCC erst seit 2017 zugelassen.
[Tab. 1] gibt einen Überblick über die Studienlage zu PD- und PD-L1-Inhibitoren beim metastasierten
MCC. Obwohl in Studien hohe objektive Ansprechraten nachgewiesen werden konnten, sind
Resistenzen gegen diese Immuntherapie doch ein häufig beobachtetes Problem. Die genauen
Mechanismen der Resistenzbildung sind noch unklar, mögliche Erklärungen sind ein Verlust
der MHC-Klasse I-Expression sowie ein insuffizienter Einstrom von CD8-positiven T-Zellen
in das Tumorgewebe [9].
Tab. 1.
Studienergebnisse aus klinischen Prüfungen mit Immuncheckpoint-Inhibitoren beim metastasierten
MCC.
|
Avelumab
|
Avelumab
|
Pembrolizumab
|
Nivolumab
|
Target
|
PD-L1
|
PD-L1
|
PD-1
|
PD-1
|
Mediane Nachbeobachtungszeit
|
29,2 Monate
|
5,1 Monate
|
14,9 Monate
|
12 Monate
|
Zahl der Vortherapien
|
≥ 1 (Part A)
|
0 (Part B)
|
0
|
0
|
Patienten
|
88
|
29
|
50
|
25
|
Medianes Alter
|
72,5 Jahre
|
75 Jahre
|
70,5 Jahre
|
66 Jahre
|
Stadium
|
IV
|
IV
|
IIIB/IV
|
III/IV
|
Objektive Ansprechrate (Komplette Remission)
|
33 % (11 %) 1 Vorth. 40 % ≥ 2 Vorth. 22 %
|
62 % (19 %)
|
56 % (24 %)
|
64 % (32 %) 0 Vorth. 73 % 1 – 2 Vorth. 50 %
|
24-Monats-PFS
|
26 %
|
Nicht berichtet
|
48,3 %
|
Nicht berichtet
|
24-Monats-OS
|
36 %
|
Nicht berichtet
|
68,7 %
|
Nicht berichtet
|
Referenz
|
[3]
[5]
|
[16]
|
[17]
|
[18]
|
Im Falle einer Immuntherapieresistenz konnten Kliniker betroffenen Patienten bisher
nur eine systemische Chemotherapie oder Best Supportive Care als Alternativen anbieten.
Der geschilderte Fall zeigt allerdings, dass ein Progress unter Therapie mit PD-L1-Inhibition
nicht gleich bedeutet, dass der Tumor auch auf eine anti-PD-1-Therapie nicht anspricht.
Obwohl das Wirkprinzip der PD-1- und PD-L1-blockierenden Antikörper zwar ähnlich
ist und beide in denselben immunoregulatorischen Pathway eingreifen, gibt es doch
Unterschiede im Wirkmechanismus [10]. PD-1 ist ein Rezeptor, der vorrangig von T-Zellen exprimiert wird; PD-L1, sein
Ligand, wird auf Tumorzellen und dem Tumormikroenvironment exprimiert. Eine Blockade
der Interaktion durch entweder anti-PD1 oder anti-PD-L1 führt zu der Induktion einer
Immunantwort gegen Tumorzellen [11]. Während die Interaktion zwischen PD-1 und PD-L2 bei PD-L1-Blockade unberührt bleibt,
wird sie durch PD-1-blockierende Antikörper unterbrochen. PD-L1-blockierende Antikörper
inhibieren hingegen nicht nur die PD1-PD-L1-Interaktion, sondern auch die Bindung
von PD-L1 an das Oberflächenprotein B7-1, welches maßgeblich an der T-Zell-Aktivierung
und Zytokinproduktion beteiligt ist. [12] Ein weiterer Unterschied zwischen anti-PD-L1-Antikörper Avelumab und den anti-PD-1-Antikörpern
Pembrolizumab und Nivolumab besteht in ihrer Fähigkeit der antikörperabhängigen zellvermittelten
Zytotoxizität (ADCC). Während der IgG1-Antikörper Avelumab diese Zytotoxizität triggern
kann, fehlt den IgG4-Antikörpern Pembrolizumab und Nivolumab die Fähigkeit dazu [13]
[14]. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der Patient keine Nebenwirkungen
unter der PD-L1-Inhibition hatte, wohl aber eine schwere Therapie-induzierte Kolitis
unter dem PD-1-Inhibitor entwickelte, die letztlich zum Therapieabbruch führte.
In einem aktuellen Fallbericht wird ein Patient mit metastasiertem MCC beschrieben,
bei dem nach einem Progress unter Pembrolizumab eine über 12 Monate andauernde partielle
Remission unter einer Avelumabtherapie erzielt werden konnte [10]. LoPiccolo et al. beschreiben in einer größeren Fallserie die Möglichkeit, das metastasierte
MCC mit einer Kombinationstherapie bestehend aus 4 Zyklen 3 mg/kg Nivolumab und 1 mg/kg
Ipilimumab und einer anschließenden Nivolumab-Monotherapie (3 mg/kg) als „Rescue Therapie“
zu behandeln, aber auch andere Dosierungen der Immuncheckpoint-Inhibitoren wurden
beschrieben. Auch eine Ergänzung einer bereits begonnenen Immuncheckpoint-Inhibition
mit Pembrolizumab durch niedrigdosiertes Ipilumumab (0,5 mg/kg) konnte in einem Fall
zu einer langanhaltenden partiellen Remission führen, obwohl zuvor unter Pembrolizumab-Monotherapie
ein Krankheitsprogress festgestellt worden war [10]. Ein rezenter Fallbericht mit einer Vergleichbarkeit zu unserem Fall beschrieb einen
Patienten mit einem Progress unter Avelumab, der zunächst auch operativ behandelt
wurde und über eine längere Zeit eine anschließende komplette Remission unter Ipilimumab
1 mg/kg und Nivolumab 3 mg/kg zeigte. Letztlich ist die Frage unbeantwortet, ob nicht
auch die Reinduktion von Avelumab hier zielführend gewesen wäre.
Allen Fallberichten ist gemeinsam, dass die Intervalle zwischen den 2. Immuntherapien
unterschiedlich waren und die Patienten ein unterschiedliches initiales Ansprechverhalten
zeigten. Insgesamt ist die Frage der besten Fortsetzungsbehandlung noch nicht zu beantworten.
Unser Fall zeigt jedoch eindrucksvoll, dass durch die 2. Immuntherapie eine komplette
Remission dauerhaft induziert werden konnte. Einen alternativen Ansatz wählt eine
geplante Studie, die den Einfluss der epigenetischen Modulation durch einen HDAC-Inhibitor
für die PD-1/PD-L1-refraktäre Situation unter Fortsetzung der Immuncheckpoint-Blockade
untersucht.
Die Chemotherapie als 1. systemische Therapie war zum damaligen Zeitpunkt die einzig
verfügbare Option für unseren Patienten, auch vor dem Hintergrund, dass die Ansprechraten
für Chemotherapie als Erstlinientherapie signifikant höher ausfallen als bei Zweit-
oder Dritttherapie [15]. Aus heutiger Sicht würde man aufgrund der in Studien gezeigten längeren Dauer des
Ansprechens eine Immuntherapie als Erstlinientherapie anwenden [7]. Interessant ist jedoch die Frage, ob die Chemotherapie in der 2. Therapielinie
zumindest für bestimmte therapierefraktäre Tumoren eine gute Zweitlinientherapie ist
und aus einem immunologisch „kalten Tumor“ einen „heißen Tumor“ machen kann. Wir halten
die Metastasenresektion der großen hepatischen Metastase für einen wichtigen Aspekt
des Ansprechens auf die spätere Immuntherapie, denn die übrigen Metastasen waren alle
von kleineren Durchmessern; geringe Tumorlast ist ebenso ein Faktor für besseres Ansprechen
unter Immuntherapie [3].
Zusammenfassend lässt sich durch den von uns geschilderten Fall zeigen, dass die sequentielle
Immuncheckpoint-Blockade beim metastasierten MCC zu einer effektiven antitumoralen
Immunität und einem Ansprechen führen kann, auch wenn eine alleinige PD-1/PD-L1-Blockade
sowie eine vorangegangene Chemotherapie zuvor keinen dauerhaften Erfolg brachte. Dabei
soll die Immunogenität der Tumorzellen und die Antigenpräsentation verbessert werden.
Weitere Untersuchungen im Rahmen von größeren Kohorten sind nötig, um unsere Beobachtungen
zu bestätigen.