NOTARZT 2019; 35(06): 323-328
DOI: 10.1055/a-1039-3693
Originalarbeit
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Anstieg der Laienreanimationsrate in Deutschland geht mit vermehrter Telefonreanimation einher

Increase in Bystander-CPR Within a Decade Accompanies Rise in Telephone-CPR
Bibiana Metelmann
1   Klinik für Anästhesiologie, Universitätsmedizin Greifswald
,
Camilla Metelmann
1   Klinik für Anästhesiologie, Universitätsmedizin Greifswald
,
Lisa Schneider
1   Klinik für Anästhesiologie, Universitätsmedizin Greifswald
,
Marcus Vollmer
2   Institut für Bioinformatik, Universitätsmedizin Greifswald
,
Matthias Fischer
3   Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie, Alb Fils Kliniken Göppingen
,
Andreas Bohn
4   Ärztliche Leitung Rettungsdienst, Stadt Münster, Feuerwehr, Münster
5   Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie, Universität Münster
,
Jan Wnent
6   Institut für Rettungs- und Notfallmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel
7   Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Kiel
,
Klaus Hahnenkamp
1   Klinik für Anästhesiologie, Universitätsmedizin Greifswald
,
Peter Brinkrolf
1   Klinik für Anästhesiologie, Universitätsmedizin Greifswald
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Dr. Bibiana Metelmann, M.D.
Klinik für Anästhesiologie
Universitätsmedizin Greifswald
Ferdinand-Sauerbruch-Straße
17475 Greifswald
Phone: 0 38 34/86 58 01   
Fax: 0 38 34/86 58 02   

Publication History

Publication Date:
04 December 2019 (online)

 

Zusammenfassung

Ziel der Studie In der vergangenen Dekade wurden Initiativen zur Erhöhung der Laienreanimationsrate ergriffen. Ist die Rate in den letzten 10 Jahren gestiegen? Ist dies assoziiert mit Veränderungen der Leitstellenleistung?

Methodik Analyse prähospitaler Daten des Deutschen Reanimationsregisters. Einschluss von Fällen aus 19 deutschen Standorten zwischen 2008 und 2017. Ausschluss von Herz-Kreislauf-Stillständen nach Eintreffen des Rettungsdienstes, in Arztpraxen oder Kliniken. Analyse mit Chi-Quadrat-Test und Clopper-Pearson-Konfidenzintervallen.

Ergebnisse Analysiert wurden die Daten von 22 555 Patienten. Die Laienreanimationsrate stieg von 23,4% im Jahr 2008 (606 von 2591, 95%-KI: 21,8 – 25,1%) auf 36,9% im Jahr 2017 (1014 von 2749, 95%-KI: 35,1 – 38,7%) (p < 0,001). Gleichzeitig stieg die telefonische Anleitung von 0,4% (11 von 2591, 95%-KI: 0,2 – 0,8%) auf 24,3% (670 von 2749, 95%-KI: 22,8 – 26,0%) (p < 0,001).

Schlussfolgerung Die Laienreanimationsrate stieg um mehr als 50% bei vermehrter Telefonreanimation und Laienschulung. Ein kausaler Zusammenhang lässt sich nicht belegen.


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Abstract

Objective In the past decade initiatives to increase bystander-CPR were started. Did the rate increase over the last 10 years in Germany? Is there an association with changes in dispatch-performance?

Methods Analysis of prehospital data of the German Resuscitation Registry. Inclusion of cases from 19 German Emergency Medical Services between 2008 and 2017. Exclusion of cardiac arrests after arrival of the ambulance, at medical practice or hospitals. Processing with chi-square-test and Clopper-Pearson-confidence interval.

Results Analysis of 22 555 data sets. Bystander-CPR-rate increased from 23,4% in 2008 (606 of 2591, 95% CI: 21,8 – 25,1%) to 36,9% in 2017 (1014 of 2749, 95% CI: 35,1 – 38,7%) (p < 0,001). The proportion of telephone-assisted-CPR increased from 0,4% (11 of 2591, 95% CI: 0,2 – 0,8%) in 2008 to 24,3% (670 of 2749, 95% CI: 22,8 – 26,0%) in 2017 (p < 0,001).

Conclusion The rate increased by 50%. This was accompanied by a rise in telephone-CPR and lay training. A causal relationship can not be proven.


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Einleitung

Jährlich erleiden in Deutschland 121 Patienten pro 100 000 Einwohnern einen Herz-Kreislauf-Stillstand außerhalb von Krankenhäusern [1]. Zahlreiche Studien konnten zeigen, dass ein frühzeitiger Beginn von Reanimationsmaßnahmen das Überleben verbessern kann [2], [3], [4], [5]. Daher ist eine möglichst kurze Eintreffzeit des Rettungsdienstes essenziell [6], [7], [8]. Zusätzlich kann eine Reanimation, die bereits vor Eintreffen des Rettungsdienstes begonnen wird, die Chance erhöhen, einen Spontankreislauf (return of spontaneous circulation = ROSC) zu erreichen [9], [10]. Die Wahrscheinlichkeit, das Krankenhaus lebend zu verlassen beziehungsweise nach 30 Tagen noch zu leben, kann so auf das Zwei- bis Dreifache gesteigert werden [2], [11]. Ebenso kann die Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation reduziert werden [12]. Überdies sind neurologische Folgeschäden geringer, wenn vor dem Eintreffen des Rettungsdienstes schon reanimiert wird [13].

Der englische Begriff Bystander-CPR (B-CPR) fasst alle jene Wiederbelebungsversuche zusammen, die vor dem Eintreffen des Rettungsdienstes durchgeführt werden. Er wird im Deutschen in der Regel mit „Laienreanimation“ übersetzt. Sowohl der European Resuscitation Council (ERC) als auch die American Heart Association (AHA) betonen die zentrale Rolle der Laienreanimation in der Rettungskette [14], [15].

Seit 2010 empfiehlt der ERC in den Leitlinien eine telefonische Anleitung durch den Leitstellendisponenten zur Reanimation (T-CPR) [16]. Durch das strukturierte Unterweisen der einzelnen Schritte einer Herzdruckmassage in der akuten Situation sollen die am Notfallort anwesenden Personen aktiviert werden und eine Wiederbelebung durchführen [17], [18]. Zahlreiche weitere Maßnahmen wurden innerhalb der letzten Jahre ergriffen, um die Laienreanimationsrate in Deutschland zu erhöhen.

Ziel dieser Studie ist eine Analyse der Daten des Deutschen Reanimationsregisters bezüglich der bundesweiten Entwicklung der Laienreanimationsrate und der telefonischen Anleitung zur Reanimation in den letzten 10 Jahren.


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Material und Methoden

Das Deutsche Reanimationsregister wurde auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) 2007 gegründet. Dieses Register bietet die Möglichkeit, sowohl prähospitale als auch innerklinische Reanimationen strukturiert zu erfassen und zu analysieren (www.reanimationsregister.de). Neben teilnehmenden Rettungsdiensten und Krankenhäusern aus Deutschland sind auch österreichische und luxemburgische Teilnehmer registriert.

Die Datenbank umfasst mehr als 110 000 Datensätze. Damit ist das Deutsche Reanimationsregister die größte überregionale Datenbank für Reanimationen im deutschsprachigen Raum [19]. Die Datenbank ermöglicht die Erfassung und Auswertung der teilnehmereigenen Einsätze und bietet Vergleichsmöglichkeiten (Benchmarking). Die Dokumentation erfolgt auf Basis des sogenannten Utstein-Consensus-Datensatzes [20]. Neben dem Datensatz „Erstversorgung“ umfasst das Reanimationsregister auch den Datensatz „Telefonreanimation“, mit dessen Hilfe Aussagen zur Leitstellenleistung in Bezug auf die Reanimation möglich werden [21].

Im Rahmen dieser Studie wurden anonymisierte prähospitale Daten des Deutschen Reanimationsregisters retrospektiv analysiert. Eine Zuordnung der Daten zu einzelnen Personen war zu keinem Zeitpunkt möglich. Eine Genehmigung des Wissenschaftlichen Beirates des Deutschen Reanimationsregisters gemäß Publikationsordnung wurde eingeholt.

Ein positives Votum der Ethikkommission der Universitätsmedizin Greifswald liegt mit dem Aktenzeichen BB 099/18 vom 29.06.2018 vor.

Um einen validen Verlauf der Laienreanimationsrate über 10 Jahre darzustellen, wurden nur Fälle von den deutschen Standorten eingeschlossen, die von 2008 bis 2017 ununterbrochen aktiv teilgenommen haben. Dadurch kann gewährleistet werden, dass die regionaldemografischen und strukturellen Unterschiede der einzelnen Standorte über die Jahre in gleicher Weise in die Erstellung der Statistik eingehen. Ebenfalls ausgeschlossen wurden Fälle in Arztpraxen und Kliniken sowie Herz-Kreislauf-Stillstände nach Eintreffen des Rettungsdienstes. In diesen Fällen werden die Reanimationsmaßnahmen nicht durch Laien, sondern durch medizinisches Personal gestartet.

Für die eingeschlossenen Fälle wurde jeweils auf Einzelfallebene ermittelt, ob eine Telefonreanimation durch die Leitstelle erfolgte. Da die Implementierung einer neuen Maßnahme häufig über einen längeren Zeitraum erfolgt, ist dies auch bei der Einführung der Telefonreanimation zu erwarten. Daher erfolgt keine Darstellung, ob die Leitstelle grundsätzlich eine Telefonreanimation eingeführt hat, sondern eine Betrachtung auf Fallebene.

Die Auswertung erfolgte mithilfe der Statistiksoftware R Studio. Eine statistische Signifikanz wurde mittels Chi-Quadrat-Test und Clopper-Pearson-Konfidenzintervallen ermittelt.


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Ergebnisse

Im Deutschen Reanimationsregister befinden sich für den Zeitraum vom 01.01.2008 bis zum 31.12.2017 insgesamt 69 210 Datensätze prähospitaler Herz-Kreislauf-Stillstände deutscher Teilnehmer-Standorte. Nach Anwendung der Ein- und Ausschlusskriterien konnten 22 555 Einsätze analysiert werden, siehe [Abb. 1].

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Abb. 1 Eingeschlossene Fälle.

Die jährliche Fallzahl lag zwischen 1837 und 2749. Eine Charakteristik der eingeschlossenen Datensätze nach dem Utstein-Template zeigt [Tab. 1].

Tab. 1 Utstein-Charakteristik der eingeschlossenen Fälle.

Utstein-Charakteristik

Anzahl (n)

Anteil (%)

Herz-Kreislauf-Stillstände

22 555

100,0

initiales EKG

Kammerflimmern, -flattern

5547

24,6

PEA

3447

15,3

Asystolie

12 649

56,1

sonstiger Rhythmus

250

1,1

initial unbekanntes EKG

662

2,9

Telefonanleitung Reanimation

ja

2229

9,9

nein

20 326

90,1

Zeit Notruf bis Ankunft am Einsatzort (Mittelwert) (in MM:SS)

06:26

Einsatzort

Wohnung

13 562

60,1

Altenheim

1982

8,8

Arbeitsplatz

488

2,2

Straße

2248

10,0

öffentlicher Raum

1376

6,1

Massenveranstaltung

52

0,2

Bildungseinrichtung

641

2,8

Sportstätte

18

0,1

Geburtshaus/-einrichtung

127

0,6

sonstiges

154

0,7

nicht dokumentiert

1907

8.4

Alter der Patienten (Mittelwert) (in Jahren)

68,5

Geschlecht

männlich

14 836

65,8

weiblich

7648

33,9

unbekannt

71

0,3

Kollaps beobachtet durch

Ersthelfer

10 110

44,8

First Responder

404

1,8

nicht beobachtet

10 903

48,3

keine Angabe

1138

5,1

vom Ersthelfer durchgeführte Herzdruckmassage

6112

27,1

vermutete Ursache

medizinisch

16 248

72,0

Trauma

666

3,0

Intoxikation

351

1,6

Ertrinken

93

0,4

Hypoxie

2173

9,6

nicht bekannt

3024

13,4

jemals ROSC

9767

43,3

Krankenhausaufnahme mit ROSC

8506

37,7

[Abb. 2] zeigt die Entwicklung der Laienreanimationsrate und der Telefonreanimation an diesen 19 Standorten in den Jahren 2008 bis 2017. Ob eine Laienreanimation und eine Telefonreanimation durchgeführt wurde, wurde auf Einzelfallebene ermittelt.

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Abb. 2 Entwicklung von Laienreanimationsrate und Telefonreanimation von 2008 bis 2017.

Die Laienreanimationsrate stieg signifikant von 23,4% (606 von 2591, 95%-KI: 21,8 – 25,1%) im Jahr 2008, über 27,2% (502 von 1854, 95%-KI: 25,1 – 29,2%) 2013 auf 36,9% (1014 von 2749, 95%-KI: 35,1 – 38,7%) im Jahr 2017 (p < 0,001).

Der Anteil der Telefonreanimation (T-CPR) ist signifikant von 0,4% (11 von 2591, 95%-KI: 0,2 – 0,8%) 2008 über 9,3% (172 von 1854, 95%-KI: 8,0 – 10,7%) 2013 auf 24,3% (670 von 2749, 95%-KI: 22,8 – 26,0%) 2017 gestiegen (p < 0,001). Die Raten an jemals-ROSC blieben annähernd konstant von 42,5% (1101 von 2591) im Jahr 2008 über 45,2% (838 von 1854) 2013 zu 42,9% (1180 von 2749) im Jahr 2017.


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Diskussion

In der untersuchten Dekade ist die Laienreanimationsrate bundesweit angestiegen. Dieser Anstieg ist mit Veränderung der Leitstellenleistung assoziiert, die telefonische Anleitung zur Reanimation stieg ebenfalls signifikant an.

Die eingeschlossenen 22 555 Patienten mit Herz-Kreislauf-Stillstand aus dem Deutschen Reanimationsregister sind bezüglich ihrer Utstein-Charakteristik vergleichbar mit der Population einer aktuellen Analyse von 12 Reanimations-Registern weltweit mit insgesamt 86 759 prähospitalen Herz-Kreislauf-Stillständen (Out-of-hospital-cardiac-arrest, OHCA) [22]. In jener Auswertung stammen 4% der Daten aus dem Deutschen Reanimationsregister. Das Durchschnittsalter im internationalen Vergleich betrug 65 Jahre und in unserer Analyse 68,5 Jahre. In beiden Analysen waren doppelt so viele männliche wie weibliche Patienten (66% international bzw. 65,8% unsere Daten) von einem Herz-Kreislauf-Stillstand betroffen. Der Anteil an Herz-Kreislauf-Stillständen, der zu Hause (Wohnung oder Heim) auftritt, lag in beiden Registern um 70% (71% international bzw. 68,9% unsere Daten). In 43,7% (international) respektive 44,8% (unsere Daten) wurde der Herz-Kreislauf-Stillstand durch einen Ersthelfer beobachtet. Das initiale EKG war in 24,9% (international) beziehungsweise 24,6% (unsere Daten) ein defibrillierbarer Rhythmus. Deutlich unterscheidet sich allerdings die Rate an Laienreanimationen zwischen beiden Kollektiven: Während sie im internationalen Vergleich 35,8% betrug, lag sie in unseren Daten im Mittel der untersuchten Jahre nur bei 27,1% [22]. Dies lässt erkennen, dass es in Deutschland noch deutliches Potenzial für Verbesserungen gibt.

[Abb. 2] zeigt, dass die Laienreanimationsrate innerhalb der letzten 10 Jahre um mehr als 50% gesteigert wurde. So konnte insbesondere seit dem Jahr 2010 eine kontinuierliche Steigerung der Zahlen gesehen werden. Die Laienreanimationsrate aus dem Jahr 2017 liegt erstmals nahe an internationalen Vergleichsdaten [22]. Die registrierten Zuwächse der Laien-Reanimation gehen einher mit einem kontinuierlichen Anstieg der T-CPR. Ein Zusammenhang lässt sich allerdings auf Basis dieser Daten nicht belegen, sodass eine Scheinkorrelation nicht ausgeschlossen ist.

Aus unseren Daten lässt sich ein Anstieg der ROSC-Raten in dem Zeitraum nicht zeigen. Möglicherweise werden durch die telefonische Anleitung Reanimationen von Personen begonnen, die zum Zeitpunkt des Notrufes bereits verstorben waren. Allerdings konnten wegweisende Publikationen von Carter und Rea aus Seattle die Sinnhaftigkeit der T-CPR belegen [23], [24], [25]. Für den Erfolg der T-CPR war hierbei nicht entscheidend, dass der Anrufer Kenntnisse in Erster Hilfe hatte, sondern dass eine strukturierte Anleitung durch den Disponenten erfolgte [26].

Bezüglich der Therapieergebnisse einer T-CPR ergab eine Untersuchung von 346 Reanimationen in Finnland einen höheren Anteil von Patienten, die nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand mit T-CPR aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte (43,1 vs. 31,7% mit vs. ohne telefonisch angeleitete Reanimation) [27]. Dies entsprach einer „number needed to treat“ (NNT) von 9.

Daten zum 30-Tage-Überleben oder Entlassungsraten konnten in unserer Studie aufgrund der Daten-Inkonsistenz zur Weiterbehandlung und zum Überleben nicht vorgelegt werden. Allerdings ist mit vergleichbaren Effekten zu rechnen.

Eine wichtige Weichenstellung für die Einführung der T-CPR stellte die Einführung der sog. „Hands-Only-CPR“ dar, zu der deutlich einfacher am Telefon angeleitet werden kann [28]. Während in den Neunziger- und Nullerjahren die Mund-zu-Mund-Beatmung bzw. Mund-zu-Nase-Beatmung integraler Teil jeder Reanimation waren, wurde dies zunehmend zugunsten einer Empfehlung zur alleinigen Thoraxkompression (Hands-only-CPR) für Laien verlassen. Gründe hierfür waren vielfältig: So konnte eine Reihe von Studien zeigen, dass im Falle eines Herz-Kreislauf-Stillstandes eines Erwachsenen der Sauerstoffgehalt im Blut ausreicht, um die ersten Minuten eines Stillstandes zu überbrücken, wenn eine Herzdruckmassage durchgeführt wird [29], [30]. Des Weiteren wurde festgestellt, dass Laien an einer Beatmung scheitern bzw. vor dieser zurückschrecken. Dies lag in einigen Fällen in der Sorge begründet, durch ein falsches Verhältnis zwischen Beatmung und Herzdruckmassage dem Patienten zu schaden. In anderen Fällen lagen Abneigung oder Schamgefühl bezüglich einer Mund-zu-Mund-Beatmung und bisweilen die Angst vor einer Krankheitsübertragung zugrunde [31]. Fatalerweise haben viele Ersthelfer dann nicht nur auf die Beatmung, sondern konsekutiv auch auf die Herzdruckmassage verzichtet. Die Reduktion auf die Herzdruckmassage und damit auf die 3 Schritte Prüfen.Rufen.Drücken kann diesem entgegenwirken und die Rate an Laienreanimationen signifikant steigern [32], [33].

Die Grundlage des deutlichen Anstieges der Laienreanimation in kurzer Zeit lässt sich sicherlich nicht auf eine Einzelmaßnahme wie die T-CPR reduzieren. Vielmehr kann hierfür das erfolgreiche Zusammenwirken verschiedener Maßnahmen der letzten Jahre die Grundlage gewesen sein. Die Erhöhung des Kenntnisstandes der Allgemeinbevölkerung zum Thema Reanimation steigert die Bereitschaft, eine Wiederbelebung durchzuführen, und verbessert so auch die Chance einer Telefonreanimation.

Unter dem Motto Prüfen.Rufen.Drücken wird in der ganzen Bundesrepublik Deutschland seit Jahren auf Marktplätzen, in Fußgängerzonen und auf öffentlichen Veranstaltungen oder in Betrieben und Vereinen erklärt, wie einfach es ist, ein Leben zu retten. Initiiert durch eine Zusammenarbeit des Berufsverbands Deutscher Anästhesisten, der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V. sowie der Stiftung Deutsche Anästhesiologie wurden anschauliche Informations- und Schulungsmaterialien erstellt. Diese können über die Homepage www.einlebenretten.de kostenfrei heruntergeladen werden. Neben Einzelveranstaltungen im ganzen Jahr werden seit 2013 koordiniert Aktionen in ganz Deutschland unter dem Namen „Woche der Wiederbelebung“ durchgeführt.

Große mediale Aufmerksamkeit für das Thema Reanimation erwirkte beispielsweise der erfolgreiche Weltrekordversuch in Münster im Jahr 2013. 11 840 Schüler trainierten gemeinsam auf dem Schlossplatz die Schritte Prüfen.Rufen.Drücken. Damit konnte der damalige Rekord aus Singapur deutlich überboten werden.

Im letzten Jahr wurden erstmalig mit dem „World Restart a Heart Day“ Aktionen weltweit koordiniert (www.ilcor.org/world-restart-a-heart-2019/). 2018 rief das International Liaison Committee on Resuscitation (ILCOR) erstmals mit seinen 7 ILCOR-Councils zu Wiederbelebungsschulungen unter dem Motto „All citizens of the world can save a life!“ auf. Weltweit wurden in diesem Rahmen 675 000 Menschen geschult [34].

Dass das Thema Laienreanimation in den letzten Jahren zunehmend politische Unterstützung erfahren hat, zeigt sich auf verschiedenen Ebenen. So ist beispielsweise der Bundesminister für Gesundheit Schirmherr der deutschlandweiten Woche der Wiederbelebung. Das „Nationale Aktionsbündnis Wiederbelebung“ (www.wiederbelebung.de), ein Zusammenschluss von 13 Fachgesellschaften und Hilfsorganisationen, hat sich das gemeinsame Ziel gesetzt, das Wissen in Deutschland zum Thema Wiederbelebung zu erhöhen. Politische Unterstützung kommt hierfür einerseits durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und andererseits durch das Bundesministerium für Gesundheit.

2014 beschloss die Kultusministerkonferenz die Empfehlung zur Einführung eines Moduls „Wiederbelebung“ im Schulunterricht. Im Rahmen dieses Moduls sollen alle Schüler ab der Jahrgangsstufe 7 für 2 Unterrichtsstunden im Erkennen und der Therapie eines Herz-Kreislauf-Stillstandes geschult werden [35]. Bezogen auf die Gesamtpopulation kann das altersadaptierte Training von Schülern die Anzahl an Laien erhöhen, die im Erkennen und der Therapie eines Herz-Kreislauf-Stillstandes geschult sind [36], [37]. Dies kann zu einem Anstieg der Überlebenswahrscheinlichkeit führen. Allerdings liegt das mittlere Alter der Betroffenen im frühen Rentenalter, sodass davon auszugehen ist, dass die Erfolge von Schülerkampagnen erst in Jahrzehnten messbar werden. Die Weltgesundheitsorganisation unterstützt seit 2015 die internationale Kampagne „Kids save lifes“ (www.kids-save-lives.eu/) [38].

Weiterhin sind in den letzten Jahren vermehrt Kurzfilme gedreht worden, die über Soziale Medien geteilt werden können und die Bevölkerung so niederschwellig informieren können. Um möglichst alle Bevölkerungsgruppen verschiedenen Alters, sozialer Herkunft und medizinischem Vorwissen zu erreichen, gibt es eine große Bandbreite ganz unterschiedlicher Videos. Bereits das Zeigen einer sehr kurzen Videosequenz bei einer Großveranstaltung verbesserte in einer Simulation die Zeit bis zum Notrufabsetzen und Beginn der Herzdruckmassage sowie die Qualität der Herzdruckmassage [39].

Zusätzlich wurden in Deutschland in verschiedenen Regionen Systeme zur Smartphone-basierten Ersthelferalarmierung eingeführt. Über die Leitstelle ist es möglich, qualifizierte Ersthelfer, die sich im Umkreis eines Herz-Kreislauf-Stillstandes befinden, als Ergänzung zum Rettungsdienst zum Einsatzort zu schicken. So kann das therapiefreie Intervall noch weiter verkürzt werden.


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Kernbotschaft

Die Laienreanimationsrate ist von 2008 bis 2017 um 57,7% gestiegen. Ein möglicher Grund für diese erfreuliche Entwicklung liegt in der deutlich häufiger durchgeführten Telefonreanimation.

Die Tatsache, dass sich die Laienreanimationsrate positiv beeinflussen lässt, sollte dazu motivieren, weiterhin Maßnahmen zu ihrer Erhöhung durchzuführen und den Leitsatz des Reanimations-Pioniers Mikey Eisenberg umzusetzen: „It takes a system to save a life.“


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. Bibiana Metelmann, M.D.
Klinik für Anästhesiologie
Universitätsmedizin Greifswald
Ferdinand-Sauerbruch-Straße
17475 Greifswald
Phone: 0 38 34/86 58 01   
Fax: 0 38 34/86 58 02   


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Abb. 1 Eingeschlossene Fälle.
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Abb. 2 Entwicklung von Laienreanimationsrate und Telefonreanimation von 2008 bis 2017.