Der Klinikarzt 2020; 49(01/02): 1-2
DOI: 10.1055/a-1068-5044
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Wir Ärzte sind käuflich: Sind wir das?

Matthias Leschke
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Publication Date:
10 February 2020 (online)

Wer hätte denn überhaupt ein Interesse daran, uns zu kaufen? Die Krankenkassen? Gewiss nicht. Das Gesundheitsministerium? Ebenso wenig. Und unsere Patienten? Die Medien tun wirklich alles, um unsere Integrität in Zweifel zu ziehen und uns bei den Patienten in Misskredit zu bringen (Andererseits erwarten die Patienten dann aber auch wieder, dass wir ihnen stets die innovativsten und teuersten Medikamente verordnen …). Ist es die Pharmaindustrie, sind es die Hersteller medizintechnischer Geräte, die uns allesamt auf möglicherweise raffinierte Art und Weise abhängig machen, um ihre Produkte an Frau oder Mann zu bringen?

Zuwendungen der Pharmahersteller an die Ärzteschaft:

Bild & Co. thematisieren das gerne auf der Titelseite „4000 Ärzte unter Bestechungsverdacht!“. Das Volk liest das gerne, kann man sich doch am Stammtisch wunderbar über solche Themen empören. Nun, etwas Wahres ist da schon dran. Ein Blick in die Vergangenheit: Da finanzierten Pharmaunternehmen großzügig Kongressreisen übers Wochenende – nicht nur für den Arzt, sondern auch gleich für die komplette Familie. Für den Arzt gab es dann als Feigenblatt ein paar Vorträge über den Vorzug des neuen Medikaments, das gerade gelauncht wurde. Die Unternehmen zeigten viel Fantasie, wenn es darum ging, bei den Ärzten – meist in leitender, einflussreicher Funktion – Begeisterung für neue Pharmaprodukte zu wecken. Wer einen dermaßen fürstlich belohnt, dem fühlt man sich verpflichtet – und setzt sich dann natürlich auch vehement für dessen Produkte ein. Diese Ära der Großzügigkeit ist längst Geschichte. Ich würde sagen, Gott sei Dank. Im Gegenteil – wir haben ganz andere Zeiten!

Pharmafirmen finanzieren auch die Forschung. Der Staat hält sich da nobel raus. Doch irgendjemand muss wissenschaftliche Mitarbeiter an den Unis schließlich über Drittmittel bezahlen. Forschung fordern wir alle, Ärzte ebenso wie Patienten. Dass Forschung auch etwas kostet, diese Tatsache blenden wir großzügig aus. Schwarze Schafe gibt es überall. Krankenkassenchefs sind nicht unfehlbar und betrügen, Beamte veruntreuen Gelder, Medizinfunktionäre der Selbstverwaltung schaufeln in die eigene Tasche. Und selbst der kleine Patient betrügt das Finanzamt um die Kilometerpauschale. Man denkt halt an sich selbst und entschuldigt sein Fehlverhalten damit, dass die Großen (etwa in der Politik und Wirtschaft) oft hemmungslos lügen und betrügen. Ein menschlicher Abgrund, der sich da vor einem auftut. Doch es gibt auch anständige Menschen, denen Transparenz ein Anliegen ist. Und es gibt Firmen, die Ärzte maßvoll unterstützen und den Medizinbetrieb in Gang halten.

Es ist ein Segen, dass die maßlose – ich sage das einmal so dreist – Bestechungsstrategie der Pharmafirmen inzwischen der Vergangenheit angehört. Das ist die eine Seite, die andere: Leider stellt die neue Zurückhaltung der Pharmaindustrie inzwischen ein Problem für den medizinischen Fortbildungsbetrieb dar. Fortbildung muss sein, wird vom Gesetzgeber gefordert. Doch Fortbildung kostet Geld. Ein niedergelassener Arzt kann sich das kaum leisten: zu einem Kongress zu fahren, im Hotel übernachten, die Praxis schließen … Das ist alles nicht so einfach.

Ich muss jetzt einmal von mir selbst sprechen. Seit 13 Jahren veranstalte ich zum Jahresanfang eine zweitägige Fortbildungsveranstaltung: „Medizin Aktuell“. Ich lade hochkarätige Kollegen aus den diversen Ressorts der Inneren Medizin ein, aus der ganzen Republik, um den niedergelassenen Kollegen im Saal einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen auf den verschiedenen Fachgebieten zu liefern. Die Teilnehmer bezahlen 120 Euro Teilnahmegebühr für beide Tage. Damit lassen sich die Kosten für Organisation, Saalmiete, Verpflegung, Referentenhonorar und Technik nicht stemmen. Leider. Die Teilnahmegebühr zu erhöhen, hieße, dass sich weniger Kollegen das Ganze leisten könnten. Auch Ärzte müssen mit ihrem Geld haushalten. Also arrangieren wir eine Industrieausstellung. Die trägt Gott sei Dank noch, wenn auch eher knapp, zur Finanzierung der Veranstaltung bei. Eine von Idealisten geforderte selbstfinanzierte Fortbildung wird auf diesem Niveau nicht funktionieren.

Natürlich wollen die Firmen bei diesem Anlass ihre neuen Medikamente präsentieren – und bewerben. Das ist legitim. Und das ist auch sinnvoll: Wir brauchen Arzneimittel, um unsere Patienten zu behandeln. Wir sind auf die forschende Pharmaindustrie angewiesen. Neue orale Antikoagulantien, wirksamere Antibiotika – wir warten darauf, dass endlich wieder etwas Neues auf den Markt kommt. Wir sind dankbar für innovative neue Medikamente, die Krankheiten erträglicher machen, die Leben retten. Und für die Gäste unserer Fortbildungsveranstaltung sind die Informationen an den Ständen der Pharmaindustrie durchaus wichtig. Da wird kein Ramsch beworben, da wird sachlich und fachkompetent informiert und diskutiert. Dennoch, die Pharmaindustrie zeigt sich immer zurückhaltender. Die Industrieausstellung spielt Jahr für Jahr weniger ein. Die Gründe? Sparen ist auch bei den Pharmakonzernen angesagt. Rabattverträge machen es der Industrie auch nicht leicht. Und wir müssen verstehen, dass es sich da nicht um Wohltätigkeitsvereine handelt; die Investoren wollen Rendite sehen. Das gilt für die gesamte Industrie. Sicher, in der Vergangenheit langten die Pharmariesen ungeniert zu. Doch auch in dieser Branche ist neue Bescheidenheit angesagt. Noch ein anderer Grund macht es den Arzneimittelherstellern schwer, spendabel zu sein. Es sind verrückte bürokratische Regularien, die den Firmen banale Werbegeschenke verwehren: Als ob ein Block, ein Kugelschreiber oder ein Lehrbuch irgendeinen Kollegen dazu bewegen könnte, gerade ein Medikament dieses Herstellers zu verschreiben.

Damit ist unsere medizinische Fortbildung mehr denn je gefährdet. Es wird immer schwerer, junge Kolleginnen und Kollegen zur Fortbildung zu bewegen. Viele früher engagierte fortbildungsbegeisterte Kollegen ziehen sich frustriert zurück und engagieren sich selbst nicht mehr für Fortbildungsaktivitäten. Auch die Kliniken erschweren mittlerweile die Teilnahme an industriefinanzierten Fortbildungen aufgrund möglicher Compliance-Verstöße. So überwachen sogenannte „Compliance-Obmänner“ Fortbildungsaktivitäten der Mitarbeiter. Das für die ärztlichen Mitarbeiter angebotene Fortbildungsbudget fällt in vielen Kliniken knapp aus. Häufig werden Drittmittelaktivitäten anteilmäßig mitberücksichtigt. Insgesamt führt die Entwicklung zu einer zunehmenden Demotivation, insbesondere bei jüngeren ärztlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Hinzu kommt, dass Ärzte, die Vorträge halten und sich engagieren, zunehmend mit Bestechungsvorwürfen, Industrieabhängigkeit und Manipulierbarkeit von Firmen öffentlich kriminalisiert werden.

Wir geraten von einem Extrem ins andere. Früher wurden wir mit Luxuspräsenten überschüttet; jetzt reicht es kaum noch dazu, eine seriöse, werbungsfreie Fortbildungsmaßnahme auskömmlich zu finanzieren. Der Staat wacht über den Anstand. Seit Jahresbeginn muss jeder Bäcker für eine Brezel einen Bon ausdrucken! Ganze Säcke solcher Papierschnitzel wandern in den Abfall. Eine Wohltat für unsere Umwelt! Ich fürchte, dass die immer rigider verordnete „Transparenz” ganz nebenbei ärztliche Fortbildung bald zum Auslaufmodell macht. Dank an diejenigen, die sich in diesem Spannungsfeld mit einem hohen Maß an Engagement und Überzeugung für eine unabhängige Fortbildung mit freier Auswahl exzellenter Referenten, legitimer Industrieunterstützung und einer risikobereiten finanziellen Selbstbeteiligung unter diesen Rahmenbedingungen noch engagieren.