Pneumologie 2020; 74(01): 35-38
DOI: 10.1055/a-1071-3172
Fallbericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Lungenkarzinom mit ausgeprägter mediastinaler Lymphadenopathie – wer denkt an ein NUT-Karzinom?

Lung Cancer with Prominent Mediastinal Lymphadenopathy – Who Thinks of NUT Carcinoma?
S. Keymel
Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie, Medizinische Fakultät, Universitätsklinikum Düsseldorf
,
S. Krüger
Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie, Medizinische Fakultät, Universitätsklinikum Düsseldorf
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Dr. med. Stefanie Keymel
Universitätsklinikum Düsseldorf
Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie
Moorenstr. 5
40225 Düsseldorf

Publication History

eingereicht04 September 2019

akzeptiert26 November 2019

Publication Date:
09 January 2020 (online)

 

Zusammenfassung

Eine 39-jährige Patientin hat sich initial wegen Rückenschmerzen orthopädisch vorgestellt. Nachdem sich in der Magnetresonanztomografie der Lendenwirbelsäule der Verdacht auf eine tumoröse Erkrankung gestellt hatte, war in den weiterführenden Untersuchungen eine pulmonale Raumforderung, eine ausgedehnte mediastinale Lymphadenopathie und ein großer einseitiger Pleuraerguss nachweisbar. Histologisch zeigte sich sowohl in den Proben des Tumors im Wirbelkörper als auch in den Proben der transbronchialen Nadelaspiration eines mediastinalen Lymphknotens ein NUT-Karzinom. Das NUT-Karzinom, das früher als NUT-Mittellinienkarzinom bezeichnet wurde, ist eine sehr seltene, aggressive Tumorentität mit ungünstiger Prognose. Der Tumor wurde zunächst gehäuft in der Mittellinie der oberen Atemwege und des Mediastinums beschrieben, ist aber nicht darauf beschränkt. Das NUT-Karzinom trifft häufig junge Patienten. Aufgrund der Seltenheit existiert bisher keine etablierte Therapie.


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Abstract

A 39-year-old woman presented with back pain at an orthopaedic clinic. Magnet resonance tomography revealed a spinal tumour. Further imaging also showed a pulmonary tumour, massive mediastinal lymphadenopathy as well as unilateral pleural effusion. Histology from biopsies from the spinal tumour and from a mediastinal lymph node revealed NUT carcinoma. The NUT carcinoma that earlier has been named NUT midline carcinoma is a very rare, aggressive tumour with a poor prognosis. Initially, the NUT carcinoma was thought to develop from organs in the midline such as upper airways or mediastinal cavity. However, the NUT carcinoma is not limited to structures in the midline. NUT carcinoma often affects young patients. Due to its low incidence, a standardized therapy could not be established until now.


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Fallbericht

Eine 39-jährige, bis dahin gesunde Patientin wurde aufgrund von starken Rückenschmerzen und malignomsuspektem Befund in der Magnetresonanztomografie der Lendenwirbelsäule vorgestellt. Es bestand Nachtschweiß und Appetitlosigkeit, ein Gewichtsverlust war noch nicht beobachtet worden. Die Patientin war Raucherin seit dem 14. Lebensjahr (kumulativ ca. 30 Packungsjahre). Sie präsentierte sich in normalem Allgemeinzustand und normalem Ernährungszustand. In der körperlichen Untersuchung fielen eine zervikale Lymphadenopathie und ein abgeschwächtes Atemgeräusch rechts basal auf. Es bestand kein Klopfschmerz über der Wirbelsäule, die neuromuskulären Funktionen der unteren Extremitäten waren uneingeschränkt. Das C-reaktive Protein war mit 0,8 mg/dl (< 0,5 mg/dl) leicht erhöht, es zeigte sich außerdem eine Leukozytose von 17 000/µl mit einer Neutrophilie von 90 %. Die Laktatdehydrogenase im Blut war mit 494 U/l (< 247 U/l) deutlich erhöht. Die Untersuchung von Tumormarkern ergab normale Messwerte für CEA, AFP, CA19-9 und S100. CA 125 war mit 38 U/ml (< 35 U/ml) leicht erhöht, NSE war mit 109 µg/l (< 16 µg/l) deutlich erhöht. Als Korrelat für das abgeschwächte Atemgeräusch bestand ein rechtsseitiger Pleuraerguss. Darüber hinaus zeigte sich in der thorakalen Bildgebung eine ausgedehnte mediastinale und rechtshiläre Lymphadenopathie ([Abb. 1] und [Abb. 2]). In der Bronchoskopie erschien die Schleimhaut des gesamten rechten Bronchialsystems diffus tumorös infiltriert mit einer deutlichen Hypervaskularisation und Kontaktvulnerabilität der Schleimhaut ([Abb. 3]). Im endobronchialen Ultraschall waren die mediastinalen Lymphknoten deutlich vergrößert und z. T. inhomogen ([Abb. 3]). Aus dem infrakarinalen Lymphknoten wurde mittels EBUS-TBNA eine Probe zur pathologischen Untersuchung entnommen. Im Vorfeld war auch eine Probenentnahme aus dem 5. Lendenwirbelkörper erfolgt. Pathologisch wurde der Befund des Knochenstanzzylinders wie folgt beschrieben: Knochenstanzzylinder mit Knochentrabekeln mit Nekrosearealen innerhalb des Markraums, innerhalb dessen sich Infiltrate eines soliden, blastär imponierenden Tumors zeigen. Die Zellkerne waren deutlich vergrößert, hyperchromatisch mit partieller Nukleolenprominenz. Immunhistologisch zeigten die Tumorzellen eine Expression von p63 mit einer begleitenden Expression von CD10. Es war keine Expression von CD99, CDX2, CK5, PAX-8, GATA-3 oder WT1 nachweisbar. Die Tumorzellen zeigten eine nukleäre Expression von NUT in ca. 80 % der Zellen. Ki67 betrug 80 %. Der Befund des NUT-Karzinoms bestätigte sich in der Probe der EBUS TBNA aus dem infrakarinalen Lymphknoten. Der PD-L1-Score war negativ (= 0 %). Die molekularpathologischen Untersuchungen (Lung Cancer Panel) ergaben keine für Lungenkrebs typischen Mutationen. Zusammenfassend ergaben die histologischen Untersuchungen die Diagnose des sehr seltenen NUT-Karzinoms. Zum Zeitpunkt der Diagnose bestand ein weit fortgeschrittenes Tumorleiden mit einer zervikalen und ausgeprägten mediastinalen Lymphadenopathie, Pleuraerguss und pathologisch gesicherter ossärer Metastasierung.

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Abb. 1 Röntgen Thorax im Liegen: Als führender Befund zeigt sich ein großer rechtsseitiger Pleuraerguss.
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Abb. 2 Computertomografie des Thorax: a und b, Lungenfenster: Neben dem rechtsseitigen Pleuraerguss ist eine malignomsuspekte periphere Raumforderung im rechten Lungenoberlappen darstellbar. c und d, Weichtteilfenster: Die mediastinalen und hilären Lymphknoten sind inhomogen und deutlich vergrößert, typisch für ein NUT-Karzinom.
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Abb. 3 Flexible Bronchoskopie und endobronchialer Ultraschall: a malignomsuspekte Schleimhautveränderungen im Bronchus intermedius mit einer vermehrten Gefäßzeichnung; b vergrößerter infrakarinaler Lymphknoten.

Das NUT-Karzinom (NC), das früher als NUT-Mittellinienkarzinom bezeichnet wurde, ist eine sehr seltene, aggressive Tumorentität [1]. Die frühere Bezeichnung NUT-Mittellinienkarzinom basierte auf der Beobachtung, dass NC in Organen in der Mittellinie des Körpers auftreten, z. B. im Mediastinum, Thymus, den oberen Atemwegen einschließlich des Nasenraums oder der Nasennebenhöhlen [1] [2]. Zwischenzeitlich wurden auch andere Manifestationen wie Parotis, Pankreas, Nebenniere, Lunge, Weichteilgewebe oder Knochen beschrieben [1] [3].

NUT bedeutet nuclear protein in testis. Das NUT-Protein wird normalerweise nur in post-meiotischen Spermatiden exprimiert [4], die Rolle ist unklar. Charakteristisch für das NC ist eine chromosomale Translokation, die das NUT-Gen auf dem Chromosom 15q14 betrifft [4]. Am häufigsten wird eine Fusion von NUT mit BRD4 auf dem Chromosom 19p13.1, das für das BET-Protein kodiert, beschrieben [1] [4]. Das resultierende BRD4-NUT-Fusionsprotein wirkt als Onkogen [4]. Histologisch handelt es sich bei dem NC um ein schlecht differenziertes Karzinom, das als Subtyp eines Plattenepithelkarzinoms verstanden wird [1].

Das NC ist sehr selten, wobei die genaue Inzidenz unklar ist [5]. NCs wurden zunächst bei Kindern und jungen Erwachsenen beschrieben, sie können jedoch in allen Altersklassen auftreten. Das mittlere Erkrankungsalter beträgt 24 Jahre, wobei Erkrankungen im Alter zwischen 18 Tagen und 80 Jahren gesehen wurden [1] [3] [6]. Es gibt keine geschlechtsspezifischen Unterschiede im Auftreten des NC [2]. Es sind keine Risikofaktoren für das Auftreten des NC bekannt. Es wurde auch keine Assoziation mit EBV oder HPV gefunden [3].

Klinisch manifestiert sich das NC typischerweise durch Allgemeinsymptome wie Fatigue und Gewichtsverlust oder lokale Symptomatik durch die Tumormasse [7]. Zum Zeitpunkt der Diagnose ist die Erkrankung häufig weit fortgeschritten. Ärzte und Pathologen sollten an das NC denken, wenn ein aggressives Tumorleiden mit einer ausgeprägten mediastinalen Tumormasse insbesondere bei jungen Patienten ohne Raucheranamnese auftritt und pathologisch ein undifferenziertes Karzinom mit kleinen, runden, blauen Zellen und plattenepithelialen Tumorzellen zu sehen ist [2]. In diesen Fällen wird eine immunhistologische Färbung von NUT empfohlen. Die Färbung weist eine hohe Sensitivität und Spezifizität auf. Der zusätzliche Nachweis der Translokation ist nicht zwingend erforderlich [1] [3].

Die Prognose ist extrem ungünstig, das mediane Überleben beträgt nur 7 Monate [6] [8]. Größere Studien zum NC gibt es bisher nicht aufgrund der Seltenheit der Erkrankung. Aktuell wird eine multimodale Therapie empfohlen unter Berücksichtigung einer chirurgischen Resektion, einer Radiotherapie und einer Chemotherapie. Für das chemotherapeutische Regime gibt es kein Regime, das nachweisbar überlegen ist [8]. In der klinischen Entwicklung sind zielgerichtete Therapieansätze, die sich gegen das BRD4-NUT richten. Dies sind zum einen Bromodomain and extra-terminal (BET) Protein-Inhibitoren und zum andern Histon-Deacetylase-Inhibitoren, die beide eine Differenzierung und einen Wachstumsstillstand der Tumorzellen bewirken sollen [1] [3]. Beide Substanzgruppen sind jedoch bisher für das NC nicht spezifisch zugelassen.

Die junge Patientin wurde multidisziplinär behandelt. Es wurde eine palliative Chemotherapie mit 5 Zyklen Carboplatin und Paclitaxel vorgenommen. Es erfolgte eine palliative Bestrahlung des Mediastinums mit Einschluss der ventralen Osteolysen von 2 Brustwirbelkörpern. Es konnte ein gewisses Ansprechen unter der Therapie insbesondere in dem Bestrahlungsfeld verzeichnet werden. Außerhalb des Bestrahlungsfeldes war das Tumorleiden jedoch progredient. Es kam zu einer hepatischen Metastasierung und einer Berstungsfraktur des 5. Lendenwirbelkörpers mit resultierenden immobilisierenden Rückenschmerzen, die eine operative Therapie und eine palliative lokale Radiotherapie erforderlich machten. Insgesamt konnte das Krankheitsgeschehen nicht aufgehalten werden, sodass die Patientin 5 Monate nach der ersten Vorstellung verstorben ist.


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Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflik besteht.

  • Literatur

  • 1 French CA. NUT Carcinoma: Clinicopathologic features, pathogenesis, and treatment. Pathology international 2018; 68: 583-595
  • 2 Reddy R, Woods TR, Allan RW. et al. NUT (Nuclear Protein in Testis) Carcinoma: A Report of Two Cases With Different Histopathologic Features. International journal of surgical pathology 2019; 27: 225-229
  • 3 Maruyama N, Hikiishi A, Suginaka M. et al. Nuclear Protein in Testis Carcinoma of the Thorax. Internal medicine (Tokyo, Japan) 2018; 57: 3169-3173
  • 4 French CA, Miyoshi I, Kubonishi I. et al. BRD4-NUT fusion oncogene: a novel mechanism in aggressive carcinoma. Cancer research 2003; 63: 304-307
  • 5 French CA. Demystified molecular pathology of NUT midline carcinomas. Journal of clinical pathology 2010; 63: 492-496
  • 6 Chau NG, Ma C, Danga K. et al. A novel prognostic risk classification model for NUT midline carcinoma: a largest cohort analysis from the NMC registry. Journal of Clinical Oncology 2018; 36: 6085
  • 7 Liu S, Ferzli G. NUT carcinoma: a rare and devastating neoplasm. BMJ Case Rep 2018; 2018: pii: bcr-2018-226526
  • 8 Bauer DE, Mitchell CM, Strait KM. et al. Clinicopathologic Features and Long-Term Outcomes of NUT Midline Carcinoma. Clinical cancer research : an official journal of the American Association for Cancer Research 2012; 18: 5773-5779

Korrespondenzadresse

Dr. med. Stefanie Keymel
Universitätsklinikum Düsseldorf
Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie
Moorenstr. 5
40225 Düsseldorf

  • Literatur

  • 1 French CA. NUT Carcinoma: Clinicopathologic features, pathogenesis, and treatment. Pathology international 2018; 68: 583-595
  • 2 Reddy R, Woods TR, Allan RW. et al. NUT (Nuclear Protein in Testis) Carcinoma: A Report of Two Cases With Different Histopathologic Features. International journal of surgical pathology 2019; 27: 225-229
  • 3 Maruyama N, Hikiishi A, Suginaka M. et al. Nuclear Protein in Testis Carcinoma of the Thorax. Internal medicine (Tokyo, Japan) 2018; 57: 3169-3173
  • 4 French CA, Miyoshi I, Kubonishi I. et al. BRD4-NUT fusion oncogene: a novel mechanism in aggressive carcinoma. Cancer research 2003; 63: 304-307
  • 5 French CA. Demystified molecular pathology of NUT midline carcinomas. Journal of clinical pathology 2010; 63: 492-496
  • 6 Chau NG, Ma C, Danga K. et al. A novel prognostic risk classification model for NUT midline carcinoma: a largest cohort analysis from the NMC registry. Journal of Clinical Oncology 2018; 36: 6085
  • 7 Liu S, Ferzli G. NUT carcinoma: a rare and devastating neoplasm. BMJ Case Rep 2018; 2018: pii: bcr-2018-226526
  • 8 Bauer DE, Mitchell CM, Strait KM. et al. Clinicopathologic Features and Long-Term Outcomes of NUT Midline Carcinoma. Clinical cancer research : an official journal of the American Association for Cancer Research 2012; 18: 5773-5779

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Abb. 1 Röntgen Thorax im Liegen: Als führender Befund zeigt sich ein großer rechtsseitiger Pleuraerguss.
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Abb. 2 Computertomografie des Thorax: a und b, Lungenfenster: Neben dem rechtsseitigen Pleuraerguss ist eine malignomsuspekte periphere Raumforderung im rechten Lungenoberlappen darstellbar. c und d, Weichtteilfenster: Die mediastinalen und hilären Lymphknoten sind inhomogen und deutlich vergrößert, typisch für ein NUT-Karzinom.
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Abb. 3 Flexible Bronchoskopie und endobronchialer Ultraschall: a malignomsuspekte Schleimhautveränderungen im Bronchus intermedius mit einer vermehrten Gefäßzeichnung; b vergrößerter infrakarinaler Lymphknoten.