Geburtshilfe Frauenheilkd 2020; 80(11): 1082-1084
DOI: 10.1055/a-1073-1730
GebFra Magazin
Aktuell diskutiert

Selbstakupressur bei Menstruationsschmerzen per App

Claudia Witt
 

Die primäre Dysmenorrhö ist die gynäkologische Erkrankung, unter der Frauen im reproduktiven Alter am häufigsten leiden [1]. Nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) und orale Antikonzeptiva sind zwar als wirksame Behandlung etabliert [2], bei ca. 20 – 25% der Betroffenen sind diese Medikamente jedoch aufgrund unerwünschter Wirkungen oder mangelnder Wirksamkeit nicht einsetzbar [2], [3], [4], [5], [6]. Mindestens für diese Gruppe von Frauen wäre deshalb eine evidenzbasierte, nicht medikamentöse Therapie wünschenswert [7], idealerweise zur einfachen Selbstanwendung.


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Eine solche Möglichkeit könnte die Behandlung mittels Akupressur sein. Bei dieser komplementärmedizinischen Methode aus der Traditionellen Chinesischen Medizin werden bestimmte Punkte entlang von sogenannten Meridianen mit Druck behandelt, was sich z. B. bei postoperativer Übelkeit als wirksam erwiesen hat. Jeder Punkt wird mit dem Daumen etwa eine Minute lang mit mittlerem Druck kreisförmig massiert.

„mHealth“ wird künftig eine immer größere Rolle bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten spielen. Dazu zählen insbesondere App-basierte Gesundheitsangebote. Eine App könnte ein probates Mittel sein, um Frauen in der Selbstbehandlung anzuleiten und zu motivieren. In Deutschland benutzen 96% der Frauen im Alter von 14 bis 50 Jahren ein Smartphone [8]. Bereits jetzt gibt es über 300 000 gesundheits- oder krankheitsbezogene Apps [9]. Apps, die beispielsweise beim Rauchstopp oder zur Gewichtskontrolle helfen, können das Gesundheitsverhalten nachweislich positiv beeinflussen [10], [11].

Die Studienlage

Der Einsatz der Akupressur bei primärer Dysmenorrhö wurde bisher erst in wenigen Studien untersucht. Dort diente die Selbstanwendung jedoch meist als Ergänzung zur Behandlung durch einen Therapeuten [7], [12], [13], [14]. Obschon positive Effekte nachweisbar waren [15], [16], [17], [18], [19], ist die Evidenz bisher unklar, weil die Studien methodische Schwächen hatten [7]. Zu diesem Fazit kommt beispielsweise ein Cochrane Review zur „Akupunktur bei Dysmenorrhö“, der auch mehrere Studien zur Akupressur umfasst. So unterschieden sich beispielsweise die Teilnehmerinnen, die bei diesen Studien vorzeitig ausschieden, von jenen, die bis zum Studienende teilnahmen.

In Deutschland wurde eine 2-armige randomisierte-kontrollierte Studie durchgeführt, um herauszufinden, ob die App-basierte Selbstakupressur bei Frauen mit primärer Dysmenorrhö sinnvoll ist. Diese Studie wurde publiziert [20]. Die Teilnehmerinnen in dieser Studie wurden in 2 Gruppen randomisiert. Die Behandlungs- und Beobachtungsdauer betrug 6 Monatszyklen.

Eingeschlossen wurden Frauen im Alter von 18 bis 34 Jahren mit Dysmenorrhö gemäß Selbsteinschätzung (krampfartige Schmerzen bei jedem Menstruationszyklus), ohne Hinweis auf andere zugrunde liegende gynäkologische Erkrankungen und mit einem Smartphone. Die Schmerzintensität während der letzten Periode musste mindestens 6 auf einer Skala von 0 bis 10 betragen haben.

Beide Gruppen erhielten die sogenannte App ([Abb. 1]) zum Herunterladen auf ihr Smartphone. Die App beinhaltete die Studienfragebögen und ein Menstruationstagebuch. Bei der Interventionsgruppe enthielt die App überdies spezifische Anleitungen zur Akupressur und entsprechende Features. Dabei handelte es sich um die Punkte SP6 (Sanyinjiao), LI4 (Hegu) und LR3 (Taichong) auf beiden Körperseiten.

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Abb. 1 Die App zur Studie für iOS und Android (a) und die neue App Luna. für iOS (b).

Beginnend ab dem 5. Tag vor der erwarteten Menstruation erinnerte die App die Teilnehmerinnen der Interventionsgruppe jeden Mittag an die Akupressurbehandlung, die an den 5 Tagen davor und während der Menstruation mindestens 1-mal täglich durchgeführt werden sollte.

Die Frauen in der Kontrollgruppe erhielten zunächst keine spezifische Instruktion. Die Akupressur-Features in ihrer App wurden erst nach dem Studienende aktiviert, verbunden mit dem Angebot, sich durch eine Fachperson instruieren zu lassen.

Primärer Endpunkt der Studie war die mittlere Schmerzintensität der Dysmenorrhö auf einer numerischen Bewertungsskala (NRS; 0 – 10) während der 3. Menstruationsperiode nach Studienbeginn.

Zudem wurden als sekundäre Outcomes u. a. Schmerztage, Schmerzintensität und Schmerzmedikation erfasst.

Es wurden 221 Frauen randomisiert (Interventionsgruppe n = 111, Kontrollgruppe n = 110, Durchschnittsalter 24 Jahre). Zu Studienbeginn lag die mittlere Schmerzintensität im Mittel bei 6,2, und 81% der Teilnehmerinnen haben während ihrer letzten Menstruation Schmerzmedikamente genommen.

In beiden Gruppen kam es während des 3. Menstruationszyklus zur Schmerzreduktion. Im primären Outcome, der durchschnittlichen Schmerzintensität, unterschieden sich die Gruppen jedoch signifikant: Bei der Akupressurgruppe betrug der Wert auf der numerischen Rating-Skala (NRS von 0 bis 10) 4,4 (95%-Konfidenzintervall [KI] 4,0 – 4,7), bei der Kontrollgruppe hingegen 5,0 (95%-KI 4,6 – 5,3). Dieser Unterschied von anfangs − 0,6 Punkten fiel während des 6. Zyklus mit − 1,4 noch deutlicher zugunsten der Akupressurgruppe aus (95%-KI − 2,0 bis − 0,8; p < 0,001). Ein Unterschied dieser Größenordnung gilt als klinisch bedeutsam.

Unterschiede zeigten sich auch für die weiteren Outcomes. Auch hier nahmen die Unterschiede zwischen den Gruppen mit zunehmender Studiendauer zu. So sank beispielsweise nach der 6. Periode sowohl die maximale Schmerzintensität stärker als in der Kontrollgruppe, als auch die Anzahl der Tage mit Schmerzmitteleinnahme und mit Menstruationsschmerzen insgesamt. Nebenwirkungen waren selten.

Die Compliance mit der App-Nutzung war sehr gut. Während des 1. Zyklus gaben 97,3% (n = 108) der Frauen an, dass sie die Akupressur durchgeführt hatten; bis zum 6. Zyklus sank diese Quote nur wenig auf 82,9% (n = 92). Eine Selbstbehandlung dauerte rund 5,3 Minuten.

In einer weiteren Studie mit der Folge-App Luna. für iOS ([Abb. 1]) konnten bereits 328 Frauen randomisiert werden. In dieser randomisierten Studie [21] werden nun 3 Gruppen verglichen:

  1. Selbstakupressur,

  2. Selbsthilfemaßnahmen und

  3. Selbstakupressur plus Selbsthilfemaßnahmen.

Bei der Entwicklung der App fanden moderne wissenschaftliche Erkenntnisse zur Verhaltensänderung Berücksichtigung. Diese Studie läuft aktuell noch.


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Fazit für die Praxis

Selbstakupressur kann für Frauen mit unkomplizierter primärer Dysmenorrhö eine interessante Option sein. Es hat sich gezeigt, dass diese auch in einer fachmännisch entwickelten App wirksam angewendet werden kann und die Frauen in der App-Anwendung sehr compliant sind.

Apps sind ein interessantes Tool, aber auch sehr im Trend. Deshalb ist es wichtig, hier auch auf generelle kritische Aspekte hinzuweisen. Zu den Mankos vieler Apps gehört, dass an ihrer Entwicklung kaum medizinische Fachpersonen beteiligt sind. Besonders heikel ist auch, dass die Anwenderinnen von Gesundheits-Apps oft nicht sicher wissen, was mit ihren Daten geschieht. Zudem wurde der Nutzen von Apps bloß in einer kleinen Minderheit der Fälle wissenschaftlich evaluiert. Eine Suche in PubMed, die wir im Oktober 2019 durchgeführt haben, ergab nur 90 randomisierte-kontrollierte Studien zu Apps für Erkrankungen – und das bei über fast 300 000 Apps in dem Bereich. Die vorgestellten Studien-Apps gehören damit zu der sehr kleinen Gruppe wissenschaftlich evaluierter Apps. Das neue „Digitale-Versorgung-Gesetz“ in Deutschland soll auch ermöglichen, medizinische Angebote in einem digitalen Zeitalter zu entwickeln. Die daraus entstehenden Entwicklungen werden gespannt erwartet.

Die randomisierte Studie zeigte, dass Frauen, die App-basiert die Selbstakupressur durchführten, nach 3 Menstruationszyklen signifikant weniger an Menstruationsschmerzen litten verglichen mit Frauen, die nur ihre bisherige Behandlung fortsetzten. Die Schmerzreduktion war nach 6 Zyklen noch stärker ausgeprägt als nach 3. Im Vergleich zur Behandlung „as usual“ ließ sich mit der Selbstakupressur eine anhaltende leichte bis mittelgradige Schmerzreduktion erzielen, was auch Schmerzmedikamente reduzierte.

Angesichts der Häufigkeit von Menstruationsschmerzen ist bei unkomplizierten Fällen eine Therapiemöglichkeit mit gutem Sicherheitsprofil eine mögliche Option. Aktuell steht mit Luna. im deutschen Store eine App im Rahmen einer Folgestudie kostenlos für iOS zur Verfügung.

Fazit

Die kurze Selbstbehandlung mit Akupressur kann bei primärer Dysmenorrhö zur merklichen Schmerzlinderung führen.

Mithilfe einer App konnten sich Frauen in der sicheren und nebenwirkungsarmen Methode anleiten lassen und den Verlauf dokumentieren.

In einer aktuell laufenden Studie mit der App Luna. wird sich zeigen, ob eine Kombination mit anderen Selbsthilfemaßnahmen zusätzliche Verbesserungen bringt.


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Autorinnen/Autoren

Claudia Witt

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MBA, Prof. Dr. med., UniversitätsSpital Zürich, Institut für komplementäre und integrative Medizin

Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Claudia Witt, MBA
UniversitätsSpital Zürich
Institut für komplementäre und integrative Medizin
Sonneggstrasse 6
8091 Zürich
Schweiz   

Publication History

Article published online:
06 November 2020

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Abb. 1 Die App zur Studie für iOS und Android (a) und die neue App Luna. für iOS (b).