Abb. 1 In der Zeit rund um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett ist für chronisch kranke
Frauen der Rat von Hebammen weitaus bedeutsamer als der des sozialen Umfelds. (Foto:
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Hintergrund
Angesichts der wachsenden Zahl chronisch erkrankter Menschen auch in der reproduktiven
Lebensphase gewinnt das Thema der Versorgung betroffener Frauen in Schwangerschaft,
Geburt und Wochenbett an Aktualität [1]
[2]. Frauen mit chronischen Erkrankungen müssen in der Zeit rund ums Mutterwerden sowohl
die grundsätzlichen Herausforderungen dieser Lebensphase als auch die Besonderheiten
ihrer Erkrankung bewältigen. Beide Themenkomplexe erfordern ein hohes Maß an Aufmerksamkeit,
binden Zeit und Energie [3]. Allein eine chronische Erkrankung ist durchgehend mit einer Krankheits-, Biografie-
und Alltagsarbeit verbunden [4]. Die Komplexität der Fragestellungen, die sich aus dem Spannungsfeld von Erkrankung
und Mutterwerden ergibt, kann bei den betroffenen Frauen zu einem allgemein höheren
Level an Überforderung, Ängsten, Sorgen und Ambivalenzen führen [5]. Auch sind sie einer erhöhten Komplexität von Entscheidungsprozessen mit teils widersprüchlichen
Anforderungen ausgesetzt [3]. Bekannt ist, dass sich die Erfahrungen rund um die Geburt bei Frauen mit chronischer
Erkrankung in besonderer Weise auf das längerfristige reproduktive Verhalten wie einen
weiteren Kinderwunsch und das Gelingen der Familienbildung auswirken [6]. Damit stellt sich auch die Frage, wie chronisch erkrankte Frauen im Gesundheitssystem
unterstützt und entlastet werden können. U.a. weist das Wissen darum, dass langfristiger
Stress zu Schwangerschaftskomplikationen führen kann, auf die Bedeutung solcher Fragstellungen
hin [7]
[8].
Die Berücksichtigung sowohl medizinischer als auch psychosozialer Faktoren und der
Bedürfnisse betroffener Frauen ist eine Voraussetzung für die Entwicklung angepasster
Versorgungskonzepte rund um die Geburt. Diese sollten sowohl eine Minimierung negativer
gesundheitlicher Folgen für Mutter und Kind als auch das Gelingen der Familienbildung
zum Ziel haben. In einem ersten Schritt ist dazu das Verstehen der Sichtweisen Betroffener
notwendig. Vor diesem Hintergrund werden in dieser Literaturanalyse Studien untersucht,
die das Erleben von Frauen mit chronischer Erkrankung in der Zeit von Schwangerschaft,
Geburt und Wochenbett fokussieren. Es wird der Frage nachgegangen, welche Konsequenzen
sich aus den Ergebnissen für die weitere Forschung und die professionelle Betreuung
insbesondere durch Ärzte bzw. Ärztinnen und Hebammen ergeben. 11 Studien bilden die
Grundlage für diese Literaturanalyse. Sie umspannen den Zeitraum von 1987 bis 2014,
8 der Studien wurden ab dem Jahr 2000 veröffentlicht. 5 von ihnen kommen aus Großbritannien,
3 aus den USA und jeweils eine aus Neuseeland, Irland und Schweden.
Chronische Erkrankungen bei Frauen in der reproduktiven Lebensphase
Chronische Erkrankungen bei Frauen in der reproduktiven Lebensphase
Chronische Erkrankungen zeichnen sich nach Definition der WHO durch Dauerhaftigkeit,
nicht Heilbarkeit und eine erhöhte Inanspruchnahme des Gesundheitssystems aus [1]
[2]. Grundsätzlich steigt die Zahl betroffener Menschen in den Industrienationen an,
was unter anderem auf weitgehend verfügbare Diagnose- und Therapiemöglichkeiten und
damit eine verlängerte Lebenserwartung zurückgeführt werden kann [9]. In Deutschland wird nicht zentral erfasst, wie hoch der Anteil chronisch erkrankter
Frauen in der Gruppe der Schwangeren ist. Einen Hinweis gibt die Studie von Kersten
et al. [12], die Daten hinsichtlich der Prävalenz chronischer Erkrankungen und des Geburtsoutcomes
untersuchte: 21,4 % der Schwangeren (n = 1 141) wurden als chronisch krank identifiziert,
am häufigsten traten bei ihnen Allergien (11,3 %), Asthma Bronchiale (2,7 %) und Schilddrüsenerkrankungen
(2,3 %) auf. Weiterhin zeigten Hauterkrankungen (2,2 %), Hypertonien (1,1 %) und Migräne
(1,5 %) hohe Prävalenzen. Jede fünfte schwangere Frau im Studiengebiet leidet demnach
an mindestens einer chronischen Erkrankung. In der Bundesauswertung des Instituts
für Angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen (AQUA) [13] fällt auf, dass der Anteil der Schwangeren mit einer möglichen chronischen Erkrankung
in fast allen erfassten Parametern kontinuierlich ansteigt.
Chronizität
Chronizität wird in dieser Literaturübersicht als ein übergeordnetes Konzept angesehen
und dabei vorausgesetzt, dass sich einzelne Aspekte des Erlebens der Frauen trotz
der unterschiedlichen Erkrankungen generalisieren lassen. In 7 Studien setzt sich
die Untersuchungsgruppe aus Frauen mit verschiedenen Erkrankungen wie Diabetes mellitus,
Lupus Erythematodes, Herzerkrankungen, Epilepsie und Multipler Sklerose zusammen.
In 4 weiteren werden die Erfahrungen von Frauen mit jeweils einer Erkrankung erfasst,
nämlich Multiple Sklerose, Diabetes mellitus oder Rückenmarksverletzungen.
Schwangerschaft im Spannungsfeld von Freude und Belastung
Schwangerschaft im Spannungsfeld von Freude und Belastung
Frauen mit einer chronischen Erkrankung stehen größeren Herausforderungen in der Schwangerschaft
gegenüber als die Mehrheit der gesunden Frauen. In den meisten Studien wird jedoch
deutlich, dass die Freude auf das Kind und die Chance auf eine Mutterschaft als vorrangig
erlebt werden und andere teils schwierige Erfahrungen ins Positive wenden [32]
[33]
[34]. Trotzdem müssen die von Tyer-Viola und Lopez [33] als „blessings and burdens“ benannten Herausforderungen, also Segen und Belastungen
einer Schwangerschaft, von den Frauen parallel bewältigt werden, was auch die Wahrscheinlichkeit
für psychosoziale Probleme erhöht. Die Komplexität der Anforderungen führt zu der
Forderung Betroffener, das Thema der Mutterschaft mit chronischer Erkrankung nicht
vornehmlich aus medizinischer Perspektive, sondern es umfassender zu betrachten [32]
[33]
[34].
Einige Studien identifizieren den Wunsch nach Normalität als ein tragendes Bedürfnis
der befragten Schwangeren [33]
[34]. Diesem Wunsch steht die Realität mit der durchgängigen Möglichkeit medizinischer
Komplikationen gegenüber. Als Belastung wird von den Befragten wahrgenommen, dass
viele medizinische Maßnahmen mit Einschränkungen des Privatlebens verbunden sind.
Es werden spezifische Strategien beschrieben, um mit diesem Spannungsverhältnis von
persönlichen Bedürfnissen und notwendigen Therapien und Diagnosen umgehen zu können.
Dies sind insbesondere die des Abwägens, Ausbalancierens und Kontrollierens. Der Erfolg
dieser Strategien hängt von dem Zugang zu Informationen, dem Grad an Unterstützung,
der Verfügbarkeit angepasster Therapien und der persönlichen Kontrollüberzeugung der
Frauen ab [2].
Die Art der Erkrankung bedingt verschiedene Problemlagen. So wird das fürsorgliche
Verhalten des sozialen Umfelds sowie der professionellen Akteure des Gesundheitssystems
bei nach außen sichtbaren bzw. nicht sichtbaren Erkrankungen unterschiedlich wahrgenommen.
Frauen mit sichtbaren Erkrankungen erleben mehr Hilfsangebote als solche mit Erkrankungen,
die für andere nicht wahrnehmbar sind. Sie sind aber auch negativen und unverständlichen
Reaktionen anderer bezüglich ihres Schwangerseins oder Mutterseins am stärksten ausgesetzt
[32]
[35]. Diabetes hingegen als nicht sichtbare Erkrankung löst weniger Reaktionen hervor,
bedarf aber einer ständigen Überwachung und hat daher wesentlichen Einfluss auf den
Alltag betroffener Frauen. Für diese ist damit der Verlust der Kontrolle über die
Lebensführung dominant. Berg [36] fasst das mit „to master or to be enslaved“ zusammen.
Bedeutung des sozialen Umfelds
Bedeutung des sozialen Umfelds
Einige interviewte Frauen machen die Erfahrung, dass der Entschluss zu einem Kind
sowohl in ihrem sozialen Umfeld, wie dem Partner, Freunden und Arbeitskollegen, als
auch bei den betreuenden Ärzten bzw. Ärztinnen Skepsis auslöst und sie sich für ihren
Kinderwunsch rechtfertigen müssen. Obwohl diese Skepsis belastend ist, räumen die
Frauen oftmals Verständnis für die Vorbehalte ein. Ihrer Einschätzung nach beruhen
sie insbesondere auf der Sorge, als Erkrankte könnten sie den körperlichen Belastungen
der Schwangerschaft und dem Leben mit einem Kind nur eingeschränkt gewachsen sein
oder auch langfristige gesundheitliche Schäden davontragen [35]. Andererseits wird von den betroffenen Frauen aber auch vermutet, dass es allgemeine
Vorbehalte gegen eine Mutterschaft bei chronischer Erkrankung geben könnte und sie
dem allgemeinen, gesellschaftlich akzeptierten Mutterbild nicht entsprechen [29]
[34].
Ein wesentlicher Anteil der Ängste von Partner und Familie sind nach Ansicht der befragten
Frauen auch darin begründet, dass diese mehr Aufgaben in der Bewältigung des Alltags
übernehmen müssen als allgemein üblich und somit von vorne herein belasteter sind
[37]
[38]. Einige Frauen äußern daher den Wunsch, dass Betreuungskonzepte auch auf die Gruppe
der begleitenden Personen ausgeweitet und deren besondere Situation berücksichtigt
werden sollte. Solche Konzepte würden ihnen und ihren Vertrauten mittelbar Entlastung
verschaffen [29]
[34]. Corbin [4] betont, dass sich ein unterstützendes soziales System auf das positive Erleben und
einen komplikationsarmen Verlauf der Schwangerschaft auswirkt. Die oftmals aufwändigen
medizinischen Maßnahmen erfordern grundsätzlich viel Zeit und Energie. Aufgrund dieser
oftmals angespannten Lage können die negativen Effekte zusätzlicher Belastungen wie
familiärem Stress auf das Risiko von Schwangerschaftskomplikationen oder dem Gefühl
von Überforderung in besonderem Maße auswirken [2].
Oftmals versuchen die befragten Frauen, in der Zeit rund um die Geburt eines Kindes
Kontakt zu Betroffenen in ähnlichen Lebenssituationen aufzunehmen, was meist schwer
zu realisieren ist [28]. Dies bestärkt sie in der Wahrnehmung, anders als andere Schwangere zu sein und
eine Außenseiterrolle einzunehmen [37].
Schwangerschaft, Therapie und medizinische Überwachung
Schwangerschaft, Therapie und medizinische Überwachung
Lipson und Rogers (2000) stellen die These auf, dass die Erfahrung des Mutterwerdens
bei Frauen mit chronischer Erkrankung wesentlich von dem jeweiligen Gesundheitssystem
beeinflusst wird [35]. Auch gesunde Schwangere werden in den Industrienationen intensiv medizinisch betreut,
trotzdem unterscheidet sich ihre Situation wesentlich von der chronisch Erkrankter.
Frauen mit chronischer Erkrankung sind bereits vor der Schwangerschaft in kontinuierlicher
Behandlung von Ärzten bzw. Ärztinnen und anderen Vertretern bzw. Vertreterinnen des
Gesundheitssystems. Oftmals ist das Schwanger werden bei ihnen an die Bedingung der
Anpassung von Therapien gekoppelt. Diese frühzeitige Begleitung durch eine medizinisch
orientierte Fachexpertise hat unter anderem den Effekt, dass eine Schwangerschaft
nicht intuitiv gelebt werden oder neue körperliche Erfahrungen vornehmlich mit nahestehenden
Menschen kommuniziert werden können. Eine Folge ist auch, dass die ansonsten private
Entscheidung für oder gegen ein Kind oder der Zeitpunkt einer Schwangerschaft nicht
allein Sache des Paares sein können. Payne und McPhersons (2010) nennen die Schwangerschaft
bei chronischer Erkrankung daher auch eine „public-private-experience“ [34]. Dies wird von einigen Frauen trotz der rationalen Anerkennung als Zumutung erlebt
[34]
[37]
[39].
Viele der befragten Frauen erfahren, dass sie durch Ärzte bzw. Ärztinnen präventiv
als Risikoschwangere mit der Folge engmaschiger und ausgeweiteter Diagnostiken und
Therapien eingestuft werden. Nicht immer erscheint ihnen diese Sichtweise als angemessen.
Sie konterkariert bereits zu Beginn der Schwangerschaft das Bedürfnis nach Normalität
[33]. Einige Frauen beschreiben dies als ein „dem medizinischen System unterworfen sein“
[36]
[37]. Das Risikoempfinden der Frauen und ihre Zuversicht bezüglich des zu erwartenden
Schwangerschaftsverlaufs kann sich dabei wesentlich von dem der Ärzte bzw. Ärztinnen
unterscheiden und ist auch von komplexen, teilweise biografischen Faktoren abhängig
[2]
[29]. Gleichzeitig sind die Ärzte bzw. Ärztinnen aber auch diejenigen, die ihnen bei
der Umsetzung des Kinderwunsches helfen und als Ansprechpartner geschätzt sind, was
aus Sicht einiger Frauen zu einem von Ambivalenz geprägten Betreuungsverhältnis führen
kann [33]. In einigen Studien wird betont, dass sich Schwangere mit chronischer Erkrankung
selten in Therapieentscheidungen integriert oder gefragt fühlen, was sie als sinnvolle
Hilfe oder Unterstützung ansehen. Die Frauen vermuten, dass ihnen ein Urteil über
das eigene Wohlergehen oder notwendige Behandlungen nicht zugetraut wird. Dies fördert
unter anderen die Entwicklung unspezifischer Ängste und Befürchtungen [29]
[36]
[40].
Die Kontrolle über einzelne medizinische Aspekte der Schwangerschaft zu haben, wird
als allgemeines Bedürfnis formuliert [33]
[36]. Dazu gehört, dass die Frauen über ihre Situation informiert sein wollen. Viele
von ihnen beklagen jedoch, dass die verfügbaren Informationen nicht ihre spezifischen
Problematiken berücksichtigen und Fragen daher unbeantwortet bleiben [29]
[34]
[35]
[37]
[40]. Payne und McPhersons [33] führen ergänzend an, dass die verfügbaren Informationen widersprüchlich sein können
und damit möglicherweise zur Verwirrung und erhöhter Vulnerabilität führen. Zu viele
Informationen können auch bewirken, dass die Frauen unter Entscheidungsdruck geraten,
dem sie sich nicht gewachsen fühlen. Corbin (1987) empfiehlt, den Frauen ein Spektrum
an Entscheidungsmöglichkeiten und Informationen anzubieten, um sie aktiv und fachlich
begleitet in das Krankheitsmanagement einzubinden. Die Interviews mit den Frauen verdeutlichen,
dass diese gerne kooperieren, wenn sie die Möglichkeit dazu bekommen und Vor-sowie
Nachteile der Behandlungen kennen und abwägen können. Aufgrund der Komplexität der
Fragestellungen ist dieses Ziel jedoch schwieriger zu erreichen als bei Frauen ohne
Komplikationen und setzt hohe kommunikative Kompetenzen aller Beteiligten voraus.
Einige Forscher und Forscherinnen resümieren, dass eine gelungene Kommunikation zwischen
der Schwangeren und den Akteuren des Gesundheitssystems eine große und oft ungenutzte
Ressource darstellt. Da die oftmals komplexen Wechselwirkungen der Erkrankungen mit
den jeweiligen Schwangerschaftsverläufen nur eingeschränkt standardisierbar sind und
individuelle Entscheidungen erfordern, erhöht die Integration der Einschätzung der
Schwangeren und ihrer Rückmeldung zu Symptomen und Befinden auch die Sicherheit von
Mutter und Kind [2]
[33]. Eine gelungene Integration der Perspektive der Frau in den Betreuungsprozess führt
eher zur Inanspruchnahme und Akzeptanz medizinischer Leistungen [4]. Sie führt auch dazu, dass die Frauen trotz der oft weitreichenden Schwangerschaftsrisiken
einen Effekt von Beruhigung und Freude bei der Inanspruchnahme von Vorsorgeangeboten
schildern [2]
[32].
Über Aspekte des Geburtserlebens werden in den Studien unterschiedliche Aussagen gemacht.
Die Frauen beklagen eingeschränkte Wahlmöglichkeiten und die Nichtbeachtung ihrer
Bedürfnisse bezüglich der Geburtsgestaltung [32]
[35]. So weit möglich versuchen sie, sich vor unangenehmen Erfahrungen zu schützen. Dies
tun sie unter anderem dadurch, dass sie vertraute Personen suchen, die ihre Interessen
während der Geburt vertreten können. Viele Schwierigkeiten führen sie auf mangelnde
Erfahrungen der Ärzte bzw. Ärztinnen und Hebammen mit ihrer Erkrankung zurück [29]. Im Krankenhaus erleben sie teilweise Unsicherheit darüber, in welcher Fachabteilung
sie angemessen versorgt werden sollten. So schildern Frauen mit Rückenmarksverletzungen,
dass sie nach der Geburt auf die Station für neurologische Erkrankungen statt auf
die Wöchnerinnenstation verlegt wurden, was sie als diskriminierend erlebten [32].
Das Kind im Fokus der mütterlichen Sorge
Das Kind im Fokus der mütterlichen Sorge
In vielen Studien wird betont, dass sich die Frauen der Untersuchungsgruppen in gleichem
Maße wie gesunde Frauen auf ein Kind freuen und die Schwangerschaft weit möglichst
genießen [29]
[33]. Die Schwangerschaft ist für Frauen mit chronischen Erkrankungen jedoch eine Zeit,
in der sie neben der Freude auch Sorgen um die Gesundheit des Kindes aushalten müssen.
Betroffene Frauen wissen, dass das Ungeborene, bedingt durch ihre eigene gesundheitliche
Situation, bereits einen Patientenstatus innehat [37]. Oftmals wird die Angst geäußert, dem Kind die eigene Krankheit zu vererben oder
es zu schädigen. Wurden die Frauen während einer medikamentösen Behandlung schwanger,
sind diese Ängste besonders gravierend [34]
[41].
Das Wohlergehen des Kindes hat in den Augen der Schwangeren Vorrang vor den eigenen
Bedürfnissen und therapeutischen Notwendigkeiten. Bei allen den eigenen Körper betreffenden
Therapieentscheidungen werden die Risiken und Vorteile für das Ungeborene mitbedacht
[2]
[33]
[34]
[37]. Das Wissen um die Wechselwirkung der Erkrankung mit dem kindlichen Wohlbefinden
fördert einen ängstlich kontrollierenden Blick der Mutter auf das Ungeborene [2]
[37]. Dies begünstigt einen dauerhaften Zustand von Stress, erhöhter Aufmerksamkeit und
mütterlicher Sorge [33]
[36].
Abb. 2 Schwangere Frauen mit chronischen Krankheiten können ihren Körper als potenzielle
Bedrohung für ihr Kind wahrnehmen. (Foto: chompoo – stock.adobe.com, Symbolbild)
Umgang mit der Erkrankung in der Schwangerschaft
Umgang mit der Erkrankung in der Schwangerschaft
Das Mutterwerden erleben viele der interviewten Frauen als eine Bestärkung ihrer Identität
und ihres Frau seins. Diese Erfahrung kann dabei auch das langfristige Verhältnis
zur Erkrankung verändern. Sie kann in den Hintergrund treten und einem Gefühl von
gesellschaftlicher Teilnahme und Normalität weichen [29]
[33]
[37]. In der Phase der Schwangerschaft ist dieses Gefühl von Normalität nur eingeschränkt
zu realisieren, weil mögliche mütterliche Beschwerden, Diagnosen und Therapien einen
Sonderstatus innerhalb der Gruppe der Schwangeren nach sich ziehen und in einem Gefühl
von „Ausgeschlossen-sein“ münden können [33]
[36]. Da bekannte Strategien der Krankheitsbewältigung in der Schwangerschaft nicht mehr
oder nur noch eingeschränkt wirksam sind, werden außerdem teils überwundene Ängste
und Verunsicherungen reaktiviert [40].
Symptome der Schwangerschaft ähneln bisweilen diversen Krankheitssymptomen und können
nicht immer von diesen unterschieden werden. Dies wird von den Frauen unterschiedlich
bewertet. Bei Smeltzer (1994) deuten sie die Wahrnehmung von Schwangerschaftssymptomen
wie Übelkeit als zusätzliche Verunsicherung [41]. Sie können aber auch als Beweis für Normalität und als positive Körpererfahrung
jenseits von Krankheit interpretiert werden [33].
Nach Thomas [37] bedeuten die Erkrankung und die Schwangerschaft für die betroffenen Frauen zwei
getrennte aber koexistierende „Karrieren“. „Karriere“ meint in diesem Fall die vielfältigen
psychischen und sozialen Reaktionen und Anpassungsvorgänge, die der Patient im Verlauf
der Erkrankung durchzustehen hat. Die Frauen bedenken je nach Erkrankung, dass sie
während der Schwangerschaft gesundheitliche Risiken für den eigenen Körper und ihre
langfristige relative Gesundheit eingehen [37]
[41]. Die postpartale Zeit ist dadurch gekennzeichnet, dass die Frauen zum bewährten
und mit relativer Autonomie gehandhabten Krankenmanagement zurückkehren wollen [34].
Diskussion
Die Phase der Schwangerschaft ist bei Frauen mit chronischer Erkrankung geprägt durch
Stress und Anforderungen, die sich aus der gleichzeitigen Sorge um die eigene Gesundheit
und die des Kindes sowie die kontinuierliche Auseinandersetzung mit medizinischen
Therapien und Diagnostiken ergeben. Zumindest in der Ausprägung der körperlichen Veränderungen
und der Dringlichkeit der Entscheidungsprozesse sind chronisch erkrankte Frauen in
einer anderen Situation als Schwangere ohne Krankheitsdiagnose. Frauen mit chronischen
Erkrankungen schildern, dass ihre Überlegungen von großer Unsicherheit durchdrungen
sind und auch die Jahre nach der Geburt mit einbeziehen. Ein kontinuierliches Gefühl
von Wachsamkeit und Aufmerksamkeit gegenüber den körperlichen Veränderungen geht mit
diesem Fakt einher. Gerade wenn Krankheitsverläufe unberechenbar und im Verlauf nicht
kalkulierbar sind, wird dies als beängstigend erlebt [36]. Eine zusätzliche Herausforderung für die Frauen ist, dass Informationen und Beratungsangebote
zu Sexualität, Verhütung, Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett auf gesunde Frauen
abgestimmt sind [16]
[20]
[43]
[44]. Dies erhöht das Gefühl, einen Sonderstatus innerhalb der Gruppe der Schwangeren
einzunehmen. Dem allgemeinen Wunsch nach Normalität und Teilhabe steht dies entgegen.
Grundsätzlich werden die Sichtweisen und Bedürfnisse der Zielgruppe in den Konzepten
der Geburtshilfe nur unzureichend berücksichtigt [17]
[45].
Fazit
Die Erfahrungen der Frauen mit chronischer Erkrankung in der Zeit des Mutterwerdens
sind neben der Freude von einer hohen Anspannung geprägt, die sich aus der Sorge um
das Kind vor dem Hintergrund möglicher Komplikationen ergibt. Dies kann zu Konflikten
bei Entscheidungen im Spannungsfeld eigener und kindlicher Gesundheit führen. Angebote
und Informationen berücksichtigen selten ihre speziellen Bedürfnisse und Fragstellungen.
Dem Wunsch nach Normalität steht gegenüber, dass betroffene Frauen einen Sonderstatus
in der Gruppe der Schwangeren einnehmen.
Konzepte für die Betreuung der Frauen mit chronischer Erkrankung in Schwangerschaft,
Geburt und Wochenbett sollten besser auf diese Gruppe abgestimmt werden. Es besteht
Forschungsbedarf betreffs der Frage, inwieweit sich die Ergebnisse aufgrund der unterschiedlichen
Versorgungssysteme auf Deutschland übertragen lassen. Hierzulande können Schwangere,
Gebärende und Wöchnerinnen unabhängig vom Gesundheitsstatus zuzahlungsfrei und umfassend
die Unterstützung von Ärzten bzw. Ärztinnen und Hebammen in Anspruch nehmen. In der
Zusammenführung beider Berufskompetenzen könnte Potenzial für eine Versorgungsstruktur
liegen, die betroffene Frauen bei der Abwägung von medizinischen Notwendigkeiten und
individuellen Bedürfnissen unterstützt. Hebammen als auch im häuslichen Umfeld der
Frau arbeitende Akteurinnen können helfen, die geforderte Integration der Familienmitglieder
zu realisieren und in Abstimmung mit den betreuenden Ärzten bzw. Ärztinnen die medizinischen
Erfordernisse auf die speziellen Bedürfnisse und Fragen der Frauen mit chronischer
Erkrankung abzustimmen.
Dieser Beitrag basiert auf der Erstveröffentlichung, die in der Zeitschrift für Geburtshilfe
und Neonatologie erschienen ist. Quelle: Lange U, Schnepp W, zu Sayn-Wittgenstein
F. Das subjektive Erleben chronisch kranker Frauen in der Zeit von Schwangerschaft,
Geburt und Wochenbett – eine Analyse qualitativer Studien. ZGN 2015; 219(04): 161-169.
Der Beitrag war Teil eines Promotionsvorhabens mit Stipendium im Forschungsschwerpunkt
Versorgung während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett – Instrumente zur sektorenübergreifenden
Qualitätsentwicklung (IsQua) der Hochschule Osnabrück in Kooperation mit der Universität
Witten / Herdecke, gefördert aus Landesmitteln des Niedersächsischen Ministeriums
für Wissenschaft und Kultur.