Nuklearmedizin 2020; 59(01): 6-7
DOI: 10.1055/a-1088-3400
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zurück in die Zukunft – Chancen und Herausforderungen für die Nuklearmedizin im nächsten Jahrzehnt

Back to the Future – Chances and Challenges for Nuclear Medicine
Markus Luster
Klinik für Nuklearmedizin, Marburg, Germany
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Publication Date:
04 February 2020 (online)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

sehr geehrte Damen und Herren,

unser Fach steht in der kommenden Dekade vor großen Herausforderungen und wichtigen Weichenstellungen. Als hoch innovative und attraktive Querschnittsdisziplin ist die Nuklearmedizin in allen Schritten der Translation verankert und bietet ein breitgefächertes Spektrum von der Grundlagenforschung über die präklinische Bildgebung bis hin zur Patientenversorgung in wichtigen und, auch im Hinblick auf die Zahl der betroffenen Patienten, wegweisenden Entitäten. Auch und gerade auf therapeutischem Gebiet gilt es, positive Entwicklungen fortzuschreiben und durch neue Ansätze unser Spektrum zu ergänzen.

Die Chancen einer Verstetigung des bereits Erreichten und einer Weiterentwicklung der Disziplin überwiegen die potentiellen Risiken deutlich. Eine wohlüberlegte und von der Breite der Mitglieder getragene, zukunftsorientierte Ausrichtung unseres Feldes ist dabei von wegweisender Bedeutung.

Vorstand und Präsidium der DGN sind fortwährend mit Themen und Aufgaben beschäftigt, die von strategischer Bedeutsamkeit für das Fachgebiet Nuklearmedizin sind. Anlässlich einer Klausurtagung im Spätsommer 2019 wurde deutlich, dass einige Themenkomplexe von herausgehobener Relevanz effektiver in einem gesonderten Treffen erörtert werden sollten. Im Folgenden sind Überlegungen und Lösungsansätze zusammengefasst, die im Rahmen dieses Strategietreffens der Fachgesellschaft im November 2019 in unserer Berliner Dependance entwickelt wurden. Die bei diesem Termin vertretenen Gremien bzw. deren Vertreter wurden dabei auf Basis der vom Vorstand vorgeschlagenen Hauptthemen eingeladen.

Zentrale Diskussionspunkte waren hierbei:

  • Nachhaltige Neugestaltung der Weiterbildungsordnung und Nachwuchsförderung

  • Weiterentwicklung der nuklearmedizinischen Therapie

  • Bildung von Zentren zur inhaltlichen und strategischen Stärkung

  • Weitere Etablierung und Integration der Hybridbildgebung

  • Fortwährende Entwicklung der Radiopharmazie

Aus übergeordneter Perspektive ist es vorrangig wichtig, den ambulanten und stationären Bereich, d. h. sowohl die Universitätskliniken als auch große und kleinere nicht-universitäre Häuser, niedergelassene Praxen und Medizinische Versorgungszentren, abzubilden und maßgeschneiderte Lösungen für sämtliche Versorgungsformen zu entwickeln.

Im Rahmen einer zuvor erarbeiteten Bestandsaufnahme der aktuellen Situation des Faches wurden verschiedene Kennzahlen generiert, auf deren Basis entsprechende Überlegungen angestellt werden müssen. Als eher kleine Disziplin mit ca. 1500 Fachärzten ist eine gezielte Nachwuchs-Rekrutierung von zentraler Bedeutung. Jüngere Fachärzte sollten stärker in der DGN und Ihren Gremien repräsentiert sein. Durch gezielte Analyse und eine Steigerung der Attraktivität einer Mitgliedschaft in der Fachgesellschaft und der daraus folgenden unmittelbaren Teilhabe sollte dies gelingen. Die Organisation erfolgreicher (Zukunfts-) Workshops ist hierbei nur ein Mittel von vielen. Etwa ein Drittel der Nuklearmedizinerinnen und Nuklearmediziner ist im stationären Sektor und zwei Drittel in der ambulanten Versorgung tätig. Der Frauenanteil ist mit knapp einem Drittel eher gering, wobei die übrigen „Strahlenfächer“ sowie die assoziierten Naturwissenschaftler zum Teil deutlich höhere Anteile aufweisen, von aktuellen Entwicklungen des Medizinstudiums ganz zu schweigen.

Im Wettbewerb um die besten Köpfe muss die Nuklearmedizin deutlicher sichtbar werden. Daher sollte bereits durch das wichtige Instrument der universitären Lehre und in der strukturierten Ausbildung von Studenten im Praktischen Jahr, die Einrichtung von Hospitationen schon in der Vorklinik sowie das individuelle Mentoring von Doktoranden aktiv um den Nachwuchs geworben werden. Die Neuordnung des Medizinstudiums kann zu dieser Entwicklung beitragen, wenn es gelingt, die Sichtbarkeit des Faches zu steigern. Bereits in frühen Phasen des Medizinstudiums sind Aspekte von Anatomie/Physiologie und Bildgebung, Biochemie und Metabolismus zu integrieren (Masterplan Medizinstudium 2020).

Die berufliche Zukunft der Mehrheit der Weiterbildungsassistenten liegt weiterhin in der Niederlassung, sodass gerade hier attraktive Arbeitsbedingungen und moderne Arbeitszeitmodelle unerlässlich sind. Neue Karrierewege für interessierte Weiterbildung-Assistenten/innen, hier ist unter anderem das „Clinician Scientist“-Programm zu nennen, erlauben es darüber hinaus, wissenschaftliche Fähigkeiten zu vertiefen und Projekte selbständig zu leiten. Basis hierfür muss allerdings das Modell der „Protected Research Time“ sein; moderne Abteilungsstrukturen schaffen die notwendigen Freiräume neben der Krankenversorgung. Die Einrichtung von Forschung-Professuren oder Stellen mit dediziertem Forschungsanteil („Clinical Translational Professorships“) ist ein vielversprechender Weg zu Stärkung der akademischen Nuklearmedizin. Ein weiterer Baustein, welcher der aktuellen Entwicklung des Faches Rechnung trägt, könnten standardisierte Curricula, etwa für Hybridbildgebung und Nuklearonkologie, sein. Solche Module würden dann individuell belegt werden können, um eine weitere Vertiefung des jeweiligen Interessenschwerpunktes zu ermöglichen.

Die Notwendigkeit einer Neuordnung der Aus- und Weiterbildungsinhalte besteht in gleichem Maße für nichtärztliche Berufsfelder, eigene Strukturen für präklinische und klinische Forschung (Study Nurse, Study Coordinator) sowie für das technische Assistenzpersonal, eine zumindest teilweise Akademisierung dieser Berufsgruppen, scheint angezeigt. Auch die im Bereich der nuklearmedizinischen Pflege tätigen Mitarbeiter sollten zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen durch die Versorgung von zunehmend älteren und multimorbiden Patienten durch strukturierte Qualifikationsangebote unterstützt werden. Das Anforderungsprofil sowie die Tätigkeitsmerkmale unterliegen, bedingt durch die Einführung neuer Therapieformen, einem stetigen Wandel. Die Entwicklung der Nuklearmedizin in der stationären Versorgung von Patienten ist von herausragender Bedeutung und geprägt von maßgeblicher Innovation und Zukunftstechnologien. Zuletzt war dieser Sektor, in erster Linie bedingt durch die Abnahme der Behandlung von benignen Schilddrüsenerkrankungen, jedoch tendenziell rückläufig. Die Zahl der Krankenhäuser mit nuklearmedizinischen Therapiestationen und damit die Zahl der verfügbaren Betten spiegelt diese Tendenz wider. Die Abnahme betrifft insbesondere nicht-universitäre Einrichtungen, vornehmlich kleine Stationen oder jene, die den technischen Anforderungen, den immer höheren medizinischen Standards nicht mehr gewachsen bzw. wirtschaftlich zu betreiben sind. Die Zunahme bei den neuen Therapieverfahren kann den Rückgang auf dem Schilddrüsensektor bisher nicht vollständig kompensieren, zudem ist zu bedenken, ob diese komplexeren Modalitäten in „Therapiezentren“ mit entsprechender Infrastruktur nicht besser abgebildet werden können.

Ein ähnliches Phänomen ist auch auf dem Gebiet der Diagnostik zu beobachten, die Anzahl der PET-Hybridsysteme bleibt seit 2012 weitgehend konstant, die Anzahl neu installierter Gammakameras ist sogar rückläufig. Dieser Trend sollte aufmerksam machen; während international, hier geht der Blick vorrangig etwa nach China und Indien, neue Absatzmärkte erschlossen und technische Weiterentwicklungen bis hin zu bahnbrechenden Innovationen (Beispiel schnelles Ganzkörper-PET) gefeiert werden. In diesem Kontext ist im universitären Sektor auf eine aktuelle Stellungnahme der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur apparativen Ausstattung hinzuweisen, auch die bessere Vernetzung, bis hin zur Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Radiopharmazeutischen Instituten und Zyklotron-Standorten, ist Teil dieser Agenda. Im Bereich der prä- und peritherapeutischen Dosimetrie sind solche Kooperationen ebenfalls vorstellbar, sodass nicht an jedem Standort sämtliche Kompetenzen vorgehalten werden müssen („Dosimetry Hubs“).

Die Deutsche Nuklearmedizin ist im internationalen Vergleich exzellent aufgestellt, die eher methodische Orientierung erlaubt ein schnelles Umsetzen von Neuerungen. Ihre Diagnostik- und Therapieangebote passen gut zu modernen individualisierten Therapiekonzepten („Precison Medicine“). Im stationären Setting ist eine weitere Fokussierung auf die Onkologie absehbar, die nuklearmedizinische Therapie wird an Stellenwert gewinnen und sich diversifizieren. Eine kontinuierliche Verbesserung der Versorgungsqualität, nicht zuletzt durch eine fortwährende Qualifikation der Mitarbeiter/innen, sollte gemeinsames Ziel sein. Vorstellbar sind entsprechende Angebote und Zertifizierungen, die durch die Fachgesellschaft organisiert werden, um beste Voraussetzungen für qualitativ hochwertige Radionuklidtherapie-Zentren zu schaffen.

Es ist davon auszugehen, dass durch die Einführung neuer Pharmaka, das theragnostische Konzept weiteren Aufschwung erhält und die Erfolgsgeschichte des Diagnostik/Therapie-Paares „Prostataspezifisches Membranantigen (PSMA)“ erst einen Schritt auf diesem viel versprechenden Weg darstellte. Durch die stetige Verbesserung der Bildqualität und die Möglichkeit zur Quantifizierung ist es durchaus vorstellbar, dass die SPECT/CT-Technik eine Renaissance erfahren wird. Mit der zielgerichteten Diagnostik zur optimalen Patientenselektion, nicht nur für nuklearmedizinische Therapieverfahren, ist ein weiterer Meilenstein erreicht.

All diese Entwicklungen wären ohne die Anstrengungen und Innovationen der Radiopharmazie nicht vorstellbar, es erscheint nicht überzogen festzustellen, dass ein Großteil der positiven Signale für unser Fach auf diese Kreativität zurückgeht. Diese Fortschritte finden jedoch in einem juristisch und gesetzgeberisch oft schwierigen und nicht immer klaren Umfeld statt. Eine Klärung des Rechtsstatus von diagnostischen Radiopharmaka (Beispiel „Rekonstitution“ bei Kit-Präparationen) bleibt eine Aufgabe, auf die im Diskurs mit den Aufsichtsbehörden weiterhin ein Augenmerk gelegt werden muss. Eine angemessene Interpretation und Nutzung des § 13 2b des Arzneimittelgesetzes zur Anwendung von Therapeutika, ist eine weitere Frage, der sich zukünftig Mandatsträger widmen müssen. Der stetige Austausch mit Behörden und Politik ist heutzutage unverzichtbar und wird von der DGN ausdrücklich und umfassend angestrebt.

Die Patientenorientierung unseres Faches sollte dabei in den Vordergrund gerückt werden, da zu Recht nur eine Fokussierung auf patientenrelevante Outcomes unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte eine positive Wahrnehmung versprechen. Wir haben jetzt die Chance die Nuklearmedizin im Konzert mit anderen Disziplinen weiter voranzubringen und als eigenständiges Fach mit motiviertem Personal prosperierend und attraktiv zu gestalten.

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Prof. Markus Luster