ergopraxis 2020; 13(03): 40-42
DOI: 10.1055/a-1092-6162
Perspektiven
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

„Hier bleib ich!“ – Emotionale Mitarbeiterbindung

Lisa Holtmeier
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Publication Date:
03 March 2020 (online)

 

„Ich liebe es, morgens aufzustehen und zur Arbeit zu fahren.“ Wenn Ihre Mitarbeiter so etwas sagen, haben sie eine hohe emotionale Bindung an die Praxis. In diesem Artikel erfahren Sie, wie Sie Mitarbeiter nahhaltig an Ihre Praxis binden können und an Attraktivität für suchende Therapeuten gewinnen.


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Lisa Holtmeier

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Lisa Holtmeier ist Ergotherapeutin (B. Sc.), Gründerin von WORDSEED, Kommunikationscoach und Podcasterin. Sie hält Vorträge, gibt Fortbildungen und coacht Praxen im Bereich der gesunden Kommunikation. Kommunikation wird in ihrer Arbeit als betriebliche Gesundheitsförderung eingesetzt. WORDSEED: Worte säen – Gesundheit, Zufriedenheit und Motivation ernten.

„Mein Arbeitsplatz liegt mir sehr am Herzen.“ „Ich fühle mich sehr wohl in dem Team, in dem ich arbeite.“ Solche Sätze hören Sie von Mitarbeitern, die lieben, was sie tun, genau dort, wo sie sind. In Zeiten des Fachkräftemangels ist dieses Gefühl wichtiger denn je. Die emotionale Bindung Ihrer Mitarbeiter bildet die Grundlage für das „Überleben“ Ihrer Praxis.

Das Dilemma

Aktuelle Zahlen zeigen jedoch, dass die Situation in den meisten Praxen eine andere ist, als eingangs beschrieben. Laut dem „Gallup Engagement Index Deutschland“ (www.gallup.de → Engagement Index Deutschland) geben 71 von 100 Personen Umfragen zufolge eine geringe emotionale Bindung an den Arbeitergeber an. Von den restlichen 29 Personen haben jeweils 15 eine hohe und 14 gar keine emotionale Bindung an ihren Arbeitsplatz. Laut Gallup ist dieses das ausschlaggebende Problem, das seit Jahren in Deutschland beständig vorherrscht.

Seit 2001 bleiben die Studienwerte konstant. Es sind seitdem nahezu keinerlei Veränderungen im Bereich der emotionalen Bindung der Mitarbeiter zu verzeichnen. Insbesondere in therapeutischen Praxen ist jedoch die Mitarbeiterbindung ein elementarer Schlüssel, um das weitere Bestehen dieser zu gewährleisten. Die Mitarbeiter der neueren Generationen zeigen hingegen eine immer höhere und schnellere Kündigungsbereitschaft, was den Arbeitgebern das Praxisleben schwer macht. Es scheint nahezu unmöglich, Mitarbeiter dieser Generation länger als zwei Jahre an die Praxis zu binden. Resultierend daraus platzen die Stellenbörsen für therapeutische Berufe aus allen Nähten.


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Die vier Säulen der Mitarbeiterbindung

Aus diesem Grund möchte ich heute mit Ihnen die Geheimnisse erfolgreicher Mitarbeiterbindung teilen. Damit Sie Ihre Mitarbeiter nachhaltig an Ihre Praxis binden und somit auch attraktiv für andere Therapeuten sind, die sich auf der Suche nach einer geeigneten Arbeitsstelle befinden.

Letztendlich lassen sich die Faktoren emotionaler Bindung an die Praxis in vier Säulen untergliedern:

  • Grundbedürfnisse

  • Wertschätzung und Miteinander

  • Team

  • Weiterentwicklung

Nachfolgend finden Sie Erläuterungen und Tipps für die einzelnen Bereiche. Dabei ist die Reihenfolge der genannten Säulen wichtig: Die Grundbedürfnisse bilden die Basis, an zweiter Stelle stehen die Wertschätzung und das Miteinander, erst dann folgen die Themen Team und Weiterentwicklung.

Mangelnde emotionale Bindung der Mitarbeiter an den Arbeitgeber ist ein seit Jahren bestehendes Problem in Deutschland.


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Mit Grundbedürfnissen einen Nährboden schaffen

Mitarbeitern im Therapiewesen ist es besonders wichtig, dass ihnen alle Arbeitsmittel und Materialien zur Verfügung stehen, um Ihre Arbeit bestmöglich ausführen zu können. Es kommt schnell Unzufriedenheit auf, wenn dieses Bedürfnis nicht erfüllt ist. Jetzt werden Sie vielleicht denken: „Das ist ja logisch.“ In vielen Praxen habe ich es erlebt, dass die Mitarbeiter sich durch fehlende Arbeitsmaterialien nicht gut genug vorbreitet fühlen oder den Eindruck haben, dass die Fortbildung, auf der sie erst vor Kurzem waren, „nichts gebracht“ hat, weil sie das Erlernte nicht zu ihrer Zufriedenheit umsetzen können. Deshalb ist es empfehlenswert, sich regelmäßig zu erkundigen, ob die Mitarbeiter alles zur Verfügung haben, was sie brauchen. Diese Frage können Sie beispielsweise in den Teamsitzungen einbringen.

Ein zweiter wichtiger Aspekt ist das Bedürfnis nach Sicherheit. Viele Mitarbeiter fühlen sich gestresst, wenn sie zu wenig Informationen erhalten. Aus diesem Grund dienen Informationen sogar als gesundheitsfördernde Maßnahme – eine transparente Kommunikation ist also unabdingbar. Mitarbeiter möchten an Veränderungsprozessen teilhaben und wollen wissen, was sie zukünftig konkret erwarten wird. Damit stärken Sie zudem das Zugehörigkeitsgefühl, das die Basis für die emotionale Bindung bildet. Gemeinsam mit Ihren Mitarbeitern können Sie eine eigene Kommunikationskultur entwickeln, um den Informationsfluss zu gewährleisten.


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Den Wert des anderen schätzen

Lob und Wertschätzung sind sozialpsychologische Bedürfnisse. Insbesondere Mitarbeiter im Gesundheitswesen wünschen sich mehr Anerkennung. Woran könnte das liegen? Zum einen bekommen nur wenige Mitarbeiter die monetäre Anerkennung, die sie sich wünschen. Zum anderen schenken sie bereits anderen Menschen den ganzen Tag ihre eigene Aufmerksamkeit. Häufig bleiben sie dabei selbst auf der Strecke. Loben wirkt wahre Wunder. Wenn Sie mich fragen, sind wertschätzende Worte und gesunde Kommunikation die beste betriebliche Gesundheitsförderung, die Sie anbieten können.

Des Weiteren stelle ich häufig fest, dass Therapeuten wahre Allrounder sein müssen. Die Vielfältigkeit der Praxen erfordert ein breites Behandlungsspektrum der Therapeuten. In den Coachings erlebe ich häufig zwei Arten von Mitarbeitern. Die eine Sorte braucht diese Abwechslung, um nicht unterfordert zu sein und sich therapeutisch „auszutoben“. Die zweite Gruppe der Mitarbeiter fühlt sich zwischen den verschiedenen Fachbereichen hin- und hergerissen und hat den Eindruck, nichts „richtig“ machen zu können. Diese Sorte Mitarbeiter wünscht sich häufig, sich spezialisieren zu dürfen, um somit Arbeiten nachzugehen, die sie am besten kann. Zu welcher der zwei Sorten Ihre Mitarbeiter gehören, können Sie wunderbar in den Mitarbeitergesprächen erfragen.

Auch die „Menschlichkeit“ darf nicht zu kurz kommen. Damit wir uns dazugehörig fühlen, brauchen wir Kommunikation. Kommunikation verbindet Menschen und wir bekommen zugleich ein „Gefühl“ für den anderen. Wir wünschen uns alle, dass jemand ernsthaft Interesse an uns zeigt, auch an unserem Arbeitsplatz. Wenn Sie als Führungskraft dieses aufrichtige Interesse zeigen, werden Sie Gleiches erfahren. Auch die Mitarbeiter werden aufmerksamer und erkundigen sich nach Ihnen. Das ist eine großartige Basis für ein erfolgreiches Miteinander.


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Wissen to go – Erfolgreiche Mitarbeiterbindung im Überblick

  • Gesunde Kommunikation fördert nicht nur die Gesundheit und das Wohlbefinden, sondern stärkt auch die Verbundenheit zur Praxis.

  • Teambuildingmaßnahmen fördern ebenfalls die Gesundheit, stärken das „Wir-Gefühl“ und die emotionale Bindung.

  • Vernachlässigen Sie nicht die Grundbedürfnisse Ihrer Mitarbeiter. Erkundigen Sie sich in regelmäßigen Abständen, ob diese den Eindruck haben, alle Materialien zur Verfügung zu haben, um ihre Arbeit zu ihrer eigenen Zufriedenheit ausführen zu können.

  • Achten Sie auf einen regelmäßigen Informationsfluss, zum Beispiel durch Teambesprechungen.

  • Sprechen Sie wöchentlich Anerkennung, Wertschätzung und Lob aus (ja, wöchentlich).

  • Bleiben Sie mit dem Team in Kontakt und achten Sie auf eine positive Grundstimmung.

  • Sprechen Sie während der Mitarbeitergespräche ausführlich über die Weiterentwicklung der einzelnen Mitarbeiter.

  • Überprüfen Sie immer mal wieder, ob die vier „Säulen“ (Grundbedürfnisse, Wertschätzung & Miteinander, Team und Weiterentwicklung) in Balance sind.

  • Kommunizieren Sie transparent und ermöglichen Sie Teilhabe.

  • Fragen Sie aktiv nach und erkundigen Sie sich nach dem Wohlbefinden und der Verbundenheit der Mitarbeiter.

Das Team

„Team“ – das steht für „Toller Einsatz aller Mitarbeiter“. Das Team hat einen erheblichen Einfluss auf unser Wohlbefinden und unsere emotionale Bindung. Aus diesem Grund ist es mehr als sinnvoll, Zeit und Geld in die Entwicklung des Teams zu investieren. Im sozialen Gefüge haben Mitarbeiter das Gefühl, „gebraucht“ zu werden und wichtig zu sein.

Auch das Phänomen der Spiegelneuronen wird Ihnen nicht entgangen sein. Je höher die positive Grundstimmung, das Wohlbefinden, die Motivation und Identifikation mit der Praxis sind, desto mehr werden auch neue Mitarbeiter davon begeistert sein. Gegenteilig ist das leider auch der Fall. Wenn ein Apfel im Korb anfängt zu faulen, steckt das die anderen frischen Äpfel mit der Zeit auch an. Die Grundstimmung des Teams gilt es daher zu pflegen.

Mit Ihrer Wertschätzung und Anerkennung schalten Sie im Kopf Ihres Mitarbeiters die Dopamindusche ein.


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Durch Weiterentwicklung Potenziale entfalten

Möglichkeiten zur beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung geben den Mitarbeitern Sinn und Orientierung. Insbesondere Mitarbeiter der jüngeren Generation legen ihren Fokus auf ihr Wachstum und die Übernahme von Verantwortung. Das Gefühl, wichtig für die Praxis zu sein, und die Möglichkeiten der Weiterentwicklung in dieser sind elementare Faktoren emotionaler Bindung. Auch hier möchte ich Sie wieder einladen, die Mitarbeitergespräche dazu zu nutzen, über die weitere Entwicklung der Mitarbeiter zu sprechen und die Wichtigkeit ihrer Position zu betonen.


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Die Basis für alles: eine gesunde Kommunikation

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die wichtigsten Faktoren emotionaler Bindung sind die Führungskraft, abwechslungsreiche und herausfordernde Tätigkeiten, das Team, Sinnhaftigkeit sowie Ziele und Möglichkeiten, das zu tun, was die Mitarbeiter am besten können. Die Basis für all diese Faktoren ist eine gesunde Kommunikation. Durch gezielte Kommunikationsinterventionen lassen sich die Gesundheit und das Wohlbefinden aller Praxismitglieder fördern. Warum ist das so?

Durch mangelhafte Kommunikation entstehen Informationsdefizite, fehlende Transparenz, mangelhafte Anerkennung und Wertschätzung, eine geringe emotionale Bindung, eine ungesunde Fehlerkultur und eine „schlechte“ Unternehmenskultur. Zudem gibt es stets Interdependenzen aller genannten Bereiche. Die Digitalisierung ist ein weiterer externer Faktor, der die Kommunikation und die genannten Bereiche erschwerend beeinflusst. Diese negativen Faktoren können zu vermehrten Konflikten und Stress führen, die wiederum wirtschaftliche Einbußen und Erkrankungen der Mitarbeiter zur Folge haben. Gleiches gilt natürlich auch im positiven Sinne. Durch Wertschätzung und Anerkennung schalten Sie die Dopamindusche im Kopf Ihres Mitarbeiters ein. Dieser fühlt sich motiviert und Sie haben quasi „Gesundheitsförderung to go“ angewandt.

Lassen Sie Ihre Mitarbeiter auch an schwierigen Entscheidungen und Veränderungen teilhaben. Diese Art von transparenter Kommunikationspolitik in der Praxis ist die Basis für eine stärkere emotionale Bindung der Mitarbeiter an ihren Arbeitsplatz und – nicht außer Acht zu lassen – für ein vertrauensvolles Miteinander in ihrem Team.

Kommunikation ermöglicht das Mitgestalten im Praxisalltag, die Übernahme von Verantwortung und das Partizipieren der Mitarbeiter bei Herausforderungen. Zudem können organisatorische Abläufe durch einen reibungsloseren Informationsfluss optimiert werden. Längerfristig resultieren daraus wichtige Ressourcen wie Zufriedenheit, Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeitenden und die emotionale Bindung an das Unternehmen. Diese Faktoren kommen der Praxis auf wirtschaftlich-finanzieller Ebene wiederum zugute.

Ich erlebe jeden Tag aufs Neue, welche positiven Veränderungen die Praxen erleben, wenn sie ihre Kommunikation gesund und wertschätzend gestalten. Auf diesem Nährboden wachsen die Mitarbeiter über sich hinaus und setzen auch in schwierigen Zeiten gemeinsam die Segel.


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