Laryngorhinootologie 2020; 99(05): 287-291
DOI: 10.1055/a-1095-2344
Übersicht

Die COVID-19-Pandemie und das HNO-Fachgebiet: Worauf kommt es aktuell an?

The COVID-19 pandemic and otolaryngology: What it comes down to?
Jan-Christoffer Lüers
1   Uniklinik Köln, Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie
,
Jens Peter Klußmann
1   Uniklinik Köln, Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie
,
Orlando Guntinas-Lichius
2   Universitätsklinikum Jena, Klinik und Poliklinik für Hals-. Nasen- und Ohrenheilkunde
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Zusammenfassung

Die Übersichtarbeit fasst die aktuellen Erkenntnisse der Auswirkung der COVID-19-Pandemie für die Arbeit der HNO-Ärztin und des HNO-Arztes zusammen. Die aktuell diskutierte Rolle einer Anosmie oder Hyposmie als COVID-19-assoziiertes Symptom wird dargestellt. Wir diskutieren das klinische Management aller HNO-Fälle, aber insbesondere von COVID-19-erkrankten Patienten aus Sicht der HNO-Heilkunde. Ein besonderes Augenmerk gilt den Auswirkungen auf die HNO-Untersuchung und auf HNO-ärztliche Operationen.


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Abstract

Here, we review the most recent findings on the effects COVID-19 pandemic for the work of otolaryngologists. The role of anosmia and hyposmia as a potential COVID-19 related symptom is presented. We discuss the clinical management of all ENT patients, but especially of COVID-19 patients from the ENT perspective. The impact of the infection on the ENT examination and ENT surgery is summarized.


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Einleitung

Deutschland und nahezu die gesamte Welt stehen vor einer gewaltigen sozialen, wirtschaftlichen, aber vor allem medizinischen Herausforderung. Durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 (SARS: schweres akutes respiratorisches Syndrom) sind Patienten wie Ärzte gleichermaßen gefährdet. Für die Coronavirus-Krankheit 2019 (COVID-19) gibt es bislang keine Impfung und antivirale Therapie, sondern nur unterstützende Maßnahmen. Über den weiteren epidemiologischen Verlauf und die zu erwartenden Zahlen der Infizierten, stationären Patienten und insbesondere kritisch Kranken bestehen aktuell keine belastbaren Erkenntnisse. Das Ziel ist aktuell, starke Infektionswellen und hohe Sterbeziffern zu verhindern. Hierfür müssen medizinisches Personal, Politiker und die gesamte Bevölkerung gleichermaßen zusammenarbeiten.

Nordrhein-Westfalen ist in Deutschland aktuell das am stärksten betroffene Bundesland und der Kreis Heinsberg stellt innerhalb Deutschlands ein eigenes Risikogebiet dar. An der Uniklinik Köln wurden bereits mehrere COVID-19-Patienten behandelt und die täglich ansteigenden Zahlen rücken zunehmend auch die HNO-Klinik und unser Fachgebiet insgesamt in den Fokus. Frühzeitig sind in der Klinik diverse Vorbereitungen getroffen worden. Jegliches elektive Programm wurde gestoppt, ambulante Vorstellungen neuer Patienten auf das Allernötigste heruntergefahren. Versammlungen von Gruppen > 2 Personen sind seit Tagen untersagt und nahezu die gesamte Kommunikation der Klinik läuft über digitale Medien. Durch den Wegfall von Elektivleistungen konnten HNO-Ärzte für die Mitarbeit im Infektionszentrum der Uniklinik Köln abgestellt werden.

In diesem Beitrag diskutieren wir einige Themen, die für HNO-Ärztinnen und -Ärzte an allen Standorten in den nächsten Wochen relevant werden sollten. Welche Erkenntnisse über das neuartige Coronavirus sind aktuell bekannt und gesichert? Wie unterscheidet sich COVID-19 von einer normalen Grippe oder einem grippalen Infekt? Welche Aspekte von SARS-CoV-2 und von COVID-19 sind relevant für die HNO-Heilkunde? Wann sind HNO-Ärztinnen und -Ärzte besonders gefährdet? Welche Rolle spielen HNO-Ärztinnen und HNO-Ärzte im aktuellen Krankheitsgeschehen und welche möglichen Aufgaben kommen auf das Fachgebiet und seine Vertreterinnen und Vertreter in der näheren Zukunft zu?

Zunächst einige Grundlagen:


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SARS-CoV-2

Das SARS-CoV-2 ist ein unbehülltes RNA-Virus aus der Familie der Coronaviren. Auch schon vorher bekannte Coronaviren führen regelmäßig zu Erkältungserkrankungen im HNO-Bereich. Eine Infektion mit einem Virus aus der Familie der Coronaviren kann einen harmlosen oder auch asymptomatischen Verlauf nehmen oder aber zu einer ernsten und lebensbedrohlichen Atemwegserkrankung führen. Im Gegensatz zu den ersten Coronavirus-Pandemien im 21. Jahrhundert (SARS-CoV (2003) und MERS-CoV (2012)) scheint SARS-CoV-2 infektiöser zu sein. Bekannt ist, dass das Virus vor allem im Pharynx außergewöhnlich gut repliziert, aber auch in der Nase ist die Viruslast vergleichsweise hoch [1]. Erst in der Lunge richtet das Virus im Verlauf verheerende Schäden an und führt zu einer beidseitigen schweren Pneumonie, die zum Tode eines Patienten führen kann [2].

SARS-CoV-2 scheint eher in Tröpfchen denn in Aerosolform aufzutreten. Aerosole halten sich weitaus länger in der Luft (im Falle von Masern bspw. bis zu 2 Stunden) und schweben teilweise umher. Hierdurch ergibt sich bei Aerosolen eine erhöhte Infektiösität. Im Falle von SARS-CoV-2 geht man von einer Zeit von bis zu 10–15 Minuten aus, die das Virus, bspw. nach einem Hustenanfall einer infizierten Person, in Tröpfchenform noch in der Luft schweben könnte, wobei es in dieser Zeit anteilig auch bereits zu Boden sinkt und sich die Infektiösität schrittweise erniedrigt. Wird das Virus jedoch aerosolisiert, bspw. durch Manipulationen und vor allem invasive Maßnahmen an der betroffenen Schleimhaut, ergibt sich eine entsprechend höhere Infektiösität und Ansteckungsgefahr [3] [4].


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COVID-19

Patienten, die sich mit SARS-CoV-2 infizieren, erkranken an COVID-19 (Abkürzung für: Corona virus disease 2019). Der Erregernachweis erfolgt mithilfe der Polymerase-Kettenreaktion (PCR). Das Material ist dem Rachen oder der Nase zu entnehmen, wo das Virus im Frühstadium der Erkrankung repliziert. Falsch-negative Resultate sind möglich in Abhängigkeit vom individuellen Krankheitsstadium bzw. der individuellen Inkubationszeit oder auch der Qualität der Abstrichentnahme. Auch der Ort der Virusreplikation könnte eine Rolle spielen, so dass Patienten in der Nase negativ sein könnten, im tiefen Rachen aber positiv. Eine multilokuläre Abstrichentnahme könnte das Risiko falsch-negativer Resultate reduzieren [5]. In späteren Krankheitsstadien ist bei hospitalisierten Patienten auf Intensivstationen die Sekretgewinnung aus der Lunge (bronchoalveoläre Lavage, tracheales Aspirat) sinnvoll, da dann kaum noch Virusreplikation im Pharynx stattfindet.

Die Infektion durch SARS-CoV-2 zeichnet sich durch eine große Varianz des klinischen Bilds aus. Während der Manifestationsphase dominieren grippe-ähnliche Symptome, aber manche Personen – insbesondere junge – sind asymptomatisch. Das häufigste Symptom stellt Fieber dar gefolgt von Husten. Der Husten ist trocken, nicht produktiv, die Schleimproduktion ist gering. Eine Rhinitis scheint eher ein untypisches Symptom für COVID-19 zu sein. Ein Halskratzen wird regelmäßig beschrieben, seltener auch Durchfall [6] [7] [8]. Diese Symptome bauen sich über einen Zeitverlauf von 3–5 Tagen auf; ein Verlauf, der recht gute Unterscheidungsmöglichkeiten zu einem grippalen Infekt oder auch zur Influenza bietet, bei welcher man relativ plötzlich krank wird, relativ schnell starke Symptome entwickelt mit Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen bei einem hohen Krankheitsgefühl ([Tab. 1]).

Tab. 1

Unterschiede zwischen der Influenza und COVID-19.

Influenza

COVID-19

Virus 

Influenzavirus

Coronavirus

Hauptmanifestation 

Atemwege

Atemwege

Übertragungsweg 

Tröpfcheninfektion (am häufigsten), Schmierinfektion (seltener)

Tröpfcheninfektion (evtl. auch Schmierinfektion)

Inkubationszeit 

1–2 Tage

3–14 Tage

Ansteckungszeitraum zwischen den Infektionsketten 

3 Tage

5–6 Tage

Schwere Krankheitsverläufe 

In etwa 5 %: Kinder, Schwangere, ältere Personen, chronisch Kranke

In etwa 15 %: ältere Personen, chronisch Kranke

Behandlung 

Schutzimpfung, antivirale Medikamente

aktuell nur supportive Maßnahmen

Daten aus China zufolge nehmen 80 % der COVID-19-Fälle einen eher milden Verlauf, wohingegen 15 % der Patienten schwer erkranken [7]. Es könnten jedoch auch mehr als 80 % der Fälle asymptomatisch verlaufen und dann, weil nicht getestet, unerkannt bleiben. Fest steht, dass wir mit den erkannten Fällen immer nur die Spitze eines Eisbergs sehen und wir davon ausgehen müssen, dass viele unserer Patienten in den nächsten Wochen unerkannte CoV-2-positive Patienten sind.

Aktuell gehen die meisten Experten davon aus, dass das Sterberisiko bei COVID-19 für die Gesamtpopulation bei knapp 0,5–0,8 % liegt und damit um ein Vielfaches höher als bei der saisonalen Grippe, die nach Schätzungen des RKI ein Sterberisiko von 0,1 bis 0,2 % hat.


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Welche Rolle spielt eine Riechstörung?

Ein gerade auch aus HNO-Sicht äußerst interessantes Symptom ist die Riechstörung, die für Patienten in sämtlichen betroffenen Ländern beschrieben wurde und bei bis zu zwei Dritteln aller infizierten Patienten bestehen soll. Eine erste Analyse der Kölner Patienten und von Rückmeldungen in der weltweiten Medienlandschaft (bislang liegen keine reliablen Daten und keine wissenschaftlichen Studien vor) zeigt, dass es sich eher um Spätsymptom von passagerer Natur zu handeln scheint. Von einer postinfektiösen Riechstörung nach einer Rhinitis oder einem anderen Infekt der oberen Atemwege scheint die COVID-19-Riechstörung gut abgrenzbar zu sein: Die meisten entsprechenden Patienten beschreiben einen eher plötzlich einsetzenden, nahezu vollständigen Riechverlust (d. h. meist Anosmie, seltener Hyposmie), wenngleich die bisherigen Erkenntnisse hierzu nicht mittels validierter Riechtests, sondern rein durch anamnestische Erfragung der Symptome ermittelt wurden. Auch liegen im Gegensatz zur (post)infektiösen Riechstörung während oder nach einer Rhinitis bei COVID-19-Patienten in der Regel seltener weitere nasale Symptome wie eine Nasenatmungsbehinderung, nasale Obstruktion, klinisch manifeste Rhinitis oder eine übermäßige nasale Sekretion vor [9]. Über welchen Pathomechanismus das Virus zu einer Schädigung des Nervus oder Bulbus olfactorius führt (der Schmecksinn ist in der Regel erhalten), ist ebenfalls bislang nicht bekannt [10]. Fest steht jedoch: Eine neuaufgetretene Riechstörung bei einem ansonsten gesunden Patienten sollte aktuell jede HNO-Ärztin und jeden HNO-Arzt hellhörig werden lassen und entsprechende Patienten sollten bis auf Weiteres als infektiös angesehen werden. Sofern die Kapazität besteht, sollte aktuell ein Abstrich zur PCR-Testung auf SARS-CoV-2 angestrebt werden. Sofern keine Testkapazität besteht und auch keine weiteren Symptome bestehen, empfiehlt sich aktuell die vorsorgliche häusliche Isolierung (Quarantäne) für 14 Tage.


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Risikogruppen

Die meisten schwerwiegenden Erkrankungen und auch Todesfälle treten in der älteren Population (etwa ab dem Rentenalter) auf. Auch Patienten mit chronischen Erkrankungen, insbesondere chronischen Lungenerkrankungen wie COPD oder Asthma, aber auch kardiale Vorerkrankungen, pulmonale Hypertonie, ein erhöhter BMI, chronisches Nierenversagen und Diabetes, stellen eine Risikogruppe dar. Das höchste Risiko besteht für Personen, die sowohl alt als auch chronisch krank sind. Studien aus China und aktuelle aus Italien und anderen Ländern zeigen, dass unter COVID-19-Erkrankten älter als 80 Jahre das Risiko für einen tödlichen Verlauf der Erkrankung etwa 20 % beträgt.

Aber auch junge Menschen können schwer an COVID-19 erkranken, intensiv- und beatmungspflichtig werden und in seltenen Fällen auch sterben. Eine mögliche Ursache bei diesen (insgesamt zum Glück bislang noch seltenen Fällen) könnten etwaig vorliegende starke Komorbiditäten sein. Eine andere durch den Virologen Christian Drosten von der Berliner Charité formulierte Hypothese besagt, dass betroffene Patienten eine hohe Virusdosis direkt in die Lunge eingeatmet haben könnten, so dass sich das Virus direkt in den tieferen Atemwegen vermehren konnte, ohne zuvor im Pharynx eine Immunreaktion auszulösen. Weltweit gibt es bislang keinen einzigen COVID-19-Todesfall bei einem Kind < 10 Jahre.


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Die HNO-Spiegeluntersuchung

Bei der HNO-Spiegeluntersuchung stellen transorale und transnasale diagnostische oder therapeutische Prozeduren am wachen Patienten ein besonderes Risiko dar. Der hohe Standard, bei jedem Patienten eine vollständige HNO-Spiegeluntersuchung durchzuführen, kann bei der aktuellen Gefährdungssituation nicht mehr aufrechterhalten werden bzw. nur für solche wenigen Patienten, bei denen per Abstrich eine Corona-Infektion ausgeschlossen ist. Auch Personen, die aufgrund einer schon durchgemachten Infektion eine Immunität besitzen und das Virus nach derzeitigem Kenntnisstand dann auch nicht mehr weitergeben können, können problemlos und vollständig untersucht werden. Für alle anderen Patienten empfiehlt sich aktuell eine allein symptombezogene HNO-Untersuchung.

Nicht empfohlen wird, den Würgereiz eines Patienten durch die Applikation eines Lokalanästhesie-Sprays zu verringern, da gerade Sprays durch die Aerosol-Form zu einer erhöhten Virusmobilität und erhöhten Ansteckungsgefahr führen könnten.

Starre und flexible Endoskopien des oberen Aerodigestivtraktes stellen eine Hoch-Risiko-Prozedur für eine Infektion dar. Hier sollten neben einem Mund-Nasen-Schutz in Form einer FFP2-Maske auch ein Schutzvisier für das gesamte Gesicht (diese sind in der Regel gut abwasch- und wiederverwendbar) getragen werden. Patienten, die husten oder niesen, sollten ihrerseits mit einem Mund-Nasen-Schutz versehen werden. Sofern eine Klinik oder Praxis nicht zu einem Corona-Screening-Zentrum gehört, empfiehlt es sich grundsätzlich, einen Patienten schon am Eingang einer Klinik oder Praxis zu screenen. Neben einer Anamnese für typische Symptome sowie einer Reiseanamnese empfiehlt sich hier auch eine Fiebermessung.

Eine Alternative zur Face-to-Face-Behandlung eines HNO-Patienten könnten Video- oder Telefonkonsultationen sein. Hierzu wären jedoch zunächst rechtliche Aspekte zu klären. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf den Beitrag „Patienten – Allein zu Haus. Aktuelle Rechtsfragen zur Fernbehandlung“ aus dem Justiziariat der DGHNO (Dr. A. Wienke) vom Juni 2019.

Inwiefern Mitarbeiter, die selbst einer Risikogruppe angehören, aktuell überhaupt in direkten Patientenkontakt treten sollen, ist abhängig von den lokalen Gegebenheiten und personellen Ausstattung individuell für jeden Standort zu entscheiden.


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HNO-Operationen

SARS-CoV-2 repliziert bei betroffenen Patienten massiv im Oro-und Hypopharynxbereich, es wird aber auch in der Mundhöhle und in der Nase gefunden. Transnasale und transorale Untersuchungen und insbesondere Operationen im Bereich von Nase, Mundhöhle und Rachenraum stellen eine besondere Gefahr dar, da hierbei im Falle eines SARS-CoV-2-positiven Patienten viele infektiöse Partikel in Aerosolform freigesetzt werden.

Ohroperationen könnten ebenfalls von einem erhöhten Risiko betroffen sein. Akute, chronische und rezidivierende Mittelohrentzündungen werden zu hohen Prozentsätzen durch Viren aus dem oberen Aerodigestivtrakt hervorgerufen, die über die Eustachsche Röhre das Mittelohr erreichen [11]. Während grippaler Infekte sind Viren fast immer auch im Mittelohr und Mastoidzellsystem nachweisbar und nicht zuletzt sind aus diesem Grund auch Stapesplastiken bei Patienten mit bspw. einer akuten Rhinitis kontraindiziert. Hinzu kommt im Mastoidbereich noch die Bohrtätigkeit, die infektiöse Partikel noch stärker als im Bereich der Nase freisetzt und in der Umgebungsluft zirkulieren lässt.

Eingriffe am äußeren Hals ohne Eröffnung von Pharynx, Trachea bzw. Ösophagus stellen nach aktueller Meinung kein erhöhtes Risiko für eine Infektion dar.

Als HNO-Ärzte müssen wir auch in diesen Zeiten unserem Grundversorgungsauftrag für die Bevölkerung so weit wie möglich und wie medizinisch sowie epidemiologisch vertretbar nachkommen. Wir können in diesen Zeiten nicht nur für COVID-19-Patienten da sein. Über die gesamte Zeit hin, die die Coronavirus-Pandemie besteht, werden HNO-Notfälle auftreten, chronische HNO-Erkrankungen exazerbieren und HNO-Tumorneuerkrankungen diagnostiziert und behandelt werden müssen. Auch die frühzeitige CI-Versorgung eines beidseits taub geborenen Kindes kann schwerlich über die sensible Phase des Spracherwerbs hinausgezögert werden, insbesondere wenn unklar ist, wie lange die jetzigen Restriktionen noch dauern. Bedacht werden sollte zudem, dass auch wenn der Operateur durch FFP2-Maske und Schutzvisier gut geschützt wäre, eine Ansteckungsgefahr im Falle eines COVID-19-Patienten dennoch für das restliche Personal im OP bestünde, so z. B. die OP-Pflege und insbesondere die Mitarbeiter der Anästhesie, gerade während der In- und Extubation und auch in der Aufwachraumphase, in welcher die Reflexe eines Patienten noch vermindert sind, Sekret vermehrt abgehustet wird, anstatt es runterzuschlucken etc.

Auch sind nach einer Operation sowohl bei ambulanten, aber insbesondere bei stationären Fällen in der Folge die Pflegekräfte auf der Station durch eine Infektion gefährdet, und zwar durch jeden einzelnen Patienten, dessen Operation nicht absolut dringlich und klar zum jetzigen Zeitpunkt indiziert ist [6].

Im besten Fall, und so wird es in der Kölner Uniklinik bspw. gehandhabt, erfolgt unmittelbar vor geplanten dringlichen Operationen ein Abstrich der Patienten, so dass für alle beteiligten Behandler Sicherheit herrscht.

Grundsätzlich sollte jedem klar sein, dass aktuell bei ärztlichen Behandlungen nur eine minimale Personenanzahl im Raum bzw. OP-Saal sein sollte. Dies hat Auswirkungen auf die Ausbildungen, sowohl auf Ebene der Ärzte in Weiterbildung als auch für Studierende im Praktischen Jahr. Aktuell muss die Ausbildung von Ärzten in Weiterbildung, die Fortbildung von Fachärzten und auch die Anleitung von Studierenden (bspw. auch im Praktischen Jahr) hinter dem Allgemeinwohl zurückstehen. Höchste Priorität hat aktuell der Gesundheitsschutz für jeden einzelnen, Patienten wie Behandler. In dieser Konsequenz sollten operative Eingriffe vorrangig und wenn möglich ausschließlich durch solche Ärzte durchgeführt werden, die die größtmögliche Expertise für den Eingriff mitbringen und diesen vollständig durchführen können. Nicht zuletzt bedeuten Wechsel des Operationsteams nicht nur eine erhöhte Anzahl exponierter Personen, sondern auch einen erhöhten Verbrauch an aktuell wichtigen und knapper werdenden Ressourcen, wie insbesondere den chirurgischen Mund-Nasen-Schutz. Diese Strategie könnte sich erst ändern, wenn einerseits die Materialverfügbarkeit besser wird und andererseits der Infektionsstatus eines Patienten sicher bekannt wäre.

Aus den vorgenannten Gründen kann die aktuelle Empfehlung auch für unser Fachgebiet in Übereinstimmung mit der Aufforderung des Bundesgesundheitsministers nur lauten, bis auf Weiteres nur noch dringende Operationen durchzuführen. Restriktiv gehandhabt und indiziert werden sollten insbesondere solche operativen Fälle, für die postoperativ ein Intensivbett benötigt würde. Die Ressource Intensivbett mag aktuell an einigen Standorten sogar noch gut verfügbar sein. Jedoch ist die Dauer eines Intensivstation-Aufenthaltes selten mit genügender Sicherheit vorhersagbar, so dass bereits jetzt die Indikation derartiger Operationen auf den Prüfstand gestellt werden sollte. Zu prüfen sind in diesen Fällen in erster Linie Verschiebungen des Operationstermins oder auch nicht-operative Behandlungsalternativen.


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Besondere Exposition von HNO-Ärztinnen und -Ärzten

HNO-Ärztinnen und -Ärzte sind gegenüber dem Coronavirus besonders exponiert, maßgeblich bedingt durch die HNO-Spiegeluntersuchung, die notwendigerweise in unmittelbarem Abstand zu den Orten der stärksten Virusreplikation in einem COVID-19-positiven Patienten stattfindet. Insbesondere transnasale und transorale Untersuchungen, teilweise unter Auslösung eines Würge- oder Hustenreflexes, stellen eine sehr ernst zu nehmende Infektionsgefahr dar. Dieses Risiko teilen wir mit Vertretern anderer medizinischer Fachgebiete, insbesondere Augenärzten, Anästhesisten, Pulmonologen und Zahnärzten, die allesamt gegenüber respiratorischen Sekreten exponiert sind. Berichten aus China, Italien und Iran zufolge stellen HNO-Ärztinnen und -Ärzte unter allen medizinischen Fachdisziplinen die Arztgruppe, die am häufigsten mit SARS-CoV-2 infiziert werden und am häufigsten an COVID-19 versterben. Im Bewusstsein dieser Erkenntnis müssen gerade HNO-Ärztinnen und -Ärzte bei ihrer Arbeit am Patienten in diesen Zeiten eine besondere Vorsicht walten lassen und immensen Wert auf den Eigenschutz legen [6]. Die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie empfiehlt im Rahmen ihres sehr lesenswerten HNO-Corona-News-Tickers (www.hno.org/de/corona) eine anteriore Rhinoskopie und eine endoskopische Untersuchung der Nase ab sofort nur nach äußerst strenger Indikationsstellung.

In diesem Zusammenhang muss jedem Arzt bewusst sein, dass das angesprochene Risikoalter nicht nur auf Seiten der Patienten besteht, sondern auch auf Seiten der Ärzte bzw. aller medizinischen Leistungserbringer, seien es Pflegekräfte, Arzthelferinnen oder Arzthelfer. Bezüglich des Alters scheint hier eine gewisse Risikogrenze bei ca. 60 Jahren zu bestehen. In Kenntnis des vorgenannten könnte es gerade in größeren Abteilungen durchaus diskussionswürdig sein, Ärzte (und andere medizinische Leistungserbringer), die einer Risikogruppe angehören, von der direkten Patientenbetreuung abzuziehen. Zu diesen Risikogruppen könnten insbesondere Personen ab dem Alter 60 Jahre zählen und solche mit bestimmten chronischen Vorerkrankungen, wobei erneut die Kombination von beidem eine Potenzierung des Risikos darstellen dürfte.


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Die weitere Rolle der HNO während der Coronavirus-Pandemie

HNO-Ärzte sind von jeher in Kliniken neben den Anästhesisten für das „Upper-Airway-Management“ zuständig, gerade auch bei Patienten mit schwierigem Atemweg. Es erscheint nicht vermessen anzunehmen, dass keine andere Berufsgruppe hier mehr Expertise hat als HNO-Ärzte. In dieser Konsequenz könnte HNO-Ärzte an einigen Standorten in der Zukunft eine entscheidende Rolle zukommen, und zwar dann, wenn Anästhesie- und Intensivkräfte vermehrt krankheitsbedingt ausfallen. HNO-Ärzte dürften in diesen Situationen die erste Berufsgruppe sein, auf die man für Intubation bzw. die Atemwegssicherung zurückgreift.

Tracheostomien sind eine regelmäßig auf Intensivstationen durchgeführte Maßnahme zur vereinfachten Beatmung von langzeitintubierten Patienten bzw. zum besseren Weaning. Bei COVID-19-Patienten hingegen könnten Tracheostomien auf der Intensivstation weniger relevant sein. COVID-19 führt zu einer interstitiellen Pneumonie ohne wesentliche Mengen an Schleimproduktion, wodurch dem Absaugen von pulmonalem Sekret weniger Bedeutung zukommt. Überdies führt COVID-19 wohl eher selten zu tatsächlichen Langzeitintubationen. Die durchschnittliche Beatmungszeit liegt nach bisherigen Erkenntnissen bei etwa 1 Woche. Nach dieser Zeit scheinen sich die Schicksale der meisten Patienten aufzuteilen in beatmungspflichtige Patienten, die sich klinisch verbessern und von der Beatmung loskommen und solche Patienten, die sich weiter verschlechtern und schlussendlich versterben. Grundsätzlich stellen Tracheostomien bei COVID-19-Patienten eine Hochrisikoprozedur dar, da auch hier Aerosole produziert werden und tracheales Sekret hochinfektiös ist [12].

Wie alle Fachgebiete und die gesamte Medizin warten auch auf die HNO-Heilkunde immense Herausforderungen in den nächsten Wochen. Aktuell stehen Vorbereitungen, der Wegfall von Elektivleistungen und der Selbstschutz im Vordergrund, gerade auch unter den HNO-Ärzten, die gegenüber dem Coronavirus in besonderem Maße exponiert sind. Bleiben wir gesund, damit wir unseren Patienten weiterhelfen können.

Fazit für die Praxis
  • Die Coronavirus-Erkrankung 2019 (COVID-19) stellt alle medizinischen Fachbereiche vor immense Herausforderungen.

  • Die Erkrankung verläuft in der Mehrzahl der Fälle mild, in bis zu 15 % der Fälle treten schwere Verläufe auf.

  • Die wesentliche Risikogruppe stellen ältere Menschen ab ca. 60 Jahren und chronisch Kranke dar.

  • Die Vermeidung von Infektionen und insbesondere Infektionsketten im klinischen Krankenhauspersonal ist essentiell.

  • Elektive Operationen sind abzusagen und die Präsenz von Personen auf ein Minimum zu reduzieren.

  • HNO-Ärztinnen und -Ärzte stellen unter den Ärzten eine besonders exponierte Gruppe dar und müssen auf einen besonders hohen Selbstschutz achten.

  • Durch ihre Expertise im Bereich des Managements des oberen Atemwegs könnten HNO-Ärztinnen und -Ärzten in einigen Bereichen entscheidende Rollen während der Coronavirus-Pandemie in Krankenhäusern zukommen.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Jan-Christoffer Lüers
Universität zu Köln, Medizinische Fakultät und Uniklinik Köln, Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie
50924 Köln
Phone: ++ 49/2 21/4 78 47 50   
Fax: ++ 49/2 21/1 42 65 93   

Publication History

Article published online:
26 March 2020

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