Einrichtungen mit sozialmedizinischen Aufgaben wie Gesundheitsämter,
sozialmedizinische Dienste, einschlägige Beratungsstellen in Kliniken usw.
und ihre Mitarbeiter mit sozialmedizinischer Kompetenz, dazu gehören auch
die Mitglieder der DGSMP in ihren jeweiligen Tätigkeitsbereichen, leisten
wichtige Beiträge zur Krisenbewältigung und sind dabei oft auch
Vorbild. Ihre Aufgaben betreffen insbesondere die Wechselwirkungen zwischen der
gesundheitlichen Situation der Bevölkerung, der Wirksamkeit des
Gesundheitssystems im Verlauf der Pandemie und den pandemiebezogenen
Aktivitäten in der Gesellschaft. Bisher fehlt eine kausale Therapie gegen
das Corona-Virus.
Zur Förderung der Akzeptanz in der Bevölkerung und der
Effektivität notwendiger, das tägliche Leben belastender
Einschränkungen und Verbote zur Bewältigung der Coroner-Krise,
können sozialmedizinische Orientierung und präventivmedizinisches
Wissen und Handeln in folgenden 3 Bereichen wesentliche Beiträge
leisten:
-
Information und Kommunikation
-
Versorgungsgerechtigkeit, Versorgungssysteme
-
Solidarität, Gesundheitschancen für alle
Information und Kommunikation
Information und Kommunikation
Sozialmedizin verfügt über wissenschaftliche Methoden und Erfahrungen
in der Epidemiologie und der Gesundheitsberichterstattung (GBE) sowie der
Transformation der Erkenntnisse auf die jeweilige Handlungsebene.
Menschen brauchen in der Zeit der Pandemie, bestmögliche, umfassende,
fachlich fundierte Informationen zu Fakten, Bewertungen und Perspektiven aus
vertrauenswürdigen Quellen, insbesondere der Wissenschaft, um
Maßnahmen der Prävention und präventives Verhalten zu
verstehen und ohne äußeren Zwang in ihr Leben zu integrieren, um
vermeidbare Ängste abzubauen und Immunität zu entwickeln gegen Fake
News und gezielte Fehlinformationen.
In kurzen Abständen neu erhoben Fakten und bevölkerungsbezogene
Aussagen zur Pandemie dienen dem Gesundheitsschutz. Insbesondere vorläufige
Lagebeurteilungen in einem dynamischen Prozess bedürfen der
sorgfältigen fachlichen Interpretation ihrer Aussage, um
unbegründete oder gezielte Fehldeutungen zu verhindern.
Gesundheitsbezogene Informationen, Befunde und Bewertungen der Bundesebene
bedürfen für die Übertragung ihrer Wertigkeit auf die
Landesebene und die kommunale Ebene, der in besonderem Maß
bevölkerungsrelevanten Handlungsebene, der sorgfältigen
sachverständigen Prüfung und zielgerichteten Anwendung vor Ort.
Besonders in der Zeit der Pandemie sind kommunale Institutionen mit
sozialmedizinischer Kompetenz wie Gesundheitsamt, Sozialamt, Krankenkassen,
Selbsthilfeeinrichtungen und andere lokale Akteure zur Kooperation untereinander und
mit den Bürgerinnen und Bürgern aufgerufen, im Interesse der
Gesundheit aller.
Versorgungsgerechtigkeit, Versorgungssysteme
Versorgungsgerechtigkeit, Versorgungssysteme
Sozialmedizin verfügt über normatives Wissen aus medizinischer Ethik,
aus Medizin- und Sozialrecht und zur Struktur und Funktion des Gesundheitssystems.
Angesichts der Corona-Pandemie mit rasanten Veränderungen der
öffentlichen Gesundheit und befürchteter Überlastung
stationärer Behandlungseinrichtungen gilt es, gesundheitspolitische
Entscheidungen der Bevölkerung zu erklären. Das Coronavirus hat die
Welt im Griff und schafft für jeden Einzelnen eine vollkommen neue Situation
bezüglich der Sorge füreinander und um die eigene Gesundheit.
Der bisherige Verlauf der Corona-Krise hat erhebliche Defizite in der
präventiven Gesundheitsversorgung (Fehlen von Schutzausrüstungen,
Desinfektion u. a.) aufgezeigt und sowohl prosoziales als auch egoistisches
Verhalten von Menschen als Reaktion darauf offengelegt. Unsoziales Verhalten
gefährdet die Umsetzung von Gerechtigkeit in der gesundheitlichen
Versorgung, das Recht jedes Menschen auf subsidiäre Solidarität
hinsichtlich der bestmöglichen medizinischen Versorgung gegenüber
existenzbedrohenden Risiken.
Das Urteil über eine gerechte Verteilung knapper Ressourcen fällt in
der Bevölkerung offensichtlich kontrovers aus, wenn es zu
Einschränkungen der eigenen Bedürfnisbefriedigung kommt. In
Mangelsituationen ist das ethische Problem der Versorgungsgerechtigkeit im
Gesundheitswesen im Wesentlichen ein Verteilungsproblem. Eine
sozialverträgliche Verteilung von Gesundheitsleistungen erfolgt unter der
Maxime der Priorisierung entsprechend der Bedarfsgerechtigkeit abhängig vom
Hilfebedarf.
Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und
Notfallmedizin hat am 25.03 2020 klinisch-ethische Empfehlungen zu
„Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall-
und der Intensivmedizin im Kontext der COVID-19-Pandemie“ vorgelegt. Dazu
wurden auch Verfahren und Kriterien für Priorisierungsentscheidungen
formuliert.
Auch in der gesundheitsbezogenen Prävention ist Priorisierung ein Verfahren,
in dem die Vorrangigkeit bestimmter Schutzmaßnahmen, z. B. die
Expositionsvermeidung gegenüber dem Coronavirus, vor anderen Interessen
festzustellen ist. Die Akzeptanz der Priorisierung in der Prävention und in
der Gesundheitsversorgung hängt, neben der Transparenz im Vorgehen,
maßgeblich davon ab, wer priorisiert und mit welcher Legitimation und nach
welchen Kriterien dies in der konkreten Situation, z. B. bei einem Mangel an
Beatmungsplätzen geschieht.
Solidarität, Gesundheitschancen für alle
Solidarität, Gesundheitschancen für alle
Solidarität mit den Bedürftigen ist die Begründung
für die Forderung nach einer sozialen Medizin. Während der
Corona-Pandemie erfährt der Begriff „Solidarität“ in
der öffentlichen Diskussion eine Renaissance. Solidarisches Handeln
erhält eine neue Wertigkeit in der einschließlich ihrer
Zukunftsperspektive verunsicherten Gesellschaft.
Solidarität im Gesundheitsbereich steht primär als Leitmotiv
für Verbundenheit und Hilfsbereitschaft des für seine Aufgaben
hochmotivierten Personals der Gesundheits- und Pflegedienste mit hilfesuchenden
Menschen. Bei vielen Mitarbeitern im Gesundheitswesen (Pflegende, Ärzte und
Angehörige anderer Heilberufe) initiiert aber der Begriff
Solidarität auch eine ethisch-politische Begründung für ein
neues Zusammengehörigkeitsgefühl der Betroffenen nach einer
für sie immer belastender werdenden Epoche der Ökonomisierung des
Systems mit neoliberal geprägten Rentabilitätsvorgaben.
Solidarität in der Gesellschaft zum Schutz der Gesundheit umfasst auch den
Arbeitsschutz für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen. Das umfasst einen
ausreichenden Gesundheitsschutz gegenüber den Gefahren durch das
Corona-Virus SARS-CoV-2 und ebenso einen wirksamen Schutz vor einem Burnout der
Mitarbeiter in Beratungs- und Pflegediensten durch
übermäßige Belastungen, insbesondere bei chronischem
Personalmangel.
Die Diskussion über die Bewältigung der Corona-Pandemie in der
Bevölkerung und unter den Mitarbeitern des hochgradig belasteten
Gesundheitswesens beinhaltet aber auch die Chance zur Festigung der
Solidarität in der Gesellschaft in der Zukunft. - Ohne dass wir genau
wissen, wann diese beginnt: die Grundlagen dafür werden schon heute
gelegt.