Der Urinstreifentest
Meist wird zuerst eine einfache und kostengünstige Urinstreifentest-Untersuchung durchgeführt.
Allerdings ermöglicht sie bei einigen Parametern (Albuminmenge, Erythrozyten- und
Leukozytenzahl) nur eine grobe, semiquantitative Abschätzung – genaue Mengenangaben
oder eine Aussagen zur Morphologie sind nicht möglich.
Merke
Durch einen Urinstreifentest ist häufig keine abschließende differenzialdiagnostische
Einordnung möglich – dieser Limitation sollten sich alle Ärzte bewusst sein.
Für die korrekte Gewinnung eines Spontanurins sollte:
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körperliche Anstrengung vorher vermieden werden
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die Urinuntersuchung während der Menstruation vermieden werden
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Frauen die Labien spreizen, Männer die Vorhaut zurückziehen
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Mittelstrahlurin gesammelt werden [3]
Allgemeine Urinparameter
Farbe
Normalerweise ist Urin gelb gefärbt – eine Farbe, die von gelösten Urochromen herrührt.
Andersfarbiger Urin kann unterschiedliche Ursachen haben:
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rötlicher Urin:
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Hämaturie
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Medikamente (Rifampicin, Phenytoin)
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Genuss von Lebensmitteln (Rote Bete, Senna)
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Porphyrie
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brauner Urin:
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nachdunkelnder Urin:
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grüner Urin:
pH-Wert
Der pH-Wert des Urins liegt in einem Bereich von 5,0 – 8,5 und wird meist mit Urinstreifentests
bestimmt. Insbesondere bei bestimmten Störungen des Säure-Basen-Haushaltes und bei
einigen Formen der Nephrolithiasis ist die Bestimmung relevant.
Osmolalität
Die Osmolalität lässt sich am genauesten laborchemisch mit einem Osmometer bestimmen.
Ein typischer klinischer Einsatz ist z. B. die differenzialdiagnostische Abklärung
einer Hyponatriämie oder einer Polydipsie.
Proteinurie
Die tägliche renale Ausscheidung aller Proteine beträgt weniger als 150 mg/d – üblicherweise
40 – 80 mg.
Die Albuminausscheidung liegt üblicherweise < 20 mg/d. Eine anhaltende Albuminurie
zwischen 30 und 300 mg/d bezeichnet man als Mikroalbuminurie, bei > 300 mg/d spricht
man von einer manifesten Proteinurie.
Merke
Eine Proteinurie ist ein wichtiges Leitsymptom renaler Erkrankungen und ein eigenständiger
Faktor in der Pathophysiologie der renalen Progression.
Unter einer isolierten Proteinurie versteht man eine Proteinurie ohne Auffälligkeiten
im Urinsediment (z. B. Hämaturie) oder einer Reduktion der glomerulären Filtrationsrate.
Man kann 4 Arten einer Proteinurie unterscheiden ([Tab. 1]):
Tab. 1 Klassifikation der Proteinurie.
Art der Proteinurie
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Charakteristika
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typische Auslöser
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glomeruläre Proteinurie
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Erhöhte glomeruläre Filtration von Plasmaproteinen bei glomerulären Defekten.
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Glomerulonephritis
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tubuläre Proteinurie
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Niedermolekulare Proteine werden bei einer Molekulargröße von < 25 000 Dalton frei
im Glomerulum filtriert und bei einem tubulären Schaden im proximalen Tubulus nicht
mehr komplett reabsorbiert.
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tubulärer Schaden
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Überlaufproteinurie
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Erhöhte Ausscheidung von Proteinen aufgrund einer Überproduktion mit Überschreitung
der proximalen Rückresorptionskapazität.
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Leichtkettenerkrankungen
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postrenale Proteinurie
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Meist handelt es sich hier nicht um Albumin, sondern häufig um Immunglobuline in geringer
Menge.
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Entzündungen der ableitenden Harnwege
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Von einem nephrotischen Syndrom spricht man bei:
Verfahren der Proteinbestimmung
Qualitative Verfahren
Qualitative Verfahren zur Proteinbestimmung im Urin sind:
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Seit der Einführung von Streifentests wird eine Bence-Jones-Proteinurie häufiger verpasst,
daher empfiehlt sich eine Sulfosalicylsäure-Probe als Zusatztest zum Streifentest. So können auch Leichtketten im Urin detektiert werden.
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Immunelektrophorese: Durch Einsatz spezifischer Antiseren kann sich ein Hinweis auf eine monoklonale Leichtkettenerkrankung
finden.
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Die Immunfixation liefert den sichersten Beweis einer Monoklonalität.
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Die SDS-PAGE (Natriumdodecylsulfat-Polyacrylamidgelelektrophorese) trennt die Proteine entsprechend
ihres Molekulargewichts auf. Insbesondere bei einer Proteinurie von < 2 g/d kann ein
geübter Untersucher mittels SDS-PAGE zwischen tubulärer, kleinmolekularer und glomerulärer
Proteinurie unterscheiden. Allerdings ist die SDS-PAGE als diagnostische Methode eher
experimentell und nicht breit etabliert.
Quantitative Verfahren
Die semiquantitativen/quantitativen Verfahren zur Proteinbestimmung im Urin sind in
[Tab. 2] zusammengefasst.
Tab. 2 Verschiedene Methoden der Proteinbestimmung.
Methode
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Vorteile
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Nachteile
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Urinstreifentest
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niedrige Sensitivität hinsichtlich tubulärer Proteine und Leichtketten-Immunglobuline
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grobe, semiquantitative Methode – nicht geeignet im Therapie-Monitoring
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24-h-Sammelurin
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Eiweiß-Kreatinin-Quotient im Spontanurin
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erfordert Bestimmung von 2 Substanzen (Eiweiß und Kreatinin)
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starker Einfluss der Urin-Kreatininkonzentration
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hohe Variabilität der Proteinkonzentration über den Tag
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höheres Risiko eines analytischen Fehlers
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höhere Kosten
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weniger geeignet im Therapie-Monitoring
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Verfahren zum Therapie-Monitoring
Um eine Proteinurie unter Therapie im Verlauf beurteilen zu können, empfehlen wir
folgendermaßen vorzugehen:
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initiale 24-h-Sammelurinmessung und gleichzeitige Bestimmung des Eiweiß-Kreatinin-Quotienten
im Spontanurin
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bei initial vergleichbaren Werten dann im Verlauf alleinige Messungen des Eiweiß-Kreatinin-Quotienten
im Spontanurin
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Vor einer relevanten klinischen Entscheidung (z. B. Therapieänderung) sollte eine
24-h-Sammelurinmessung wiederholt werden.
Urinsediment: mikroskopische Untersuchung
Die Untersuchung des Urinsediments erbringt zahlreiche wertvolle Hinweise, stellt
aber leider mittlerweile „eine vergessene/verlassene Kunst“ dar [4], [5].
Wichtige Voraussetzungen sind:
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korrekte Gewinnung eines Spontanurins
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Expertise bei der Beurteilung der wichtigsten Urinbestandteile
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Fachkompetenz bei der klinischen Wertung [1]
Vorgehen: Kurzanleitung Urinsediment-Untersuchung
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optimal: Gewinnung eines zweiten Morgenurins
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Untersuchung innerhalb von 2 bis 3 Stunden
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Zentrifugieren eines 10-ml-Aliquots mit 400 G über 7 Minuten
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Abkippen von 9,5 ml
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Resuspendieren von 0,5 ml (mit Pipette)
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20 µl auf einen Objektträger geben
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Abdecken mit einem Deckglas
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Phasenkontrastmikroskopie
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Übersicht der Zellverteilung (10er-Objektiv)
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mikroskopische Zählung (20er-Objektiv; z. B. Fuchs-Rosenthal-Zählkammer)
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Beurteilung der Zellmorphologie (40er-Objektiv)
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Erstellen eines standardisierten Befundes
Erythrozyten
Erythrozyten haben einen Durchmesser von 4 – 7 µm. Man muss normal geformte von sogenannten
dysmorphen (verformten) Erythrozyten und Akanthozyten unterscheiden ([Abb. 1]) [6].
Abb. 1 Erythrozyten im Urinsediment. a Erythrozyten, Leukozyten und Erythrozytenzylinder. b vergrößerter Akanthozyt.
Merke
Der Nachweis von > 5% Akanthozyten hat eine hohe Spezifität (98 – 100%) für das Vorliegen
einer glomerulären Hämaturie bei niedriger Sensitivität [7], [8].
Dysmorphe Erythrozyten müssen in einem deutlich höheren Prozentsatz (30 – 80%) vorliegen,
bevor eine glomeruläre Hämaturie zu vermuten ist.
Leukozyten
Im Urinsediment handelt es sich meist um neutrophile Leukozyten. Der Durchmesser dieser
Zellen beträgt 7 – 13 µm. Sie sind durch ihren lobulierten Kern und das granulierte
Plasma leicht identifizierbar ([Abb. 2]). Findet sich eine Leukozyturie ohne Keimnachweis, ist differenzialdiagnostisch
an eine interstitielle Nephritis, eine Tuberkulose oder eine atypische Infektion zu
denken. Durch Spezialfärbungen können eosinophile Leukozyten in Einzelfällen angefärbt
werden.
Abb. 2 Leukozyten und renal tubuläre epitheliale Zellen im Urinsediment.
Renal tubuläre Zellen
Renal tubuläre epitheliale Zellen sind 11 – 15 µm groß. Typisch ist ein gut sichtbarer
Kern mit Nukleolus ([Abb. 2]). Ein vermehrter Nachweis renal tubulärer Epithelzellen deutet auf einen tubulären
Schaden hin.
Bei einem akuten Nierenversagen im Bereich der Intensivmedizin werden die Zellen typischerweise
bei einer akuten Tubulusnekrose gefunden – hierzu sind einfach zu bestimmende Scores
publiziert. Zur Risikoprädiktion eines akuten Nierenversagens gibt es mittlerweile
auch leicht messbare Biomarker im Urin, die mit höheren Tubulusnekrose-Scores assoziiert
sind [9].
Zylinder
Zylinder entstehen durch Ausgüsse des Tubuluslumens. Beim hyalinen Zylinder ([Abb. 3 a]) handelt es sich vor allem um Tamm-Horsfall-Proteine. Diese können sich auch beim
Nierengesunden bilden (z. B. bei Exsikkose).
Abb. 3 Zylinder im Urinsediment. a Hyaliner (Wachs-) Zylinder. b Erythrozytenzylinder mit Hämoglobin. c G ranulierter Zylinder.
Wenn Erythrozytenzylinder zu finden sind, haben Erythrozyten den Weg durch das Glomerulum
in den Primärharn genommen und sich in der hyalinen Matrix eingelagert ([Abb. 3 b]). Granulierte Zylinder zeigen Einlagerungen aus Serumproteinen, Zelldetritus und
Fett ([Abb. 3 c]).
Kristalle
Bei der mikroskopischen Urinuntersuchung fallen einige Kristalle leicht auf (z. B.
Oxalatkristalle, [Abb. 4 b]); in seltenen Fällen sind allerdings ausgefeiltere Techniken notwendig, wie etwa
eine Polarisationsuntersuchung oder Infrarot-Spektroskopie.
Abb. 4 Kristalle im Urinsediment. a Kristalle. b Kalziumoxalat-Kristalle. c Kristalle mit Polarisationseinstellung.
Neuere Entwicklungen
Bei der Urinuntersuchung gibt es zwei spannende Entwicklungen: Zum einen wurden in
den letzten Jahren zahlreiche neue renale Urinbiomarker detektiert und validiert –
insbesondere zur Risikoprädiktion und Frühdiagnostik des akuten Nierenversagens [10]; zum anderen gibt es für größere Laboratorien mittlerweile auch automatisierte Systeme
zur Untersuchung des Urinsediments [11].
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