Bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn kann es mehrmals täglich zu Durchfällen mit
krampfartigen Bauchschmerzen kommen, auch in der Nacht. Drohende Mangelernährung ist
ein wichtiges Thema für die Ernährungsberatung. (Quelle: Kirsten Oborny, Thieme Gruppe)
Ernährung beginnt in der Regel mit der Nahrungsaufnahme über den Mund. Transport der
Nahrung, Verdauung und Aufnahme der Nährstoffe finden im Gastrointestinaltrakt statt.
Der Magen-Darm-Trakt, zentrales Erfolgsorgan der Ernährung, ist bei chronisch entzündlichen
Darmerkrankungen (CED), Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, direkt von entzündlichen
Veränderungen betroffen. Die Frage, ob Ernährungsgewohnheiten bei der Genese von CED
eine Rolle spielen und in welchem Umfang sie gegebenenfalls Beschwerden und Krankheitsverlauf
beeinflussen, ist daher prinzipiell berechtigt. Es ist auch zu erwarten, dass eine
entzündlich bedingte, gestörte Resorptionskapazität des Darms und reduzierte Nahrungsaufnahme
einen Nährstoffmangel zur Folge haben können. Ernährungsmedizinische Maßnahmen könnten
bei CED zum Beispiel auf den Erhalt eines ausreichenden Ernährungszustands und die
Besserung von Beschwerden abzielen. Darüber hinaus könnten möglicherweise auch die
Krankheitsaktivität und der Krankheitsverlauf Ziele ernährungstherapeutischer Interventionen
sein.
Ernährung und Pathogenese von CED
Ernährung und Pathogenese von CED
Wie chronisch entzündliche Darmerkrankungen exakt entstehen, ist bis heute nur unvollständig
bekannt. Neben zentralen pathogenetischen Faktoren, wie beeinträchtigter Barriereschutzfunktion
der Schleimhaut und einer pathologischen Immunreaktion, sind genetische Voraussetzungen
und Umwelteinflüsse, speziell bei Morbus Crohn auch Tabakrauchinhalation, als Auslöser
von Bedeutung.
Ob und inwieweit das Darmmikrobiom des Menschen einen Einfluss auf die Pathogenese
von CED hat, wird derzeit vermehrt wissenschaftlich untersucht.
Speziell die Ernährung hat einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Zusammensetzung
der intestinalen Mikrobiota.
Ältere Studien ließen für die Pathogenese von CED eine Bedeutung des Umfangs der Aufnahme
von raffiniertem Zucker, Industriefetten und tierischem Eiweiß sowie auch von vermindertem
Verzehr an Ballaststoffen vermuten. Gesicherte Informationen über Ernährungsgewohnheiten,
die eine CED auslösen oder gegebenenfalls auch vermeiden helfen könnten, liegen bis
heute nicht vor. Eine längere Stilldauer (> 6 Monate) scheint Säuglinge jedoch tatsächlich
vor späterer Manifestation einer CED zu schützen [1], [2], [3].
Mangelernährung und Mikronährstoffmangel
Mangelernährung und Mikronährstoffmangel
Häufiger werden bei akuten Schüben oder chronisch aktiven Krankheitsverläufen Symptome
einer Mangelernährung beobachtet. Bei der Genese einer Malnutrition im Rahmen von
CED spielen neben intestinalen Resorptionsstörungen und zu rascher Darmpassage mit
Diarrhö auch Faktoren wie Inappetenz, Schmerzen und Übelkeit eine Rolle. Folge ist
nicht selten eine reduzierte Nahrungsaufnahme bei gleichzeitig gesteigertem Energiebedarf.
Bei Morbus Crohn (20–70 % der Fälle) kann Mangelernährung durchaus als typisches Symptom
betrachtet werden, bei Colitis ulcerosa tritt sie weniger häufig auf [4]. Bei M. Crohn erhöht sich das Risiko einer Malnutrition durch ein postoperativ entstandenes
Kurzdarmsyndrom gegebenenfalls zusätzlich [5].
Das Screening auf Mangelernährung ist bei der Therapie von CED sehr wichtig.
Ein Body-Mass-Index (BMI) < 18,5 kg/m2, ein unbeabsichtigter Gewichtsverlust von > 10 % des Ausgangsgewichts in den letzten
3–6 Monaten oder ein BMI < 20 kg/m2 und unbeabsichtigter Gewichtsverlust > 5 % in den letzten 3–6 Monaten gelten dabei
als wichtige Hinweise auf eine Malnutrition. Der Verdacht sollte dann durch spezielle
diagnostische Maßnahmen weiter abgeklärt werden, z. B. durch eine Bioimpedanzanalyse
(BIA).
Hinweise auf Mangelernährung bei CED
-
Body-Mass-Index (BMI) unter 18,5 kg/m2
-
Gewichtsverlust von mehr als 10 % in 3–6 Monaten
-
BMI unter 20 kg/m2 plus Gewichtsverlust von mehr als 5 % in 3–6 Monaten
(modifiziert nach DGEM)
Es ist prognostisch wichtig, Symptome einer Mangelernährung möglichst früh zu erkennen,
um schwerere Komplikationen zu vermeiden. In diesem Zusammenhang weist die aktuelle
DGEM-Leitlinie auf die Notwendigkeit einer alljährlichen Diätberatung von CED-Patienten
hin [6].
Bei Vorliegen einer Mangelernährung sind spezielle ernährungstherapeutische Interventionen
indiziert. Diese beinhalten neben Anpassungen der Lebensmittelauswahl und Zwischenmahlzeiten
den Einsatz hochkalorischer Trinknahrungen. Weil es über die Entzündung der Darmschleimhaut
häufiger zu erheblichen Proteinverlusten kommt, kann eine zusätzliche Eiweißsubstitution
erforderlich sein [7]. Wenn die orale Nahrungsaufnahme nicht ausreicht, sollte primär eine enterale Sondenernährung
erfolgen. Gelingt eine ausreichende Ernährung mittels Trink- und Sondennahrung nicht,
zum Beispiel bei Patienten mit Kurzdarmsyndrom, High-Output-Stoma, hohen Dünndarmfisteln
oder vor geplanten operativen Maßnahmen, ist eine parenterale Ernährung notwendig
[3], [8], [9], [10].
Spurenelemente und Vitamine
Beschleunigte Darmpassage, gestörte Resorption sowie verminderte Nahrungsaufnahme
haben bei CED häufiger auch einen Mangel an Mikronährstoffen zur Folge, der seinerseits
Beschwerden verursachen kann ([
Tab. 1
]).
Tab. 1
Vorkommen von Mikronährstoffmangel bei CED (modifiziert nach [14]).
|
Mikronährstoffmangel
|
Morbus Crohn
|
Colitis ulcerosa
|
mögliche Folgen
|
|
Eisen
|
25–53 %
|
55–81 %
|
Anämie
|
|
Folsäure
|
10–62 %
|
36–60 %
|
Anämie
|
|
Vitamin B12
|
3–48 %
|
5 %
|
Anämie, Neuropathie
|
|
Vitamin A
|
11–50 %
|
16 %
|
Nachtblindheit, trockene Haut
|
|
Vitamin D
|
25–75 %
|
35 %
|
Osteoporose/Osteomalazie
|
|
Kalzium
|
13 %
|
n. a.
|
Osteoporose, Krämpfe, Rhythmusstörungen
|
|
Magnesium
|
14–33 %
|
17–24 %
|
Schwäche, Krämpfe, Rhythmusstörungen
|
|
Zink
|
1–40 %
|
10 %
|
Haarausfall, Hautprobleme
|
Nicht selten wird eine Anämie infolge von Eisenmangel festgestellt. Neben chronischer Entzündung und Resorptionsstörungen können bei Colitis
ulcerosa wiederkehrende Blutverluste zu Eisenmangel und Anämie beitragen. Häufig ist
dann eine medikamentöse Eisensubstitution erforderlich, zumindest in der Remissionsphase
kann eine orale Eisensubstitution ausreichen [3]. Gelingt eine ausreichende orale Substitution nicht, z. B. bei hoher entzündlicher
Aktivität, sollte die Eisensubstitution parenteral erfolgen. Auch ein Folsäuremangel
und insbesondere bei Morbus Crohn (z. B. nach Ileozökalresektion) ein Vitamin-B12-Mangel können zur Anämie beitragen und eine Substitution erfordern.
Signifikante Verluste von elementarem Zink sind bei chronischer Diarrhö keine Seltenheit
und können zu substitutionspflichtigem Zinkmangel führen. Weil Zink mit der intestinalen
Eisen- und Kupferresorption interferiert [11], ist die Dauer der Substitution (meist oral) zeitlich zu begrenzen.
Eine gestörte Vitamin-D-Aufnahme, z. B. bei M. Crohn mit Dünndarmbefall, oder auch
eine Glukokortikoidtherapie können einen Vitamin-D-Mangel mitverursachen. Es ist dann
eine orale Vitamin-D-Substitution indiziert [3].
Eine möglichst zu vermeidende, längerdauernde Kortisontherapie sollte grundsätzlich
mit einer Substitution von Vitamin D und ggf. auch Kalzium einhergehen.
Zuwenig wird meist beachtet, dass bei Patienten mit Mangelernährung jeder Ursache,
z. B. auch auf dem Boden von CED, ein Vitamin B
1-Mangel vorliegen kann. Es können dann die Zeichen einer chronischen oder sogar akuten
Wernicke-Enzephalopathie auftreten wie Schwindel, Ataxie, demenzielle Symptome oder
Verhaltensauffälligkeiten. Treten Symptome wie Schluckstörungen, Sehstörungen oder
Sprachstörungen (Apraxie) hinzu, ist bei Mangelernährung durchaus von einer Wernicke-Enzephalopathie
auszugehen [12], [13] und eine hochdosierte Vitamin-B1-Zufuhr indiziert (initial ggf. auch intravenös).
Akute Entzündung
In der akuten Entzündungsphase ([
Abb. 1
]) wird in der Regel eine leichte, ballaststoffarme Ernährung empfohlen und in dieser
Situation meist besser toleriert als eine normale Mischkost. Allerdings ist ein relevanter
Einfluss von ballaststoffarmer Ernährung auf die Krankheitsaktivität bislang nicht
durch Evidenz gesichert.
Abb. 1 Tiefe längliche Geschwüre im Dickdarm bei Morbus Crohn. (Quelle: Autor)
Eine Ernährungstherapie kann bei akuter Entzündung z. B. auf die Besserung eines reduzierten
Ernährungszustandes abzielen. Dies schafft gegebenenfalls bessere Voraussetzungen
für den weiteren Krankheitsverlauf und die medikamentöse Behandlung [14], insbesondere bei Patienten mit Morbus Crohn.
Morbus Crohn
Eine Ernährungstherapie mit nährstoffdefinierten oder chemisch definierten Nährlösungen
(Trinknahrung und Sondenkost) wirkt sich bei Morbus Crohn häufig auch günstig auf
die Krankheitsaktivität aus [15]. Bei Kindern und Jugendlichen mit M. Crohn und akuter Entzündung ist sie einer Steroidtherapie
gleichwertig und wird in dieser Altersgruppe als primäre therapeutische Maßnahme eingesetzt
[16], [17].
Bei Erwachsenen ist eine Kortisonbehandlung im akuten Entzündungsschub wirksamer als
die Ernährungstherapie [18], [19].
Deshalb wird eine enterale Ernährung mit Trinknahrung oder Sondenkost bei Erwachsenen
mit M. Crohn und hoher Krankheitsaktivität nicht als Primärtherapie empfohlen, kann
aber ergänzend zur medikamentösen Therapie eingesetzt werden [5].
Colitis ulcerosa
In der akuten Entzündungsphase der Colitis ulcerosa ist eine signifikante Wirkung
der Ernährungstherapie auf die Krankheitsaktivität nicht gesichert. Da jedoch im akuten
Schub der Nährstoffbedarf generell erhöht ist, kann eine Ernährungstherapie auch bei
Colitis ulcerosa zur Sicherung einer ausreichenden Nährstoffversorgung in Erwägung
gezogen werden, wenn Risiken für eine Mangelernährung vorliegen [3]. Die enterale Ernährungstherapie ist dabei einer parenteralen Ernährung vorzuziehen.
Parenterale Ernährung
Indikationen für eine parenterale Ernährung ergeben sich bei CED eher in speziellen
Situationen, wie z. B. Kurzdarmsyndrom, komplexen Fisteln und Darmobstruktion sowie
perioperativ [5], vor allem wenn eine genügende enterale Nährstoffversorgung nicht gelingt [6].
Remission
In der Remission ist der Ernährungsstatus bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen
meist normal. Eine Ernährungstherapie zur Verbesserung der Ernährungssituation ist
in der Remission daher in der Regel nicht notwendig. Verlässliche Belege für die Annahme,
dass besondere ernährungsmedizinische Maßnahmen bei CED zum Remissionserhalt beitragen
könnten, gibt es bislang nicht. Dies gilt bei normalem Ernährungsstatus auch für den
M. Crohn in der Remission [5].
Bei Hinweisen auf eine Mangelernährung ist auch in der Remission eine Ernährungstherapie
in Erwägung zu ziehen.
Individuelle Nahrungsmittelunverträglichkeiten sind bei CED in der Remission grundsätzlich
zu berücksichtigen. Liegt parallel eine Laktoseintoleranz vor, ist eine laktosearme
Ernährung indiziert. Stichhaltige Belege dafür, dass Eliminationsdiäten einen relevanten
Einfluss auf die Dauer der Remission haben, fehlen bislang [5], [20], [21].
Eine Evidenz für einen remissionsverlängernden Effekt von präbiotischen, ballaststoffreichen
Lebensmitteln liegt ebenfalls nicht vor [5], [22]. Einzelne kontrollierte Studien weisen darauf hin, dass sich eine sogenannte Low-FODMAP-Diät
(LFD) in der CED-Remission günstig auf postinflammatorische Reizdarmbeschwerden auswirken
kann [23].
Probiotika, speziell Bakterienpräparate mit E. coli Nissle, sind in der Remission
leichterer Verläufe einer Colitis ulcerosa ähnlich wirksam wie Mesalazin [24]. Für Kombinationsprobiotika wie VSL#3 wurden positive Effekte insbesondere bei Patienten
mit rezidivierender Pouchitis berichtet [3], eine abschließende Bewertung erscheint bislang noch nicht möglich.
Zur remissionserhaltenden Therapie des M. Crohn sind Probiotika nicht geeignet.
Zusammenfassend kommen spezielle ernährungsmedizinische Maßnahmen in der CED-Therapie
vor allem bei Mangelernährung und im akuten Entzündungsschub zur Anwendung, in der
Remissionsphase einer CED sind sie meist entbehrlich.
-
Eine längere Stilldauer scheint Säuglinge vor späterer Erkrankung an CED zu schützen.
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Bei Vorliegen einer Mangelernährung ist eine Ernährungstherapie indiziert. Gelingt
eine ausreichende orale Zufuhr nicht, ist eine enterale Sondenernährung erforderlich,
ggf. auch eine parenterale Ernährung.
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Mikronährstoffmängel erfordern eine Substitution.
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Im akuten Entzündungsschub wird eine leicht verdauliche, ballaststoffarme Ernährung
meist besser toleriert als eine normale Mischkost. Die Ernährungstherapie mit Trinknahrung
oder Sondenkost gilt als Behandlungsoption in der akuten Entzündungsphase des M. Crohn,
wird jedoch nur bei Kindern und Jugendlichen im akuten Entzündungsschub als primäre
Behandlungsmaßnahme empfohlen. Sie kann bei Erwachsenen mit Morbus Crohn und florider
Entzündung aber eine notwendige medikamentöse Therapie ergänzen.
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Für die Colitis ulcerosa ist ein Effekt der Ernährungstherapie nicht gesichert, die
Indikation bleibt hier Krankheitsphasen mit deutlich erhöhtem Nährstoffbedarf und
dem Risiko einer Mangelernährung vorbehalten.
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Solange eine genügende Versorgung mit Nährstoffen gewährleistet ist, sollte die enterale
Ernährungstherapie einer parenteralen Ernährung vorgezogen werden.
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Besondere ernährungsmedizinische Maßnahmen sind bei normalem Ernährungszustand in
der Remission meist nicht erforderlich.