Huntington-Krankheit
Typische Präsentation
Die Huntington-Krankheit ist eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung mit hoher
Penetranz. Viele Patienten kennen die Symptome daher vom erkrankten Elternteil und
kommen direkt mit der Frage zum Neurologen, ob sie ebenfalls betroffen sind. Das Manifestationsalter
liegt in der Regel zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr. Es gibt daher Konstellationen,
in denen die Familienanamnese leer erscheinen kann (Elternteil unklar, verstorben
oder kein Kontakt zum Elternteil). Auch „Neumutationen“ sind möglich, insbesondere
bei Patienten mit spätem Krankheitsbeginn (> 59. Lebensjahr) [1]).
Eine offenbar negative Familienanamnese schließt die Huntington-Krankheit nicht aus.
Epidemiologie und Verlauf
Die Prävalenz der Huntington-Krankheit liegt bei ca. 5 pro 100000, das entspricht
in etwa 8000-10000 Patienten in Deutschland. Die Inzidenz liegt bei 4:1 Million, entsprechend
werden pro Jahr in Deutschland etwa 300 Patienten neu diagnostiziert.
Huntington-Patienten sterben im Mittel 15-20 Jahre nach Manifestation der ersten motorischen
Symptome; es sind jedoch auch benigne Verläufe über 40 Jahre beschrieben. Todesursache
ist häufig eine Pneumonie bei ausgeprägter Kachexie und Aspirationsneigung. Die Kachexie
ist bedingt durch den erhöhten Energiebedarf aufgrund der Chorea, eine erschwerte
Nahrungsaufnahme und metabolische Veränderungen. Auch Suizide sind häufig [2].
Ätiologie und Pathogenese
Die Huntington-Krankheit ist durch eine Expansion von CAG-Triplets im Huntington-Gen
bedingt. Bei Gesunden enthält das Huntington-Gen 9-35 CAG-Wiederholungen, bei Patienten
ist die Anzahl der Wiederholungen typischerweise auf über 40 erhöht. Mehr Wiederholungen
sind dabei mit einem früheren Erkrankungsbeginn assoziiert.
Auch die Geschwindigkeit der motorischen Verschlechterung wird durch die Anzahl der
Wiederholungen mitbestimmt [3]. Im Bereich zwischen 36 und 39 Wiederholungen ist die Penetranz der Erkrankung unvollständig.
Trotz dieser Zusammenhänge kann bei einem einzelnen Patienten nicht von der Anzahl
der CAG-Wiederholungen auf das Erkrankungsalter oder die Progressionsrate geschlossen
werden.
In vielen Fällen nimmt die Anzahl der Wiederholungen von Generation zu Generation
zu und das Manifestationsalter ab (Antizipation). Dieser Effekt ist besonders ausgeprägt,
wenn das pathogene Allel vom Vater vererbt wird. Wenn durch die Antizipation die Anzahl
der CAGWiederholungen aus dem normalen Bereich auf über 36 erhöht ist, kann die Erkrankung
bei leerer Familienanamnese auftreten („Neumutation“).
Der verlängerte CAG-Abschnitt ist genetisch instabil, sodass sich die Länge der CAG-Wiederholungen
nicht nur entlang der Keimbahn verändert, sondern auch innerhalb eines Körpers („somatische
Instabilität“). Das Ausmaß dieser Instabilität unterscheidet sich zwischen verschiedenen
Organen, Hirnregionen und Zelltypen. Diese Unterschiede können somit erklären, warum
GAB-Aerge Neurone im Striatum besonders früh degenerieren, obwohl das Huntington-Protein
ubiquitär exprimiert wird.
Zellbiologie der Huntington-Krankheit
Der dominante Erbgang der Huntington-Krankheit legt nahe, dass die Krankheit durch
eine toxische Wirkung des mutierten Proteins entsteht. Die Expansion des CAG-Triplets
führt nicht nur zu den bekannten Polyglutamin-Proteinen, sondern verändert auch die
Sekundärstruktur der m-RNA (messenger-RNA). Die veränderte messenger-RNA kann die
Transkription verändern und RNA-bindende Proteine im Zellkern „einfangen“. Darüber
hinaus finden sich im Zellkern Ablagerungen fehlgefalteter Proteine, die nicht nur
aus Polyglutamin-Anteilen bestehen, sondern auch aus Proteinen, die aus den CAG-Wiederholungen
bei verschobenem Leseraster entstehen. Diese Proteinaggregate behindern den axonalen
Transport und können den Zelltod auslösen.
Die Ausbildung der Einschlusskörper im Zellkern ist eine protektive Reaktion auf die
fehlgefalteten Polyglutamin-Proteine [4]. Polyglutamin-Proteine können durch Autophagie abgebaut werden und durch unkonventionelle
Exozytose aus der Zelle freigesetzt werden [5].
Darüber hinaus wird diskutiert, ob durch die verlängerten CAG-Wiederholungen physiologische
Funktionen des Huntington-Proteins beeinträchtigt werden.
Juvenile Variante
Von der typischen Huntington-Krankheit wird eine juvenile Variante abgegrenzt, die
etwa 5 % der Huntington-Patienten ausmacht. Viele dieser Patienten zeigen besonders
lange CAG-Wiederholungen (> 60) und dementsprechend eine rasche Progredienz. Motorisch
stehen in der juvenilen Variante hypokinetisch-rigide und dystone Symptome im Vordergrund,
ähnlich wie es auch in der fortgeschrittenen typischen Huntington-Krankheit der Fall
ist. Auch epileptische Anfälle können in dieser Verlaufsform auftreten.
Bei der Huntington-Krankheit können nicht nur Hyperkinesien, sondern auch akinetisch-rigide
Symptome auftreten.
Diagnosestellung
Anamnese
Wichtige Fragen in der Anamnese betreffen Verhaltensauffälligkeiten, psychiatrische
Symptome (s. u. ) und eine genaue Familienanamnese. Zur differenzialdiagnostischen
Abgrenzung gegenüber tardiven Dyskinesien sollte nach der Einnahme von Dopamin-Antagonisten
gefragt werden – konkret nach Neuroleptika, „Aufbauspritzen“ und Metoclopramid. Auch
eine Schwangerschaft oder hormonelle Kontrazeptiva können in seltenen Fällen eine
symptomatische Chorea auslösen, des Weiteren internistische Erkrankungen (systemischer
Lupus erythematodes, Hyperthyreose, Tumorerkrankungen) und metabolische Veränderungen
(Hyperglykämie, Elektrolytverschiebungen).
Neurologischer Untersuchungsbefund – Chorea
Oft ist die Beobachtung der Spontanbewegungen eines Patienten ausreichend, um den
Verdacht auf eine Huntington-Krankheit zu lenken. Die klassische Bewegungsstörung
der Huntington-Krankheit, die Chorea, besteht in einer Vermehrung kurzer, unwillkürlicher
Bewegungen. Diese Bewegungen sind nicht stereotyp und können in allen Bereichen des
Körpers auftreten. Jede für sich genommen kann zu Beginn der Erkrankung nicht sicher
als abnorm eingeordnet werden, insgesamt sind es jedoch zu viele Bewegungen. Ähnlich
wie Tics können choreatische Bewegungen in Willkürbewegungen auslaufen und dadurch
„verborgen“ werden. Im Gegensatz zu Tics können choreatische Bewegungen jedoch nur
zum Teil unterdrückt werden. Die choreatischen Bewegungen sind in der Regel symmetrisch
ausgeprägt. Wie die meisten Bewegungsstörungen nimmt die Chorea bei Anspannung zu
und sistiert im Schlaf. Ein typisches Zeichen für die Huntington-Krankheit ist die
motorische Impersistenz. Dabei wird der Patient gebeten, die Zunge aus dem Mund herausstrecken
und dort 5 oder 10 Sekunden zu halten. Patienten mit einer Huntington-Krankheit können
die Zunge entweder gar nicht herausstrecken oder nur kurz dort halten.
Wie bei der Huntington-Krankheit besteht auch beim Tourette-Syndrom eine Kombination
aus Hyperkinesen und psychiatrischen Symptomen. Tics sind jedoch stereotyper als choreatische
Bewegungen und können zumindest kurzzeitig unterdrückt werden.
Falls sich der Verdacht auf eine Huntington-Krankheit erhärtet, ist ein Assessment
nach der UHDRS (Unified Huntington ʼs Disease Rating Scale) sinnvoll [15]. Sie erlaubt ein systematisches Assessment, welche Teile des motorischen Systems
betroffen sind. Dabei werden beurteilt:
Viele der Symptome sind nicht spezifisch für die Huntington-Krankheit. Ihre Quantifizierung
erlaubt jedoch einen Vergleich mit Voruntersuchungen und damit eine Aussage über die
Progredienz der Erkrankung.
Im Laufe der Erkrankungen werden die Bewegungen häufiger und ihre Amplitude nimmt
zu, bevor die Chorea im Spätstadium gewissermaßen „ausbrennen“ kann.
Gehen, Sprechen und Essen werden durch die Chorea eingeschränkt und sind in fortgeschrittenen
Stadien nicht mehr möglich. Der Muskeltonus ist zu Beginn der Erkrankung normal, im
Verlauf dyston erhöht. Die Bewegungen können im fortgeschrittenen Stadium deutlich
verlangsamt wirken und eher einer Parkinson-Symptomatik ähneln.
Differenzialdiagnosen
Bei Erstdiagnose wird nach Feststellen und Quantifizierung der Chorea nach Hinweisen
auf eine alternative Diagnose gesucht (s. [Tab. 1]). Untypisch wäre z. B. eine stark asymmetrische Ausprägung der Chorea oder eine
Beschränkung auf das Gesicht. In diesen Fällen wäre(n) eine strukturelle Läsion im
Bereich der Basalganglien bzw. tardive Dyskinesien auszuschließen.
Weitere differenzialdiagnostisch zu erwägende Erkrankungsgruppen sind die Neuroakanthozytose-Syndrome,
zu denen die Chorea-Akanthozytose und das McLeod-Syndrom zählen, und die Erkrankungen
mit Neurodegeneration und Eisenablagerungen im Gehirn (NBIA, Neurodegeneration with
Brain Iron Accumulation), zu denen die Pantothenatkinase-assoziierte Neurodegeneration
(PKAN) und die Neuroferritinopathie zählen. Auch bei zerebellären Ataxien (spinozerebelläre
Ataxien, Friedreich-Ataxie, Ataxia teleangiectatica, Ataxie mit okulomotorischer Apraxie)
können Hyperkinesen auftreten. Zudem kann eine ausgeprägte Ataxie als Chorea fehlgedeutet
werden.
Tab. 1
Symptome, die an der Diagnose Huntington-Krankheit zweifeln lassen.
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Symptom
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Differenzialdiagnose
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einseitige und proximal betonte Hyperkinesien
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Hemiballismus (z. B. nach Schlaganfall im Nucleus subthalamicus)
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vornehmlich orale und linguale Hyperkinesien
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tardive Dyskinesien Neuroakanthozytose NBIA (Neurodegeneration with Brain Iron Accumulation)
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Pharyngitis
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Chorea minor
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anfallsartige Chorea für Minuten bis Stunden
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paroxysmale kinesiogene Dyskinesie
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plötzlicher Beginn der Chorea
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vaskuläre Genese Chorea minor
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ausgeprägte Selbstverletzungen
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Lesch-Nyhan-Syndrom
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Teleangiektasien der Sklera
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Ataxia teleangiectatica
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Kayser-Fleischer-Kornealring
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Morbus Wilson
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Retinitis pigmentosa
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NBIA (Neurodegeneration with Brain Iron Accumulation)
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ausgeprägte zerebelläre Okulomotorikstörung
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spinozerebelläre Ataxie Friedreich-Ataxie
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Zeichen einer Motoneuronerkrankung
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C9ORF72-Mutation
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Polyneuropathie
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spinozerebelläre Ataxie Friedreich-Ataxie Ataxiemit okulomotorischer ApraxieNeuroakanthozytose
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epileptische Anfälle
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Neuroakanthozytose juvenile Huntington-Krankheit
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rasch progrediente Demenz, Myoklonien
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Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung
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Fehlen psychiatrischer Symptome
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benigne familiäre Chorea
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Lebervergrößerung
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Morbus Wilson Neuroakanthozytose
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Kardiomyopathie
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Friedreich-Ataxie Neuroakanthozytose
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Endokarditis
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Chorea minor
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Fieber
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Chorea minor
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Gewichtsverlust, B-Symptomatik, negative Genetik
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paraneoplastische Ursache
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Behandelbare Differenzialdiagnosen
-
Chorea minor
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Morbus Wilson
-
Paraneoplasie
Psychiatrischer Untersuchungsbefund
Oft bestehen bereits vor Manifestation der motorischen Symptome Verhaltensauffälligkeiten.
Die Patienten sind oft sozial unangepasst oder schlecht integriert. Typisch sind zudem
Reizbarkeit oder gewalttätiges Verhalten mit Drohungen und Wutausbrüchen.
Da sich viele dieser Symptome nur eingeschränkt objektiv beurteilen lassen, hat es
sich bewährt, nach dem Ausmaß des „sozialen Funktionierens“ zu fragen: Ist der Patient
berufstätig? Kann er seine finanziellen Geschäfte regeln? Kann er Arbeiten im Haushalt
verrichten? etc. Strukturiert lassen sich diese Aspekte mit den Teilen „Functional
Assessment“ und „Functional Capacity“ des UHDRS erfassen (s. Infobox).
Functional Capacity
Mit den folgenden Fragen kann eingeschätzt werden, inwiefern der Patient durch die
Erkrankung eingeschränkt ist. Die Fragen sind der Einfachheit halber für einen männlichen
Patienten formuliert.
Beruf
-
Kann der Patient in seinem Beruf arbeiten?
-
Geht der Patient einer bezahlten Tätigkeit nach?
-
Geht der Patient einer ehrenamtlichen oder unbezahlten Tätigkeit nach?
Finanzen
-
Kann der Patient seine finanziellen Angelegenheiten ohne Hilfe regeln?
-
Kann der Patient ohne Hilfe einkaufen gehen?
-
Kann der Patient ohne Hilfe im Geschäft bezahlen?
Verkehr
-
Kann der Patient sicher Auto fahren?
-
Kann der Patient ohne Hilfe öffentliche Verkehrsmittel benutzen?
-
Kann der Patient ohne Hilfe Orte in der Nachbarschaft aufsuchen?
Haushalt
-
Kann der Patient seinen Haushalt ohne Hilfe führen?
-
Kann der Patient ohne Hilfe seine Wäsche waschen?
-
Kann der Patient ohne Hilfe eine Mahlzeit zubereiten?
Körperpflege
-
Kann der Patient ohne Hilfe essen?
-
Kann sich der Patient ohne Hilfe anziehen?
-
Kann sich der Patient ohne Hilfe waschen / duschen?
-
Kann sich der Patient ohne Hilfe die Haare kämmen?
-
Kann der Patient ohne Hilfe die Toilette benutzen?
Mobilität
-
Stürzt der Patient häufig?
-
Kann der Patient ohne Hilfe gehen?
-
Kann der Patient ohne Hilfe aus dem Stuhl aufstehen?
-
Kann der Patient ohne Hilfe aus dem Bett aufstehen?
Diese Fragen liefern wichtige Hinweise darauf, in welchen Bereichen der Patient eingeschränkt
ist und ggf. Hilfe benötigt. Zur Verlaufsbeobachtung kann das Ausmaß der Beeinträchtigung
wie folgt quantifiziert werden:
Beruf
-
0 – keine Tätigkeit möglich
-
1 – nur einfache Tätigkeiten
-
2 – reduziert im eigentlichen Beruf
-
3 – normal
Finanzen
Haushalt
Tägliches Leben
-
0 – vollständig pflegebedürftig
-
1 – nur einfache Aktivitäten
-
2 – geringe Einschränkungen
-
3 – vollständig unabhängig
Ausmaß der Versorgung
Viele Patienten leiden unter depressiven Symptomen. Daher sollten Stimmung (Neigung
zum negativen Pol, Schwingungsfähigkeit) und Selbstwertgefühl erfasst werden und regelmäßig
nach Suizidalität gefragt werden. Bei fortgeschrittener Krankheit kommen zunehmend
auch Halluzinationen und inhaltliche Denkstörungen mit Wahninhalten vor. Strukturiert
können diese Symptome z. B. mit der kurzen Version des Problem-Behavior-Assessment
(PBA‑s, s. [6]) erfragt werden.
Kognitive Funktion
Kognitive Einschränkungen gehören zur Erkrankung; typisch ist ein frontales / subkortikales
Defizit. Die Luria-Sequenz ist daher häufig pathologisch. Weitere Frontalhirnsymptome
sind die aus dem MoCA-Test bekannte Aufgabe, innerhalb einer Minute so viele Worte
zu finden wie möglich, die mit dem Buchstaben „F“ beginnen, und Klatschaufgaben aus
der „Frontal Assessment Battery“ wie „Klatschen Sie einmal, wenn ich zweimal klatsche,
und klatschen Sie zweimal, wenn ich einmal klatsche“ oder „Klatschen Sie einmal, wenn
ich einmal klatsche und klatschen Sie nicht, wenn ich zweimal klatsche“. Zur Quantifizierung
geeignet ist darüber hinaus der Stroop-Test, bei dem z. B. das Wort „Grün“ in der
Farbe Rot geschrieben ist, und wo entweder die Farbe benannt oder das Wort gelesen
werden müssen.
Auch Aufmerksamkeit und Gedächtnis sind eingeschränkt. In der klinischen Routine wird
als Screening-Test meist der Montreal Cognitive Assessment (MoCA) verwendet, da er
im Vergleich zum MMSE Störungen der Exekutivfunktionen besser erfasst und einen breiteren
Bereich an Veränderungen abdeckt.
Statistisch gesehen ist eine Reihe von kognitiven Tests lange (zum Teil mehr als 15
Jahre) vor Beginn der motorischen Symptome auffällig. Eine Beurteilung beim einzelnen
Patienten ist dagegen oft schwierig, da individuelle Faktoren wie Schulbildung und
Ausgangsintelligenz berücksichtigt werden müssen.
Zu den frühen Auffälligkeiten gehören die Schwierigkeit, Emotionen anhand von Gesichtsausdrücken
zu erkennen, sowie Schwierigkeiten im Abschätzen von Zeitintervallen.
Zusatzdiagnostik
Charakteristisches Zeichen der Huntington-Krankheit im zerebralen MRT ist eine Atrophie
des Nucleus caudatus, die in koronaren Schnitten besonders deutlich ist. Das Ausmaß
dieser Atrophie kann als Verlaufsparameter herangezogen werden [7]. Im Verlauf der Erkrankung zeigt sich darüber hinaus eine globale Hirnvolumenminderung.
Typisches MRT-Zeichen der Huntington-Krankheit: Atrophie des Nucleus caudatus.
Zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung relevant sind der Ausschluss verschiedenster
Läsionen (Infarkte, Tumoren) im Striatum. Eisenablagerungen („Eye-of-the-Tiger-Zeichen“)
sind typisch für NBIA. Auch ein Morbus Fahr mit Verkalkungen im Striatum kann in seltenen
Fällen mit einer Chorea einhergehen. Typisch für eine Chorea bei nicht ketotischer
Hyperglykämie ist eine flaue T1-Hyperintensität im Striatum. Chorea verursachende
Läsionen sind jedoch nicht auf das Striatum beschränkt. So wird eine proximal betonte
Hemichorea (Hemiballismus) typischerweise durch eine Läsion im Nucleus subthalamicus
verursacht. Relevant ist schließlich der Ausschluss einer Atrophie des Zerebellums
als Zeichen einer spinozerebellären Ataxie.
Elektrophysiologische Charakteristika (Riesen-SEP und Long-Latency-Reflexe) spielen
seit Verfügbarkeit der genetischen Testung nur noch eine untergeordnete Rolle. Sinnvolle
Laborwerte zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung fasst [Tab. 2] zusammen.
Tab. 2
Labordiagnostik zum Ausschluss relevanter Differenzialdiagnosen.
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Material
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Wert
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Differenzialdiagnose
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Blut – Routinediagnostik
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HbA1c ↑
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Hypo- oder hyperglykäme Chorea
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Alpha-Fetoprotein (AFP) ↑
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Ataxia teleangiectatica (Ataxie mit okulomotorischer Apraxie)
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Albumin ↓, Cholesterol ↑
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Ataxie mit okulomotorischer Apraxie
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β‑HCG ↑
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Schwangerschafts-Chorea
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Harnsäure ↑
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Lesch-Nyhan-Syndrom
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Leberenzyme ↑
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Morbus Wilson Neuroakanthozytose
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Ferritin ↓
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Neurodegeneration with Brain Iron Accumulation (NBIA)
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TSH ↑
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Steroid-responsive Enzephalopathie (SREAT)
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Coeruloplasmin ↓
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Morbus Wilson
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antinukleäre Antikörper Phospholipid-Antikörper
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systemischer Lupus erythematodes
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HIV-Test
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HIV-Enzephalopathie
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Liquor
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Zellzahl ↑ oligoklonale Banden
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Enzephalitiden
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T. whipplei PCR
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Morbus Whipple
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Blut – erweiterte Diagnostik
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Akanthozyten im Blutausstrich
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Neuroakanthozytose (PKAN)
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Anti-Streptolysin O Anti-DNAse B
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Chorea minor
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neuronale Antikörper
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paraneoplastische Genese
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Die Diagnose Huntington-Krankheit wird in der Regel durch eine genetische Testung
bestätigt.
Bei klinisch betroffenen Patienten kann die Abnahme von Blut zur genetischen Testung – nach
Aufklärung – durch den betreuenden Arzt erfolgen. Das Untersuchungsergebnis muss dann
persönlich und nach erneuter Aufklärung mitgeteilt werden. Bei positiven Befunden
muss eine genetische Beratung angeboten werden. Die genetische Testung nicht betroffener
Familienangehöriger muss dagegen immer durch einen Arzt erfolgen, der nach § 7 GenDG
qualifiziert ist. Eine psychologische Betreuung und die Richtlinien der „International
Huntington Association“ können hierbei hilfreich sein. Bei positiver Familienanamnese
und typischer Symptomatik kann ggf. auf die genetische Diagnosesicherung verzichtet
werden.
Die genetische Testung betroffener Patienten kann durch den behandelnden Arzt eingeleitet
werden. Eine genetische Beratung ist dennoch sinnvoll. Bei nicht betroffenen Familienmitgliedern
muss die Testung dagegen durch einen Humangenetiker erfolgen.
Falls die genannte Diagnostik unergiebig bleibt, sind die Bestimmung neuronaler Antikörper
und eine Tumorsuche (PET‑CT) sinnvoll, um eine seltene paraneoplastische Genese der
Symptomatik auszuschließen.
Ein 65-jähriger Patient stellt sich in Begleitung seiner Ehefrau zur Verlaufskontrolle
bei bekannter Huntington-Krankheit vor. Überbeweglichkeiten treten nur selten auf
und beeinträchtigen den Patienten nicht im Alltag. Der Patient könne noch einige Kilometer
frei gehen, Stürze sind bisher nicht zu verzeichnen. Die Stimmung sei meist ausgeglichen;
immer wieder sei er jedoch schneller gereizt als früher. Der Antrieb sei reduziert,
er gehe aus eigener Initiative nicht mehr seinen Hobbys nach. Das Gedächtnis sei eingeschränkt,
die Orientierung in einer neuen Umgebung falle ihm schwer. Der Appetit sei gut, er
esse manchmal etwas überstürzt, verschlucke sich jedoch nicht.
An Medikamenten nimmt der Patient 3 × 25 mg Nitoman ein.
Klinisch ist der Patient zu Person, Ort und Zeit orientiert. Die Stimmung ist ausgeglichen,
die Schwingungsfähigkeit erhalten. Suizidale Gedanken werden glaubhaft verneint. Der
Gedankengang ist umständlich und z. T. eingeengt. Wahrnehmungsstörungen oder inhaltliche
Denkstörungen bestehen nicht.
Die Blickfolge ist sakkadiert, das Sprechen ist etwas verwaschen, aber noch gut verständlich,
die Zunge kann herausgestreckt, aber nur für 6 Sekunden dort gehalten werden. An den
Händen findet sich eine geringgradige Dystonie, Chorea ist lediglich intermittierend
nachweisbar. Das Fingertippen ist rechts mäßig und links gering verlangsamt, Pronations-Supinations-Bewegungen
ebenfalls. Die Luria-Sequenz kann nicht durchgeführt werden. Ein Rigor findet sich
nicht, der Gang ist breitbasig. Im Zugtest fängt sich der Patient selbst auf.
Aufgrund der im Vordergrund stehenden depressiven Störung und der guten Kontrolle
der Hyperkinesien empfehlen Sie eine schrittweise Reduktion der Medikation mit Nitoman
auf 3 × 12,5 mg. Sie erwarten davon außerdem eine Besserung der hypokinetischen Symptome.
Sie verordnen wöchentliche Physiotherapie und Ergotherapie. Aufgrund von Reizbarkeit
und Antriebsstörung erwägen Sie eine Medikation mit einem SSRI, beschließen jedoch,
zunächst den Effekt der Nitoman-Reduktion abzuwarten.
Therapie
Motorische Symptome
Zur Reduktion der Chorea werden meist Tiaprid, Tetrabenazin oder eine Kombination
aus beiden Medikamenten eingesetzt. Tetrabenazin ist hierbei oft wirksamer, kann jedoch
eine Depression auslösen oder verschlechtern. Da Huntington-Patienten häufig ohnehin
unter depressiven Symptomen leiden, wird die Therapie meist mit Tiaprid begonnen und
bei nicht ausreichender Wirksamkeit auf Tetrabenazin umgestellt oder um Tetrabenazin
ergänzt.
-
Tiaprid wird um 50 mg alle 2-4 Wochen gesteigert, eine Dosis von 4 × 300 mg pro Tag
wird nur selten überschritten.
-
Tetrabenazin wird um 12,5 mg alle 2-4 Wochen gesteigert bis maximal 4 × 50 mg pro
Tag.
Auch andere Dopamin-Antagonisten können eingesetzt werden. Aufgrund ihrer ko-antidepressiven
Wirkung sind Quetiapin und Aripiprazol eventuell besonders geeignet. In der Praxis
werden auch Risperidon, Olanzapin und ggf. Zuclopenthixol eingesetzt. Zu erwähnen
ist, dass für keine der genannten Substanzen randomisierte klinische Studien mit hohen
Fallzahlen vorliegen und die Empfehlungen daher im Wesentlichen auf Expertenmeinungen
und kleinen Fallserien beruhen.
-
Alle genannten Medikamente können die Beweglichkeit durch Verstärkung der akinetisch-rigiden
Komponente der Huntington-Krankheit einschränken. Daher sollten choreatische Bewegungen
nur dann medikamentös behandelt werden, wenn sie den Patienten funktionell relevant
einschränken.
-
Zudem sollte die Medikation langsam gesteigert werden, um auf ggf. verzögert auftretende
Verschlechterungen reagieren zu können.
-
Da es sich um eine chronische Erkrankung handelt, ist eine gute Verträglichkeit wichtiger
als ein rascher Wirkungsbeginn.
-
Da die Chorea im Verlauf der Erkrankung oft abnimmt und die akinetisch-rigide Komponente
an Bedeutung gewinnt, ist bei guter Kontrolle der Chorea immer wieder eine Dosisreduktion
zu erwägen.
Falls sich die Chorea rasch verschlechtert, sollte eine interkurrierende Erkrankung
ausgeschlossen werden, insbesondere ein Infekt oder bei häufigen Stürzen ein Subduralhämatom.
Bei ausgeprägten akinetisch-rigiden Symptomen sollte die Dosis der gegen die Chorea
eingesetzten Medikamente verringert werden. Zudem kann eine Umstellung auf Substanzen
mit einem geringeren Risiko für extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen versucht werden
(eher Tiaprid als Tetrabenazin und eher Quetiapin und Aripiprazol als Olanzapin, Risperidon
oder Zuclopenthixol); die Wirkung von Clozapin auf choreatische Symptome ist dagegen
unbefriedigend.
Dystone Symptome sind schwer zu behandeln. Möglicherweise können Cannabinoide eingesetzt
werden [8], [9].
Falls der Patient durch starken Speichelfluss relevant beeinträchtigt ist, kann ein
Versuch mit einer abendlichen Einnahme von Amitriptylin (trizyklisches Antidepressivum
mit anticholinerger Wirkung, 25-50 mg) unternommen werden. Alternativ sind oral appliziertes
Atropin oder die Injektion von Botulinum-Toxin in die Speicheldrüsen denkbar. Der
Einsatz von Scopolamin-Pflastern oder anderer systemisch anticholinerg wirkender Substanzen
ist zur Symptomkontrolle möglich, in vielen Fällen jedoch aufgrund der negativen Auswirkungen
auf die ohnehin beeinträchtigte Kognition problematisch.
Anticholinerg wirkende Substanzen können Speichelfluss, Schlafstörung, Unruhe und
Depression behandeln, aber kognitive Defizite verstärken.
Psychiatrische Symptome
Wie oben ausgeführt finden sich bei der Huntington-Krankheit eine Vielzahl von psychiatrischen
Symptomen. Im Prinzip unterscheidet sich die Behandlung dieser Symptome nicht von
der Behandlung anderer Patienten. Man sollte jedoch vermeiden, für jedes Symptom ein
eigenes Medikament zu verordnen. Vielmehr sollte man die Medikamente so auswählen,
dass jeweils mehrere Symptome behandelt und negative Auswirkungen auf andere Symptome
minimiert werden. Einem neuen Symptom würde man dementsprechend mit einer Dosisänderung
oder mit dem Austauschen eines Medikaments begegnen.
Suizidgedanken kommen in allen Erkrankungsstadien vor und sind mit Angst und Depression
assoziiert [2]. Deren suffiziente Behandlung senkt daher Morbidität und Mortalität der Huntington-Krankheit.
Depressive Symptome werden im Wesentlichen so behandelt wie bei anderen Patienten
mit Depression. Gute Erfahrungen bestehen mit Venlafaxin, das auch bei Angststörungen
helfen kann. Sulpirid, Quetiapin und Aripiprazol können zur Augmentation eingesetzt
werden und als Dopamin-Antagonisten ggf. auch die Chorea positiv beeinflussen.
Gegen Reizbarkeit und Stimmungsschwankungen können SSRI, Clonazepam und Valproat eingesetzt
werden. Clonazepam kann darüber hinaus anxiolytisch, antidepressiv und antipsychotisch
wirken. Die Wirkung ist durch einen Gewöhnungseffekt limitiert; das Suchtpotenzial
ist aufgrund der progredienten Erkrankung meist weniger relevant. Auch Opipramol kann
ängstliche Symptome und „innere Unruhe“ bessern. Neuere Daten legen darüber hinaus
nahe, dass Reizbarkeit durch Cannabinoide (Sativex oder Dronabinol) reduziert werden
kann [8], [9].
Psychotische Symptome wie Halluzinationen und Wahn können in frühen Erkrankungsstadien
mit vorherrschender Chorea durch die dort genannten Neuroleptika behandelt werden
(Quetiapin, Aripiprazol, Risperidon, Olanzapin). Schwere Psychosen im fortgeschrittenen
Stadium mit vorherrschender akinetisch-rigider Symptomatik sollten dagegen mit Clozapin
behandelt werden. Hierbei sind die vorgeschriebenen Blutbildkontrollen zu beachten
(Agranulozytoserisiko).
Bei Schlafstörungen können durch Mirtazapin oder Amitriptylin eingesetzt werden. Leider
kann durch Acetylcholinesterase-Hemmer keine Verbesserung der Kognition erreicht werden.
Nichtmedikamentöse Therapien
Eine Verbesserung des Gehens durch intensive Physiotherapie ist belegt. Zur Orientierung
wurde durch das europäische Huntington-Netzwerk eine entsprechende Leitlinie entwickelt
[11]. Darüber hinaus sind Ergotherapie und Logopädie (s. u.) sinnvoll. Eine stationäre
Aufnahme zur intensivierten Therapie analog zur Parkinson-Komplexbehandlung wäre daher
sinnvoll; die Behandlung wird allerdings aktuell nicht in der gleichen Form erstattet
und erfordert aufgrund der psychiatrischen Symptome mehr pflegerische Ressourcen als
die Behandlung von Parkinson-Patienten.
Nichtmedikamentöse Therapien spielen eine zentrale Rolle in der Versorgung von Huntington-Patienten
[10].
Aufgrund der Verhaltensauffälligkeiten und der kognitiven Defizite sind sozialmedizinische
Aspekte besonders wichtig, aber leider auch besonders schwierig. Die Behördengänge
(für Arbeitsfähigkeit, Grad der Behinderung etc.) können im Verlauf häufig nicht mehr
von den Patienten alleine bewältigt werden, sodass frühzeitig eine gesetzliche Betreuung
eingerichtet werden sollte.
Regelmäßig (ca. einmal pro Jahr) sollte die Frage diskutiert werden, wie am Lebensende
verfahren werden soll. Konkret geklärt werden sollten die Fragen,
-
ob zur Ernährung eine PEG-Sonde gelegt werden soll,
-
ob zur Beatmung eine Tracheotomie erfolgen soll,
-
ob eine Reanimation gewünscht ist oder abgelehnt wird.
Allen Patienten sollte eine psychosomatische Anbindung angeboten werden, um Strategien
zur Krankheitsverarbeitung zu erarbeiten. An manchen Standorten können dazu Strukturen
benutzt werden, die für onkologische Patienten etabliert wurden. Nach diesem Vorbild
ist auch eine intensive Angehörigenarbeit sinnvoll.
Um die Kachexie zu verhindern, ist eine hyperkalorische Ernährung erforderlich. Falls
aufgrund der Schluckstörung nicht ausreichend Kalorien aufgenommen werden können,
sind hyperkalorische Drinks und eine PEG-Sonde indiziert. Eine logopädische Mitbehandlung
ist sinnvoll, um Dysarthrie und Dysphagie zu verbessern und das Risiko für eine Aspiration
zu kennen. Sobald eine relevante Schluckstörung besteht, kann das Andicken von Flüssigkeiten
und das Passieren der Kost sinnvoll sein.
Neuroprotektive Therapien
Bislang gibt es keine neuroprotektive Therapie für die Huntington-Krankheit. Zahlreiche
Therapieversuche waren nicht wirksam und sind daher obsolet, u. a. mit Coenzym Q,
Vitamin A, C oder E, Kreatin, Riluzol, Idebenon, Remacemid oder Minocyclin. Auch eine
symptomatische Therapie mit Pridopidin war nicht wirksam [12].
Aktuelle Studien zielen darauf ab, die genetische Ursache der Huntington-Krankheit
zu behandeln. Dazu werden gegen das Huntington-Gen gerichtete Antisense-Oligonukleotide
(ASO) eingesetzt. Zur besseren Bioverfügbarkeit wurden diese ASO chemisch modifiziert;
dennoch müssen sie intrathekal verabreicht werden. Die verwendete Technologie ist
damit ähnlich wie bei der spinalen Muskelatrophie. Mit diesen ASO konnte eine Reduktion
des Huntington-Proteins im Liquor erreicht werden; ein Wirksamkeitsnachweis auf die
klinischen Symptome wird in laufenden Studien untersucht.
Ein weiterer Ansatz besteht darin, die Manifestation der Erkrankung zu verzögern oder
den Verlauf zu verlangsamen. Dazu wird nach Faktoren gesucht, die bei gleicher Anzahl
von CAG-Wiederholungen das Manifestationsalter oder die Progredienz bestimmen. Ein
verwandter Ansatz besteht darin, die somatische Instabilität zu vermindern, die für
eine potenzierte Expansion der CAG-Wiederholungen im Gehirn und dort insbesondere
im Striatum verantwortlich ist.
Eine tiefe Hirnstimulation mit Zielpunkt Globus pallidus konnte in wenigen Fällen
motorische Symptome der Huntington-Krankheit bessern [13]. Eine Bestätigung in einem größeren Kollektiv steht allerdings noch aus. Bei zwei
Patienten mit juveniler Huntington-Krankheit erbrachte eine tiefe Hirnstimulation
im Globus pallidus keine Besserung [14]. In jedem Fall muss zwischen dem Nutzen für die motorischen Symptome und den von
der Stimulation nicht veränderten kognitiven Einschränkungen abgewogen werden. Eine
Behandlung sollte in klinischen Studien erfolgen.
Chorea minor
Die Chorea minor tritt meist bei Kindern auf, kann aber auch bei Erwachsenen vorkommen;
Frauen sind häufiger betroffen als Männer.
Klinik, Diagnostik
Im Gegensatz zur langsam progredienten Huntington-Krankheit ist der Beginn subakut.
Die Bewegungsstörung an sich ist vergleichbar mit der Huntington-Krankheit; eine einseitige
Ausprägung ist jedoch möglich. Die Bewegungsstörung kann wie die Huntington-Krankheit
von psychiatrischen Symptomen und kognitiven Einschränkungen begleitet sein. Häufig
sind Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen und Aufmerksamkeitsstörung, aber auch Zwänge
und Halluzinationen kommen vor.
Die Krankheit ist eine Autoimmunenzephalitis und tritt meist Wochen bis Monate nach
einer Infektion mit Streptokokken auf. Ein positiver Titer für Anti-Streptolysin O
oder Anti-DNAse B kann die Diagnose stützen; ein negativer Titer schließt die Erkrankung
jedoch nicht aus. Die MRT kann Signalveränderungen in Striatum oder Kortex zeigen.
Beweisend für die Diagnose ist neben dem klinischen Bild insbesondere der benigne
Verlauf: Die Bewegungsstörung selbst lässt in der Regel spontan innerhalb von Wochen
bis Monaten nach. Symptomatisch kann sie zudem mit Tiaprid, Valproat oder Benzodiazepinen
(z. B. Clonazepam) behandelt werden.
Eine unerkannt persistierende Infektion, insbesondere eine Endokarditis, ist die wichtigste
Ursache für einen ungünstigen Verlauf der Chorea minor.
Eine 53-jährige Patientin wird aufgrund einer seit 2 Tagen bestehenden Bewegungsstörung
in die Notaufnahme gebracht. Sie zeigt klinisch unwillkürliche, schraubenförmige Bewegungen
der Hände (links mehr als rechts) und des linken Beins. Sie gehen aufgrund des akuten
Auftretens zunächst von einer zerebralen Ischämie aus. Ein cCT und in der Folge ein
cMRT sind jedoch unauffällig. Es zeigen sich keine ischämischen Läsionen und keine
Eisenablagerungen im Striatum. Laborchemisch finden sich keine Hinweise auf metabolische
Veränderungen, insbesondere normale Werte für Blutzucker, HbA1c, Elektrolyte, Leber- und Nierenwerte, Schilddrüsenwerte und Schilddrüsen-Antikörper.
Das CRP ist leicht erhöht, Rheumafaktor, ANA und Phospholipid-Antikörper sind unauffällig.
Im Blutausstrich finden sich keine Akanthozyten. Im Liquor werden normale Werte für
Zellzahl und Eiweiß bestätigt, oligoklonale Banden stehen noch aus. Da Sie keine Erklärung
finden, verschicken Sie Serum zur Bestimmung neuronaler Antikörper.
Am Folgetag berichtet die Tochter der Patientin von einer Pneumonie 3 Wochen vor der
aktuellen Aufnahme. Sie bestimmen daraufhin Antikörper gegen Streptolysin O und DNAse
B, die positiv sind. Sie gehen in der Summe von einer Chorea minor aus und beginnen
eine Medikation mit Penicillin G (3 × 3 Mio. IE i. v. über 10 Tage).
Wiederholte Blutkulturen bleiben steril, ein TEE zeigt keinen Hinweis auf eine Endokarditis,
eine Abdomensonografie findet ebenfalls keinen Fokus, es gibt keinen Hinweis auf eine
Arthritis.
Die Patientin leidet subjektiv unter der Bewegungsstörung; sie berichtet von Schmerzen
im Bereich der vermehrt belasteten Gelenke und sagt, sie traue sich mit den Symptomen
nicht in Gesellschaft.
Sie beginnen eine Medikation mit Tiaprid und steigern um 50 mg pro Tag bis 3 × 100 mg.
Um die Rückbildung der Bewegungsstörung zu beschleunigen, verordnen Sie zudem Prednisolon
(70 mg für 2 Wochen, dann in absteigender Dosierung). 6 Wochen nach dem Akutereignis
sehen Sie die Patientin erneut in Ihrer Ambulanz. Die Bewegungsstörung hat sich weitgehend
zurückgebildet, sodass Sie auch die Medikation mit Tiaprid abdosieren.
Daher sollte die Bewegungsstörung Auslöser für eine Fokussuche sein (Blutkulturen,
TEE, Abdomensonografie). Auch weitere Organmanifestationen des rheumatischen Fiebers
(Karditis, Arthritis) sollten ausgeschlossen werden.
Therapie
In der Regel erfolgt auch ohne Nachweis einer persistierenden Infektion (bzw. vor
Eingang des Ergebnisses) eine Antibiotikatherapie mit Penicillin G (3 × 3 Mio. IE
i. v. ) über 10 Tage, bei Penicillin-Allergie mit Clarithromycin (erster Tag 2 × 500 mg,
dann 2 × 250 mg). Systemische Entzündungszeichen werden zusätzlich mit NSAID behandelt.
In schweren Fällen ist eine immunsuppressive Behandlung mit Prednisolon indiziert.
Eine Wirkung intravenöser Immunglobuline ist in der weiteren Eskalation ebenfalls
belegt.
Da Reinfektionen mit Streptokokken mit einem schwerer verlaufenden Rezidiv verbunden
sein können, wird nach pädiatrischer Leitlinie eine Reinfektionsprophylaxe mit dem
Depot-Penicillin Benzathinpenicillin G (1,2 Mega-IE i. m. alle 4 Wochen), alternativ
Penicillin V 2 × 250 mg/d oder Erythromycin 2 × 250 mg/d oral empfohlen, ohne Karditis
über 5 Jahre, mit Karditis über 10 Jahre bzw. mindestens bis zum 40. Lebensjahr. Das
Risiko für ein Rezidiv nimmt allerdings mit dem Alter ab; für Patienten oberhalb des
40. Lebensjahrs gibt es daher keine datenbasierten Empfehlungen zur Wertigkeit einer
Reinfektionsprophylaxe.
Bei Verdacht auf Chorea minor persistierende Infektionen ausschließen bzw. behandeln.
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Die Huntington-Krankheit beinhaltet motorische, psychiatrische und kognitive Symptome.
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Die motorischen Symptome sollten nur soweit behandelt werden, wie sie den Patienten
funktionell einschränken.
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Die Behandlung der psychiatrischen Symptome ist für die Lebensqualität und die Prognose
entscheidend.
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Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und Sozialarbeit sind wichtige Teile der Behandlung.
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Ein Einbeziehen der Angehörigen ist sinnvoll; sie sind oft gleichzeitig Versorgende
und mögliche Genträger.
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist Prof. Dr. med. Björn Falkenburger, Dresden.
Zitierweise für diesen Artikel
Fortschritte der Neurologie · Psychiatrie 2020; 88(6): 403–415. Dieser Beitrag ist
eine aktualisierte Version des Artikels: Falkenburger, B. Huntington-Krankheit und
Chorea minor. Neurologie up2date 2019; 2(02): 135-148