Einleitung
Die Facies leontina oder leonina (lateinisch „Löwengesicht“) beschreibt die morphologische
Manifestation einer diffusen dermalen Infiltration des Gesichts. Es resultieren vergröberte
Gesichtszüge, die v. a. die Stirn, Nase, Lippen, Augenlider und Ohren betreffen. Sie
tritt bei verschiedenen Erkrankungen auf und wurde klassischerweise bei der lepromatösen
Lepra beschrieben.
Kasuistik
Anamnese
Ein 69-jähriger Patient wurde uns von seiner betreuenden Hautärztin aufgrund von seit
6 Monaten bestehenden, grob-wulstigen, violetten Knoten im Gesicht zugewiesen. Die
symptomlosen Hautveränderungen hatten zunächst auf der Nase begonnen, im Verlauf kamen
auch zunehmend knotige Veränderungen an den Wangen, den Augenbrauen und den Ohren
hinzu. Als Grunderkrankungen bestand seit 4 Jahren eine chronische lymphatische Leukämie,
welche bisher nicht behandlungspflichtig war. Eine B-Symptomatik bestand nicht. An
weiteren Diagnosen war bei dem Patienten eine arterielle Hypertonie bekannt, welche
mit Hydrochlorothiazid und Lercanidipin behandelt wurde.
Aufnahmebefund
Bei Vorstellung sah man im Gesicht, insbesondere über den Augenbrauen, an den Wangen,
der Stirn und den Ohren, wulstartige, weiche, erythematöse Knoten. Die Nase war Rhinophym-artig
erythematös infiltriert mit deutlich erkennbaren Teleangiektasien ([Abb. 1 a, b]). Vergrößerte Lymphknoten ließen sich zervikal, axillär und inguinal beidseits palpieren.
Abb. 1 a, b Patient mit knotigem kutanen Infiltrat der chronischen lymphatischen Leukämie vor
Therapie. c, d Befund nach 3-monatiger Therapie (3 von 6 geplanten Zyklen Bendamustine und Rituximab).
Aufgrund der Hautveränderungen und unter Berücksichtigung der Anamnese wurde neben
einer umfassenden Labordiagnostik eine diagnostische Exzision von einem repräsentativen
Hautareal von der Stirn mittig links zur histologischen und immunhistologischen Diagnosesicherung
durchgeführt.
Histologie
Die (Immun-)Histologie passte zu einem spezifischen Infiltrat bei bekannter chronischer
lymphatischer Leukämie. Subepidermal zeigte sich eine ausgeprägte Infiltration von
monomorphen lymphoiden Zellen mit Koexpression von CD20, CD5 und CD23 ([Abb. 2]).
Abb. 2 a Histologischer Schnitt mit Hämatoxylin-Eosin-Färbung: Diffuse Infiltration der Dermis
durch ein monomorphes kleinzelliges Lymphzellinfiltrat, × 5. b Immunhistologische Färbung: Expression von CD20 durch die Tumorzellen, × 10.
Laboruntersuchungen
Erhöht waren: Leukozyten 21,4 Gpt/l, Lymphozyten 8,99 Tsd/µl, neutrophile Granulozyten
6,42 Tsd/µl. Erniedrigt waren: Hämoglobin 7,9 mmol/l, MCH 17,9 g/dl. Normwertig waren:
Hämatokrit 44 %, Erythrozyten 4,72 Tsd/µl, Thrombozyten 243 Tsd/mcl, MCV, eosinophile
Granulozyten 0,43 Tsd/µl und basophile Granulozyten 0,00 Tsd/µl. Standardserumanalyse:
Normwertig waren: Kreatinin, Harnsäure, Natrium, Kalium, LDH, GOT, GPT, g-GT.
Immunzytologischer Befund
Fluorescence-activated cell sorting (FACS) – Analyse: Es lag der für eine chronische
lymphatische Leukämie typische Immunphänotyp vor: Nachweis einer reifen B-lymphatischen
Population (53 %) mit Expression von CD5, CD19 und CD23 sowie schwacher Expression
von CD20, CD22 und CD79b und fehlender Expression von CD10 und FMC7. CD38 wurde auf
90 % der B-Zellen exprimiert. Es bestand eine Leichtkettenrestriktion Lambda.
Molekularzytogenetischer Befund
Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) – Analyse: An peripheren Blutausstrichen
wurden Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierungen mit Sonden durchgeführt, die die Zentromer-Region
von Chromosom 12, das DLEU-Gen (13q14), die anonymen Loci D13S319 und D13S25 (13q14),
das SEC63-Gen (6q21), das MYB-Gen (6q23), das ATM-Gen (11q22) bzw. das TP53-Gen (17p13)
markieren. In je 100 analysierten Interphase-Kernen fand sich weder eine Deletion
der Gene SEC63, MYB, ATM, TP53, DLEU bzw. der Loci D13S319 und D13S25 noch eine Trisomie
12.
Ferner wurde eine Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung mit Sonden durchgeführt, die
spezifisch den IGH-Locus (14q32) bzw. das CCND1-Gen (11q13) markieren. In allen 100
ausgewerteten Interphase-Kernen fand sich kein Hinweis auf das Vorliegen eines IGH-CCND1-Rearrangements,
dem molekulargenetischen Korrelat der t(11;14)(q13;q32).
Molekulargenetik
Nachweis einer IGHV3-23*01-Mutation bei 2,4 % der Immunglobuline im Bereich der variablen
Region der schweren Kette (Methode: Sanger-Sequenzierung). Kein Nachweis einer Mutation
im TP53-Gen (Methode: Next Generation Sequencing).
Sonderuntersuchungen
In der durchgeführten Computertomografie-Untersuchung von Thorax und Abdomen sah man
mediastinal, axillär beidseits, mesenterial, retrokrural sowie inguinal beidseits
bis zu 2,5 cm im Querdurchmesser messende Lymphome. Des Weiteren zeigte sich eine
Splenomegalie mit einem Maximaldurchmesser längs von 15 cm und quer von 7,5 cm.
Therapie und Verlauf
Entsprechend der Empfehlung der aktuellen S3-Leitlinie zur chronischen lymphatischen
Leukämie [1] wurde bei körperlich fitten, über 65-jährigen Patienten ohne relevante Begleiterkrankungen
und molekulargenetische Risikofaktoren (del(17 p) und/oder TP53-Mutation) eine Chemoimmuntherapie
mit Bendamustin und dem CD20-Antikörper Rituximab eingeleitet.
Die alternativen Behandlungsoptionen mit oralem Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitor (Ibrutinib)
oder intensivierter Chemotherapie (Rituximab mit Fludarabin und Cyclophosphamid) wurden
nach Diskussion mit dem Patienten und Abwägung von Therapiedauer und Komplikationsrisiken
verworfen.
Die Wiedervorstellung in unserer Hautklinik erfolgte nach 3 von 6 monatlich verabreichten
Zyklen. Bereits hier zeigte sich klinisch ein deutliche Abnahme der grobwulstigen,
violetten Knoten im Gesicht ([Abb. 1 c, d]).
Diskussion
Wir berichten über einen Patienten mit der seltenen Entwicklung einer Facies leontina
als Leukaemia cutis bei einer seit 4 Jahren bekannten chronischen lymphatischen Leukämie.
Die Facies leontina ist ein rein deskriptiv-symptomatischer Begriff und kann sich
bei verschiedensten Erkrankungen manifestieren ([Tab. 1]) [2]
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[16]
[17]
[18]. Am häufigsten ist die Facies leontina mit der lepromatösen Lepra oder dem kutanen
T-Zell-Lymphom assoziiert.
Tab. 1
Krankheiten, bei denen über die Manifestation einer Facies leontina berichtet wurde;
AML: akute myeloische Leukämie, CLL: chronische lymphatische Leukämie.
Diagnose
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Ref.
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Diagnose
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Ref.
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Infektionen
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Photodermatosen
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Lepra
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[2]
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Photoallergische Dermatosen
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[12]
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Trichodysplasia spinulosa
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[3]
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Primäre Hautkrankheiten
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Neoplastische Erkrankungen
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Morbus Darier
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[13]
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Leukämie
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AML
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[4]
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Rhinophym/ Rosazea/Talgdrüsenhyperplasie
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[14]
[15]
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CCL
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[5]
[6]
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Stoffwechselstörungen
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Sézary-Syndrom
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[7]
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Lichen myxoedematosus
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[16]
|
Mycosis fungoides
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[8]
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Granulomatöse Erkrankungen
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Systemische Mastozytose
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[9]
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Sarkoidose
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[17]
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Multiple familiäre Trichoepitheliome
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[10]
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Syndrome
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Histiozytose
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[11]
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Pachydermoperiostosis
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[18]
|
Bei unserem Patienten zeigte sich histologisch bzw. immunhistologisch ein monomorphes
Infiltrat aus atypischen, kleinen, zytoplasmaarmen Lymphozyten mit Expression von
CD20, CD5 und CD23. Beim durchgeführten Staging mittels Computertomografie-Untersuchung
von Thorax und Abdomen sah man eine Lymphknotenbeteiligung mediastinal, axillär beidseits,
mesenterial, retrokrural und inguinal beidseits sowie eine Splenomegalie. Aufgrund
der Hämoglobin- und Thrombozytenwerte ließ sich die chronische lymphatische Leukämie
nach Binet ins Stadium B klassifizieren.
Kutane Manifestationen bei Leukämien sind morphologisch sehr heterogen und lassen
sich in 2 Gruppen einteilen: unspezifische Läsionen und spezifische leukämische Infiltrationen,
die auch als Leukaemia cutis bezeichnet werden. Zu den unspezifischen Läsionen gehören
Hämorrhagien, ein generalisierter Juckreiz, die Erythrodermie, das Pyoderma gangraenosum,
die Urtikaria, das Erythema multiforme, das Erythema nodosum, die akute febrile neutrophile
Dermatose, eine Pannikulitis und eine leukozytoklastische Vaskulitis. Diese unspezifischen
Hautläsionen finden sich bei etwa einem Drittel der Patienten mit Leukämie [19]. Spezifische leukämische Infiltrationen, das heißt eine Leukaemia cutis, ist dagegen
bei der chronischen lymphatischen Leukämie relativ selten und tritt weit weniger häufig
auf als bei T-Zell-Leukämien oder Lymphomen [20]. Agnew et al. untersuchten 750 Fälle von chronischer lymphatischer Leukämie und
identifizierten nur 3 Fälle von Leukaemia cutis [21]. Das klinische Bild der Leukaemia cutis ist variabel und umfasst Maculae, Papeln,
Noduli und Plaques [19]. Eine Facies leontina ist bisher nur in sehr wenigen Fällen bei einer Leukämie,
insbesondere bei der chronischen lymphatischen Leukämie, beschrieben worden ([Tab. 1]).
Der Mechanismus für die Migration der leukämischen Zellen in die Haut und damit die
Entstehung der Facies leontina ist bisher unklar. Auffallend ist, dass bei fast der
Hälfte der Patienten mit kutaner Manifestation einer chronischen lymphatischen Leukämie
die Leukaemia cutis in unmittelbarer Nähe zu einer anderen Hautkrankheit oder im Bereich
einer abgeheilten Hauterkrankung wie z. B. einem Herpes Zoster beobachtet wird [22]. Dieses Phänomen wird als „Wolfs isotope Reaktion“ beschrieben, d. h. das Auftreten
einer neuen Hauterkrankung an der gleichen Stelle einer nicht verwandten, teils bereits
abgeheilten Dermatose. Es wurden viele ätiopathogenetische Mechanismen vorgeschlagen,
darunter neurale, vaskuläre und immunologische Faktoren. Obwohl ein lokales immunologisches
Ungleichgewicht als der wichtigste Faktor angesehen wird, ist die genaue Pathogenese
noch unklar [23].
In unserem Fall bestand bei dem Patienten vor der Manifestation der Facies leontina
eine ausgeprägte aktinische Elastose im Gesicht. Beruflich war der Patient als Dachdecker
jahrelang einer erhöhten UV-Strahlung ausgesetzt gewesen. Gegebenenfalls könnte diese
aktinische Elastose die Einwanderung der B-Lymphozyten in die Haut begünstigt haben.
Zusammenfassend sollte bei knotig-erythematösen, teleangiektatischen Hautveränderungen
im Gesicht im Sinne einer Facies leontina insbesondere bei älteren Patienten immer
eine zugrunde liegende Leukämie mitbedacht werden. Diese lässt sich mittels Hautbiopsie
leicht diagnostizieren. Bei den bisher publizierten Fällen einschließlich des hier
dargestellten Falls zeigte sich ein jeweils gutes Ansprechen der Hautveränderungen
auf die eingeleitete Therapie der chronischen lymphatischen Leukämie.