ergopraxis 2020; 13(05): 40-42
DOI: 10.1055/a-1131-2137
Perspektiven
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Auf die Mischung kommt es an – Bewerber filtern

Barbara Freitag-Herse
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Publication Date:
04 May 2020 (online)

 

Bei der Besetzung einer Stelle achten Arbeitgeber auf einiges: vollständige Unterlagen, ein gelungener Probetag und Berufserfahrung. Und sympathisch soll der neue Mitarbeiter sein – oder ist das gar nicht so wichtig? Bei der Wahl eines neuen Arbeitnehmers sollten Sie nicht nur auf Ihr Bauchgefühl hören.


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Barbara Freitag-Herse

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Barbara Freitag-Herse ist selbstständige Ergotherapeutin, Coach, Dozentin und Kommunikationstrainerin. Seit vielen Jahren begleitet sie therapeutische und pädagogische Teams in Findungs- und Konfliktsituationen. Hier und auch in den Familiencoachings liegt ihr besonders der wertschätzende und ebenbürtige Umgang miteinander am Herzen. „Gemeinsam zu Begeisterung, Lachen und Entwicklung“ ist ihr Grundthema bei Workshops und Seminaren.

Wir wissen alle, dass pathetische Begriffe wie „der einzig Wahre“ oder „die einzig Richtige“ im Privatleben oftmals Tücken haben. Anfängliche Begeisterung hat sich nach dem ersten oder zweiten Anschein schon des Öfteren in Luft aufgelöst – nicht zuletzt durch eine emotionale Verklärung oder aus der Angst heraus, sonst allein zu bleiben.

Bei der Stellenbesetzung in unseren Praxen oder Abteilungen in großen Einrichtungen ist dies nicht viel anders. Ich habe gerade in den Zeiten des Fachkräftemangels schon häufig erlebt, dass Stellen hauptsächlich deshalb mit einer bestimmten Bewerberin besetzt wurden, weil „ja sonst keiner da ist“.

Vor wenigen Wochen hat mich ein großes Team um Hilfe gebeten, da dort einfach gar nichts mehr rund lief. In der ambulanten Pflege ist der Mangel an Mitarbeitern verglichen mit Therapiepraxen deutlich dramatischer. Die Arbeitgeberin dort hatte sich – aus der Not heraus – für eine neue Mitarbeiterin entschieden, die, wie sich herausstellte, weder zu dem anstehenden Arbeitspensum noch zu den Teamstrukturen passte. Was folgte, waren Missstimmungen, Brüche in den eigentlich gut abgestimmten Arbeitsabläufen und schließlich auch finanzielle Verluste durch eine Kündigung.

Bauchgefühl gepaart mit Vernunft und Struktur

Natürlich sind wir nie wirklich zu einhundert Prozent auf der sicheren Seite, wenn es um das Einstellen neuer Mitarbeiter geht. Es wäre eine große Hybris gepaart mit Kristallkugelschauerei, zu behaupten, eine Fehlbesetzung könne man immer ausschließen. Die Risiken lassen sich jedoch minimieren.

Gerade wir Therapeuten neigen dazu, vor allem Bauchgefühl und Empathie für eine neue Mitarbeiterin oder einen neuen Mitarbeiter entscheiden zu lassen. Auch wenn ich in meinen vielen Jahren der Selbstständigkeit meinem inzwischen gut trainierten Bauchgefühl so einiges an erspartem Ärger verdanke, lohnt es sich, dem Gefühl auch noch Struktur und Vernunft an die Seite zu stellen. Gemeinsam sind diese drei Musketiere ein sehr verlässliches Team, mit dem Sie Ihre Führungs- und Arbeitgeberkompetenz auf sichere, verantwortungsbewusste Füße stellen.


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Sympathie ist nicht alles

Für unsere privaten Freundschaften, Beziehungen und sogar für die Jogginggruppe ist es toll, wenn wir einen ähnlichen Charakter finden. Es ist super, wenn wir vielleicht den gleichen Musikgeschmack oder Lieblingsfriseur haben oder der gleiche Ernährungstyp sind. Das ist auch bei weltanschaulichen Themen sicherlich prima, genau wie bei politischen oder religiösen Überzeugungen – aber eben für den privaten Lebensbereich.

Für Ihre Praxis ist es – jetzt werde ich mal ganz direkt, bitte verzeihen Sie mir – überhaupt nicht wichtig, ob Sie das neue Teammitglied „total sympathisch“ finden. Sicherlich ist das gut, aber eben nicht entscheidend! Wirklich entscheidend ist: Passt der/die Neue zum Team, zum Arbeitsaufkommen, zu den Arbeitsstrukturen und schlussendlich zu den Patienten? Ihre Praxis ist ein eigener Organismus, und für diesen suchen Sie, sozusagen stellvertretend, ein neues Organ.


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Den Praxisorganismus richtig besetzen

Es ist wunderbar, wenn Sie im übertragenen Sinne mit Nieren hervorragend auskommen. Wenn Ihr Praxisorganismus jedoch eine Leber benötigt, wäre jede Niere eine Fehlbesetzung und kein guter Ersatz. Wenn Sie für die offene Stelle einen ruhigen, empathischen, sanften Menschen benötigen, ist genau dieser gesucht und eben nicht eine quirlige One-Man-Show, auch wenn Sie selbst eine sind und damit viel Spaß und Freude hätten. Wenn Sie dies nicht beachten, haben Sie später möglicherweise eine Sammlung mehrerer Ausgaben Ihrer selbst, und notwendige Lebensbereiche des Praxisorganismus bleiben unbesetzt.

Ich bin zum Beispiel ein sehr optimistischer, tatkräftiger und manchmal auch spontaner Mensch. Ich liebe das Planen, kreatives Erfinden neuer Projekte und bin sehr begeisterungsfähig. Meine Kraft liegt im Um-die-Ecke-denken, in humorvollen Lösungen in scheinbar völlig verfahrenen Situationen. Ich übernehme sehr gern Verantwortung und bin bereit, mit viel Kraft und Engagement zu lernen, zu durchdenken und umzusetzen. Ich kann 378 Dinge gleichzeitig im Kopf haben, ohne dass etwas herunterfällt, jedoch weiß das keiner, denn sie sind ja in meinem Kopf … Ich kann spontan eine Planung umwerfen, ohne Schnappatmung zu bekommen, und kann gut mit Veränderungen, die ich auch selbst initiiere, umgehen.


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Die Mischung macht‘s

Ganz ehrlich: Noch mehr solcher Menschen wie mich kann kein Team ertragen, und es wäre eine vollkommene Fehlbesetzung, wenn etwa meine Rezeptionsheldin genauso ticken würde. Sie bringt die Struktur mit, die mir manchmal fehlt, die Treue in der Umsetzung, das Abarbeiten und die ruhige, beharrliche Kraft. Eine meiner Mitarbeiterinnen hat das sanfteste Wesen, das mir je begegnet ist. Sie ist liebevoll ordentlich in der Umsetzung ihrer Arbeit, macht sich manchmal etwas zu viele Sorgen, ist dadurch aber äußerst pingelig und beständig. Durch die ruhige Art und das wortlose Kommunizieren ist sie auch eine perfekte Therapeutin für alle Patienten, für die ich viel zu laut wäre. Wir sind ein Dreamteam, weil sie eben nicht genauso ticken wie ich. Durfte ich aber auch erst lernen … Und Sie brauchen meine Besetzungsfehler nicht zu wiederholen. Übereinstimmungen, genauso wie lange Freundschaften oder eine gemeinsame Ausbildung sollten nie die Entscheidung für oder gegen eine Einstellung sein.


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Zu viel Nähe bedeutet Stress

Bedenken Sie bitte Ihre Position! Sie sind als Arbeitgeber die Führungsperson, diejenige, die auch mal unangenehme Entscheidungen treffen muss. Eventuell müssen Sie ermahnen und Prozedere durchsetzen. Dann kann eine zu große Nähe eine wirkliche Herausforderung sein. Diese ist durch Klarheit absolut lösbar, benötigt jedoch von Ihnen ein großes Maß an Kommunikationsfähigkeit und Reflexionsvermögen. Sie glauben gar nicht, wie viele kritische Mitarbeitergespräche schon nicht stattgefunden haben, weil man sich ja morgen im Sportverein oder beim Kindergeburtstag sieht. Wenn es dann nach all den anderen Kriterien eben doch solche Übereinstimmungen, Freundschaften und so weiter gibt – prima! Aber eben erst danach. Wie können Sie also nun möglichst passende Bewerber für eine offene Stelle herausfiltern? Mit vier Schritten kommen Sie zum Ziel.


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In vier Schritten den passenden Bewerber wählen

1. Definieren Sie die Bedürfnisse der Praxis

Um sich selbst ein wenig herauszunehmen, ist es recht sinnvoll, die Situation dissoziiert zu betrachten. Schauen Sie sich die Praxis „von außen“ an. Welche Bedürfnisse hat sie an die neue Person? Aus den Bedürfnissen erstellen Sie eine Liste und priorisieren diese (zum Beispiel: innovativ, spezielle Fähigkeiten, berufserfahren, kommunikativ, Stundenumfang).

Dem ersten Anschein nach wirken diese Kriterien gleichwertig. Betrachten Sie jedoch genau die Einsatzgebiete, wird schnell deutlich, dass es unterschiedliche Gewichtungen gibt. Wenn Sie etwa eine Heimbetreuung neu besetzen wollen, mit der die Zusammenarbeit in puncto Verordnungen, Absagen, Einhalten der Termine etc. schwierig ist, ist es wichtig, einen Menschen dorthin zu schicken, der sich gut organisieren kann, der flexibel Lösungen findet und der sich auch durchsetzen kann. Ob dieser Bewerber in den letzten Jahren auf einer außergewöhnlichen Fortbildung war, kann dann sekundär sein.


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2. Bereiten Sie das Vorstellungsgespräch sorgfältig vor

Allein zu diesem Thema kann man Bücher füllen. Das Wichtigste zusammengefasst: Legen Sie vor den ersten Gesprächen eine Struktur fest, um ein möglichst rundes Bild über den potenziellen Mitarbeiter zu erhalten und um die zu besetzende Position bestmöglich darzustellen. Was möchten Sie auf jeden Fall erfahren? Was ist Ihnen wichtig zu berichten?

Ganz klassisch nutzt man zu Beginn den Smalltalk, um die Situation zu entspannen, und geht dann zum Lebenslauf des beruflichen Werdegangs über. Auch, was die Person dazu bewogen hat, sich zu bewerben, ist eine spannende Frage.

In der Kürze einer Stellenanzeige können Sie immer nur einen groben Überblick über die tatsächliche Arbeit geben. Deswegen sollten Sie schon im Vorhinein so genau wie möglich klären, welche Arbeits- und Einsatzbereiche zur Disposition stehen. Wenn sich herausstellt, dass zum Beispiel doch mehr geriatrische Patienten zu behandeln sind als gewünscht, ist dies nicht zuletzt für die Patienten eine ungünstige Situation.

Vermeiden Sie den Irrtum: „Der neue Mitarbeiter muss genau wie ich ticken.“

Ich – und das ist wirklich eine ganz persönliche Sache – stelle sehr gern Menschen ein, die Brüche in ihrem Lebenslauf haben. Mir ist klar, dass eigentlich jeder genau dies zu verbergen sucht und diese auch in der freien Wirtschaft oft das Knock-out-Kriterium sind. Inzwischen erlaube ich mir aber, genau dies zu bevorzugen. Wenn ein Mensch im Laufe seines Lebens wegen einer Krise, persönlicher Umstände oder auch seiner Reiselust keinen schlüssigen Arbeitgeberverlauf hat, kann dies durchaus viele Vorteile haben! Dieser Mensch hat ganz offensichtlich die zwei wichtigsten Dinge im Leben bereits trainiert: seine Stehauf-Fähigkeit und den Durchhaltemuskel. Wunderbar! Was kann mir als Chefin für mich und meine Patienten Besseres passieren?


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3. Strukturieren Sie die Ergebnisse

Nach ein paar Vorstellungsgesprächen und Telefonaten haben Sie eine Fülle von unterschiedlichen Eindrücken gesammelt. Da geht schon mal die eine oder andere Information unter oder wird erst gar nicht vollständig aufgenommen. Erstellen Sie sich eine Tabelle mit den wichtigsten Kriterien, damit Sie einen Vergleich anstellen können ([TAB]., S. 41).

TAB. Eine Tabelle hilft, um zwischen mehreren Bewerbern zu entscheiden.

Bewerber

Unterlagen vollständig

Erfahrungen/Fortbildungen

gewünschter Stundenumfang im Vergleich zur Stelle (20 Std./Wo.)

Gehalts-vorstellung

Soft Skills, Bauchgefühl

Reaktion Team

Frau X

ja

wenig

20

1.800 Euro

ruhig, motiviert, noch unerfahren

sehr positiv, entspannt

Frau Y

ja

nein

34

?

freundlich, souverän

angespannt

Sie sehen in der letzten Spalte, dass ich die Reaktion des Teams als Entscheidungskriterium miteinbeziehe. Hospitationstage finden in meiner Praxis immer an den Tagen statt, an denen auch Teamsitzung ist. Hier kann ich erleben, wie sich das Team verhält. Selbstverständlich treffe ich die verantwortliche Einstellungsentscheidung, aber mein bestehendes Team muss ab Einstellungsdatum mit dem/der Neuen zusammenarbeiten. Da ich sehr viel Wert auf die Stimmung und das Vertrauen in meinem Team lege, ist das Zusammenspiel ein wichtiger Faktor für mich. Ähnlich einem Orchester genügt es nicht, sein Instrument zu beherrschen. Das gemeinsame Spiel, das Aufeinander-Hören macht die Noten auf dem Blatt erst zu einem Hörgenuss.


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4. Schlafen Sie drüber

Diesen alten Tipp meiner Oma beherzige ich noch heute, und haben Sie keine Angst, dass Ihnen etwas entgeht. Sollte sich ein Bewerber nun innerhalb von 24 Stunden für eine andere Stelle entscheiden, obwohl Sie vereinbart haben, dass Sie beide beispielsweise übermorgen miteinander sprechen, dann ist dies vermutlich auch gut so. Zügiges und entschlossenes Handeln ist gut – überhastetes Zusagen eines Arbeitsvertrags, weil er/sie sich sonst woanders bewirbt, ist keine gute Idee für eine doch bitte möglichst langfristige und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Demonstrieren Sie lieber Verlässlichkeit, dass Sie sich auch wirklich an dem vereinbarten Termin mit Ihrer Entscheidung melden.

In Verkaufstrainings wird mit einem uralten Trick gearbeitet: künstliche Verknappung. „Nur heute erhalten Sie diese wundervolle Pfanne mit Griff, ab morgen bekommen Sie die niiiiie wieder! Entscheiden Sie sich jetzt!“ Obwohl ich dies als Coach schon vor 20 Jahren als überaltert erlebt habe, wird dies immer noch eingesetzt. Und immer noch lassen sich Menschen dadurch zu Entscheidungen beeinflussen. Sollte Sie also ein potenzieller Mitarbeiter durch künstliche Verknappung unter Druck setzen, kann ich Ihnen nur empfehlen, sich zurückzulehnen, tief durchzuatmen und zu lächeln. Keine wirklich gute Pfanne muss so angepriesen werden. Ebenfalls kein wirklich guter Mitarbeiter.


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Sich in der Probezeit beschnuppern

Wenn Sie nun hoffentlich aus der Fülle von Bewerberinnen und Bewerbern neue Mitarbeiter herausgefiltert haben, beginnt die wichtige Phase der Probezeit, in der sich nun herausstellen wird, ob Sie beide auch langfristig zueinander passen werden und ob die Stelle Ihrer beiden Anforderungen entspricht. Dafür wünsche ich Ihnen sehr viel Klarheit, Besonnenheit und auch eine große Portion Fröhlichkeit, denn nicht nur nach Hermann Hesse wohnt jedem neuen Anfang ein Zauber inne.


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