ergopraxis 2020; 13(05): 44-45
DOI: 10.1055/a-1131-2149
Perspektiven
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Digital begleitet – Telemedizin

Cornelia Kittlick
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Publication Date:
05 May 2020 (online)

 

Gerade bei chronischen Erkrankungen kann eine engmaschige telemedizinische Betreuung der Patienten entscheidend für den objektiv messbaren Therapieerfolg und die subjektiv empfundene Lebensqualität der Betroffenen sein. Cornelia Kittlick von Thieme TeleCare gibt einen Einblick in die derzeitigen Möglichkeiten der Telemedizin.


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Cornelia Kittlick

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Cornelia Kittlick ist Mitglied der Geschäftsleitung der Thieme TeleCare GmbH und dort als Leiterin der strategischen Projekte und Kooperationen tätig.

Patienten gehen bei stabilem Erkrankungszustand in der Regel vierteljährlich zu einer ärztlichen Routineuntersuchung. Dabei erfasst der Arzt den Gesundheitszustand des Patienten punktuell an diesem Tag. Zwischen diesen Terminen kann der Zustand des Patienten stark schwanken. Was dazu geführt hat, lässt sich zum Zeitpunkt des Arztbesuches jedoch kaum ermitteln.

Eine telemedizinische Versorgung kann die Lücken zwischen isolierten Untersuchungen überbrücken und so den beschriebenen Straßenlampeneffekt überwinden [1].

Verschiedene Mittel im Einsatz

Telemedizin steht als Sammelbegriff für unterschiedliche Versorgungsleistungen, die aus räumlicher Entfernung erfolgen. Dabei kommen digitale oder telemetrische Mittel zum Einsatz. Eine telemedizinische Versorgung ist immer in Ergänzung zur Regelversorgung zu verstehen und kann diese nicht ersetzen.

Tele-Coaching beispielsweise führt in der Regel medizinisches Fachpersonal wie Kranken- und Pflegepersonen, Therapeuten oder Diätassistenten durch. Sie wurden zusätzlich zu ihrer medizinischen Ausbildung auch in Kommunikationstrainings zu Patientenmotivation oder Therapieadhärenz-Steigerung geschult. Ziel des Tele-Coachings ist es, die Person über ihr Erkrankungsbild aufzuklären, sie in ihrer individuellen Erkrankungssituation zu begleiten und in kleinen Schritten bei der Einhaltung ihrer Therapie zu unterstützen.


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Eine Ergänzung zur Regelversorgung

Die telemedizinische Versorgung erfolgt je nach Indikation und Bedarf des Patienten. So wird ein individuelles Tele-Coaching bei Patienten mit Herzinsuffizienz etwa durch eine Telewaage ergänzt. Hierbei werden gemessene Gewichtswerte automatisch an ein Medizinisches Servicecenter übertragen und ausgewertet. Mithilfe einer Schwellwertüberprüfung können nötige Interventionen frühzeitig eingeleitet und durchgeführt werden.

Bei Personen mit chronischen Rückenschmerzen wird derzeit erprobt, inwiefern man ein digital gestütztes Coaching als Ergänzung zur Regelversorgung einsetzen kann. So erhält der Betroffene zusätzlich zum Beispiel eine App, die mit für ihn ausgewählten Übungen bestückt ist. Mithilfe von Rückensensoren oder der Kamera des Smartphones soll überprüft werden, ob der Patient die Rückenübung korrekt und in ausreichender Frequenz durchführt. Therapeuten, Orthopäden oder andere medizinische Berufe können so ihre Patienten auch zwischen den Praxisterminen begleiten.


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WWW

Depression und Burn-out

Thieme unterstützt während der Corona-Krise mit kostenloser Online-Hilfe bei Depression und Burn-out: bit.ly/Thieme_TeleCare .


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Ein Angebot für psychisch Erkrankte

Chronische Rückenschmerzen stehen häufig in Verbindung mit psychischen Belastungen wie Stress, Burn-out oder Depressionen. In der Versorgung von Patienten mit Depressionen haben sich zusätzlich zur Regelversorgung und zum Tele-Coaching digitale Programme etabliert. Ergänzend zum vertrauten und vertraulichen Arzt- bzw. Therapeut-Patienten-Verhältnis begleiten Angebote wie das kostenfreie ProPerspektive.online von Thieme TeleCare.

Adhärenz bedeutet, dass Patient und Behandler die gemeinsam gesetzten Therapieziele im Rahmen des Behandlungsprozesses einhalten.

ProPerspektive.online wurde in Zusammenarbeit mit dem National Digital Research Centre, der University Hospital Mater und dem Trinity College Dublin unter dem Namen SilverCloud entwickelt [2]. Die Inhalte des Programms basieren auf der kognitiven Verhaltenstherapie und sind modular in Form eines Curriculums aufgebaut. Neben Multimediainhalten gibt es persönliche aus dem Alltag gegriffene Geschichten, die den Betroffenen durch Methoden, Strategien sowie „Notfallwerkzeuge“ in Alltagssituationen helfen.

Das Programm unterstützt Patienten dabei, die in der ambulanten oder stationären Therapie gelernten Ansätze beizubehalten und nicht in alte Verhaltensmuster zurückzufallen. Sie haben die Möglichkeit, ihre Gedanken und Gefühle aufzuschreiben und mit einem psychologischen Tele-Coach zu teilen.


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Grenzen der digitalen Versorgung

Die Wirksamkeit insbesondere bei rein digitalen Angeboten ist begrenzt, wenn man diese unbegleitet und ohne persönliche Unterstützung anbietet. Hybride Patientenprogramme, also Programme, in denen Patienten ein digitales Angebot kombiniert mit einer persönlichen Begleitung erhalten, zeigen eine deutlich höhere Wirksamkeit im Vergleich zu rein digitalen Lösungen [3]–[5]. Vorteile der persönlichen Begleitung sind, dass sie bei Bedarf eine zusätzliche Stütze und Motivation darstellt. Bei Blockaden oder Schwierigkeiten kann ein Gesundheitscoach direkt einschreiten und das Selbstvertrauen des Teilnehmers stärken.


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Ausblick

Um herauszufinden, welchen ökonomischen Zusatznutzen eine digitale Intervention stiftet, wenn sie zusammen mit einem persönlichen Tele-Coaching angeboten wird, setzt Thieme TeleCare aktuell eine Studie mit der Universität Hohenheim um. Das Forschungsprojekt untersucht die Hypothese, dass sowohl die Wirkung als auch die Akzeptanz eines kombinierten Patientenprogramms aus persönlicher und digitaler Intervention höher ist als bei einem rein persönlichen Tele-Coaching. Es wird erforscht, wie sich die Lebensqualität und das psychische Wohlbefinden der Teilnehmer im Studienverlauf verändern.

Ergotherapeuten, die mit Personen arbeiten, die depressiv erkrankt sind, können ihren Klienten das Programm ProPerspektive.online weiterempfehlen. Es bietet die Möglichkeit, die Therapieangebote zu erweitern und den Patienten auch außerhalb der normalen Therapietermine zu unterstützen.


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Herausgeber Kommentar

Noch vor ein paar Wochen hatte ich vor, für Teletherapie im ergotherapeutischen Kontext zu werben und zu zeigen, welche Möglichkeiten wir damit besäßen. Das Coronavirus hat uns alle überrollt, und so kam das Thema Teletherapie schon viel eher in unseren Alltag.

Natürlich ersetzt sie keine ergotherapeutische Behandlung. Allerdings lassen sich damit unsere Fähigkeiten des Coachings, des Beratens und Anleitens in der persönlichen Lebenswelt der Klienten zielgerichtet umsetzen. Wer es ausprobiert, wird vielleicht verblüfft feststellen, wie einfach manches realisiert werden kann. So nah kamen wir einigen Klienten bisher nie. Einem Kind war es zum Beispiel wichtig, seine Lieblingsspielsachen im Kinderzimmer zu finden. Durch die Teletherapie konnte ich mir in der ergotherapeutischen Diagnostik und während der ersten Interventionen einen tollen Überblick über das Lebensumfeld des Kindes und seiner Familie verschaffen. So haben wir gemeinsam kleine Veränderungen im Kinderzimmer vornehmen und gleich testen können. Dies hat die Intervention postiv beeinflusst!

Michael Schiewack


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  • Literaturverzeichnis

  • 1 Freedman D. The Streetlight Effect. 2010 Im Internet https://www.discovermagazine.com/the-sciences/why-scientific-studies-are-so-often-wrong-the-streetlight-effect Stand: 29.02.2020.
  • 2 Doherty G, Coyle G, Sharry J. Engagement with online mental health interventions: An exploratory clinical study of a treatment for depression. Conference on Human Factors in Computing Systems 2012: 1421-1430 doi:10.1145/2207676.2208602
  • 3 Scholten MR, Kelders SM, Van Gemert-Pijnen JE. Self-Guided Web-Based Interventions: Scoping Review on User Needs and the Potential of Embodied Conversational Agents to Address Them, Journal of Medical Internet Research. 2017; 19: e383
  • 4 Richards D, Richardson T. Computer-based psychological treatments for depression: a systematic review and meta-analysis. Clinical psychology review 2012; 32: 329-342
  • 5 Cuijpers P, Donker T, Johansson R. et al Self-guided psychological treatment for depressive symptoms: a meta-analysis. PLoS One 2011; 6: 1274

  • Literaturverzeichnis

  • 1 Freedman D. The Streetlight Effect. 2010 Im Internet https://www.discovermagazine.com/the-sciences/why-scientific-studies-are-so-often-wrong-the-streetlight-effect Stand: 29.02.2020.
  • 2 Doherty G, Coyle G, Sharry J. Engagement with online mental health interventions: An exploratory clinical study of a treatment for depression. Conference on Human Factors in Computing Systems 2012: 1421-1430 doi:10.1145/2207676.2208602
  • 3 Scholten MR, Kelders SM, Van Gemert-Pijnen JE. Self-Guided Web-Based Interventions: Scoping Review on User Needs and the Potential of Embodied Conversational Agents to Address Them, Journal of Medical Internet Research. 2017; 19: e383
  • 4 Richards D, Richardson T. Computer-based psychological treatments for depression: a systematic review and meta-analysis. Clinical psychology review 2012; 32: 329-342
  • 5 Cuijpers P, Donker T, Johansson R. et al Self-guided psychological treatment for depressive symptoms: a meta-analysis. PLoS One 2011; 6: 1274

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