Rofo 2020; 192(09): 875-876
DOI: 10.1055/a-1157-9506
The Interesting Case

Die Dünndarmdivertikulitis als seltene Ursache des akuten Abdomens

Claudia Natalie Schick
1   Radiology, University Hospital Ulm, Germany
,
Benno Traub
2   Visceral Surgery, University Hospital Ulm, Germany
,
Stefan Andreas Schmidt
1   Radiology, University Hospital Ulm, Germany
› Author Affiliations
 

Einleitung

Die Divertikulose des Dünndarms ist ein Krankheitsbild mit einer Inzidenz von ca. 0,5–1 %. Meist ist das obere Jejunum betroffen, in 2 Dritteln der Fälle liegen die Divertikel Mesenterial-seitig. Man unterscheidet zwischen kongenitalen Divertikeln und erworbenen Pseudodivertikeln. Zumeist bleiben Dünndarmdivertikel asymptomatisch. Komplikationen mit dem klinischen Bild einer Peritonitis oder eines Ileus können sich ergeben durch Divertikulitiden, Blutungen, Perforationen oder Fistelbildungen [Schmalbach I. In: Schwarz N. (Hrsg). Allgemein- und Viszeralchirurgie essentials. Thieme 2017].

In der aktuellen Leitlinie der Divertikulitis wird die Dünndarmdivertikulitis nicht als eigenständiges Thema behandelt. Die Therapie erfolgt deshalb analog zur Kolondivertikulitis und reicht von antibiotischer Abdeckung (Stadien Ia und Ib nach CDD) bis zur operativen Therapie bei akuten oder komplizierten Verläufen (Stadien IIa–c, IIIc nach CDD) [Leifeld L et al. Z Gastroenterol 2014; 52: 663–710].


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Fallbeschreibung

Wir berichten über einen 79-jährigen männlichen Patienten, der sich zunächst in einer externen Klinik mit schwallartigem Erbrechen und Kreislaufinstabilität vorstellte. Aufgrund hochgestellter Darmgeräusche und Spiegelbildungen in der Abdomen-Übersichtsaufnahme wurde der Patient mit V. a. Ileus in unsere Klinik verlegt.

Klinisch zeigte sich ein akutes Abdomen mit p. m. des Druckschmerzes im Oberbauch. Laborchemisch war ein deutlich erhöhtes CRP von 204 mg/l (Norm < 5 mg/l) nachweisbar, jedoch ohne Leukozytose.

In unserer durchgeführten CT-Bildgebung konnte die ursprüngliche Verdachtsdiagnose eines Ileus nicht bestätigt werden. Dagegen war im Jejunum eine große Aussackung der Darmwand mit ausgeprägter entzündlicher Umgebungsreaktion abzugrenzen, zudem ein kleiner extraluminaler Lufteinschluss ([Abb. 1]). Wir stellten deshalb die Diagnose einer gedeckt perforierten Dünndarmdivertikulitis. In Nachbarschaft zu dem entzündeten Divertikel zeigte sich mindestens 1 weiteres größeres Divertikel ohne Entzündungszeichen.

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Abb. 1 Computertomografie in venöser Phase. Darstellung des entzündlichen Jejunaldivertikels in axialer a und koronarer b Rekonstruktion (Pfeile). Deutlich sichtbare entzündliche Reaktion des umgebenden mesenterialen Fettgewebes (Pfeilspitzen) mit kleinem mesenterialem Lufteinschluss (Doppelpfeil).

In Zusammenschau aller Befunde wurde die OP-Indikation gestellt und es erfolgte eine explorative Laparotomie, bei der sich intraoperativ eine gedeckt perforierte Jejunaldivertikulitis bei multiplen Divertikeln zeigte. Es wurde 50 cm nach Treitz eine Jejunum-Teilresektion über eine Länge von ca. 30 cm mit Anlage einer End-zu-End-Anastomose durchgeführt.

Im Resektat beschrieb die Pathologie mehrere Pseudodivertikel bei hoch-florider Divertikulitis sowie eine eitrige, gangränöse Peridivertikulitis mit einer gedeckten Perforation und einer eitrigen Peritonitis.

Der weitere stationäre Verlauf war regelrecht, sodass der Patient am 10. postoperativen Tag mit reizlosen Wundverhältnissen entlassen werden konnte.


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Diskussion

Komplizierte Jejunaldivertikel sind eine diagnostische Herausforderung und eine seltene Differenzialdiagnose des akuten Abdomens. In etwa 10–15 % verursachen Dünndarmdivertikel klinische Symptome, wovon in ca. 13–58 % in Form entzündlicher Veränderungen als Divertikulitis auftreten [Heibl C et al. Z Gastroenterol 2006; 44: A7]. Aufgrund der klinischen Symptomatik sowie Schmerzlokalisation wie bei Cholezystitis, Appendizitis, Kolondivertikulitis oder Pankreatitis wird die Diagnose oft erst intraoperativ gestellt. Es gibt keine allgemeingültigen diagnostischen und therapeutischen Empfehlungen aufgrund der sehr geringen Inzidenz. In aller Regel werden die Divertikulose bzw. die Divertikulitis des Dünndarms entweder als Zufallsbefund oder im Rahmen der Abklärung eines akuten Abdomens diagnostiziert.

Beim Bild des akuten Abdomens dient als primäre Untersuchungsmethode die Computertomografie. Je nach klinischem Verdacht wird dabei eine venöse, ggf. zusätzlich auch eine arterielle Kontrastmittelphase durchgeführt. Ergibt sich hierbei das Bild einer Dünndarmdivertikulose bzw. -divertikulitis, können neben den standardmäßigen axialen und koronaren MPR-Rekonstruktionen eine Curved-MPR- ([Abb. 2]) oder eine 3D-Rekonstruktion analog zur virtuellen Koloskopie ([Abb. 3]) zur besseren Darstellung des betroffenen Darmabschnitts sinnvoll sein. Für die Computertomografie verzichten wir auf eine orale Darmkontrastierung, da hierdurch einige Ursachen des akuten Abdomens maskiert werden können. Eine negative Kontrastierung mittels Wasser kann in Erwägung gezogen werden, da diese nicht zu einer Befundmaskierung führen kann. Jedoch ist beim Bild eines akuten Abdomens mit eventueller OP-Indikation eine orale Flüssigkeitsgabe kritisch abzuwägen. Zwar lassen sich nach oraler Kontrastierung große Dünndarmdivertikel am Kontrastmitteldepot besser abgrenzen, die Seltenheit der Erkrankung rechtfertigt jedoch keine generelle Kontrastmittelgabe. Zudem können durch eine orale Kontrastierung weitere Pathologien wie etwa Blutungen maskiert werden. Bei kleineren Divertikeln ist eine sichere Diagnostik selbst mittels CT nur schwer möglich [Grützner G et al. In: Reiser M et al. (Hrsg). Duale Reihe Radiologie. Thieme 2011].

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Abb. 2 Ausschnitt der Computertomografie in venöser Phase. 2 Jejunaldivertikel in der separat durchgeführten „Curved-MPR“, eines mit entzündlicher Umgebungsreaktion (Pfeil).
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Abb. 3 3D-Darstellung einer virtuellen CT-Endoskopie des Jejunums mit abgrenzbaren Divertikelöffnungen (Pfeile) in der Filet-view-Ansicht. Grundlage war die durchgeführte Computertomografie in venöser Phase.

Bei subakuten klinischen Symptomen steht heute die MR-Enterografie im Fokus der Diagnostik. Die Vorbereitung zur Darmdistension wie auch die Sequenzwahl erfolgen dabei analog der Untersuchung etwa von Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Aufgrund der Länge der Untersuchung sowie der Vorbereitungsmaßnahmen stellt die Methode jedoch keine Alternative für die Diagnostik des akuten Abdomens dar.

Sowohl CT als auch MR-Enterografie erlauben darüber hinaus eine zusätzliche Beurteilung extraintestinaler Befunde wie freier Luft nach Perforation, Fisteln oder Abszessen.

Insbesondere die CT-Diagnostik ist mit ihrer schnellen Verfügbarkeit sowie hohen Spezifität und Sensitivität Mittel der Wahl in der Notfalldiagnostik des akuten Abdomens [Stoker J et al. Radiology 2009; 253: 31–46].

Analog zur Kolondivertikulitis besteht 6 Wochen nach konservativer Therapie bzw. nach Abklingen des akuten Divertikulitisschubs die Empfehlung, eine Endoskopie zum Ausschluss einer entzündlichen Stenose sowie anderer Pathologien einschließlich einer Neoplasie durchzuführen [Holmer C et al. Allgemein- und Viszeralchirurgie up2date 2017; 11: 233–244]. Dies natürlich vorausgesetzt, dass der betreffende Darmabschnitt endoskopisch erreichbar ist.


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Schlussfolgerung

Dünndarmdivertikel sind eine seltene pathologische Entität und für den Fall einer Dünndarmdivertikulitis besteht kein allgemeingültiger Algorithmus zum diagnostischen und therapeutischen Vorgehen. Meist wird die Diagnose erst intraoperativ gestellt. Nichtsdestotrotz muss an die Möglichkeit einer Dünndarmdivertikulitis bei akuter klinischer Symptomatik und fehlenden anderweitigen Ursachen gedacht werden.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Claudia Natalie Schick
Radiologie, Uniklinik Ulm
Albert-Einstein-Allee 23
89081 Ulm
Germany   
Phone: ++ 49/7 31/50 06 11 54   

Publication History

Article published online:
16 July 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York


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Abb. 1 Computertomografie in venöser Phase. Darstellung des entzündlichen Jejunaldivertikels in axialer a und koronarer b Rekonstruktion (Pfeile). Deutlich sichtbare entzündliche Reaktion des umgebenden mesenterialen Fettgewebes (Pfeilspitzen) mit kleinem mesenterialem Lufteinschluss (Doppelpfeil).
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Abb. 2 Ausschnitt der Computertomografie in venöser Phase. 2 Jejunaldivertikel in der separat durchgeführten „Curved-MPR“, eines mit entzündlicher Umgebungsreaktion (Pfeil).
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Abb. 3 3D-Darstellung einer virtuellen CT-Endoskopie des Jejunums mit abgrenzbaren Divertikelöffnungen (Pfeile) in der Filet-view-Ansicht. Grundlage war die durchgeführte Computertomografie in venöser Phase.