Schlüsselwörter
Gesundheitsforschung - Ambulante klinische Studie - Versorgungsrealität - Studienplanung
- nicht-universitäre Forschung
Key words
health research - outpatient clinical study - supply reality - study planning - non-university
research
Hintergrund
Wissenschaftliches Arbeiten umfasst ein großes Spektrum an
Möglichkeiten. Viele Kolleginnen und Kollegen in der Medizin sind initial
davon abgeschreckt, dass ein scheinbar hohes zusätzliches Arbeitspensum und
eine kaum zu durchschauende Statistik auf sie warten. Häufig werden
multizentrische, epidemiologische Studien mit erheblichem finanziellem und
organisatorischem Aufwand als Goldstandard der Wissenschaft angesehen. Auch im
Bereich der Physikalischen Medizin und Rehabilitation (PRM) sind solche Studien
häufig anzutreffen [2]
[4]
[7]. Dabei ist es jedoch so, dass v. a. in
kleinen Fachgebieten bislang viele Themen wenig bis gar nicht bearbeitet wurden und
hier wissenschaftlich mit einfachen Fragestellungen begonnen werden kann. So ist
eine Befragung hausärztlich tätiger Kollegen zur
Versorgungsrealität nicht zwingend uninteressanter, als große
epidemiologische Studien. Aus Sicht der Autoren gibt es im Bereich der PRM viele
unbeantwortete Fragen. Beispielsweise ist unklar, wie häufig Patienten mit
speziellen Erkrankungen in den Sprechstunden der PRM-Fachärzte vorstellig
werden, welche Zeitressourcen zur Behandlung tatsächlich genutzt werden
müssen und Ähnliches.
Hier soll nicht der Fragebogen, dessen Anwendung und Ergebnis vorgestellt und
diskutiert werden. Vielmehr werden Schwierigkeiten bei der Planung einer
wissenschaftlichen Untersuchung in der Versorgungsforschung benannt. Das Ziel der
Arbeit ist es somit, Hinweise für die Durchführung
zukünftiger Forschungsarbeit zu eröffnen.
Material und Methoden
Studiendesign und Untersuchungsmethoden – Design der initial
geplanten Studie
Durch die initial geplante Studie sollte die Frage beantwortet werden, ob und
wenn ja welche Zusammenhänge beim Auftreten eines sogenannten Vorlaufs
eines Sakroiliakalgelenks (SIG) bei Untersuchung im Stehen nachweisbar sind. Die
Prüfung auf das Vorliegen eines SIG-Vorlaufs ist ein Standardtest,
welcher in der manualmedizinischen Untersuchung Erfahrenen keine Schwierigkeiten
bereitet. Um diese Frage fachlich korrekt zu beantworten, entschlossen sich die
Studienautoren, ausschließlich Lehrende sowie Leitende eines der
Ausbildungsseminare der Deutschen Gesellschaft für Manuelle Medizin
(DGMM) als Untersuchungsdurchführende auszuwählen. Es wurde
angenommen, dass die intrinsische Motivation zur Studienteilnahme der
manualmedizinischen/-therapeutischen Lehrenden hoch sei. Es wird von
PhysiotherapeutInnen und ÄrztInnen, die in der Lehre der manuellen
Therapie/Medizin stark eingebunden sind, häufig moniert, dass
valide Daten zum Auftreten verschiedener Symptome, so auch dem SIG-Vorlauf,
fehlen würden. Durch die Studienautoren wurde ein Fragebogen entwickelt,
der im Vorfeld mit einigen zufällig ausgewählten
manualmedizinischen Lehrenden besprochen und auf (Praxis-)Tauglichkeit
geprüft wurde. Der zeitliche Aufwand zum Ausfüllen des Bogens
belief sich auf ca. eine Minute. Die aufzunehmenden Daten sind Routinedaten im
Rahmen der manualmedizinischen Untersuchung. Ein positives Votum der
zuständigen Ethikkommission der Friedrich-Schiller-Universität
Jena liegt vor.
Bei ca. 100 Lehrenden und einer geplanten Rücklaufquote von ca. 10
Bögen pro Lehrenden, wurde mit einer auszuwertenden Stichprobe von ca.
1000 Datenblättern gerechnet. Es wurden möglichst viele Wege zur
Datenübertragung offeriert, um die Ausbilder für eine Teilnahme
zu gewinnen. Dabei waren vorgesehen: Zusendung der Bögen über
Fax oder E-Mail, direktes Ausfüllen einer aktiven PDF-Vorlage,
Einwählen über einen QR-Code in einen eigens eingerichteten
Cloud-Ordner für direktes Onlineausfüllen und natürlich
das Zusenden per Post.
Im Rahmen einer Lehrertagung, bei dem verpflichtend alle Lehrenden dieses
Ausbildungsseminars anwesend sein mussten, wurden Briefe verteilt, in denen zum
Thema hingeführt sowie Hintergrund und Sinn der Studie dargelegt wurden.
Weiterhin konnten Zeitaufwand, Rücksendungsumfang und mögliche
Wege zur Rücksendung dem Schreiben entnommen werden.
Einziges Einschlusskriterium war ein positiver Vorlauf des SIG auf einer Seite im
Stehen. Trat dieses Symptom auf, wurden die Patienten in die Studie
eingeschlossen und weitere übliche manualmedizinische Untersuchungen
erfolgten.
In einer Studienzentrale sollte die Auswertung mit gängigen statistischen
Methoden durchgeführt werden, auf welche an dieser Stelle nicht
näher eingegangen wird, da das Ziel dieser Übersicht nicht die
eigentliche Studie zum SIG-Vorlaufphänomen ist. Die Datenaufnahme wurde
über einen Zeitraum von ca. 5 Monaten geplant.
Tatsächlicher Studienablauf
Wie oben geschildert, wurden die Lehrenden zum Zeitpunkt einer Lehrertagung zur
Studienteilnahme eingeladen. Unmittelbar nach Beginn der Datenaufnahme
erreichten die ersten Auswertungsbögen die Studienzentrale. Es fiel auf,
dass trotz des formulierten Einschlusskriteriums, eine relativ große
Anzahl von Bögen eintraf, die dieses nicht beachteten. Gegen Ende der
initial geplanten Datenaufnahme konnten lediglich von 6 manualmedizinisch
Lehrenden die Zusendungen registriert werden. Positiv anzumerken ist, dass von
einigen, der beteiligten Studienpraxen, mehr Bögen als gefordert
zugesandt wurden. Aufgrund der deutlich reduzierten Teilnehmerzahl erfolgte eine
Erinnerung an Durchführung und Wichtigkeit der Studie über ein
erneutes Anschreiben ca. 2 Monate nach Studienstart. Dadurch ließen sich
weitere KollegInnen zur Teilnahme motivieren. Dennoch zeigte sich eine
erhebliche Diskrepanz zwischen erwarteter und tatsächlicher Teilnehmer-
bzw. Rücklaufquote.
[Abb. 1]. zeigt den zeitlichen
Studienablauf. In [Abb. 2] und [3] sind die geplanten vs.
tatsächlichen Kennzahlen der Studie dargestellt bzw. die zugesandten
Datensätze der einzelnen Studienzentren aufgelistet.
Abb.1 Zeitlicher Ablauf der Teilnehmerakquise.
Abb.2 Gegenüberstellung geplanter zu
tatsächlicher Studienteilnahme.
Abb. 3 Übersicht zur Datenübermittlung einzelner
Teilnehmer.
Letztlich wurden 2 Wege zur Übermittlung der Datensätze an die
Studienzentrale genutzt. Die meisten Kollegen übersandten die
Bögen in Papierform. Einige wenige Teilnehmer, die, die über ein
Sekretariat verfügten, schickten Scans der zuvor analog erfassten
Untersuchungsbögen via E-Mail. Kein einziger Eingang konnte via Cloud,
Onlineausfüllung oder über andere digitale Kanäle
registriert werden.
Überraschenderweise wurden die Datensätze direkt nach
Studienbeginn bis auf eine Ausnahme ausschließlich von
ärztlichen Kollegen zugesandt. Im Gegensatz dazu wurde zuvor angenommen,
dass primär Datenbögen aus den physiotherapeutischen Praxen das
Studienzentrum zur statistischen Auswertung erreichen würden.
Grundannahme war, dass durch den strukturierten Behandlungskontakt zum
Patienten, die Akquise von Daten einfacher sei, als in einer ärztlichen
Sprechstunde. Jedoch konnte nach erneuter Aufforderung die Zahl der
teilnehmenden Physiotherapeuten auf 7 gesteigert werden. Damit entfallen knapp 2
Drittel der Teilnehmer auf ÄrztInnen. Eine noch größere
Diskrepanz ist zu erkennen, wenn man die Gesamtanzahl der zugesandten
Datensätze nach beiden Berufsgruppen unterteilt. Lediglich ca.
15% der eingereichten Bögen stammen von
PhysiotherapeutInnen.
Diskussion
Es ist bekannt, dass die Datenakquise mittels Fragebogen mit Dropouts behaftet ist.
Hippler beschreibt bereits 1988 Rücksenderaten bei postalischen Befragungen
zwischen 10 und 90% [3]. Porst
bestätigt dies in seiner Veröffentlichung und rät deswegen
zu prägnanten Fragestellungen. Diese könnten die
Rückläuferquote deutlich erhöhen [5]. Es ist ebenfalls unbestritten, dass im
Rahmen von Anfragen per E-Mail die Rücklaufquote davon abhängt,
welche Größe die Befragung misst und ob der Absender weiblich oder
männlich ist [1]. Das bedeutet also,
dass die Motivation der potenziellen Antwortgeber extrem wichtig für die
erfolgreiche Durchführung einer Fragebogenumfrage ist. Dies heißt,
übertragen auf das initial geplante Studiendesign, dass nicht
ausschließlich Fragen beantwortet werden sollen, sondern der potenzielle
Teilnehmer zusätzlich aktiv werden muss (bzgl. Datenübermittlung
etc.) und somit die notwendige intrinsische Motivation deutlich höher
anzusetzen ist, als in einer reinen Befragung.
Zurbuchen et al. befragten chirurgische, nicht-universitäre Einrichtungen,
nach deren Interesse zur Teilnahme an multizentrischer Forschung, Studienerfahrung
sowie strukturellen Gegebenheiten und konnten eine Rücklaufquote von
54% erreichen. Aus Sicht der Autoren ist dies ein eher geringer Wert, da
gerade im chirurgischen Fachbereich über die Administration der Kliniken,
auch ein monetäres Interesse besteht, evidenzbasierte Methodik
gegenüber Kostenträgern geltend zu machen [8]. Im vorliegenden Fall kann ein
monetärer Hintergrund als Motivation ausgeschlossen werden. Hier besteht
primär das Interesse am Nachweis für die Sinnhaftigkeit des eigenen
professionellen Handelns. Die Studienautoren vertraten vor Durchführung der
Studie die Ansicht, dass es jedem manualmedizinisch tätigen Lehrer wichtig
sein müsse, zur Evidenzbildung funktioneller Zusammenhänge
beizutragen. Diese Annahme kann hier als nicht zutreffend deklariert werden.
Letztlich ließen sich nur einige wenige Kollegen zur Teilnahme bewegen,
obwohl die zur Teilnahme angefragten manuellen Ausbilder den Studienautoren
persönlich bekannt waren. Die in universitären Einrichtungen
tätigen ÄrztInnen waren führend bei der Datenakquise. 83
Datensätze wurden allein von einem Kollegen aus dem universitären
Umfeld erbracht. Dabei waren Einrichtungen, die einen alleinigen Versorgungsauftrag
haben, gar nicht oder nur sehr spärlich vertreten. Bei der Planung von
Versorgungstudien sollte die positive Wirkung der intrinsischen Motivation zu einer
Studienteilnahme nicht überschätzt werden.
Einen nicht geringen technischen Aufwand stellte die Bereitstellung digitaler und
analoger Zugangswege zum Studienzentrum dar. Leider blieben die modernen digitalen
Verfahren ungenutzt. Im Rahmen einer studentischen Prüfungsvorbereitung
zeigten sich andere Werte. Dabei nutzten mehr als 3 Viertel der befragten
Studierenden ausschließlich digitale Zugänge. Niemand bereitete sich
ausschließlich klassisch bzw. analog vor [6]. Nun könnte man den Studierenden zugutehalten, dass diese
jünger und damit technisch versierter als die Teilnehmer der hier
vorgestellten Studie seien. Aus Sicht der Autoren kann ein Alters- oder
Wissensnachteil weitestgehend verneint werden. Es scheint jedoch so zu sein, dass
die papierhafte Dokumentation schneller und unkomplizierter umzusetzen ist. Das
Versenden per Post war für die Teilnehmenden finanziell dabei
irrelevant.
Schlussfolgerung
Es empfiehlt sich die Reduktion der Anzahl von beteiligten Studienteilnehmern auf
wenige. Zu Beginn der Erarbeitung des Studiendesigns sollte ein Studientreffen
anberaumt werden, bei dem alle potenziellen Studienpraxen über die
Wichtigkeit und den Ablauf aufgeklärt werden. Hierbei sollte ganz klar
aufgeführt werden, welchen zeitlichen Rahmen die Datenakquise
tatsächlich einnimmt und welchen konkreten Nutzen der Teilnehmer davon hat.
Möglicherweise ist es sinnvoll, Mentoren zu benennen, die eine kleine Gruppe
von Studienpraxen betreuen und ständigen Kontakt mit diesen halten. Aus
Sicht der Autoren besteht so die Möglichkeit, die
Rücksendebereitschaft bzw. Teilnahme zu erhöhen. Es kann nicht
ausschließlich aus berufspolitischer Sicht auf die intrinsische Motivation
gesetzt werden. Versorgungsforschung, auch wenn diese von extern geplant ist, wird
von den direkten Akteuren zusätzlich zum ärztlichen und
therapeutischen Tagesgeschäft und des Weiteren zumeist unentgeltlich
erbracht. Daher ist die Überzeugungsarbeit vor Beginn der Datenaufnahme
entscheidend.