Schlüsselwörter Juvenile idiopathische Arthritis - Therapie - Leitlinien
Keywords Juvenile idiopathic arthritis - therapy - therapy guidelines
Die juvenile idiopathische Arthritis (JIA) ist mit einer Prävalenz von 0,1 % die häufigste
chronische entzündlich-rheumatische Erkrankung im Kindes- und Jugendalter. Unter dem
Begriff JIA werden nach der aktuell gültigen Klassifikation der ILAR (International
League of Associations for Rheumatology) alle bei Kindern und Jugendlichen vor dem
vollendeten 16. Lebensjahr auftretenden Arthritiden mit einer Dauer von mindestens
6 Wochen und unklarer Ätiologie zusammengefasst [1 ]. Die JIA wird klinisch diagnostiziert, diagnosebeweisende Parameter gibt es nicht.
Andere, sich ähnlich präsentierende Erkrankungen, müssen ausgeschlossen werden. 6
definierte Kategorien der JIA und eine nicht definierte Gruppe (andere Arthritis)
werden unterschieden. Die Kategorisierung der JIA erfolgt entsprechend der ILAR-Kriterien
und basiert auf klinischen Parametern (z. B. der Zahl der in den ersten 6 Erkrankungsmonaten
betroffenen Gelenke), extraartikulären Manifestationen, wenigen Laborparametern sowie
der Familienanamnese.
Die Behandlung der JIA hat sich in den vergangenen 2 Jahrzehnten entscheidend verändert.
Neue krankheitsmodifizierende Medikamente (Biologika), der zunehmend frühere Einsatz
von Methotrexat und die breite Anwendung von intraartikulären Glukokortikoiden gestatten
eine zunehmend bessere Kontrolle der rheumatischen Entzündungsaktivität bei den betroffenen
Kindern und Jugendlichen [2 ]. Eine inaktive Erkrankung bzw. Remission ist inzwischen das angestrebte Therapieziel
und wird von der Mehrheit der Patienten (70–95 %) in den ersten Behandlungsjahren
erreicht [3 ]. Die Änderungen im therapeutischen Vorgehen haben die Langzeitprognose der Patienten
durch Abnahme von Folgeschäden und Funktionseinschränkungen im Alltag sukzessive verbessert
[4 ]. Der therapeutische Fortschritt wurde von der Entwicklung und Validierung standardisierter
Instrumente für die Bewertung des Therapieansprechens begleitet, wie z. B. des Juvenilen
Arthritis Disease Activity Scores (JADAS) [5 ].
In den Jahren 2018–2019 wurde die bis dahin gültige AWMF-Leitlinie zur Behandlung
der JIA [6 ] in einem mehrstufigen Prozess aktualisiert. Nach einer systematischen Literaturrecherche
nach Subkategorien wurde die Leitlinie in einem interdisziplinären Prozess mit 2 Konsensuskonferenzen
(Oktober 2018, März 2019) aktualisiert und nach Zustimmung aller beteiligten Fachgesellschaften
und Organisationen final verabschiedet.
Methoden
Als Basis der Aktualisierung galten die Vorgängerversionen der Leitlinie aus den Jahren
2008 und 2011 [6 ], [7 ]. Somit haben die Leitlinienkoordinatoren (P. T. Oommen, C. Schütz) unterstützt durch
Gruppenmitglieder (K. Minden, A. Hospach, C. Hinze, D. Holzinger) eine aktualisierte,
systematische Medline-Literaturrecherche (www.ncbi.nlm.nih.gov ) mit nachfolgender Suchstrategie durchgeführt: Als Stichwörter wurde „juvenile idiopathic
(rheumatoid) arthritis AND therapy“; als Suchbegrenzungen (limits) „humans”, „all
child 0–18 years”, „clinical trial“ verwendet. Nach manuellem Ausschluss von Studien
zur Diagnostik der JIA, Uveitis, Lupus erythematodes, Impfung, Celecoxib haben die
Leitlinienkoordinatoren n = 87 Studien als Quellen hinzugezogen und hinsichtlich ihrer
methodischen Qualität bewertet ([
Abb. 1
]). Der Stichtag war der 15.01.2018.
Abb. 1 Literatursuche 2007 bis 2018 verteilt auf 4 Gruppen: Oligoarthritis, Polyarthritis,
Enthesitis-assoziierte Arthritis (EAA), systemische JIA (sJIA).
Basierend auf diesen Studien wurden zum einen „Übergeordnete Prinzipien“ zum anderen
im o. g. Konsensus-Prozess in 2 Präsenz-Konferenzen Empfehlungen zur Behandlung der
juvenilen idiopathischen Arthritis formuliert (Teilnehmer siehe Kasten „Leitliniengruppe“).
Die „Übergeordneten Prinzipien“ wurden in 2 Telefonkonferenzen und im E-Mail-Umlaufverfahren
mit folgenden Konsensusgruppen-Mitgliedern vorbereitet: K. Minden, K. Mönkemöller,
T. Kallinich, C. Schütz, P. T. Oommen.
LEITLINIENGRUPPE UND DIE DURCH DIE MITGLIEDER VERTRETENEN FACHGESELLSCHAFTEN UND ORGANISATIONEN
Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (GKJR)
Ivan Foeldvari, Gerd, Ganser, Johannes-Peter Haas, Claas Hinze, Dirk Holzinger, Anton
Hospach, Hans-Iko Huppertz, Tilmann Kallinich, Ariane Klein, Kirsten Minden, Kirsten
Mönkemöller, Sonja Mrusek, Ulrich Neudorf, Angelika Thon, Norbert Wagner, Catharina
Schütz, Prasad T. Oommen
Deutsche Rheuma-Liga, Bundesausschuss Junger Rheumatiker
Karen Baltruschat
Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG)
Christoph Deuter
Arbeitskreis Psychosoziale Betreuung der GKJR
Arnold Illhardt
Deutscher Verband für Physiotherapie (ZVK e. V.)
Michael Jung
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ)
Tim Niehues
Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh)
Matthias Schneider
Berufsverband für Kinder- und Jugendmedizin (BVKJ)
Philipp Schoof
Vereinigung für Kinderorthopädie (VKO)
Michael Wachowsky
Strukturierte Konsensusfindung und -prozess
Die Konsensusfindung erfolgte im Rahmen zweier ganztägiger Konferenzen am 18.09.2018
in Mannheim (Beteiligung 100 %) und am 15.03.2019 in Düsseldorf (Beteiligung 73 %)
unter der neutralen Moderation von Frau Dr. Susanne Blödt (AWMF). Zwischen den Konsensuskonferenzen
wurden per digitalem Delphi-Verfahren Vorschläge für die noch offenen Empfehlungen
konsentiert bzw. um Kommentare gebeten (Beteiligung 100 %).
Nominale Gruppentechnik
Die Konsensusfindung fand jeweils im Rahmen eines Nominalen Gruppenprozesses (NGP)
in festlegten Schritten statt.
Delphiverfahren und Konsensusstärke
Die endgültige Abstimmung über die Empfehlungen, für welche während der 1. Konferenz
noch kein Konsens erzielt werden konnte, erfolgte mittels elektronischem Delphiverfahren
(E-Mail-Verteiler). Auch der überarbeitete Volltextentwurf inkl. „Übergeordneter Prinzipien“
wurde abschließend konsentiert. Adressaten waren alle Mitglieder der Leitliniengruppe.
Dabei wurden folgende Angaben erfragt: Zustimmung oder keine Zustimmung oder begründete
Änderungsvorschläge.
Die Ergebnisse der Befragung zu den Empfehlungen wurden zusammengefasst und bei mindestens
75 % Konsens in die Leitlinie aufgenommen. Bestanden Unklarheiten bzw. Änderungswünsche,
wurden diese in der 2. Konsensuskonferenz aufgegriffen und bis zur Abstimmungsfähigkeit
angepasst. Hiernach wurde das Leitlinienmanuskript in die externe Begutachtung gegeben
und hiernach abschließend in der Leitliniengruppe schriftlich abgestimmt. Der Gesamtentwurf
der Leitlinie mit Empfehlungen wurde hiernach im starken Konsens (Zustimmung von mehr
als 95 % der Teilnehmer) verabschiedet.
Alle Empfehlungen wurden im Konsens bzw. starkem Konsens angenommen. Dabei wurde die
Konsensstärke wie folgt klassifiziert:
Klassifikation der Konsensusstärke
Starker Konsens: > 95 % der Stimmberechtigten
Konsens: > 75–95 % der Stimmberechtigten
Mehrheitliche Zustimmung: > 50–75 % der Stimmberechtigten
Dissens: < 50 % der Stimmberechtigten
Die aufgeführte Konsensusstärke der Empfehlungen richtet sich auch sprachlich jeweils
nach der durch die AWMF vorgegebene Klassifikation (https://www.awmf.org/leitlinien/awmf-regelwerk.html ): Starke Empfehlung (soll/soll nicht), Empfehlung (sollte/sollte nicht), Empfehlung
offen (kann erwogen/verzichtet werden).
Externe Begutachtung und Verabschiedung
Das Leitlinienmanuskript wurde in die externe Begutachtung an folgende nationale und
internationale Experten gegeben: Prof. Dr. K. Tenbrock, Aachen, und Prof. Dr. M. Hofer,
Lausanne. Abschließend wurde die Leitlinie zwischen Oktober und November 2019 von
den Vorständen der beteiligten Fachgesellschaften bzw. Organisationen formal verabschiedet.
Ergebnisse
Die Behandlung der JIA zielt auf eine rasche und effektive Entzündungskontrolle mit
Remissionsinduktion/-erhalt, Vermeidung von krankheits- und/oder therapiebedingten
Folgeschäden sowie die Gewährleistung einer möglichst störungsfreien somatischen und
psychosozialen Entwicklung, optimalen Alltagsfunktion, Lebensqualität und Teilhabe
der betroffenen Kinder und Jugendlichen.
Die Behandlungsprinzipien wurden unter 3 Aspekten betrachtet und zusammengefasst:
„Übergeordnete Prinzipien“: Hier wurde der Behandlungsrahmen der JIA definiert ([
Tab. 1
])
Medikamentöse Therapie und
Nicht-medikamentöse Therapie.
Tab. 1
Übergeordnete Prinzipien, die Statements zu Diagnose, Therapie, Behandlungssetting,
Qualitätssicherung und Transition umfassen.
Übergeordnete Therapieprinzipien
1
Die JIA umfasst eine heterogene Gruppe von Krankheiten. Dies ist bei der Therapie
zu berücksichtigen. Eine kausale Therapie ist aktuell nicht möglich.
2
Kinder und Jugendliche mit Arthritis und Verdacht auf eine JIA sollten innerhalb von
6 Wochen nach Symptombeginn einem Kinder- und Jugendrheumatologen* vorgestellt werden.
Die augenärztliche Vorstellung zur Uveitis-Diagnostik soll zeitnah erfolgen.
3
Die Ziele in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit JIA sind die möglichst
komplette Symptom- und Entzündungskontrolle, die Verhinderung von Folgeschäden und
Begleiterkrankungen, die normale Alltagsfunktion sowie die altersgerechte Entwicklung
und möglichst optimale Lebensqualität der Patienten.
4
Kinder und Jugendliche sowie deren Familien sollten koordiniert, problemorientiert
und interdisziplinär betreut werden. Die Therapieplanung/-koordination sollte durch
einen Kinder- und Jugendrheumatologen[* ] erfolgen.
5
Die Betreuung beinhaltet die Möglichkeit, an einer Patientenschulung teilzunehmen.
Die Patienten/Familien sollten Informationen über Selbsthilfeangebote erhalten.
6
In der Behandlung sollten die aktuelle psychosoziale Situation des Kindes und seiner
Familie sowie eventuelle Lebenskrisen regelmäßig erfasst und in der Therapieplanung
berücksichtigt werden. Die Patienten und ihre Familien sollten einen niedrigschwelligen
Zugang zu einem psychosozialen Team haben.
7
Die Festlegung der Behandlungsziele und des therapeutischen Vorgehens sollte im Rahmen
einer partizipativen Entscheidungsfindung zwischen den Patienten/Eltern und dem pädiatrischen
Behandlungsteam erfolgen.
8
Eine aktive JIA soll so früh wie möglich medikamentös behandelt werden.
9
Die medikamentöse Therapie richtet sich nach Aktivität, Schwere und Risikoprofil der
Grunderkrankung.
10
Das Behandlungsziel besteht im frühzeitigen Erreichen und der Erhaltung einer Remission
oder einer niedrigen Krankheitsaktivität („Treat-to-target“). Der Kinder- und Jugendrheumatologe
steuert die Therapie anhand regelmäßiger Beurteilungen des Therapieansprechens mit
krankheitsspezifischen, evaluierten Messinstrumenten.
11
Behandelnde kinder- und jugendrheumatologische Einrichtungen sollten an qualitätssichernden
Maßnahmen sowie Pharmakovigilanzregistern teilnehmen.
12
Zur Sicherstellung der Behandlungskontinuität und eines bestmöglichen Outcomes sollten
Jugendliche und junge Erwachsene mit JIA geplant, gut vorbereitet und mit allen notwendigen
Informationen zum bisherigen Krankheitsverlauf in die internistisch- rheumatologische
Weiterbetreuung übergeben werden (Transition).
* Hierbei handelt es sich um einen Kinder- und Jugendarzt mit der Zusatzbezeichnung
Kinder-Rheumatologe oder einen Kinder- und Jugendarzt mit entsprechender fachlicher
Erfahrung.
Medikamentöse Therapie
Nach rascher Diagnosestellung sollte das Ziel der medikamentösen Therapie eine frühzeitige
Kontrolle der entzündlichen Aktivität sein, um das Risiko für Folgeerkrankungen möglichst
gering zu halten [8 ]–[10 ].
Der rechtzeitige Beginn einer Therapie beispielsweise mit Methotrexat ist mit einem
besseren Ansprechen assoziiert [11 ]. Verschiedene Gruppen haben den Stellenwert einer frühen und intensiven („early
aggressive“) Therapie einer zügig diagnostizierten JIA untersucht. Die Chance, eine
klinisch inaktive Erkrankung zu erreichen, ist umso höher, je früher eine intensive
Therapie beginnt [12 ]–[14 ].
Zur Beurteilung des Therapieansprechens stehen validierte und standardisierte Messinstrumente
zur Verfügung. Die Krankheitsaktivität wird bei der JIA anhand des JADAS (Juvenile
Arthritis Disease Activity Score) bewertet [5 ]. Eine inaktive Erkrankung oder Remission kann anhand des JADAS und/oder der Wallace-Kriterien
definiert werden [15 ]. Kontrollen der Krankheitsaktivität sollen bei aktiver Erkrankung regelmäßig (mindestens
alle 3 Monate) mit einem evaluierten Messinstrument erfolgen, um eine zielorientierte
(„treat-to-target“) Therapie umsetzen zu können und die Therapie regelmäßig anzupassen
[2 ], [5 ].
Zur Überwachung der Therapiesicherheit sollte ein standardisiertes Monitoring erfolgen.
Demnach müssen Kinder mit JIA in regelmäßigen Abständen (üblicherweise alle 3–6 Monate)
fachrheumatologisch vorgestellt werden. Insbesondere bei der Behandlung mit neu zugelassenen
DMARDs (disease modifying anti-rheumatic drugs) sollten die Kinder und Jugendlichen
aufgrund des noch weitgehend unbekannten Risikoprofils dieser Substanzen in der Langzeitanwendung
in Pharmakovigilanzregister eingeschlossen werden.
Im Folgenden finden sich die im Zuge der Leitlinien-Aktualisierung konsentierten Empfehlungen
zu den verschiedenen Stoffgruppen und Substanzen, die bei der Therapie der juvenilen
idiopathischen Arthritis Einsatz finden (Kasten „Empfehlungen 1–9 (medikamentöse Therapie)“.
In [
Abb. 2
] findet sich die Zuordnung der jeweils empfohlenen Substanzen bezogen auf die jeweiligen
JIA-Subtypen.
Abb. 2 Therapieempfehlung nach der AWMF-Leitlinie Therapie der juvenilen idiopathischen
Arthritis: Nach Diagnosestellung auf der Basis der ILAR-Kriterien [1 ] kann in Abhängigkeit der verschiedenen Subtypen eine Therapie mit den dargestellten
Substanzen erfolgen. Für alle Formen gelten die Empfehlungen in Hinblick auf nicht-medikamentöse
Therapien; Abkürzungen: TNF = Tumornekrose-Faktor; IL-1 = Interleukin-1; IL-6 = Interleukin-6.
EMPFEHLUNGEN 1–9 (MEDIKAMENTÖSE THERAPIE)
Empfehlung 1 NSAR sollten bei allen Subtypen der JIA zur Symptomverbesserung einer aktiven Arthritis
als initiale oder begleitende Therapie eingesetzt werden. Konsensstärke: 83 %
Empfehlung 2 Eine intraartikuläre Injektion von kristalloidem Glukokortikoid (Triamcinolonhexacetonid)
sollte zur Therapie der aktiven Arthritis bei JIA eingesetzt werden. Konsensstärke: 100 %
Empfehlung 3 Glukokortikoide in systemischer Applikation sollten bei hoher Krankheitsaktivität
für nicht-systemische und systemische Verlaufsformen der JIA eingesetzt werden. Ein
langfristiger Einsatz soll wegen unerwünschter Wirkungen und der Verfügbarkeit anderer
Therapieformen nicht erfolgen. Konsensstärke: 100 %
Empfehlung 4
Methotrexat (MTX) soll bei nicht ausreichender Wirksamkeit von NSAR, hohem oder wiederholtem
Steroidbedarf oder polyartikulärer JIA eingesetzt werden. Konsensstärke: 96 %
MTX kann auch bei sJIA eingesetzt werden. Konsensstärke: 96 %
MTX sollte nicht zur Behandlung der isolierten axialen EAA eingesetzt werden. Konsensstärke: 80 %
Empfehlung 5 Sulfasalazin kann bei der peripheren Arthritis der Enthesitis-assoziierten Arthritis
eingesetzt werden. Konsensstärke: 100 %
Empfehlung 6 Bei unzureichendem Ansprechen oder Unverträglichkeit auf eine csDMARD-Therapie (z.
B. MTX) sollte bei der nicht-systemischen JIA und kann bei der systemischen JIA TNF-alpha
Inhibition eingesetzt werden. Die Wahl des TNF-Blockers sollte das Vorhandensein extraartikulärer
Manifestationen berücksichtigen. Konsensstärke: 100 %
Empfehlung 7 Abatacept kann bei Patienten mit polyartikulärer JIA bei Versagen eines DMARDs eingesetzt
werden. Konsensstärke: 87 %
Empfehlung 8 Tocilizumab sollte bei MTX-refraktärer polyartikulär verlaufender JIA entweder in
Kombinationstherapie mit MTX oder als Monotherapie eingesetzt werden. Dies kann entweder
alternativ zu einem TNF-Blocker oder nach unzureichendem Ansprechen auf einen TNF-Blocker
erfolgen. Konsensstärke: 82 %
Empfehlung 9 Anakinra, Canakinumab, Glukokortikoide oder Tocilizumab sollen bei aktiver sJIA vorrangig
eingesetzt werden. Eine längerfristige Therapie mit Glukokortikoiden soll vermieden
werden. Konsensstärke: 100 %
Nicht-medikamentöse Therapie
Die Pfeiler der nicht-medikamentösen Therapie der JIA umfassen eine symptomorientierte
Physio- und oder Ergotherapie, körperliche Aktivität sowie eine kontinuierliche multidisziplinäre
psychosoziale Versorgung der Kinder und ihrer Familien [16 ]–[18 ] (Kasten „Empfehlungen 10–14 (nicht-medikamentöse Therapie)“. Hierzu gehören neben
psychologischer Unterstützung auch sozialpädagogische Maßnahmen wie Alltagsbewältigung,
Patientenschulung, Selbstmanagement und schließlich eine strukturierte Transition
in eine internistische-rheumatologische Betreuung mit Erreichen des Erwachsenenalters
[19 ].
EMPFEHLUNGEN 10–14 (NICHT-MEDIKAMENTÖSE THERAPIE)
Empfehlung 10 Strukturierte Behandlungen durch einen speziell geschulten bzw. spezialisierten Physiotherapeuten/Ergotherapeuten
in Kombination mit der medikamentösen Therapie sollen bei Bedarf erfolgen, um die
Gelenkbeweglichkeit zu erhalten bzw. zu verbessern. Anleitungen zu individuellen,
täglich durchzuführenden Übungsprogrammen im häuslichen Umfeld sollen in das Therapiekonzept
integriert werden. Speziell angefertigte Hilfsmittel bei Achsenabweichungen oder Wachstumsverzögerung
können zur Vermeidung von Fehlbelastungen, Stabilisierung der Gelenke (z. B. Hand-,
Finger-, Fußorthesen) und zur Normalisierung der Bewegungsmuster empfohlen und ärztlich
verordnet werden. Konsensstärke: 86 %
Empfehlung 11 Der Einsatz physikalischer Therapie (u. a. Thermotherapie, Elektrotherapie, Massage
und Lymphdrainage) kann erwogen werden. Konsensstärke: 86 %
Empfehlung 12 Kinder und Jugendliche mit JIA sollen zu einem aktiven Lebensstil und zu sportlichen
Aktivitäten ermutigt werden. Konsensstärke: 93 %
Empfehlung 13 Nach ausbleibendem Erfolg der konservativen Therapiemaßnahmen oder Komplikationen
(z. B. bei Achsfehlern, bei Beinlängendifferenzen oder Gelenkdestruktion) sollten
Kinderorthopäden hinzugezogen werden. Konsensstärke: 94 %
Empfehlung 14 Eine psychologische Betreuung in der pädiatrisch-rheumatologischen Regelversorgung
soll bei Bedarf zu einem frühen Zeitpunkt erfolgen, um psychische Prozesse und spezifische
Verhaltensauffälligkeiten zu erfassen, aufzufangen und zu behandeln. Konsensstärke: 83 %
Diskussion
In einem aufwendigen, mehrstufigen Prozess wurde die AWMF-Leitlinie zur Therapie der
juvenilen idiopathischen Arthritis aktualisiert. Auch im internationalen Vergleich
ist der breite methodische Ansatz der Leitlinie in Hinblick auf die vorangehende systematische
Literaturrecherche sowie die interdisziplinäre Konsensusgruppen-Zusammensetzung hervorzuheben.
In den vergangenen 2 Jahrzehnten haben sich die medikamentösen Optionen bei der Behandlung
der juvenilen idiopathischen Arthritis deutlich erweitert. Das Erreichen von Entzündungsfreiheit
und Remission sind ein realistisches und erreichbares Therapieziel geworden, womit
sich Lebensqualität und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit JIA deutlich verbessert
haben [2 ], [20 ]–[23 ].
Im Gegensatz zu international zunehmend verbreiteten und auch in Deutschland vorgeschlagenen
Consensus Treatment Plans (CTP), bei denen verschiedene Therapieansätze für die Behandlung
definierter rheumatischer Erkrankungen vorgeschlagen und geprüft werden, verfolgt
die Leitlinienarbeit ein anderes Ziel [24 ]–[27 ]. Es wird die vorhandene Evidenz für z. T. etablierte oder auch zugelassene Behandlungsmodalitäten
in den Fokus genommen, während die o. g. CTP keine Placebo-kontrollierten Effektivitätsprüfungen
einzelner Substanzen vornehmen, sondern verschiedene Behandlungsansätze prüfen.
Zwischen dem Ende der Literaturrecherche der 2. Auflage der JIA-Leitlinie (15.01.2010)
wurden mit Tocilizumab, Anakinra, Canakinumab und Golimumab allein 4 Substanzen zur
Behandlung spezieller Subtypen der JIA zugelassen. Vor diesem Hintergrund war die
Aktualisierung und Evidenz-basierte Recherche dringend erforderlich.
Im Ergebnis wurden zunächst 12 sogenannte „Übergeordnete Prinzipien“, die Aussagen
zu Diagnose, Therapie, Behandlungssetting, Qualitätssicherung und Transition den eigentlichen
Therapieempfehlungen voranstellen, entwickelt. Hier konnte der Therapierahmen, der
für eine zeitgemäße Behandlung rheumakranker Kinder und Jugendlicher und ihrer Familien
angemessen erscheint, skizziert werden. Wesentlich und unstrittig ist beispielsweise,
dass die Behandlung der Patienten mit JIA in die Hände erfahrener Kinder- und Jugendrheumatologen
in einem kompetenten, multidisziplinären Behandlungsteam gehört. Ein solches Team
ist erforderlich für eine passgenaue Therapiesteuerung der medikamentösen, nicht-medikamentösen
und psychosozialen Betreuung dieser Patienten.
Die folgenden Empfehlungen zur medikamentösen Therapie der JIA berücksichtigen die
aktuell eingesetzten Substanzen, von NSAR über Glukortikoide, cs- (konventionell-synthetischen)
DMARds bis hin zu b- (biologischen) DMARDs. Die niedrige Evidenz für häufig eingesetzte
Substanzen wie NSAR lässt sich an der hierzu kontroversen Diskussion in der Konsensusgruppe
und der vergleichsweise niedrigen Konsenstärke von 83 % ablesen. Andererseits fand
sich bei guter Evidenz ein hoher Konsens für die bei der systemischen juvenilen idiopathischen
Arthritis eingesetzten IL-1- und IL-6-blockierenden Substanzen und Glukokortikoide
mit einer 100 % Konsensstärke.
Im Vergleich zur Vorläufer-Version der JIA-Leitlinie ist neben einer Aktualisierung
der Evidenz für die Substanzen und den Übergeordneten Prinzipien ein deutlicher Schwerpunkt
auf die Konsentierung der nicht-medikamentösen Therapien gelegt worden. Auch hier
musste in Ermangelung hoher Evidenz vor allem im Konsensusprozess Einigkeit erzielt
werden. Die aktive Teilnahme von Experten aus den Bereichen Psychologie, Physiotherapie,
Sport und Selbsthilfe waren hier von besonderem Wert und unterscheiden diese Leitlinie
auch von anderen, eher ärztlich dominierten, Formaten. So konnte ein klares Statement
zum hohen Stellenwert eines aktiven Lebensstils und sportlicher Aktivität bei rheumakranken
Kindern und Jugendlicher verabschiedet werden.
Die Nachteile einer Evidenz-basierten Leitlinie liegen im Prinzip der oben beschriebenen
Rückschau: Die Literaturrecherche endet für die vorliegende Arbeit im Jahr 2018, der
Abschluss des aufwendigen Konsensusprozesses war im Jahr 2019. Arbeiten, die seit
dem Ende der Literaturrecherche erschienen sind, konnten aus methodischen Gründen
nicht in die Bewertung aufgenommen werden. Somit ist eine Leitlinie, so auch die hier
vorliegende, zum Zeitpunkt der Publikation und Implementierung bereits nicht mehr
auf dem aktuellen Stand. In diesem vielleicht konservativ und etwas starr wirkenden
Leitlinien-Prozess liegt andererseits auch ihre Stärke. Die Aussagekraft und der Empfehlungsgrad
reflektieren durch seine Evidenz-Bezogenheit das große Maß an Verantwortung, das bei
der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit innovativen, allerdings auch immunologisch-invasiven
Substanzen zum Tragen kommt.
Viele praktische Fragen des therapeutischen Alltags kann die Leitlinie nicht beantworten,
da hierfür ausreichende Evidenz nicht zur Verfügung steht. Zentral ist hier sicher
die Frage nach dem Zeitpunkt (Mindestdauer der „Remission unter Medikation“) und der
Art der Therapiedeeskalation und -beendigung (Ausschleichen vs. abruptem Absetzen).
Erste Hinweise liegen vor und können Entscheidungshilfen sein.
Zusammenfassend bildet die hier vorliegende Aktualisierung der JIA-Leitlinie mit 12
übergeordneten Therapieprinzipien, 9 Empfehlungen zur medikamentösen und 5 Empfehlungen
zur nicht-medikamentösen Therapie der JIA die aktuelle Evidenz-basierte Datenlage
ab. Bei fehlender oder unzureichender Evidenz konnte auf der Basis der S2k-Leitlinien-Prinzipien
durch 2 moderierte Konsensuskonferenzen ein interdisziplinärer Konsens erzielt werden.
Die kontinuierliche und kritische Analyse der Evidenz und die Aktualisierung dieser
Leitlinie ist auch zukünftig wichtig, um im Ergebnis einen Beitrag zur rationalen
und verantwortungsbewussten Behandlung rheumakranker Kinder und Jugendlicher zu leisten.
Danksagung
Wir danken Dr. Susanne Blödt für die unermüdliche inhaltliche und redaktionelle Unterstützung
des gesamten Leitlinien-Prozesses. Für die Unterstützung im Leitlinien-Sekretariat
danken wir sehr herzlich Frau Sabine Schmitz.