Grundlagen
Indikation
Die intravenöse Lyse-Therapie mit Alteplase (rekombinanter Gewebeplasminogenaktivator)
ist indiziert beim klinischen Syndrom eines akuten Schlaganfalls mit behinderndem
neurologischem Defizit, das sich nicht spontan zurückbildet. Als Bildgebung ist eine
unauffällige native kraniale Computertomografie ausreichend. Frühzeichen in der nativen
Bildgebung sind keine absolute Kontraindikation, jedoch ist bei ausgedehnten Frühzeichen
eine Risikoabwägung notwendig. Nach intravenöser Gabe bindet Alteplase an Fibrin und
aktiviert das dort gebundene Plasminogen zu Plasmin. Durch Plasmin löst sich das Fibringerinnsel
auf. Die intravenöse Thrombolyse ist zugelassen für eine Behandlung innerhalb des
Zeitfensters von 4,5 h nach Symptombeginn.
Kontraindikationen
Die wichtigsten absoluten Kontraindikationen, die gegen die Durchführung der intravenösen
Lyse-Therapie sprechen:
-
intrakranielle Blutung
-
unkontrollierter Bluthochdruck (systolischer Blutdruck > 185 mmHg trotz intravenöser
Antihypertensiva)
-
größere Operation oder schwere systemische Blutung in der direkten Vorgeschichte (z. B.
gastrointestinale Blutung)
-
entgleister Blutzucker (> 400 oder < 50 mg/dl)
-
Einnahme von Vitamin-K-Antagonisten (VKA) und INR > 1,3 bzw. direkten oralen Antikoagulanz
(NOAK) innerhalb von 48 h ohne verfügbares Antidot
Praxistipp: Relative Kontraindikationen
Praxistipp: Relative Kontraindikationen
Einige der formalen Kontraindikationen stammen aus der Zulassungsstudie und sind nicht
evidenzbasiert. Einzelne wurden im Verlauf der Zeit relativiert:
-
Eine obere Altersgrenze existiert nicht mehr
-
Nach aktuellen Studiendaten kann in bestimmten Situationen und passender Bildgebung
die intravenöse Lyse-Therapie bei unbekanntem Zeitfenster (z. B. „Wake-up-Schlaganfall“
[2]) oder im erweiterten Zeitfenster bis 9 h nach Symptombeginn [3] erfolgen. Hierzu ist die Bildgebung mittels MRT („DWI-FLAIR-Mismatch“ oder Nachweis
von Risikogewebe mit Diffusions-Perfusions-Mismatch) oder Perfusions-CT (Nachweis
von Risikogewebe) zu erweitern
-
Patienten mit geringem neurologischen Defizit (National Institutes of Health Stroke
Scale [NIHSS] < 4) profitieren ebenfalls von der Lyse-Therapie. Hierbei sollte aber
eine relevante funktionelle Beeinträchtigung bestehen. Bei nicht behinderndem Symptom,
z. B. isolierte Sensibilitätsstörung, ist die Lyse-Therapie nicht generell empfohlen
-
Auch bei ausgeprägtem neurologischen Defizit (NIHSS > 25) ist die Lyse-Therapie sinnvoll
[4]
-
Bei Schlaganfall und Diabetes in der Anamnese, größerer Operation in den letzten 3
Monaten oder einem epileptischen Anfall ist das Risiko gegen den Nutzen abzuwägen
-
Ein off-label Gebrauch ist bei VKA-Einnahme und einem INR 1,3 – 1,7 möglich [3]. Bei Einnahme eines NOAKs kann bei einer Pause > 48 h, normalem spezifischem Gerinnungstest
oder bei Dabigatran nach Gabe des Antidots (Idarucizumab) die intravenöse Lyse-Therapie
erfolgen. Idarucizumab ist ein humanisiertes monoklonales Antikörperfragment (Fab),
das mit 300-fach höherer Affinitiät an Dabigatran bindet, als Dabigatran an Thrombin.
Die empfohlene Dosis von Idarucizumab beträgt 5 g, diese wird intravenös als zwei
aufeinanderfolgende Kurzinfusionen (2 × 2,5 g) oder als Bolusinjektion verabreicht.
Nach Anwendung von Idarucizumab kann jederzeit mit der intravenösen Lysetherapie begonnen
werden. Relevante Gerinnungsparameter sind die aktivierte partielle Thromboplastinzeit
(aPTT), die quantitative Bestimmung der Thrombinzeit in verdünnten Plasmaproben (dTT)
und die Ecarin Clotting Time (ECT). Ein Wert im Normalbereich nach Anwendung von Idarucizumab
gibt an, dass ein Patient nicht mehr antikoaguliert ist.
Checkliste: Management
Um die Indikation zur Lyse-Therapie zu stellen, müssen Einschlusskriterien erfüllt
und Kontraindikationen ausgeschlossen sein. Sinnvoll ist es, einen strukturierten
Plan einzuhalten:
-
Übergabe durch Rettungswesen
-
Anamnese
-
Klinisch neurologische Untersuchung (standardisierte neurologische Untersuchung und
Befunddokumentation anhand der NIHSS; [Tab. 1])
-
Vitalparameter, Blutentnahme (v. a. Blutgasanalyse, INR)
-
Kraniale Bildgebung (cCT/cMRT zum Nachweis möglicher früher Ischämiezeichen (z. B.
verstrichene Mark-Rinden-Grenze) und Ausschluss Blutung oder anderer Kontraindikationen)
Tab. 1
Der National Institute of Health Stroke Score findet Anwendung bei der spezifischen
neurologischen Untersuchung auf einen ischämischen Schlaganfall und dient hierbei
als Ausgangs- und Verlaufsparameter.
01a Vigilanz
-
Wach (0)
-
Somnolent (1)
-
Stuporös (2)
-
Komatös (3)
|
01b Orientierung
|
01c Kooperation
|
02 Blickbewegungen
|
03 Gesichtsfeld
-
Keine Gesichtsfeldeinschränkung (0)
-
Partielle Hemianopsie (1)
-
Komplette Hemianopsie (2)
-
Beidseitige Hemianopsie (3)
|
04 Faziale Parese
|
05a Linker Arm (90° Position)
|
05b Rechter Arm (90° Position)
|
06a Linkes Bein (45° Position)
|
06b Rechtes Bein (45° Position)
|
07 Extremitätenataxie
|
08 Sensibilität
|
09 Aphasie
|
10 Dysarthrie
-
Normal (0)
-
Verwaschene Sprache/noch verständlich (1)
-
Unverständliche Sprache (2)
-
Intubation, sonstige physikalische Barriere (UN)
|
11 Neglect
|
|
Abkürzung: UN = „untestable“ (nicht untersuchbar)
National Institute of Health Stroke Score (Punktzahl in Klammern)
National Institute of Health Stroke Score (Punktzahl in Klammern)
siehe ([Tab. 1])
Praxistipp
Die Dosis beträgt 0,9 mg/kg Körpergewicht, maximal 90 mg Gesamtdosis. Hiervon werden
zu Beginn 10 % als Bolus verabreicht, die restlichen 90 % über 60 Minuten.
Überwachung und Komplikationen
Überwachung und Komplikationen
Durch die intravenöse Lyse-Therapie können Komplikationen auftreten, die häufigsten
sind Blutung (v. a. kranial, gastrointestinal) sowie das allergische Angioödem (v. a.
bei Einnahme von ACE-Hemmern). Bei einer Komplikation unter laufender Infusion wird
die Therapie abgebrochen und geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen. Nach der Lyse-Therapie
muss die Überwachung mit Kontrolle des neurologischen Status (NIHSS), der Vigilanz
und der Pupillen alle 4 h und ein kontinuierliches Monitoring (u. a. EKG, Herzfrequenz,
Blutdruck) auf einer zertifizierten Stroke Unit stattfinden. Da intrazerebrale Blutungen
nach Thrombolyse mit erhöhtem Blutdruck assoziiert sind, ist eine strenge Blutdruckkontrolle
und Vermeiden hypertensiver Entgleisungen wichtig. Der systolische Blutdruck sollte
in den 24 h nach Thrombolyse < 185 mmHg, besser < 160 mmHg, liegen.
Eingriffe sollten wegen des Blutungsrisikos nach frühestens 6 h erfolgen, die Thrombozytenaggregationshemmung
erst nach 24 h und Ausschluss einer intrakraniellen Blutung in der Kontrollbildgebung.
Abb. 1 Für die intravenöse Lyse-Therapie bedarf es neben dem Medikament Alteplase einiger
Utensilien, um die intravenöse Lyse-Therapie sicher und präzise durchführen zu können.
In der Praxis hat sich ein „Lyserucksack“ bewährt. Dieser enthält das gesamte Material,
welches für eine schnelle Vorbereitung einer intravenösen Lyse-Therapie notwendig
ist.
Abb. 2 Vor der intravenösen Lyse-Therapie ist eine kraniale Bildgebung notwendig. Natives
cCT mit Frühzeichen links insulär/operkulär sowie links parietal (a). cMRT mit Diffusions- (oben) und Perfusionsbildgebung (unten) mit sichtbarem Mismatch
(b). cMRT mit DWI- und FLAIR-Sequenzen mit deutlichem Mismatch (links) und ohne Mismatch
(rechts) (c) (a, b, c beziehen sich nicht aufeinander).
Schritt 1
Abb. 3 Für die Vorbereitung der intravenösen Lyse-Therapie ist ein Arbeiten unter sterilen
Bedingungen wichtig.
Suchen Sie einen festen Untergrund für die Durchstechflaschen mit dem Alteplase-Pulver
und dem Wasser für Injektionszwecke. Arbeiten Sie mit Handschuhen. Entfernen Sie die
Schutzkappen beider Durchstechflaschen und desinfizieren Sie die Oberflächen.
Unterstützung ist immer sinnvoll! Lassen Sie sich bei der Vorbereitung für die intravenöse
Lyse-Therapie durch eine Pflegekraft, bestenfalls eine „Lyse-Nurse“, helfen.
Schritt 2
Abb. 4 Zum Auflösen des Alteplase-Pulvers im Rahmen der intravenösen Lyse-Therapie wird zunächst
die Flasche mit dem Wasser für Injektionszwecke geöffnet.
Packen Sie die sterile Überleitkanüle aus und entfernen Sie die Schutzkappe eines
beliebigen Dorns. Vorsicht: Die Überleitkanüle ist zwar noch steril, darf an dieser
Stelle aber nicht mehr berührt werden. Durchstechen Sie mit dem Dorn den sterilen
Gummistopfen der Durchstechflasche mit Wasser für Injektionszwecke.
Schritt 3
Abb. 5 Anschließend verfährt man in gleicher Weise mit der Flasche mit dem Alteplase-Pulver,
welches die Grundlage der intravenösen Lyse-Therapie darstellt.
Entfernen Sie nun die Schutzkappe des anderen Dorns der Überleitkanüle. Vorsicht:
Auch dieser Dorn ist noch steril und darf nun nicht mehr berührt werden. Platzieren
Sie die Durchstechflasche mit dem Alteplase-Pulver über dem Dorn der Überleitkanüle.
Durchstechen Sie vorsichtig, aber gezielt, den Gummistopfen der Flasche mit dem Alteplase-Pulver.
Schritt 4
Abb. 6 Das Auflösen des Alteplase-Pulvers erfordert etwas Geschick. Am Ende sollte eine klare,
blasenfreie Lösung für die intravenöse Lyse-Therapie bereitstehen.
Drehen Sie nun die verbundenen Flaschen um 180°, sodass das Wasser in die Flasche
mit Alteplase-Pulver fließen kann. Verwenden Sie zum Auflösen des Alteplase-Pulvers
das gesamte Wasser. Schwenken Sie die Flasche, damit sich alles Alteplase-Pulver auflöst.
Das Alteplase-Pulver befindet sich nun in einer Konzentration von 1 mg/ml und sollte
sofort verwendet werden.
Nicht schütteln! Achten Sie darauf, dass sich kein Schaum bildet. Ansonsten lassen
Sie die Lösung für einige Minuten ruhen, damit sich die Luftblasen auflösen.
Schritt 5
Abb. 7 Sinnvollerweise bedarf es für die intravenöse Lyse-Therapie eines venösen Zugangs.
Dieser sollte ausreichend groß sein und korrekt liegen.
Sofern bislang nicht erfolgt, bedarf es jetzt eines sicheren intravenösen Zugangs.
Wichtig ist die Anlage des intravenösen Zugangs auf der nicht betroffenen Körperseite,
sodass ein Paravasat patienten- und ärztlicherseits schnell entdeckt wird. Bewährt
hat sich ein Zugang mit großem Lumen (18 Gauge oder niedriger).
Schritt 6
Abb. 8 Zunächst wird der Bolus, dann der Rest des Gesamtvolumens, für die anschließende Infusion
der intravenösen Lyse-Therapie aufgezogen.
Ziehen Sie nun mit einer 10ml-Einmalspritze das Volumen des Bolus gemäß des Patientengewichts
auf (10 % der Gesamtdosis, maximal 9 mg). Entweder im Anschluss oder zeitgleich, beispielsweise
durch die unterstützende Pflegekraft, erfolgt das Aufziehen der Perfusorspritzen.
Ab einem Patientengewicht von 56 kg sind zwei Perfusorspritzen zu verwenden, da handelsübliche
Perfusorspritzen ein maximales Volumen von 50 ml aufweisen.
Schritt 7
Abb. 9 Der erste Teil der intravenösen Lyse-Therapie wird in Form eines Bolus direkt appliziert.
Vergewissern Sie sich durch Gabe einer isotonischen Kochsalzlösung, dass der intravenöse
Zugang korrekt liegt. Verabreichen Sie nun den Bolus an aufgelöster Alteplase. Die
intravenöse Lyse-Therapie sollte hierbei durch die Bildgebung nicht verzögert werden.
„Time ist brain“. Deshalb sollte die Zeit zwischen Eintreffen des Patienten/der Patientin
mit Schlaganfall und Beginn der intravenösen Lyse-Therapie nicht über 30 Minuten betragen
(„door-to-needle-time“).
Schritt 8
Abb. 10 Der zweite Teil der intravenösen Lyse-Therapie besteht aus den restlichen 90 % der
Gesamtdosis, welche über 60 Minuten verabreicht werden.
Nach der Bolusgabe erfolgt die Alteplaseinfusion (90 % der Gesamtdosis, maximal 81 mg).
Bedenken Sie, dass eventuell zwei Perfusorspritzen notwendig sind und vergessen Sie
nicht den Spritzenwechsel. Die gesamte restliche Alteplasedosis muss innerhalb von
60 Minuten verabreicht sein.
Nach Start der Alteplaseinfusion sollte die Darstellung der hirnversorgenden Gefäße
erfolgen.
Bei einem Großgefäßverschluss ist mit den Kollegen der Neuroradiologie die Indikation
zur mechanischen Thrombektomie zu diskutieren.
Korrekt angewendet, ist die intravenöse Lyse-Therapie seit 25 Jahren ein wichtiger
Teil der Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls. Sofern ein Großgefäßverschluss
vorliegt, ist die mechanische Thrombektomie eine sinnvolle Ergänzung. Außerdem wird
weiterhin an der akuten Schlaganfalltherapie geforscht: dank den WAKE-UP-/EXTEND-Studien
kann bei entsprechendem Bildbefund das Zeitfenster ausgeweitet werden und mit Tenecteplase
steht womöglich bald ein Lysemedikament der nächsten Generation bereit [2]
[3]
[6].