Nun hat auch Gotthard von Klinggräff kurz nach seinem Freund und Alter Ego Jürgen
Gebhardt den Schallkopf sorgfältig abgewischt und endgültig ins vorgesehene Fach zurückgelegt.
Dem Neupräsidenten der DEGUM, Prof. J. Menzel, und dem Sektionsleiter der Inneren
Medizin, Dr. Th. Müller, ist es ein Anliegen, die beiden Väter des Hamburger „Internistischen“
Ultraschalls würdigen zu lassen. Wir haben diese Aufgabe als langjährige Mitstreiter
und Freunde gerne übernommen.
Als Jungspund in der Rettenmaier’schen Ultraschallschule bin ich den beiden 1974 beim
1. Böblinger Ultraschallkurs begegnet. Gotthard fiel unter den etwa 15 Kursteilnehmern
bereits damals nicht nur durch seine attraktive Erscheinung, sondern auch durch seine
Kommunikationsfähigkeit auf. Jürgen strahlte vor allem Ruhe, Ernsthaftigkeit und hanseatisches
Understatement aus. Dieses Duo muss auch G. Rettenmaier gefallen haben. Entscheidend
war ihr enormes und seriöses Interesse an der neuen Methode – die Sonografie wurde
damals oft als eine Art Kaffeesatzlesen verspottet – und Rettenmaier konnte begeisterungsfähige
Jünger wahrlich gebrauchen. Bald sprach er von seinen „Hamburger Metastasen“.
Jürgen Gebhardt (li.) und Gotthard von Klinggräff (re.). Foto: privat.
Auf Anregung ihres verehrten klinischen Lehrers Prof. Hornbostel sind Gotthard und
Jürgen sehr früh in den praktischen Ultraschall eingestiegen, und sie haben es tatsächlich
geschafft, die damalige Nischenmethode in den 1970er-Jahren trotz eingeschränkter
Bildqualität und außerhalb universitärer Strukturen in Hamburg einzuführen und durchzusetzen.
Als Mitbegründer des ASHI (Arbeitskreis Sonografie Hamburger Internisten) organisierten
sie ab 1979 Sonografiekurse und hochkarätige US-Fortbildung in Hamburg. Gemeinsam
prägten sie Flair und Stil der Kurse.
Die regelmäßig 1/2-jährlich stattfindenden Kolloquien führten das „Who is Who“ der
sonografischen Kunst nach Hamburg. Die Referenten wussten die Einladungen als Auszeichnung
zu schätzen – und kamen gern, obwohl es anschließend „nur“ Kartoffelsalat mit Würstchen
gab. Ausbildung und Fortbildung auf hohem Niveau hatten Vorrang.
Gotthard v. Klinggräff und Jürgen Gebhardt waren vermutlich die ersten, die die Botschaft
vom schnellen B-Bild erfolgreich nach Venezuela und Brasilien exportierten.
Nach regelmäßigen Treffen bei Fortbildungsveranstaltungen und mehreren Dreiländertreffen
wurden wir Freunde. Wenn man Gotthard bei einer Ultraschallveranstaltung traf, war
Jürgen meist nicht weit entfernt. So unterschiedlich die Freunde waren, so perfekt
ergänzten sie sich. Gotthard war eher der begeisterungsfähige Initiator und Jürgen
sorgte immer mit viel Einsatz für eine fehlerfreie Umsetzung.
Ein Höhepunkt war unsere Zeit als Kongresspräsidenten des Dreiländertreffens 1989
in Hamburg. Gemeinsam schafften wir es, in verlässlicher Arbeitsteilung zusammen mit
Jochen Hackelöer einen großen, unvergesslichen Kongress zu organisieren. Es kamen
mehr als 2000 Teilnehmer, und erstmals boten wir ohne Terminüberschneidung zum wissenschaftlichen
Programm kostenfreie Fortbildungsvorträge an. Den Höhepunkt bildete der Festabend
mit mehr als 1200 Besuchern in der Fischauktionshalle, mit 2 Bühnen und Live Bands
aus Liverpool. Es wurde ein spektakulärer Festabend, ganz nach dem Geschmack der jungen
wilden Schaller. Unser „junges Präsidententeam“ schien der Zeit voraus, wir diskutierten
lebhaft, bündelten unsere Stärken, keiner profilierte sich auf Kosten der anderen.
Und alles lief wieder mal fehlerfrei, dank Jürgen, unserem ruhenden Pol.
Gotthard von Klinggräff hat zudem in seiner Berufskarriere viel für die DEGUM geleistet.
5 Jahre Vorstandsarbeit als Sekretär brachten ihm viel Anerkennung. Für seine Zuverlässigkeit
und geschickte Art Interessen auszugleichen wurde er zurecht mit der Verdienstmedaille
der DEGUM ausgezeichnet.
Gotthard war ein geschätzter Redner auf vielen DEGUM-Kongressen und für mich zudem
ein wichtiger Koautor, der pünktlich seine bestens ausgearbeiteten Manuskripte mit
hervorragendem Bildmaterial lieferte. Die 1980 gegründete Zeitschrift „Ultraschall
in der Medizin“ unterstützte er von Anfang an als Autor und auch später, als die Zeitschrift
als Organ der DEGUM „wackelte“. Auch dafür gilt ihm mein besonderer Dank.
Unsere Freundschaft erstreckte sich nicht nur auf den Ultraschall, sondern wurde auch
in den Jahren nach unserer Pensionierung weiter gepflegt, ein aktuelles Treffen auf
Föhr hat leider Corona vereitelt.
Für die beiden muss angesichts ihrer Meriten und ihres Engagements – in Analogie zu
den Lichtjahren – der Begriff der Schalljahre eingeführt werden. So gemessen, mit
je 47 Schalljahren, haben sie mich deutlich in den Schallschatten gestellt – das wird
ihnen so leicht keiner nachmachen!
Karlheinz Seitz, Sigmaringen
Meine erste Begegnung mit Gotthard von Klinggräff liegt etwa 15 Jahre zurück. Ich
war noch relativ neu in Hamburg, Gotthards Namen als langjähriger exzellenter Ultraschaller
und einer der Protagonisten der „Hamburger Sono-Schule“ war aber auch an meiner bisherigen
Wirkungsstätte in Südostbayern bestens bekannt.
Wir trafen uns an einem dunklen Winternachmittag in seinem nur spärlich beleuchteten
Zimmer – und ich erhielt als erstes eine nicht allzu kurze, aber sehr unterhaltsame
Unterweisung über die ausgesprochen verschlungenen Wege, wie im damals noch Landesbetriebskrankenhaus
der Stadt Hamburg eine neue Glühbirne bestellt und geliefert werden konnte. Gotthard
kann wunderbar erzählen, mit ein paar kleinen, manchmal leicht spöttischen Sidesteps
hier, ein paar eingestreuten Anekdötchen dort – eine Fähigkeit, die ihm sowohl als
Vortragender wie als Kursveranstalter und Moderator zahlreicher Ultraschallveranstaltungen
ein interessiert zuhörendes, dankbares und treues Publikum beschert hat.
Wenig später lernte ich Jürgen Gebhardt kennen, zu jener Zeit als Leitender Oberarzt
kommissarischer Leiter des renommierten AK Barmbek und zusammen mit Gotthard nicht
nur Gründervater, sondern seit Jahren engagierter, kenntnisreicher und zuverlässig
treibender Motor des oben schon erwähnten ASHI. Und wenn Gotthard passend zu seinen
immer noch gepflegten automobilen Vorlieben immer wieder gerne den Turbo einlegen
wollte, sorgte Jürgen mit seinem besonnenen und vorausschauenden Wesen dafür, dass
das nur dann geschah, wenn die Straßen- und Sichtverhältnisse entsprechend waren –
ein perfektes Duo eben. Ich durfte erfahren, dass die von den beiden langjährig geprägte
Hamburger Ultraschall-„Szene“ eine ebenso hochkompetente wie engagierte, offene und
Allüren-freie Gruppe ohne irgendwelche Abgrenzungstendenzen war und ist. Der von den
beiden vorgelebte „Hamburger Sono-Spirit“ war immer: Ultraschall mit und unter Freunden,
mit selbstverständlicher gegenseitiger Unterstützung, wo auch immer sie benötigt wurde.
Die erste Tagung des Arbeitskreises datiert vom Juni 1979. In den Programmarchiven
des ASHI findet sich Jürgen als Organisator der Tagung mit einer „Video(!)aufzeichnung:
Mitralstenose, Perikarderguss“, Gotthard mit einem Beitrag „Retroperitoneale Metastasierung“
– vielleicht schon damals ein Anklang auf den Hang zur technischen Perfektion bei
dem einen, auf das spätere langjährige „Hobby“, die differenzierte Sonografie des
Hodens, bei dem anderen.
Die gut besuchten ASHI-Abende, im weiteren Verlauf jeweils 1-mal im Jahr von Jürgen
in Barmbek und Gotthard in Harburg organisiert, waren über Jahrzehnte gemeinsamer
Treff- und Fixpunkt der Hamburger Sono-Fangemeinde. Die Programme der ersten Jahre
weisen Beiträge aus verschiedenen Hamburger Kliniken und Praxen mit Themen wie „Eindrücke
von einem computergesteuerten B-Scanner“ oder „Drainage eines Leberabszesses unter
Ultraschallkontrolle“ aus und belegen die enormen Entwicklungen, die die beiden miterlebt,
mitgestaltet und mitmoderiert haben. 40 Jahre nach der Auftaktveranstaltung organisierte
Gotthard sein letztes ASHI-Kolloquium im Dezember 2019 – es war das 74.
Aufgrund ihrer großen Verdienste um den Ultraschall hat der ASHI Jürgen Gebhardt und
Gotthard von Klinggräff zu Ehrenvorsitzenden ernannt. Beide werden in diesem Jahr
im Abstand von nur 1 Woche 80 Jahre alt, und beide haben bis vor kurzem regelmäßig
den Schallkopf geführt und ebenso ästhetische wie präzise Bilder und Befunde erstellt.
Sie haben ihre Begeisterung für den Ultraschall an die nächsten Generationen (der
Plural sei angesichts des Lebensalters erlaubt) engagiert, hochkompetent und mit unverwüstlichem
Mecklenburger Charme, respektive Artländer Seriosität und Bodenständigkeit weitergegeben.
Die Hamburger Ultraschall-Community kann sich ihre langjährigen Inspiratoren zwar
ohne Ultraschall eigentlich genauso wenig vorstellen, wie umgekehrt die Hamburger
Sono-Gemeinde ohne die beiden – bedankt sich aber von Herzen für die langjährige Prägung,
Führung und Freundschaft!
Guntram Lock, Hamburg
Zu unserem großen Bedauern müssen wir mitteilen, dass Jürgen Gebhardt nach Drucklegung
dieses Textes verstorben ist. Unser Mitgefühl gilt seiner Familie.