Neonatologie Scan 2020; 09(02): 81-82
DOI: 10.1055/a-1169-7709
Gast-Editorial

SARS-CoV-2-Exposition in der Neonatologie

Christoph Bührer
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Christoph Bührer

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

von den sieben humanpathogenen Coronaviren waren bis Anfang 2020 vier endemisch (HCoV-NL63, -229E, -OC43 und -KHKU1). Sie rufen triviale Erkältungen hervor und sind deshalb selten Gegenstand diagnostischer Bemühungen. Mit SARS-CoV-2 ist nun ein fünftes Coronavirus dabei, sich in der Bevölkerung auszubreiten, weltweit. Die Folgen für die Infizierten können bei SARS-CoV-2 ungleich gravierender sein als bei den bisher endemischen Coronaviren. Besonders gefährlich ist die als COVID-19 bezeichnete Erkrankung für ältere Menschen mit vorbestehenden kardiorespiratorischen Problemen, aber sie kann auch bei jungen Erwachsenen ohne Vorerkrankungen zum Tod führen. Nur bei Kindern überwiegen die asymptomatischen Verläufe, und wenn Symptome auftreten, sind sie in der Regel mild. Dies zeigen übereinstimmend Berichte aus China, Italien, Spanien und den USA [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9]. Aus China sind insgesamt vier Todesfälle bei SARS-CoV-2-positiven Kindern berichtet worden, die jedoch als Folge anderer Krankheiten anzusehen sein dürften, bei drei kindlichen Todesfällen aus den USA ist die Bewertung noch nicht abgeschlossen. In Italien und Spanien waren unter den COVID-19-Todesopfern bisher keine Kinder zu verzeichnen. Gute Nachrichten für Eltern und Großeltern, Kinderärztinnen und Kinderärzte.

PCR-bestätigte Fälle von Neugeborenen mit perinataler SARS-CoV-2-Infektion sind extrem selten [10] [11] [12] [13]. In den wenigen bisher dokumentierten Fällen wurde das Virus bereits innerhalb der ersten 48 h nachgewiesen, die PCR wurde 6–12 Tage später wieder negativ. Keines der Neugeborenen hatte ernsthafte Symptome. Drei asymptomatische Neugeborene COVID-19-erkrankter Mütter wiesen nach der Geburt spontan abfallende IgM-Antikörpertiter auf, ohne je PCR-positiv geworden zu sein [14]. Diese Konstellation lässt eine intrauterine Übertragung denkbar erscheinen, aber sie bleibt unwahrscheinlich. Stillen scheint unproblematisch zu sein, in keiner bisher untersuchten Muttermilchprobe einer SARS-CoV-2-positiven Frau ließ sich bisher das Virus nachweisen. Die kindliche Symptomatik scheint bei später – nosokomial oder intrafamiliär – erworbenen Infektionen etwas ausgeprägter sein zu können (Erbrechen, Lethargie, Blickdeviationen, Tachydyspnoe), insgesamt überwiegen aber die blanden Verläufe. Eine invasive Beatmung scheint bei Säuglingen – im Gegensatz zu erwachsenen COVID-19-Patienten – fast nie erforderlich zu werden. Das Bild, das sich aus den publizierten Fällen ergibt, deckt sich mit mündlichen Einzelfallberichten verschiedener europäischer Kolleginnen und Kollegen und dürfte nicht Folge unterlassener Publikationen sein: Seit Jahresanfang sind innerhalb der ersten vier Monate mehr als 8000 PubMed-gelistete Manuskripte über COVID-19 erschienen, z. T. mit extrem kurzen Begutachtungszeiten, darunter zahlreiche simple Einzelfallberichte und kleine Fallserien.

So harmlos SARS-CoV-2 für Neugeborene zu sein scheint, so gefährlich kann es für diejenigen sein, die damit im Krankenhaus zu tun haben. In China waren unter den bis zum 11.02.2020 bestätigten 44 672 COVID-19-Patienten 1716 Krankenhausmitarbeiter (3,8 %), 5 von ihnen starben [15]. In den USA starben bis zum 09.04.2020 insgesamt 27 in der Krankenversorgung tätige Menschen an COVID-19, davon 17 unter 65 Jahren [16], in Italien starben im gleichen Zeitraum über 100 Ärzte und 26 Pflegekräfte an COVID-19 [17]. Dies unterstreicht, wie wichtig die persönliche Schutzausrüstung ist und der geschulte Umgang damit. Der durchgehende Einsatz von Schutzkitteln, Einweghandschuhen, Schutzbrillen und dicht anliegenden Atemschutzmasken (letztere mindestens auf FFP2-Niveau bei allen Tätigkeiten, die mit Aerosolproduktion einhergehen wie etwa Intubationen oder offenes Absaugen) ist vielerorts weniger eine Frage der Disziplin als der Verfügbarkeit geworden. COVID-19 lehrt uns, wie wichtig es ist, Reserven zu haben, nicht nur im Gesundheitssystem.

Weltweit haben sich innerhalb weniger Monate Millionen von Menschen mit SARS-CoV-2 infiziert, Hunderttausende sind an COVID-19 gestorben. Die Bedrohung durch das Virus wird bleiben, bis eine Impfung oder effektive antivirale Therapie verfügbar ist. Längere Zeit also. Bleiben wir wachsam.

Ihr
Christoph Bührer
Direktor Klinik für Neonatologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Vizepräsident der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedzin e. V.



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Article published online:
27 May 2020

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