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DOI: 10.1055/a-1179-2513
Nabelvenenkatheter – Schritt für Schritt
In der Initialphase der schweren kardiorespiratorischen Anpassungsstörung stehen Wärmeerhalt, Beatmung/Atemunterstützung und Etablierung eines Gefäßzugangs im Vordergrund. Besonders letzteres kann mangels praktischer Erfahrung und in zeitkritischer Lage eine große Herausforderung sein. Der Nabelvenenkatheter stellt eine praktikable Alternative zum periphervenösen oder intraossären Gefäßzugang dar. Das Verfahren kann durch einfache Übungen am sehr realitätsnahen Modell erlernt werden.
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Abkürzungen
Alarmierung des Neugeborenen-Notarztdienstes
Einsatzstichwort für RTW und Transportinkubator: „Schwere Anpassungsstörung nach Notsectio in nahe gelegener Geburtsklinik“.
Eintreffen des Teams 20 Minuten postnatal
Männliches Neugeborenes, 39 + 1 SSW, Gewicht ca. 3000 g, APGAR 1/5/7, Nabelarterien-pH 7,34, SpO2 präduktal 60%. Bisherige Erstversorgung durch das geburtshilflich-anästhesiologische Team unter dem Wärmestrahler mit Perivent®-Masken-CPAP-Atemhilfe.
Ersteindruck und Maßnahmen
Kritisch krankes reifes Neugeborenes mit relevantem B- und C-Problem: Wechsel von Masken- auf Nasopharyngealtubus-CPAP-Atemhilfe mit FiO2 0,6 und Nabelvenenkatheteranlage („kurze Knopfkanüle“) nach zweimaligem frustranem PVK-Versuch ([Abb. 1], [Abb. 2]).
Manuelle repetitive Applikation von Flüssigkeitsboli (3 × 30 ml Ringer-Azetat) über 50-ml-Perfusorspritze bei ausgeprägter gemischter Azidose (pH 6,92, pCO2 74 mmHg, Base Excess − 20,7 mmol/l, Laktat 14,6 mmol/l, BZ 68 mg/dl, Hb 18,4 g/dl). Transport auf die neonatologische Intensivstation und mehrstündige CPAP-Atemhilfe.
6 h postnatal weitgehend normalisierte Blutgasanalyse, im Weiteren komplikationsloser Verlauf, Entlassung am 10. Lebenstag.




Grundlagen
Das European Resuscitation Council (ERC) empfiehlt nach dem ersten Zyklus (30 s) „Beatmung und Thoraxkompression 3 : 1“ bei persistierender Bradykardie < 60/min oder Asystolie: „Zugang und Medikamente erwägen“ [1], [2]. In den allermeisten Fällen ergibt sich die Indikation eines Gefäßzugangs jedoch bereits bei kardiorespiratorischer Anpassungsstörung und/oder drohender oder manifester Hypoglykämie im Sinne „unterstützender Maßnahmen“.
Der Anlage eines Gefäßzugangs in einer neonatologischen Notfallsituation muss auch eine therapeutische Konsequenz folgen (s. u.: [Praxistipp 2]). Absolute Indikationen sind
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hämodynamisch relevanter Blutverlust (z. B. vorzeitige Plazentalösung oder Nabelschnurblutung) und
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Schockzeichen bei schwerer kardiorespiratorischer Anpassungsstörung oder Asphyxie (Blässe, deutlich verzögerte Rekapillarisierungszeit, Atemstörung, reduzierte Vigilanz).
Fetale und postnatale Kreislaufverhältnisse
Nach Abnabelung und Beginn der Lungenatmung stellt sich der fetale Kreislauf mit den Kurzschlussverbindungen Ductus venosus, Foramen ovale und Ductus arteriosus auf postnatale Kreislaufverhältnisse um ([Abb. 3]). Anfangs verschließen sich diese Shunts aufgrund der veränderten Druckverhältnisse funktionell (innerhalb von Minuten bis Stunden) und im weiteren Verlauf strukturell (innerhalb von Tagen bis Wochen).


Die V. umbilicalis mit Ductus venosus stellt damit vorübergehend eine praktikable Gefäßzugangsmöglichkeit dar. Bei der Nabelvenenkatheteranlage wird der Ductus venosus bei zentraler Lage des Katheters als „Wegschienung“ genutzt und bei peripherer Lage (Katheterspitze unter Hautnabelniveau) zum freien Abfluss der Infusion.
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Zentrale und periphere Lage – langer und kurzer Katheter
Über die Nabelvene kann insbesondere bei elektiver Durchführung und entsprechender Erfahrung ein „langer Katheter“ (z. B. Vygon® Nabelvenenkatheter doppellumig 20 cm) eingeführt und am Nabelstumpf angenäht werden. Dessen Spitze liegt nach Passage durch Nabelvene und Ductus venosus korrekterweise am Übergang von der V. cava inferior zum rechten Vorhof und damit zentralvenös. Dieser Vorgang ist jedoch zeitaufwendig und kann auch dem Geübten misslingen, wenn der Katheter intrahepatisch in einen Pfortaderast abweicht. Die Benutzung eines Katheters in dieser Fehllage stellt ein Thrombose- oder Extravasatrisiko dar.
Im Notfall kann deutlich erfolgversprechender die Einführung eines „kurzen Katheters“ (z. B. Knopfkanüle aus Kunststoff oder als Rückfallebene eine 14-G- oder 16-G-Venenverweilkanüle ohne Stahlmandrin) erfolgen. Es handelt sich hierbei zwar um einen Off Label Use, die Notfallanwendung bei vitaler Indikation rechtfertigt dies jedoch.
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Durchführung am Modell
Für die Anlage einer peripheren Venenverweilkanüle beim Neugeborenen gibt es kein realitätsnahes Übungsmodell. Für den intraossären Zugang gilt dies eingeschränkt: Mittels „Kunststoffknochen“ oder „Hühnerbeinknochen“ ist es bedingt möglich, Punktionserfahrungen zu sammeln. Die Nabelvenenkatheteranlage dagegen lässt sich mit einem Nabelschnurstück und wenig Zusatzmaterial leicht trainieren.
Set Notfall-Nabelvenenkatheter kurz
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Hautdesinfektionsmittel
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sterile Kompressen (z. B. 7,5 × 7,5 cm)
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Nabelband (z. B. 5 mm breit und gekürzt auf 15 cm Länge)
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Skalpell (z. B. Größe 10)
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chirurgische Pinzette
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anatomische Pinzette
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Punktionskanüle (z. B. Knopfkanüle 100 mm zur topischen Wundspülung)
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Nabelklemme
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10-ml-Spritze
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10-ml-Ampulle NaCl 0,9%
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Verlängerungsleitung (z. B. 30 cm)
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Dreiwegehahn
Ergänzend bzw. optional erforderlich (im Notfall verzichtbar)
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sterile Unterlage/Lochtuch
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Mundschutz
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Kopfhaube
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sterile Handschuhe
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dünne Metallsonde
Vorbereitung des Übungsmodells
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Bitten Sie im Kreißsaal um ein Stück Nabelschnur zu Übungszwecken und entsorgen die Reste fachgerecht.
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Handeln Sie sowohl bei Übungen als auch im Ernstfall nach lokalen hygienischen Vorgaben.
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Waschen und befreien Sie die Nabelschnur von Blutresten, kürzen Sie sie auf ca. 10 cm Länge und setzen Sie eine Nabelklemme auf das distale Ende (simuliert das abgenabelte Kind).
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Füllen Sie eine kleine Schraubverschlussflasche mit Wasser (ggf. auch mit Blutresten, damit Visualisierung bei der Aspiration möglich).
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Schneiden Sie ein kleines Loch in einen Milchsauger. Ziehen Sie die Nabelschnur hälftig durch und schrauben den Sauger auf die Flasche. Der Sauger stellt die Bauchhaut und den Hautnabel dar.
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Legen Sie sich die benötigten Materialien ([Abb. 4]) bereit.
Schritt 1
Die Vorbereitung des Übungsmodells „Notfall-Nabelvenenkatheter kurz“ zeigt [Abb. 4].


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Schritt 2
Desinfizieren Sie die Haut rund um den Nabel und den Nabelschnurstumpf mit einem Hautdesinfektionsmittel und Kompressen. Legen Sie das Nabelband distal des Hautnabels um den Nabelschnuransatz und binden einen lockeren Knoten ([Abb. 5]).


Bei unzureichendem Verschluss durch das Nabelband kann es rasch zu einem relevanten Blutverlust aus den offenen Gefäßen kommen, sobald Sie die Nabelschnur proximal der Klemme kürzen.
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Schritt 3
Kürzen Sie mit einem Skalpell die Nabelschnur auf einen Rest von ca. 3 – 5 cm ab Hautnabel so, dass Sie eine möglichst gerade Schnittfläche erhalten ([Abb. 6]).


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Schritt 4
Fassen Sie mit chirurgischer und ggf. anatomischer Pinzette das Nabelschnurende. Hier in [Abb. 7] liegt bei 7 Uhr die Nabelvene mit großem Eingang. Bei 4 und 11 Uhr liegen die beiden spiralig verlaufenden Nabelarterien, erkennbar an ihrem dünneren Lumen und dem kontrahierten Ende. Weiten Sie ggf. den Nabelveneneingang mit der Pinzette oder einer dünnen Metallsonde.


– bei 7 Uhr die Nabelvene mit großem Eingang,
– bei 4 und 11 Uhr die beiden spiralig verlaufenden Nabelarterien (erkennbar an ihrem dünneren Lumen und dem kontrahierten Ende).
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Schritt 5
Desinfizieren Sie die Schnittfläche und den Nabelschnurstumpf nochmals. Führen Sie dann den Katheter ca. 5 – 7 cm tief in die Nabelvene ein, sodass die Spitze knapp unter Hautnabelniveau liegt ([Abb. 8]). Meistens kann man von außen das Vorschieben durch die Wandbewegung erkennen. Schieben Sie den Katheter ggf. unter leichten Drehbewegungen und unter Spülung vor. Durch die limitierte Länge des Katheters und der Vorlaufstrecke durch die Nabelschnur außerhalb des Körpers liegt die Katheterspitze in „sicherer Lage“ in der V. umbilicalis vor der Abzweigung der Pfortaderäste.


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Schritt 6
Wenn Sie mit der aufgesetzten und mit NaCl 0,9% gefüllten Spritze Blut aspirieren können, liegt der Katheter in korrekter Position ([Abb. 9]).


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Schritt 7
Spülen Sie Leitung und Katheter mit 5 ml NaCl 0,9% durch. Bei korrekter Katheterlage gelingt dies leicht. Sie haben allenfalls einen minimal erkennbaren Rückfluss aus dem weiten Nabelveneneingang ([Abb. 10]).


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Schritt 8
Setzen Sie eine Nabelklemme auf das distale Ende des Nabelschnurstumpfes. Hierbei müssen Sie das offene Ende der Klemme kräftig komprimieren, bis der Verschluss einrastet ([Abb. 11]). Aufgrund der Stabilität der Knopfkanüle bleibt deren Lumen trotz aufgesetzter Klemme offen. Sie können nun über den seitlichen Anschluss des Dreiwegehahns die erforderliche Infusion bzw. das erforderliche Medikament applizieren und mit der aufgesetzten NaCl-0,9%-Spritze nachspülen (s. [Praxistipp 2]).


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Alternative
Wenn im Notfall nur eingeschränkt geeignetes Material zur Verfügung steht, können Sie alternativ folgendermaßen vorgehen (s. a. [Abb. 12]):
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Statt Nabelband: manuelle Kompression des Nabelschnuransatzes und schmale kurze Mullbinde.
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Statt Knopfkanüle: periphere Venenverweilkanüle (z. B. 14 G oder 16 G), dann allerdings ohne Nabelklemme.
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Statt Nabelklemme: schmale kurze Mullbinde.


Ein Notfallset zur Anlage eines Nabelvenenkatheters zeigt [Abb. 13].


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Bereiten Sie sich mental auf neonatologische Notfallsituationen vor (s. Fallbeispiel u. [Abb. 1], [Abb. 2]).
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Nutzen Sie anatomische und physiologische Kenntnisse (s. [Abb. 3]).
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Trainieren Sie manuell beherrschbare Abläufe (s. Schritt 1 bis 8; [Abb. 4] bis [Abb. 11]).
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Erwägen Sie improvisiertes Vorgehen in besonderen Situationen (s. Alternative; [Abb. 12]).
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Stellen Sie sich ein vollständiges Set aller benötigter Materialien zusammen (s.[ Praxistipp 1]) und platzieren dieses an geeigneter Stelle (s. [Abb. 13]).
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Greifen Sie in zeitkritischen Notfallsituationen auf einfache Hilfsmittel und Informationen zurück (s. [Tab. 1] u. [Praxistipp 2]).
Schwangerschaftswochen |
Gewicht männlich |
Gewicht weiblich |
---|---|---|
35 + 0 |
2610 |
2510 |
36 + 0 |
2860 |
2750 |
37 + 0 |
3100 |
2980 |
38 + 0 |
3310 |
3170 |
39 + 0 |
3490 |
3340 |
40 + 0 |
3630 |
3470 |
41 + 0 |
3740 |
3580 |
42 + 0 |
3800 |
3630 |
Gewichtsermittlung
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Wiegen in der Notfallsituation nicht möglich (s. [Tab. 1])
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vereinfachte pauschale Annahme: 3,5 kg bei reifen Neugeborenen
Flüssigkeitsgabe
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balancierte Vollelektrolytlösung, z. B. Ringer-Acetat oder Ringer-Malat
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initial 10 ml/kgKG, z. B. 35 ml bei 3,5 kgKG
-
repetitiv mehrfach 10 ml/kgKG möglich
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Volumenbolusapplikation über Perfusorspritze „aus der Hand“
Adrenalin
-
idealerweise Adrenalin-Fertigspritze 1 mg = 10 ml („1 : 10 000“) oder
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10-ml-Spritze: 1 ml (1 mg = 1000 µg) Adrenalin + 9 ml NaCl 0,9%
-
zur leichteren Applikation berechnete Menge in 1-ml-Spritze umfüllen
-
Dosierung intravenös
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initial: 10 µg/kgKG = 0,1 ml/kgKG der 1 : 10 000-Lösung, z. B. 0,35 ml bei 3,5 kgKG
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repetitiv alle 3 – 5 min: 10 (− 30) µg/kgKG = 0,1 (− 0,3) ml/kgKG der 1 : 10 000-Lösung, z. B. 0,35 (− 1,0) ml bei 3,5 kgKG
-
Glukose
-
Glukose 10%-Bolus bei manifester (< 45 mg/dl) oder symptomatischer Hypoglykämie: Bolusgabe 2 – 3 ml/kgKG, z. B. 7 – 10 ml bei 3,5 kg
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Glukose 10%-Dauerinfusion zur Hypoglykämievermeidung: 3 ml/kgKG/h über Spritzenpumpe, z. B. 10 ml/h bei 3,5 kg
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Dr. med. Felix Girrbach, Leipzig
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Alexander Krauth


Facharzt für Kinder und Jugendmedizin, Schwerpunkt Neonatologie, Zusatzbezeichnung Notfallmedizin und Zusatzbezeichnung Pädiatrische Intensivmedizin. NLS-Instruktor und EPALS-Kursdirektor. Seit 2009 Oberarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Städtischen Klinikum Karlsruhe. Tätigkeitsschwerpunkte: neonatologische und pädiatrische Intensivmedizin, Neugeborenen-Notarztdienst, Kindernotaufnahme und Kindernotarztdienst.
Interessenkonflikt
Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Literatur
- 1 Wyllie J, Bruinenberg J, Roehr CC. et al. Die Versorgung und Reanimation des Neugeborenen, Kapitel 7 der Leitlinien zur Reanimation 2015 des European Resuscitation Council. Notfall Rettungsmed 2015; 964-983 doi:10.1007/s10049-015-0090-0
- 2 Deutscher Rat für Wiederbelebung. Algorithmus der Neugeborenenreanimation 2015. Im Internet (Stand: 22.10.2020): https://www.grc-org.de/wissenschaft/leitlinien
Korrespondenzadresse
Publication History
Article published online:
04 December 2020
© 2020. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Wyllie J, Bruinenberg J, Roehr CC. et al. Die Versorgung und Reanimation des Neugeborenen, Kapitel 7 der Leitlinien zur Reanimation 2015 des European Resuscitation Council. Notfall Rettungsmed 2015; 964-983 doi:10.1007/s10049-015-0090-0
- 2 Deutscher Rat für Wiederbelebung. Algorithmus der Neugeborenenreanimation 2015. Im Internet (Stand: 22.10.2020): https://www.grc-org.de/wissenschaft/leitlinien
















– bei 7 Uhr die Nabelvene mit großem Eingang,
– bei 4 und 11 Uhr die beiden spiralig verlaufenden Nabelarterien (erkennbar an ihrem dünneren Lumen und dem kontrahierten Ende).











