Im OP 2020; 10(05): 181
DOI: 10.1055/a-1182-9223
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Tobias Weimer
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Publication Date:
27 August 2020 (online)

Begleitung eines freiverantwortlichen Suizids

Die Garantenstellung des Arztes für das Leben seines Patienten endet, wenn er vereinbarungsgemäß nur noch dessen freiverantwortlichen Suizid begleitet. Eigenverantwortlich ist ein Selbsttötungsentschluss, wenn das Opfer die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seine Entscheidung besitzt und Mangelfreiheit des Suizidwillens sowie innere Festigkeit des Entschlusses gegeben sind. Zum Ausschluss der Freiverantwortlichkeit müssen konkrete Umstände festgestellt werden. Als solche kommen insbesondere Minderjährigkeit des Opfers oder krankheits- sowie intoxikationsbedingte Defizite infrage. Der Selbsttötungsentschluss kann auch dann mangelbehaftet sein, wenn er auf Zwang, Drohung oder Täuschung durch den Täter beruht. Dasselbe gilt, wenn er einer bloßen depressiven Augenblicksstimmung entspringt, mithin nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen ist.

BGH, Urteil v. 03.07.2019 – 5 StR 393/18

Beraterhinweis: Das Urteil bedeutet aber nicht „freie Fahrt“. Vielmehr ist der Arzt verpflichtet, die Freiverantwortlichkeit sorgfältig zu prüfen und damit die Kognitionspflicht der Entscheidung zu wahren. Es muss also geprüft werden, ob die zum Suizid entschlossene Person gegebenenfalls psychisch dergestalt beeinträchtigt war, dass eine Freiverantwortlichkeit ausgeschlossen ist. Die Einsichts- und Urteilsfähigkeit muss gegeben sein, und der Freitodwunsch darf nicht auf eine bloße „depressive Augenblicksstimmung“ hindeuten. Hat sich der Patient aber intensiv mit dem Thema Tod auseinandergesetzt, im Laufe der Jahre bereits mehrere Selbsttötungsversuche unternommen, seinem Umfeld mehrmals den Sterbewunsch mitgeteilt und sich sogar verabschiedet, beruht der Entschluss auf einem „langjährigen ernsthaften Todeswunsch“.