Allgemeine Homöopathische Zeitung 2020; 265(04): 33
DOI: 10.1055/a-1183-6002
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Buchbesprechungen

Was wirkt wirklich?

Natalie Grams: Was wirklich wirkt: Kompass durch die Welt der sanften Medizin. 2. Aufl. Berlin: Aufbau; 2020. 249 S., brosch., ISBN: 978-331034719, Preis: 18,- € Ein

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Ein neues Buch, das voller altbekannter Vorwürfe und Vorurteile steckt. Die Autorin, die gerne mit ihrer eher kurzen Erfahrung als Ärztin und einer noch kürzeren als homöopathische Ärztin kokettiert, erweitert lediglich ihr Angriffsfeld von der Homöopathie auf alle Bereiche dessen, was sie als „sanfte Medizin“ bezeichnet und rhetorisch versiert bekämpft.

In 12 Kapiteln wirft Natalie Grams der „sanften Medizin“ (gemeint sind die Therapieformen der integrativen Medizin) wechselweise Populismus („Wer heilt hat Recht!“), Täuschung und Selbsttäuschung („Als Homöopathin war ich jahrelang selbst von der Wirksamkeit ‚meines‘ Ansatzes felsenfest überzeugt und kann daher aus eigener Erfahrung bestätigen, wie blind die eigene Wahrnehmung für Argumente werden kann …“), oder gemeingefährliches Vorgehen („… dann ziehen die harten Impfgegner die üblichen faktenfernen Register, um Angst vor Nebenwirkungen oder gar Impfschäden zu schüren“).

Mythen und Halbwahrheiten sollen entlarvt werden. Tatsächlich werden Halbwahrheiten aufgehäuft, um einen Mythos aufrechtzuerhalten: Den Mythos von der Schädlichkeit der integrativen Medizin und der komplementären Therapieverfahren. Einen „Kompass durch die Welt der sanften Medizin“ verspricht der Untertitel des Buches. Die Lektüre lässt eher auf einen in Irrungen und Wirrungen verfangenen Geist und auf eine Person schließen, die geprägt und getrieben ist von einer erheblichen Portion an Selbstüberschätzung, gepaart mit dem dogmatischen Eifer einer späten Kreuzzüglerin: 35 Buchseiten reichen für eine Frau Doktor Grams, um 8 verschiedene Therapieverfahren (Homöopathie, Pflanzenheilkunde, TCM, Osteopathie, Chiropraktik, Yoga, Meditation, Anthroposophie) als pseudomedizinische Behandlungsmethoden, basierend auf unwissenschaftlichen Grundlagen, „zu entlarven“ – kurzum als „Scharlatanerie“.

Wenn das alles nicht so ernst gemeint wäre und wenn das alles nicht darauf ausgerichtet wäre, gleich mehreren, teils seit Jahrhunderten etablierten, evident wirksamen und von vielen tausend Ärztinnen und Ärzten mit hohem Verantwortungsbewusstsein angewandten, medizinischen Therapieformen den Garaus zu machen, könnte man dieses Buch auch als tragikomische Selbstdarstellung verstehen.

Denn die Autorin spielt auf jeder Seite die Hauptperson: Sie ist die strahlende Göttin der Weisheit, die einst durch ein (natürlich fremdverschuldetes Unglück!) in die Hände der Scharlatane gefallen war, dort zur Kultfigur im bösen Tempel der homöopathischen Behandlung aufstieg (sogar Patienten aus den USA flogen extra zu ihr ein), bevor ihre eigene, unersättliche Wissbegier ihr die verblendeten Augen wieder öffnete und ihr half, sich selbst zu befreien. Natalie Grams: Wahlweise eine Jeanne d’Arc der aufgeklärten modernen Medizin oder ein weiblicher Paulus, die einst ein Saulus war und nun als Messias des einzig wahren Wissens („Was wirklich wirkt“) gegen die integrative Medizin zu Felde und, für gutes Honorar, durch alle Talkshows zieht.

Nein, man muss dieses Buch nicht lesen. Und niemand braucht Frau Dr. Natalie Grams, um die „Alarmzeichen“ erläutert zu bekommen, „an denen Sie Scharlatane erkennen können“. Die erkennen Millionen vernünftiger Menschen und Patienten mithilfe ihres eigenen, gesunden Menschenverstands. Und wenden sich deshalb stattdessen an einen der zahlreichen ärztlichen Homöopathen, die nichts mit den Klischees zu tun haben, die dieses Buch so wortreich, aber fern jeder Wirklichkeit zelebriert.

Armin Huttenlocher



Publication History

Article published online:
03 August 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York