Aktuelle Dermatologie 2020; 46(11): 494-501
DOI: 10.1055/a-1196-2722
Von den Wurzeln unseres Fachs

Auf den Spuren Theodor Fontanes in Sachsen-Anhalt[*]

On Theodor Fontaneʼs Tracks in Saxony-Anhalt
H.-D. Göring
Hochschulklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie/Immunologisches Zentrum, Städtisches Klinikum Dessau, Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Dessau
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Zusammenfassung

Theodor Fontane hat die Region des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt in den Jahren 1840, 1848, 1868 und zwischen 1877 und 1884 mehrmals besucht. Zunächst war er kurzzeitig in einer Apotheke in Burg bei Magdeburg als Apothekergehilfe tätig, spätere Aufenthalte, v. a. im Harz, dienten der Erholung und schriftstellerischer Arbeit. Fontane wurde durch seine Aufenthalte in der Region zu einigen seiner Romane inspiriert. Historische Personen und Orte in Sachsen-Anhalt wurden zu Schauplätzen und realen Vorbildern für die Protagonisten seiner Romane „Vor dem Sturm“, „Cecile“, „Ellerklipp“, „Grete Minde“ und „Effi Briest“.


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Abstract

Theodor Fontane visited the territory of Saxony-Anhalt in the years 1840, 1848, 1868 and manifold between 1877 and 1884. First of all he was employed for a short period as an assistent in a pharmacist’s shop in Burg near Magdeburg. Later Fontane spent mainly time in the Harz region of Saxony-Anhalt, which served as his recovery and basis for his literary work. Historic persons and places in Saxony-Anhalt became real prototypes for the protagonists and scenes of Fontane’s novels „Vor dem Sturm“, „Cecile“, „Ellerklipp“, „Grete Minde“ and „Effi Briest“.


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Einleitung

Der Apotheker, Schriftsteller, Dichter und Journalist Theodor Fontane (1819 – 1898), dessen 200. Geburtstag die literarische Welt am 30.12.2019 beging, war ein reisefreudiger Mann. Hiervon zeugen die zahlreichen Publikationen, u. a. über seine England- und Frankreichaufenthalte, aber auch die sich insgesamt über 30 Jahre (1859 – 1889) erstreckenden „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, die einem größeren Leserkreis bekannt sind. Weniger präsent sind im Vergleich dazu Fontanes Spuren, die er in seiner Biografie und seinem literarischen Werk durch inspirierende Besuche in der Region des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt hinterlassen hat. Hiervon und über Persönlichkeiten aus dieser Region, die für Fontanes künstlerische und intellektuelle Entwicklung wichtig waren, sowie über reale Vorbilder für seine Romanfiguren, aber auch seine Tätigkeit als Apotheker, soll hier berichtet werden. Fontane hatte von 1836 – 1840 eine Ausbildung zum Apothekergehilfen bei Wilhelm Rose in der Apotheke „Zum Weißen Schwan“ in Berlin absolviert [1].

Am 08.01.1840 erhielt Fontane das Zeugnis als Apothekergehilfe, am 02.03.1847 nach Tätigkeit in weiteren Apotheken in Burg, Leipzig, Dresden, Berlin und Letschin die Anerkennung als Apotheker 1. Klasse ([Abb. 1]). Wilhelm Rose machte weniger als Apotheker Eindruck auf den jungen Fontane, sondern vielmehr durch seine „bourgeoise Gesinnung“, wie er später in seiner Autobiografie „Von Zwanzig bis Dreißig“ mit spürbarer Abneigung gegen Roses „Geldsackgesinnung“ schrieb [1] [9] [11] [12]. Der um seine gesellschaftliche Anerkennung ringende Rose als Typ des „Bourgeois“ diente Fontane später als Vorbild für den Geschäftsmann van der Straaten in „L’Adultera“ (Die Ehebrecherin) und die Neureichen in „Frau Jenny Treibel“ [7] [11] [12]. Wilhelm Rose entstammte einer Familie von Apothekern und Naturwissenschaftlern. Sein Vater war ein bekannter Apotheker und Vormund des späteren preußischen Baumeisters Karl Friedrich Schinkel, der in der Rose’schen Apotheke in Berlin aufwuchs. Ein Bruder Roses war Professor für Chemie, ein anderer Professor für Mineralogie. Apotheker Rose war in Fachkreisen bekannt für seinen Queckenextrakt, der als Heilmittel gegen Blasenentzündungen und Ekzeme diente und von ihm unter Mithilfe Fontanes in großen Fässern nach Brighton in England exportiert wurde [1] [12]. Wilhelm Rose stellte Fontane ein gutes Arbeitszeugnis aus und war ihm später mit Empfehlungen behilflich. In Roses Apotheke lagen verschiedene literarische Zeitschriften aus, in denen die Kundschaft Fortsetzungsromane lesen konnte. Fontane schrieb während seiner Zeit in Roses Apotheke den Roman „Du hast recht getan“, den er später unveröffentlicht mit nach Burg bei Magdeburg nahm und der verschollen ist [1] [12]. Zu Fontanes Zeiten war Apotheker ein Lehrberuf, ähnlich einem Handwerk. Voraussetzung waren ein Lebensalter von 14 bis 16 Jahren, Lateinkenntnisse und das „Einjährigen“-Zeugnis einer weiterführenden höheren Schule. Abitur und Universitätsstudium waren nicht erforderlich. Die Lehrausbildung dauerte 4 bis 6 Jahre und endete mit der Gehilfenprüfung für Apotheker 2. Klasse vor einem Provinzkollegium. Die Approbation 2. Klasse berechtigte zur Tätigkeit in kleineren Orten. Apotheker 1. Klasse mussten in Preußen zusätzlich Vorlesungen im „Collegium medico-chirurgicum“ in Berlin hören und praktische Übungen in der dortigen Hofapotheke absolvieren [3]. Am 02.03.1847 erhielt Fontane die Approbation als Apotheker 1. Klasse. Die Bestrebungen für ein Universitätsstudium angehender Apotheker, die nicht zuletzt von besonders naturwissenschaftlich interessierten Apothekern ausgingen, führten in Bayern als erstem deutschen Staat ab 1808 zur Vorschrift eines zweijährigen Pharmaziestudiums an einer Universität. Aus einigen größeren Apotheken wie der von Johann Bartholomäus Trommsdorff in Erfurt und der Apotheke von Karl Gottfried Hagen in Königsberg gingen Universitätsinstitute hervor [4]. Die universitäre Ausbildung für Apotheker erfolgte schrittweise ab 1825. Es dauerte allerdings bis nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches, dass in Deutschland ab 1873 alle Apotheker ein reguläres Universitätsstudium absolvieren mussten [3].

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Abb. 1 Theodor Fontane im Alter von 23 Jahren. Kreidezeichnung des Malers Hermann Karl Kersting, Dresden, ca. 1843 (aus eigenem Bestand).

Die Professionalisierung des Apothekerberufes brachte es u. a. mit sich, dass einige frühere Apotheker in Deutschland bedeutende naturwissenschaftliche Leistungen vollbrachten, wie Justus von Liebig, Max von Pettenkofer, Johann Wolfgang Doebereiner sowie Johann Heinrich Klapproth in Quedlinburg. Aus Apotheken sind später weltbekannte Unternehmen der Pharma- und Chemieindustrie hervorgegangen, z. B. die E.-Merck AG und die Schering-Werke [3] [12].

Theodor Fontane beendete seine Tätigkeit als Apotheker mit 30 Jahren am 30.09.1849. Er soll geäußert haben: „Giftmischer will ich nicht sein“ [9]. Fontane machte jetzt seine künstlerische Begabung zu seinem Hauptberuf. „Ein Apotheker, der anstatt von seiner Apotheke von der Dichtkunst leben will, ist so ziemlich das Tollste, was es gibt“, äußerte er rückblickend [8] [12]. Auch andere Apotheker und Zeitgenossen Fontanes wurden bekannte Künstler, so Carl Spitzweg, Henrik Ibsen, Ludwig Bechstein und Georg Trakl.


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Aufenthalte auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt

Am 01.10.1840 nahm Theodor Fontane eine Tätigkeit als Apothekergehilfe in der Apotheke „Zum Weißen Adler“ des August Theodor Kannenberg in Burg bei Magdeburg auf, die er aber schon am 30.12.1840 wieder beendete. Die Apotheke ist heute nicht mehr erhalten. Sie wurde in den 60iger-Jahren des 20. Jahrhunderts abgerissen. In der kurzen Zeit seines Aufenthaltes in Burg verfasste Theodor Fontane das satirische Epos „Burg an der Ihle“. Darin werden der Krämergeist der Bürger, der kleinstädtische Kulturbetrieb und die Angst vor der Zensur verspottet. Das Werk ist erst 1928 nach Fontanes Tod veröffentlicht worden. Eine weitere Bekanntschaft Fontanes mit der Region Sachsen-Anhalt datiert aus dem Jahre 1844, als er zu seiner ersten 14-tägigen Englandreise auf Einladung seines Freundes Hermann Scherz (1818 – 1888) von Berlin mit der Eisenbahn nach Magdeburg und von dort mit dem Raddampfer auf der Elbe nach Hamburg aufbrach. Die Rückreise traten die beiden Reisenden ab Köthen getrennt an, weil sich Fontane nur eine Fahrkarte 3. Klasse leisten konnte [11] [12].


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Fontane und Dessau

Ab 01.04.1841 trat Theodor Fontane in die Apotheke zum „Weißen Adler“ in Leipzig als Apothekergehilfe ein. In Leipzig verkehrte er im Herwegh-Klub, wo Gedankengut und Dichtung des Vormärz im Mittelpunkt standen. Hier freundete er sich mit dem aus Dessau stammenden 18-jährigen Studenten der Philosophie und Philologie Friedrich Max Müller (1823 – 1900) und dem 21-jährigen Journalisten, Dramendichter und Übersetzer russischer Literatur Wilhelm Wolfsohn (1820 – 1863) an [16]. Max Müller war der Sohn des Dessauer Hofbibliothekars und Dichters Wilhelm Müller (1794 – 1827), dessen Gedichtzyklen „Die schöne Müllerin“ und „Die Winterreise“ Franz Schubert vertont hatte. Wilhelm Müller war Mitglied der Philhellenischen Vereinigung und ist als „Griechen-Müller“ in die Geschichte eingegangen. Max Müllers Mutter Adelheid (1800 – 1863) stammte ebenfalls aus einer angesehenen Dessauer Familie. Ihr Großvater war der Reformpädagoge Johann Bernhard Basedow (1724 – 1790), der auf Einladung des aufgeklärten Fürsten Leopold III. Friedrich Franz (1740 – 1817) 1771 in Dessau die berühmte Lehranstalt Philanthropinum gegründet hatte. Adelheids Bruder war der später in Merseburg praktizierende Arzt Carl Adolph von Basedow (1799 – 1854), deutscher Erstbeschreiber des Krankheitsbildes der Hyperthyreose („Morbus Basedow“) [5]. Max Müller setzte nach Leipzig seine philologischen Studien in Berlin fort. Hier war er Schüler des Orientalisten Friedrich Rückert (1788 – 1866), bei dem er Persisch lernte. Mit einem Empfehlungsschreiben von Alexander von Humboldt begab sich Max Müller nach Paris und später nach London und Oxford, wo er eine Professur für Indologie und vergleichende Religionswissenschaft innehatte. Max Müller gilt als Begründer der modernen Indologie [16]. Die heutigen deutschen Goetheinstitute in Indien sind nach ihm benannt. Seine Grammatik der indischen Sprache gilt heute noch in Indien.

Der dritte Freund Wilhelm Wolfsohn war einer der frühen Förderer Fontanes. Er wurde 1820 in Odessa geboren. Die Stadt Odessa war ziemlich spät, nämlich erst 1794 gegründet worden und wurde von einer multiethnischen Bevölkerung, v. a. Russen, Juden, Griechen, bewohnt. Wolfsohn studierte in Leipzig Philosophie und Philologie. Das Thema seiner Dissertation lautete: „Die schönwissenschaftliche Welt der Russen“ [16]. Wolfsohn versuchte den deutschen Lesern die russischen Schriftsteller, u. a. Puschkin, Lermontow und Gogol nahezubringen. Fontane nahm auch kurzzeitig Russischunterricht bei ihm. Wilhelm Wolfsohn war Angehöriger der aufgeklärten Strömung des Judentums und strebte nach Überwindung ihrer Isolierung. Die jüdische Aufklärung wurde so Teil der europäischen Aufklärung [16]. Wilhelm Wolfsohn war 10 Jahre lang mit der Leipziger Tischlerstochter Emilie Gey verlobt. Ab 1848 konnten in Anhalt als einzigem deutschen Staat Christen und Juden einander standesamtlich heiraten. Eine kirchliche Trauung war sekundär. 1851 wurde diese Verfassung aufgehoben. Ende 1851 nahmen Wilhelm Wolfsohn und Emilie Gey ihren Wohnsitz in Dessau und heirateten am letzten Tag der gesetzlich möglichen Frist, nämlich am 31.12.1851 [16]. In Leipzig lernten die 3 Freunde auch den Schüler der Leipziger Handelsschule Ferdinand Lasalle kennen. Schon 1842 trennten sich die Wege der 3 Freunde. Wolfsohn und Fontane trafen sich später in Dessau wieder. Max Müller und Fontane verkehrten im Berliner Intellektuellen-Klub „Tunnel über der Spree“ und später in Oxford miteinander [12] [16].

Fontane fragte am 27.02.1852 aus Berlin bei Wolfsohn in Dessau an: „Bist du immer noch der einzige Mensch in Dessau, der vor einem herzoglichen Wagen nicht den Hut zieht?“. Wolfsohn fand in Dessau wenig geistige Anregung, Fontane riet ihm zur Übersiedlung nach Dresden, wo Wolfsohn am 13.08.1865 vermutlich an Krebs starb. 1857 hatte Wolfsohn sein erfolgreiches Stück „Ein Herz von tausend Seelen“ Theodor Fontane gewidmet. Fontane wiederum widmete sein frühes Gedicht „An Rußland“, dem des Despotismus angeklagten Wilhelm Wolfsohn [16].

Für Fontane war Dessau auch noch in anderer Hinsicht von großer Bedeutung. Er lernte hier durch Vermittlung von Wolfsohn seinen späteren Verleger Moritz Katz kennen, der 1849 Fontanes Gedichtzyklus „Von der schönen Rosamunde“ verlegte ([Abb. 2]). 1854 erfolgte im Moritz Katz-Verlag Dessau die Veröffentlichung von „Argo. Belletristisches Jahrbuch auf das Jahr 1854“. Mitherausgeber war Theodor Fontane. Im selben Jahr 1854 erschien Fontanes Werk „Ein Sommer in London“ bei Katz in Dessau. 1850 wurde Moritz Katz‘ Bruder Eduard Mitinhaber des nunmehrigen Gebrüder-Katz-Verlages. Es gab im Verlauf der Zusammenarbeit allerdings zunehmende Differenzen zwischen Katz und Fontane über die Höhe der Honorare [16]. Bei Katz erschien auch die sich dem englischen Sprachraum widmende Zeitschrift „Atlantis“, für die auch Fontane Beiträge lieferte. 1863 ging der Verlag in Konkurs [16]. Der Verlag veröffentlichte auch den Briefwechsel zwischen Fontane und dem Sohn von Wilhelm Wolfsohn, Wolters. Der Gebrüder-Katz-Verlag befand sich in der heutigen Ferdinand-von-Schill-Straße in Dessau. Das Verlagsangebot umfasste Literatur des Vormärz, der nordamerikanischen, englischen und russischen Literatur. Auch Theodor Storm (1817 – 1888) und der erste deutsche Literatur-Nobelpreisträger (1910) Paul Heyse (1830 – 1914) sowie die seiner Zeit bekannte Frauenrechtlerin Luise Otto-Peters (1819 – 1895) waren Autoren des Gebrüder-Katz-Verlages in Dessau. Theodor Storm hat bei Katz seine Erzählung „Immensee“ veröffentlicht [16].

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Abb. 2 Theodor Fontane „Von der schönen Rosamunde“ – Titelblatt der in Dessau erschienenen Erstausgabe (https://venator-hanstein.de/katalog/detail/146/9981, abgerufen am 13. Mai 2020).

Nach der Märzrevolution von 1848, an der sich Fontane kurzzeitig auf Seiten der Aufständischen beteiligt hatte, besuchte er seinen Freund Gustav Adolph Techow, der als politischer Häftling in der Festung Magdeburg inhaftiert war [11] [12].


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Fontanes Aufenthalte im Harz

1868 sowie in den Jahren zwischen 1877 und 1884 ist Fontane allein oder in Begleitung seiner Frau, seiner Kinder und einer Haushaltshilfe regelmäßig zur Sommerfrische in den Harz gefahren, anfangs nach Wernigerode, später nach Thale. Die Aufenthalte dienten der Erholung, schriftstellerischen Arbeiten (Überarbeitung von Manuskripten, Lesen von Korrekturfahnen) und der Planung neuer literarischer Vorhaben, die sich inhaltlich und geografisch von der Harzlandschaft und dort lebenden Menschen inspirieren ließen. In einem Brief an seine Frau Emilie vom 20.05.1868 schreibt Fontane, dass Thüringen „reicher, nobler und großartiger sei, aber die Landschaft des Harzes insgesamt v. a. durch ihren pittoresken Charakter doch reizvoller ist.“ Im Laufe der Jahre verbrachte Fontane insgesamt etwa 300 Tage im Harz, wo er sich als ausdauernder Wanderer erwies [11] [12]. Anders als viele Schriftsteller des 18. und 19. Jahrhunderts bestieg er nie den Brocken, besuchte aber den Hexentanzplatz, dessen literarischen Weltruhm Goethe mit der Walpurgisnacht in „Faust II“ begründet hatte [11]. Die Anreise nach Thale war dadurch erleichtert, dass der Ort am Eingang des Bodetals schon seit 1862 einen Bahnanschluss hatte. Die meisten Gäste kamen aus Norddeutschland und Berlin. Fontane beschrieb weitere lokale Sehenswürdigkeiten wie das Jagdschloss Todtenrode und die Roßtrappe sowie Ausflüge nach Altenbrak und Quedlinburg [11]. Er stieg regelmäßig im Hotel „Zehnpfund“, benannt nach seinem Besitzer, in Thale ab ([Abb. 3]). Es galt als das größte deutsche Sommerhotel, eine Anpreisung mit dem dezenten Hinweis, dass es sich nicht beheizen ließ [13]. Im Dezember 2016 wurde das noch existierende Gebäude von der Stadt Thale an einen Investor verkauft, der das Anwesen zu einem Seniorenzentrum umbauen will, das im Jahr 2021 eröffnen soll [14]. Als die materiellen Verhältnisse es ihm im Alter erlaubten, suchte Fontane bevorzugt Seebäder wie Norderney und Föhr, Luftkurorte wie Bad Kissingen, Karlsbad und Dresden-Weißer Hirsch auf [11]. Wenn er allein im Harz unterwegs war, schrieb er seiner Frau seine Eindrücke in Briefen nach Berlin. In einem solchen Brief vom 14.08.1880 zeigte er sich zufrieden darüber, nicht in Berlin sein zu müssen, weil ihm das aktuelle Wetter dort eine „völlige Nervenpleite“ bescheren würde. Mit diesem Ausdruck beschrieb er seine Depressionen. Man solle sich von Berlin nicht täuschen lassen, das überall „ganz gut bis sehr hübsch aussieht, aber nicht gesund ist“ [2]. Theodor Fontanes Frauengestalten in seinen Romanen sind häufig die Titelheldinnen [15]. Er wurde hierbei durch historische Begebenheiten angeregt, die sich in einigen Fällen auf dem Boden des heutigen Sachsen-Anhalt ereignet hatten und die er aus alten Kirchenbüchern, Zeitungen oder durch Hinweise von Bekannten und Freunden erfuhr. Er hat den überlieferten historischen Stoff künstlerisch verändert. Die Handlung kreist um Liebe, Ehe und deren Scheitern an gesellschaftlichen Konventionen. Am Beispiel der Konflikte stellt Fontane die gesellschaftlichen Erschütterungen seiner Zeit dar [10]. „Liebesgeschichten in ihrer schauderösen Ähnlichkeit haben was langweiliges, aber der Gesellschaftszustand, das Sittenbildliche, das versteckt- und gefährlich Politische, das diese Dinge haben, das ist es, was mich so sehr daran interessiert“ (Theodor Fontane an F. Stephany vom 02.07.1894) [10]. In einem anderen Brief an C. Grünhagen vom 10.10.1895 schrieb Fontane: „Ich war nie ein Lebemann, aber ich freue mich, wenn andere leben, Männlein wie Fräulein. Der natürliche Mensch will leben. Will weder fromm noch keusch noch sittlich sein. Dies Natürliche hat es mir seit langem angetan, ich lege nur darauf Gewicht, fühle mich nur dadurch angezogen und dies ist wohl der Grund, warum meine Frauengestalten alle einen Knax weghaben. Gerade sind sie mir dadurch lieb“ [10].

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Abb. 3 Hotel Zehnpfund in Thale, Harz um 1914 (Autor unbekannt; Verlag: Louis Glaser, Leipzig – Zeno.org, ID-Nummer 20000671622).

Theodor Fontane war fast 60 Jahre alt, als er seinen ersten Roman schrieb [12].


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Fontanes Werke in Zusammenhang mit Sachsen-Anhalt

Es folgen kurze Schilderungen der Romane Fontanes, die auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt angesiedelt sind.

Vor dem Sturm

In Thale hat Fontane große Teile seines ersten Romans „Vor dem Sturm“ geschrieben. Dieser Roman hat für die deutsche Literatur die gleiche Bedeutung gehabt wie Tolstois „Krieg und Frieden“ für die Weltliteratur; manche Kritiker halten beide Werke für gleichrangig [12]. Es ging 1854 ursprünglich um einen Roman über den Major Ferdinand von Schill, den Fontane „Lewin von Vitzewitz“ nennen wollte. Sein Verleger Wilhelm Hertz empfahl stattdessen den Titel „Vor dem Sturm“. Fontane schildert darin Preußen unter König Friedrich Wilhelm III. zur Zeit der Befreiungskriege 1812. Das Erscheinen des Romans 1878 wurde von dem Historiker Theodor Mommsen als ein besonderes Ereignis gefeiert [11] [12].


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Ellerklipp

Fontane hatte in Ilsenburg im Harz in einem Kirchenbuch aus dem Jahre 1752 die Schilderung eines Mordes gefunden, den ein Forstaufseher aus Eifersucht an seinem Sohn begangen haben sollte, weil er in ihm den Nebenbuhler um seine Pflegetochter vermutete. Anschließend heiratete der Forstaufseher die Pflegetochter, wurde aber von einem rachsüchtigen Wilderer an der Stelle in den Freitod getrieben, wo er seinen Sohn von einer Felsenklippe gestürzt hatte. Dies erinnert an eine ähnliche Situation in der Erzählung „Die Judenbuche“ von Annette von Droste-Hülshoff [12]. Im weiteren Verlauf starben zunächst das gemeinsame Kind von Forstaufseher und Pflegetochter und letztere schließlich selbst an heimtückischen Krankheiten. Der Roman erschien 1881 bei Wilhelm Hertz [7] [11].


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Grete Minde

Bei Recherchen in der altmärkischen Stadt Tangermünde war Theodor Fontane 1878 auf eine Grete Minde gestoßen, die mit einem großen Brand der Stadt am 13.09.1617 in Verbindung gebracht wurde. In der Auseinandersetzung mit ihrem Halbbruder um das mütterliche Erbe sah Fontane in seiner Novelle „Grete Minde“ den Ausgangspunkt für die folgende Tragödie. Aus Rache für das verweigerte Erbe soll Grete Minde die Stadt angezündet und mit ihrem und des Halbbruders Kind in den Flammen umgekommen sein. Im Unterschied zu der literarischen Grete Minde Fontanes gilt die historische Gestalt heute als unschuldig an dem Brand und als Opfer von Intrige und Justizwillkür. Sie wurde den Dokumenten im Stadtarchiv Tangermünde zufolge nach grausamer Folter am 22.03.1619 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Der Rechtshistoriker Ludolf Parisius hatte in seinem Buch „Grete Minde und die Feuersbrunst vom 13.09.1617 – „eine Ehrenrettung“, das 1883, 3 Jahre nach Fontanes Novelle erschienen ist, im Ergebnis seiner Studien der Prozessakten eklatante Widersprüche aufgedeckt, die einen Justizmord wahrscheinlich machen. Das Schicksal von Grete Minde bewegt die Menschen bis heute. Am 22.03.2009, 390 Jahre nach der Hinrichtung, wurde zur Erinnerung an Grete Minde auf dem Marktplatz in Tangermünde eine lebensgroße Bronzefigur des Bildhauers Lutz Gaede enthüllt, die Grete Minde in Ketten und gebeugter Haltung zeigt, also im Unterschied zu Theodor Fontanes Novelle auf die reale Geschichte der Grete Minde verweist. Anlässlich der 1000-Jahrfeier der Stadt Tangermünde 2009 wurde die Oper „Grete Minde“ vom „Theater der Altmark“ uraufgeführt. Bereits 1976 lief im Deutschen Fernsehen der Film „Grete Minde“[8].


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Cecile

Den Roman hat Fontane in Thale nach 1880 angesiedelt. Der Oberst a. D. von St. Armand und seine 20 Jahre jüngere Gattin Cecile, eine nervenleidende fragile Schönheit, lernen den Zivilingenieur Gordon während eines Sommerurlaubs in Thale kennen. Gordon bringt in Erfahrung, dass der Oberst seinen militärischen Vorgesetzten im Duell erschossen hat, weil der die Verbindung mit Cecile beanstandet hatte. Gordon sieht in Cecile, die früher Mätresse zweier hoher Adliger war, das Opfer entwürdigender Verhältnisse. Sein Interesse an Cecile, die Gordon später in Berlin besucht, beantwortet Oberst von St. Armand mit einer Duellforderung. Als Gordon in dem Duell von dem Oberst getötet wird und dieser vor der Justiz fliehen muss, folgt ihm Cecile nicht, sondern begeht Suizid [7] [11]. Cecile ist Fontanes sensibelste literarische Gestalt und erinnert an die Frauen in den Werken von Arthur Schnitzler [7] [11] [12].


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Effi Briest

Emma Lessing (1827 – 1895) hatte in ihrem Berliner Salon Theodor Fontane von einem Skandal in der Berliner Gesellschaft erzählt. Sie war die Ehefrau des Berliner Landgerichtsdirektors, Mäzens sowie Haupteigentümers und Herausgebers der „Vossischen Zeitung“ Carl Robert Lessing (1827 – 1911), in der Fontane u. a. publizierte. Carl Robert Lessing war der Großneffe des Dichters Gotthold Ephrahim Lessing (1729 – 1781) [12]. Das kolportierte Ereignis betraf Elisabeth von Plotho, die am 26.10.1853 im Schloss Zerben ([Abb. 4]), heute Teil der Gemeinde Elbe-Parey, als fünftes Kind der Familie von Plotho geboren wurde und in dem Schloss aufgewachsen war. Im Alter von 17 Jahren lernte sie den 22-jährigen musikalisch gebildeten Rittmeister der Zietenhusaren Armand von Ardenne kennen, der im benachbarten Rathenow stationiert war und auf Schloss Zerben kleine Konzerte gab. Am 01.01.1873 heiratete das Paar nach zweijähriger Verlobungszeit und zog nach Berlin [11]. Durch dienstliche Versetzung des Rittmeisters zog die Familie schließlich 1881 nach Düsseldorf und knüpfte hier Verbindungen zum Künstlerverein „Malkasten“, dem auch der Amtsrichter Emil Hartwich (1843 – 1886) angehörte, der als talentierter Maler galt. Hartwich freundete sich mit Armand und Elisabeth von Ardenne an. Mit Elisabeth verband ihn die Leidenschaft für das Theater. Beide unterhielten einen intensiven Briefwechsel, der auch fortgesetzt wurde, als Armand von Ardenne 1884 an das Kriegsministerium nach Berlin versetzt wurde und Elisabeth und ihre 2 Kinder nachzogen. Hartwich besuchte die Familie von Ardenne mehrmals in Berlin. Bei einem dieser Besuche fassten Hartwich und Elisabeth den Entschluss, sich von ihren Ehepartnern scheiden zu lassen und einander zu heiraten. Ardenne war argwöhnisch geworden und wurde durch die Lektüre des Briefwechsels des heimlichen Liebespaares, den er Jahre nach der Affäre zufällig gefunden hatte, bestätigt. Er reichte die Scheidung ein und duellierte sich mit Hartwich am 27.11.1886. Hartwich erlag 4 Tage später den im Duell erlittenen schweren Verletzungen. Ardenne wurde daraufhin zu 2 Jahren Festungshaft verurteilt, aber schon nach 18 Tagen entlassen. Die Ehe von Elisabeth und Armand von Ardenne wurde am 15.03.1887 geschieden, die Kinder dem Vater zugesprochen. Elisabeth stand völlig mittellos da und ließ sich zur Krankenpflegerin ausbilden, um in diesem Beruf ihren Lebensunterhalt zu bestreiten [11] [12]. 1904 sah sie ihre Tochter Margot erstmals wieder, mit 71 Jahren ihren Sohn Egmont. Armand von Ardenne starb 1919 als pensionierter General. Er hatte eine Biografie des Generals von Zieten geschrieben, die später Hauptquelle für Fontanes Schilderung im Roman „Effi Briest“ wurde [11]. Elisabeth starb 1952 im Alter von 99 Jahren in Lindau am Bodensee und erhielt auf dem Friedhof in Stahnsdorf bei Berlin ein heute noch existierendes Ehrengrab der Stadt Berlin. Sie war die Großmutter des Dresdener Physikers Professor Manfred von Ardenne. Ihr Enkel Ekkehard war 1938/39 Kompaniechef des späteren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker in Potsdam. In Fontanes Roman „Effi Briest“, der 1895 im Verlag von Fontanes jüngstem Sohn Friedrich erschienen ist, wurde aus Elisabeth von Ardenne Effi Briest und aus Zerben Hohen-Kremmen bei Rathenow [7] [11]. Effi heiratete den 21 Jahre älteren Geert von Innstetten und übersiedelte mit ihm nach Kessin in Hinterpommern, wo ihr Mann Landrat wurde. Trotz seiner liebevollen Aufmerksamkeit kommt es zu keiner tieferen inneren Bindung der Eheleute. Das Verhältnis zu den benachbarten Adelsfamilien war unerquicklich, lediglich zu dem ortsansässigen leicht verwachsenen Apotheker Alonzo Gieshübler pflegte Effi freundschaftliche Beziehungen. Die Situation änderte sich durch das Eintreffen des neuen Landwehrbezirkskommandeurs Major von Crampas, der mit Innstetten 1870/71 im selben Regiment gedient hatte und nun die damalige Freundschaft wieder aufleben ließ. Obwohl Effi vor Crampas gewarnt worden war, konnte sie eine aufkommende Neigung nicht unterdrücken und ging mit ihm ein Verhältnis ein. Fast 7 Jahre danach – er ist mit Effi und Tochter längst nach Berlin übergesiedelt – fällt Geert von Innstetten ein Päckchen mit Briefen aus der Kessiner Zeit von Crampas an seine Frau in die Hände. Innstetten fordert seinen damaligen Nebenbuhler Crampas zum Duell und erschießt ihn. Die Ehe der Innstettens wird geschieden, der Vater erhält das Sorgerecht für die Tochter. Effi lebt einige Zeit mit ihrer Magd unter bescheidenen Verhältnissen in einer Berliner Wohnung. Ihr Vater lehnt zunächst eine Rückkehr Effis in sein Haus ab. Erst unter dem Eindruck einer beginnenden Lungen- und Nervenerkrankung seiner Tochter nimmt er sie wieder auf. Sie stirbt wenige Jahre danach. Auch ihr geschiedener Mann wird sich bewusst, dass er nur einem im Grunde überholten unmenschlichen Ehrbegriff geschuldet, gehandelt hat. Mit „Effi Briest“ erlangte Theodor Fontane Weltruhm [11] [12] ([Abb. 5]). Thomas Mann lobte den „artistischen Zauber“ des Romans. Fontane hatte bereits 1882 in seinem Frühwerk „L’Adultera“ ein ähnliches Ereignis wie das der Effi Briest aus der Berliner Gesellschaft beschrieben. Es war rückblickend eine Art „Fingerübung für Effi Briest“ [12]. Friedrich Spielhagen (1828 – 1911) schilderte in seinem Roman „Zum Zeitvertreib“ die gleiche Thematik [12]. Im Oktober 2019 wurde die Oper „Effi Briest“ von Siegfried Matthus am Staatstheater Cottbus uraufgeführt. Das Libretto schrieb Frank Matthus.

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Abb. 4 Schloss Zerben im Jahr 2007 (https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Zerben).
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Abb. 5 Theodor Fontane „ Effie Bries“ – Original-Verlagseinband und Titelblatt der ersten Buchausgabe 1896 (Von Theodor Fontane – Datei: Theodor Fontane Effi Briest.jpg, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11620173).

Seit „Grete Minde“ hat Fontane jedes Jahr einen Roman oder eine Novelle als Buch veröffentlicht. Trotz seines Fleißes brachte das nicht immer genügend Geld für den Erhalt der Familie. Andere Zeitgenossen Fontanes wie Friedrich Spielhagen, Max Kretzer, Paul Heyse und Julius Wolff, die heute weitgehend vergessen sind, waren damals populärer als Fontane. Wenn er auch fleißiger und aus heutiger Sicht künstlerisch bedeutender war, konnten die genannten Zeitgenossen dank ihrer Popularität von ihrer Feder gut leben. Gemessen an ihrer heutigen Verbreitung müssten sie alle verhungern und Fontane wäre Millionär [12]. Während der Zeit seiner Aufenthalte in Sachsen-Anhalt arbeitete Fontane gleichzeitig an mehreren Werken, z. B. 1841 an 5 Romanen und 1884 an 6 Romanen und Novellen [12]. Zusätzliche angefangene Manuskripte, für die sich momentan keine Zeitschriften oder Verlage interessierten, wurden im Schreibtisch gelagert [12]. Fontane musste seine Feder rationell einsetzen, nicht wie das eigensinnige Genie, das mit dem Kopf durch die Wand ging [12].


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Charaktereigenschaften

Fontane war Ironiker und damit ein eher seltener Typus in der Deutschen Literatur, wenn man von Heinrich Heine und Thomas Mann absieht. Er zeichnete sich durch enormen Fleiß aus. Gegenüber seinen Mitmenschen mit Ausnahme seiner Tochter Martha („Mete“) verhielt sich der Egoist Fontane indifferent [6] [11] [12]. Er war zuerst Literat, in zweiter Linie Ehemann und Vater. Fontane vertrat gleichzeitig gegensätzliche Standpunkte, sagte ja und nein in einem Atemzug und kommentierte mitunter dieselben Ereignisse und Tatbestände zu unterschiedlichen Zeiten gegensätzlich. Theodor Fontane war zugleich konservativer Preuße und liberaler Demokrat, lehnte Bismarck einerseits ab und bewunderte ihn andererseits, empfand Hassliebe. Die Quintessenz aller Weisheiten war für Theodor Fontane: „Etwas ganz Richtiges gibt es nicht“ [12].


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Befindlichkeitsstörungen und Krankheiten

Fontane sah sich als Sanguiniker im Sinne der antiken Temperamentenlehre, der unruhig und sensibel war und sich alles zum Guten auslegte, um im Gleichgewicht zu bleiben. Er ging aus seinen endogenen Depressionen, die er „Nervenpleiten“ nannte, in heitere Gemütsstimmungen über [6]. Sein Ärger z. B. über den Verlust des gut bezahlten Postens als Sekretär der Preußischen Akademie der Künste 1876 und eine Ehekrise im März 1877, die ihn zunächst förmlich lähmten, legte sich schnell im Urlaub 1877 in Thale. Vom 09.06. bis 28.06.1884 erholte sich Fontane im Hotel „Zehnpfund“ und war schon nach der ersten Urlaubswoche in der Lage, ohne Unterbrechung 14 Kapitel von „Cecile“ zu schreiben [12]. Fontanes Leben war von Krankheiten überschattet und einige Male ernsthaft bedroht, seine Arbeit dadurch zeitweise negativ beeinflusst. Schon als 7- bis 12-jähriger Junge fühlte er sich durch die „Ausdünstungen“ der verarbeiteten und entsorgten Materialien in der Apotheke seines Vaters und in den Gewässern in und um Swinemünde belästigt. Sie waren eine Quelle des Ekels und von Kopfschmerzen sowie der Befürchtung, an Malaria zu erkranken. Diese aus der Kindheit bekannte Abneigung gegen unangenehme Gerüche blieb Fontane ein Leben lang erhalten. Sie stellte sich wieder verstärkt ein, als die Familie Fontane 1872 ihre letzte Wohnung in der Potsdamer Straße 134c nahe dem Landwehrkanal in Berlin bezog. Um dem Gestank, der durch die Abflüsse der umliegenden Abortanlagen in dem Kanal entstand, auszuweichen, verbrachte Fontane mit seiner Familie ab 1877 seine Ferien im Harz. In Wernigerode und Thale herrschten allerdings ähnliche Verhältnisse. Erst auf Betreiben von Rudolf Virchow wurden ab 1893 die Abwässer mittels eines unterirdischen Pumpensystems auf die Rieselfelder der Umgebung von Berlin verteilt. Schon in jungen Jahren plagte Fontane die Furcht vor Herzkrankheiten, Erkältungen und „Auszehrung“, ein damals neben „Schwindsucht“ gebräuchlicher Begriff für Lungentuberkulose, deren Erreger erst 1882 von Robert Koch entdeckt wurde [6] [12].

Fontane trug aus Furcht vor Erkältungen ständig ein Halstuch und häufig nicht nur im Winter einen Pelzkragen. Früh setzte bei ihm Zahnverlust ein, sodass er schon mit 40 Jahren eine Prothese tragen musste. 1841 erkrankte er an Typhus, 1842 wahrscheinlich an Gelenkrheumatismus (rheumatisches Fieber). Aus letzterem resultierte möglicherweise als Komplikation eine Aortenklappeninsuffizienz [6]. In der Zeit seiner Harzaufenthalte in Sachsen-Anhalt litt Fontane wiederholt an Blasenbeschwerden und Magenschmerzen. Er behandelte die Magenschmerzen selbst mit u. a. verdünnter Salzsäure, Morphin und Strychnin [6]. Die Ursache seiner Leiden sah Fontane bevorzugt in Störungen des Nervensystems. Fontanes medizinisches Wissen entsprach dem eines Apothekers der Biedermeier-Zeit (1815 – 1848). Um seinen 70. Geburtstag herum kam sich Fontane vor wie ein „von Altersbeschwerden geplagter Greis“, „ein Wrack“, „welk“ und „ohne Forsche und Spannkraft“ [6]. Seine Ehefrau konstatierte indessen häufig das Gegenteil dieser Selbsteinschätzung. Sie stützte sich dabei auf Fontanes fünfstündige Fußmärsche und schriftstellerische Aktivitäten. In seinen 3 letzten Lebensjahren schrieb er immerhin sein Alterswerk „Der Stechlin“ [11] [12]. Bis zu seinem Tode stieg Fontane täglich die 75 Stufen bis zu seiner Wohnung im Dachgeschoß zu Fuß empor. Kurz vor seinem Tod hat seine Tochter Mete bei ihrem Vater eine Pulsfrequenz von 36 Schlägen gemessen. Es ist denkbar, dass er bei dieser Bradykardie an einem plötzlichen Herztod in Folge eines AV-Blockes im Jahr 1898 verstorben ist [6].


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

* Herrn Univ.-Prof. Dr. med. Prof. honoraire Dr. h. c. Christos C. Zouboulis zum 60. Geburtstag gewidmet.


  • Literatur

  • 1 Fontane T. Von Zwanzig bis Dreißig: Autobiographisches. Frankfurt/M: Drude; 1997
  • 2 Fontane T, Gaudeck HJ. Ein weites Land. Berlin: Steffen; 2013
  • 3 Friedrich C. Die pharmazeutische Ausbildung in Preußen. In: Friedrich C, Müller-Jahncke WD. Preußen und die Pharmazie: Vorträge der Pharmazeutischen Biennale in Potsdam vom 23. bis 25. April 2004. Stuttgart: Veröffentlichungen zur Pharmaziegeschichte; 2005
  • 4 Gause F, Lebuhn J. Kant und Königsberg bis heute: aktueller Reisebericht und historischer Rückblick. Leer: Rautenberg; 1989
  • 5 Göring HD. Dr. med. Carl Adolph von Basedow – berühmter Arzt und Spross einer angesehenen Familie. Akt Dermatol 2014; 40: 244-250
  • 6 Gravenkamp H. Um zu sterben muß sich Herr F. erst eine andere Krankheit anschaffen: Theodor Fontane als Patient. Göttingen: Wallstein; 2004
  • 7 Grawe C. Führer durch die Romane Theodor Fontanes. Frankfurt/M., Berlin, Wien: Ullstein; 1980
  • 8 Grete Minde – ein Justizirrtum? Faltblatt. o. J. Stadt Tangermünde: Stadtgeschichtliches Museum.
  • 9 Krämer S. Giftmischer will ich nicht sein: Theodor Fontane zum 190. Geburtstag. Dtsch Apoth Zeitg 2009; 51: 76
  • 10 Machner B. Theodor Fontane: Stationen eines Lebens. Berlin: Stapp; 2012
  • 11 Nürnberger H, Storch D. Fontane – Lexikon: Namen – Stoffe – Zeitgeschichte. München: 2007
  • 12 Ohff H. Theodor Fontane. Leben und Werk. München: Piper; 1995
  • 13 Seiler BW. Fontanes Sommerfrischen. Berlin: Quintus; 2018
  • 14 Richter B. Theodor-Nolte-Straße in Thale: Ex-Hotel Zehnpfund wird zum Seniorenzentrum umgebaut. mz-web.de 1. Januar 2019, abgerufen am 13. Mai 2020
  • 15 Spinnen B, Kienzle L. Sein Glück verdienen: Theodor Fontanes zeitlose Heldinnen. München: Knesebeck; 2012
  • 16 Ulbrich BG. Wolfsohn – Fontane – Müller: Ein Kapitel auch der Dessauer Literaturgeschichte. Dessauer Kalender 2005: 62-73

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. H.-D. Göring
Hochschulklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie/Immunologisches Zentrum, Städtisches Klinikum Dessau
Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane Städtisches Klinikum Dessau
Auenweg 38
06847 Dessau-Roßlau
Deutschland   

Publication History

Article published online:
04 September 2020

© 2020. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • Literatur

  • 1 Fontane T. Von Zwanzig bis Dreißig: Autobiographisches. Frankfurt/M: Drude; 1997
  • 2 Fontane T, Gaudeck HJ. Ein weites Land. Berlin: Steffen; 2013
  • 3 Friedrich C. Die pharmazeutische Ausbildung in Preußen. In: Friedrich C, Müller-Jahncke WD. Preußen und die Pharmazie: Vorträge der Pharmazeutischen Biennale in Potsdam vom 23. bis 25. April 2004. Stuttgart: Veröffentlichungen zur Pharmaziegeschichte; 2005
  • 4 Gause F, Lebuhn J. Kant und Königsberg bis heute: aktueller Reisebericht und historischer Rückblick. Leer: Rautenberg; 1989
  • 5 Göring HD. Dr. med. Carl Adolph von Basedow – berühmter Arzt und Spross einer angesehenen Familie. Akt Dermatol 2014; 40: 244-250
  • 6 Gravenkamp H. Um zu sterben muß sich Herr F. erst eine andere Krankheit anschaffen: Theodor Fontane als Patient. Göttingen: Wallstein; 2004
  • 7 Grawe C. Führer durch die Romane Theodor Fontanes. Frankfurt/M., Berlin, Wien: Ullstein; 1980
  • 8 Grete Minde – ein Justizirrtum? Faltblatt. o. J. Stadt Tangermünde: Stadtgeschichtliches Museum.
  • 9 Krämer S. Giftmischer will ich nicht sein: Theodor Fontane zum 190. Geburtstag. Dtsch Apoth Zeitg 2009; 51: 76
  • 10 Machner B. Theodor Fontane: Stationen eines Lebens. Berlin: Stapp; 2012
  • 11 Nürnberger H, Storch D. Fontane – Lexikon: Namen – Stoffe – Zeitgeschichte. München: 2007
  • 12 Ohff H. Theodor Fontane. Leben und Werk. München: Piper; 1995
  • 13 Seiler BW. Fontanes Sommerfrischen. Berlin: Quintus; 2018
  • 14 Richter B. Theodor-Nolte-Straße in Thale: Ex-Hotel Zehnpfund wird zum Seniorenzentrum umgebaut. mz-web.de 1. Januar 2019, abgerufen am 13. Mai 2020
  • 15 Spinnen B, Kienzle L. Sein Glück verdienen: Theodor Fontanes zeitlose Heldinnen. München: Knesebeck; 2012
  • 16 Ulbrich BG. Wolfsohn – Fontane – Müller: Ein Kapitel auch der Dessauer Literaturgeschichte. Dessauer Kalender 2005: 62-73

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Abb. 1 Theodor Fontane im Alter von 23 Jahren. Kreidezeichnung des Malers Hermann Karl Kersting, Dresden, ca. 1843 (aus eigenem Bestand).
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Abb. 2 Theodor Fontane „Von der schönen Rosamunde“ – Titelblatt der in Dessau erschienenen Erstausgabe (https://venator-hanstein.de/katalog/detail/146/9981, abgerufen am 13. Mai 2020).
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Abb. 3 Hotel Zehnpfund in Thale, Harz um 1914 (Autor unbekannt; Verlag: Louis Glaser, Leipzig – Zeno.org, ID-Nummer 20000671622).
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Abb. 4 Schloss Zerben im Jahr 2007 (https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Zerben).
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Abb. 5 Theodor Fontane „ Effie Bries“ – Original-Verlagseinband und Titelblatt der ersten Buchausgabe 1896 (Von Theodor Fontane – Datei: Theodor Fontane Effi Briest.jpg, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11620173).