Arthritis und Rheuma 2020; 40(05): 363-364
DOI: 10.1055/a-1202-8454
Verbandsnachrichten

Nachrichten des Verbandes Rheumatologischer Akutkliniken e. V.

Wolfgang Fiori
1   DRG Research-Group, Roeder & Partner — Ärzte PartG, Senden
,
Heinz-Jürgen Lakomek
2   Geschäftsführer VRA
,
Norbert Roeder
3   DRG Research-Group, Roeder & Partner — Ärzte PartG, Senden
› Author Affiliations
 

Durch die Corona-Pandemie hat sich der Blick vieler Menschen auf das Gesundheitssystem gewandelt. Krankenhäuser werden nicht mehr nur als Kostentreiber, sondern wieder verstärkt im Kontext der Daseinsvorsorge wahrgenommen. Die Notwendigkeit einer weiteren Marktbereinigung und Zentralisierung wird dabei zunehmend kritisch hinterfragt.

Bei einem Wandel der Ziele in der Krankenhausfinanzierung müssen immer auch die eingesetzten Instrumente mit auf den Prüfstand gestellt werden. Zunehmend werden Stimmen laut, die eine Abschaffung des G-DRG-Fallpauschalensystems als vermeintliche Ursache für Fehlentwicklungen fordern. Praxistaugliche Alternativen fehlen jedoch noch.

Wo immer die Reise in der Krankenhausfinanzierung auch hingeht oder welche Instrumente zur Ressourcenallokation und Leistungsvergütung eingesetzt werden, es sind immer dieselben grundsätzlichen Finanzierungfragen zu lösen.

Derzeit sollen Krankenhäuser in Deutschland „dual“ finanziert werden. Während die Bundesländer für die Investitionskosten aufkommen sollen, werden die Betriebskosten durch die Krankenkassen und andere Kostenträger nach Inanspruchnahme finanziert. Dafür obliegt den Bundesländern im Rahmen der Daseinsvorsorge auch die Krankenhausplanung. Schon hier stellt sich die Frage, wer für die Vorhaltung von im Idealfall nicht genutzten Ressourcen, die beispielsweise im Notfall für Epidemien oder Großschadensereignisse zur Verfügung stehen sollen, aufkommen soll. Während der Corona-Pandemie wurden und werden noch vorübergehend „Freihaltepauschalen“ (aus Bundesmitteln) gezahlt. Krankenhausfinanzierung unter Pandemiebedingungen ist mit einer leistungsorientierten Vergütung, egal ob DRGs oder Belegungstage vergütet werden, schwer kompatibel.

Investitionskostenfinanzierung

Als Grundproblem der dualen Finanzierung hat sich jedoch erwiesen, dass die Bundesländer in der Vergangenheit einerseits nicht ausreichend, aber andererseits auch sehr unterschiedlich ihrer Verpflichtung zur Finanzierung der Investitionskosten nachgekommen sind. Die Betriebskostenfinanzierung kann aber nicht gänzlich unabhängig von der Investitionskostenfinanzierung gesehen werden. Wenn mangels Unterstützung durch das Bundesland Eigeninvestitionen durch das Haus notwendig werden, muss das Geld auf dem Kapitalmarkt beschafft oder systemfremd direkt aus der Betriebskostenfinanzierung, z. B. über das G-DRG-System, erwirtschaftet werden. Wo dies nicht möglich ist, mündet der Investitionsstau in eine nicht mehr zeitgemäße Infrastruktur, die wiederum eine wirtschaftliche Leistungserbringung erschweren und zu hohen Betriebskosten führen kann.

Die krankenhauspolitische Dauerbaustelle der Investitionskostenfinanzierung kann daher in möglichen Zukunftsmodellen der Betriebskostenfinanzierung nicht ausgeblendet werden. Krankenhäuser, die einen Kapitaldienst leisten und hohe Abschreibungen vornehmen oder zukünftig noch notwendige Investitionen stemmen müssen, werden sich auch mit noch so „gerechten“ Erlösen zur Betriebskostenfinanzierung schwertun.


#

Betriebskostenfinanzierung

Zur Betriebskostenfinanzierung wird seit 2003 das G-DRG-Fallpauschalensystem eingesetzt. Es dient einerseits zur Budgetfindung, wobei inzwischen auch viele ergänzende Instrumente zunehmend an Bedeutung gewinnen (z. B. Pflegebudget, Fixkostendegressionsabschlag, Förderprogramme, Notfallversorgung, etc.). Andererseits bestimmt das G-DRG-System über die Einzelfallabrechnung auch, wie das Budget möglichst verursachungsgerecht auf die unterschiedlichen Kostenträger verteilt wird. Wer ein alternatives Vergütungssystem vorschlägt, muss auch diese Funktion ersetzen.

Krankenhäuser weisen einen hohen Anteil an Vorhaltekosten auf, die nicht im direkten Zusammenhang mit einer Inanspruchnahme durch Patienten stehen. Bei der DRG-Fallkostenkalkulation, die die Höhe der Bewertungsrelationen des G-DRG-Fallpauschalenkatalogs bestimmt, werden die aus der Vorhaltung resultierenden Fixkosten über Schlüssel (z. B. Belegungstage, PPR-Minuten, etc.) auf Einzelfälle verteilt und damit in die Bewertungsrelationen anteilig eingepreist. Sie bilden so einen bundesdeutschen Durchschnitt des Ausmaßes der Vorhaltung und ihrer Auslastung ab.

Ein solches System der Kalkulation von Fallpauschalen bevorzugt tendenziell größere Krankenhäuser mit hoher Auslastung und einem hohen Anteil planbarer und standardisierbarer Leistungen. Die Aufrechterhaltung kleiner, nicht voll ausgelasteter Einheiten mit hohem Notfallanteil, z. B. in ländlichen Regionen im Rahmen der Daseinsvorsorge, lässt sich alleine über die G-DRGs so auf Dauer kaum finanzieren. Zudem setzt ein solches System starke Anreize zur Mengensteigerung, um Skaleneffekte über den Fixkostenanteil der Vergütung zu realisieren. Wo dies nicht (mehr) möglich ist, werden Anreize gesetzt, Vorhaltungen oder nicht ausgelastete Ressourcen abzubauen.

Eine Krankenhausfinanzierung der Zukunft wird sich der Frage der adäquaten Finanzierung der Vorhaltekosten widmen müssen. Ein pragmatischer Weg, der schon kurzfristig zu Verbesserungen führen könnte, wäre eine veränderte Kalkulation der Bewertungsrelationen. So könnten beispielsweise – unter Beibehaltung des G-DRG-Systems – die Bewertungsrelationen abgestaffelt werden, d. h. mit steigender Menge sinken. Auf diesem rein technischen Weg würden jedoch auch unwirtschaftliche Strukturen besser finanziert, die nicht zwingend versorgungsnotwendig sein müssen.


#

Krankenhausplanung und Qualitätsvorgaben

Nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz müssen die Bundesländer entscheiden, welche Strukturen für eine qualitativ hochwertige, patienten- und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen, qualitativ hochwertig und eigenverantwortlich wirtschaftenden Krankenhäusern (zu sozial tragbaren Pflegesätzen) notwendig sind. Die jeweiligen Maßstäbe, Methoden und Gesetze in den unterschiedlichen Bundesländern unterscheiden sich jedoch deutlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Bundesländer zukünftig auf einheitliche Bewertungsmaßstäbe für die Krankenhausplanung und damit auch die Bedarfsgerechtigkeit sowie Versorgungsnotwendigkeit von Krankenhausstrukturen verständigen, dürfte gering sein. Die Berücksichtigung der Finanzierung von nicht einheitlich definierter versorgungsnotwendiger Vorhaltung in einem bundesweiten Vergütungssystem stellt damit eine Herausforderung dar.

Hinzu kommt, dass die Bundesländer zunehmend auch eigene Anforderungen an die Strukturqualität stellen, die über die bundesweiten Vorgaben (z. B. G-BA-Richtlinien) hinausgehen. So will beispielsweise NRW zukünftig medizinische Leistungsgruppen beplanen. Wenn Krankenhäuser entsprechende Leistungen weiter erbringen wollen, müssen sie strukturelle Mindestanforderungen, auch im Hinblick auf die Personalvorhaltung, erfüllen.

Krankenhausplanungen, die z. B. über Personalvorgaben zu unterschiedlichen Betriebskosten führen, können schwer in ein bundesweites einheitlich vergütendes System (welcher Art auch immer) integriert werden. Es stellt sich auch die Frage, ob (und wenn ja, wie weit) die Krankenkassen verpflichtet werden können, die Kosten für die Aufrechterhaltung kostenintensiver kleiner Standorte und erhöhte Anforderungen der Bundesländer an die Strukturqualität zu tragen.


#

Bedeutung für die akutstationäre Rheumatologie

Die akutstationäre Rheumatologie scheint auf den ersten Blick bei der Vorhaltung für Epidemien und Großschadensereignisse eine untergeordnete Rolle zu spielen. Betrachtet man aber z. B. die klinisch-immunologische Expertise der Rheumatologie, so konnte diese in der Corona-Pandemie den Infektiologen vielerorts hilfreich zur Seite stehen. Darüber hinaus ist die Vorhaltung einer ausreichenden Versorgungsstruktur für Rheumapatienten, sowohl im ambulanten als auch im akutstationären Bereich, Bestandteil der Daseinsvorsorge (dies gilt im Übrigen uneingeschränkt für alle internistischen Fachdisziplinen).

Mit Ausnahme einiger weniger teurer Arzneimittel, auf die Rheumapatienten häufig bereits vor stationärer Aufnahme eingestellt sind, wird die Behandlung wenig von variablen Kosten beeinflusst. Die Anreize einer Fallpauschalierung, also eine maximale Auslastung der Vorhaltung und eine Verweildauerreduktion bis an die medizinisch vertretbare oder durch einen OPS-Komplexkode gesetzte Grenze, können daher ihre Wirkung entfalten. Fallmenge, Größe des Krankenhauses und nutzbare Synergieeffekte bestimmen wesentlich mit, ob eine Rheumaklinik kostendeckend betrieben werden kann. Anreize zur Fehlbelegung können entstehen, wenn vorhandene Kapazitäten nicht voll genutzt werden können.

Methoden der Finanzierung von (Mindest-)Vorhaltungen und Vorgaben zur Strukturqualität werden daher die Rheumatologie mit betreffen. Bei Bedarfsanalysen werden die Grenzen, Potenziale und die Verfügbarkeit anderer Sektoren (ambulante Versorgung, Rehabilitation) mit zu diskutieren sein. Die multimodale rheumatologische Komplexbehandlung, auch wenn sie eine spezifische Behandlung der akutstationären Rheumatologie darstellt, darf nicht mit der gesamten Akutrheumatologie gleichgesetzt werden. Während die multimodale rheumatologische Komplexbehandlung bei in der Regel bekannter Erkrankung in einem ganzheitlichen-interprofessionellen Ansatz die Reduktion der Krankheitsaktivität und eine Verbesserung der bestehenden Funktionseinschränkungen zum Ziel hat, weist die Akutrheumatologie wie ein Querschnittsfach auch viele Schnittmengen zu anderen Fachdisziplinen (Nephrologie, Pneumologie, Dermatologie, Kardiologie, Pädiatrie, Geriatrie, Unfallchirurgie und Orthopädie) auf. Sie profitiert hier nicht nur von einer Einbindung in Strukturen der Maximalversorgung, sondern stellt eine wichtige internistische Fachrichtung als Kooperationspartner für eine qualitativ hochwertige Versorgung von Menschen mit Rheuma bei die Fachdisziplinen übergreifenden Krankheitsbildern dar. Die Diskussion, wo und welche Form von akutstationärer Rheumatologie bedarfs- und versorgungsnotwendig ist, sowie die Frage der Zumutbarkeit von längeren Fahrzeiten für Patienten mit schweren Funktionseinschränkungen wird weiter geführt werden müssen. Der Verband Rheumatologischer Akutkliniken (VRA) hat entsprechende Diskussionen in den letzten Jahren bereits intensiv und konstruktiv begleitet (Strukturqualität akutstationäre Rheumatologie, Implementierung eines Qualitätsprojektes seit 2003 [KOBRA = Kontinuierliches Outcome Benchmarking der Rheumatologischen Akutversorgung], Etablierung von OPS-Kodes für die multimodale rheumatologische Komplexbehandlung [2005], ASV-Rheumaerkrankungen, Erstellung von Mindestkriterien für rheumatologische Zentren) und dürfte daher auf zukünftige Diskussionen und die weitere Mitgestaltung gut vorbereitet sein.


#

Fazit

Bislang galt die Devise, dass möglichst gleiches Geld für gleiche (DRG-)Leistung gezahlt wird und sich die Landespreise (Basisfallwerte) annähern sollen. Ob dieser Grundsatz der „Vergütungsgerechtigkeit“ zukünftig beibehalten wird, bleibt abzuwarten. Bereits jetzt ist dieses Prinzip der Krankenhausfinanzierung durch ein kaum noch überschaubares Flickwerk von Ausnahmeregelungen (z. B. Pflegebudget, Sicherstellungzuschläge, etc.) abgeschwächt worden. Mit fast jedem neuen Gesetz kommen neue Instrumente hinzu. Der Zeitpunkt, Ziele und Instrumente der Krankenhausfinanzierung grundlegend zu überdenken, ist gekommen.

Es darf nicht davon ausgegangen werden, dass alle Krankenhäuser, die unter der derzeitigen Krankenhausfinanzierung mit „gerecht kalkulierten Einheitspreisen“ Verluste erwirtschaften, überflüssig sind. Ebenso wenig müssen alle Krankenhäuser, die Gewinne erwirtschaften, wirklich versorgungsnotwendig sein. Der Versuch, einen Strukturwandel über das Ausscheiden vermeintlich unwirtschaftlicher Krankenhäuser zu unterstützen, hat die Akzeptanz des G-DRG-Systems sicherlich beschädigt. Es sollte aber nicht vornehmlich die Frage im Mittelpunkt der Diskussion stehen, ob zukünftig ein DRG-System als technisches Instrument in der Krankenhausfinanzierung genutzt wird. Solange keine Verständigung über die grundlegenden Fragen und die Ziele erreicht wird, erscheint die Diskussion über den Nutzen eines DRG-Systems oder möglicher Alternativen verfrüht.

Es bestehen Zweifel, ob es sinnvoll und notwendig ist, eine bundesweite Betriebskostenfinanzierung zu entwickeln, die auch im Rahmen einer globalen Pandemie funktionstüchtig bleibt. Selbst ein Vergütungssystem, das krankenhausindividuelle Vorhaltekosten nach dem Selbstkostendeckungsprinzip über Verweildauertage auf die Kostenträger verteilt hätte, wäre in der Corona-Pandemie gescheitert.

Grundsätzlich bleibt es hingegen sinnvoll, Anreize zum wirtschaftlichen Umgang mit den Ressourcen zu setzen. Zurzeit sind die Kassen der Sozialversicherung, unter anderem aufgrund des Ausgaberückgangs, z. B. durch Wegfall planbarer Leistungen in der Corona-Pandemie, noch gut gefüllt. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit, wann sich Konjunkturrückgang, steigende Arbeitslosigkeit und Kurzarbeitergeld auch auf der Einnahmeseite der Sozialversicherung niederschlagen.

Das Ergebnis der Diskussionen bleibt abzuwarten. Ein „Weiter so“ kann es aber nicht mehr geben.

IMPRESSUM

Verantwortlich für den Inhalt

Prof. Dr. Heinz-Jürgen Lakomek, Direktor, Universitätsklinik für Geriatrie, Johannes Wesling Klinikum Minden


#
#
#

Kontaktadresse

Verband Rheumatologischer Akutkliniken e. V. Geschäftsstelle
Rechtsanwaltskanzlei Meyer-Koering
Schumannstr. 18, 10177 Berlin
Phone: Tel./Fax: 030/20 62 98-79/-82   
Email: gf@vraev.de   

Publication History

Article published online:
02 November 2020

© 2020. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany