Fallbericht
Anamnese
Ein 33-jähriger Mann stellte sich wegen progredienter Luftnot in den letzten Monaten
vor. Aktuell schon Luftnot bei moderater körperlicher Belastung. Kein Husten, kein
Auswurf, keine thorakalen Schmerzen. Der Patient rauchte 20 Zigaretten/Tag, kumulativ
ca. 10 pack years. Als Vorerkrankung bestand eine Perikardfensterung vor 14 Jahren
wegen eines Chyloperikards. Keine regelmäßige Medikamenten-Einnahme.
Klinische Befunde
Bei der körperlichen Untersuchung zeigte sich der Patient in noch gutem Allgemeinzustand,
es fiel eine deutliche konjunktivale Rötung bds. auf, sonst Kopf und Hals unauffällig,
reizlose linkslaterale Thorakotomienarbe, Vesikuläratmen bds., sonorer Klopfschall
bds., Klopfschall und Atemgeräusch rechtes Unterfeld 4 Querfinger abgeschwächt, Abdomen
unauffällig, mäßiges Lymphödem linker Unterschenkel und Fuß, keine Varikosis, deutliche
Vitiligo bzw. Pigmentstörung v. a. am Rücken, flächenhafte, fleckenartige und landkartenartige
Veränderung der Haut am Rumpf und der Arme bds. sowie ein Palmarerythem bds. ([Abb. 1]).
Abb. 1 Klinisches Bild des Patienten mit Lymphödem des rechten Beines (a), erythematösen, landkartenartigen Hautveränderungen und Lymphödem der Arme bds.
(b und c).
Labor
Im Labor zeigte sich ein normales Standardlabor.
Bildgebung
Als Korrelat für das abgeschwächte Atemgeräusch rechts basal bestand ein rechtsseitiger
Pleuraerguss. In der Pleura-Sonografie war ein großer homogener, echoreicher Pleuraerguss
rechts nachweisbar, links nur geringer Pleuraerguss. In der CT-Thorax fand sich ebenfalls
der große Pleuraerguss rechts sowie eine leichte Vergrößerung der mediastinalen Lymphknoten
([Abb. 2]). Das Lungenparenchym war nicht betroffen. In der Bronchoskopie war der Befund unauffällig.
Bei der Pleurapunktion rechts konnten 1000 ml eines milchig-trüben Pleuraergusses
abgelassen werden. Im Labor fand sich hier eine Erhöhung von Triglyceriden (762 mg/dl),
sodass ein Chylothorax vorlag.
Abb. 2 Computertomografie des Thorax: großer Pleuraerguss rechts, links kleiner Pleuraerguss.
Basierend auf intermittierenden Lymphödemen der Extremitäten seit der Kindheit, operativer
Versorgung eines chylösen Perikardergusses, fehlenden Zysten und Frakturen stellten
wir die Verdachtsdiagnose einer generalisierten lymphatischen Anomalie (GLA).
Bei klinischem Verdacht auf eine GLA als Ursache der Erkrankung wurde mit der Frage
nach Zysten und ossärer Infiltration durch Lymphgewebe noch ein Ganzkörper-MRT durchgeführt.
Hier war der ausgeprägte Pleuraerguss rechts nachweisbar, kein Nachweis pathologisch
vergrößerter Lymphknoten paraaortal, parailiakal oder inguinal. Inguinal, parailiakal
und paraaortal betont zeigte sich eine Erweiterung und Vermehrung der Lymphgefäße,
teils prominente Chylusgefäße. Eine ossäre Beteiligung lag nicht vor. Der Ductus thoracicus
abdominalis war bis auf 3 mm erweitert ([Abb. 3]).
Abb. 3 MRT mit Nachweis des erweiterten Ductus thoracicus (Pfeil) und erweiterten Lymphgefäßen
sowie großem Pleuraerguss rechts (*).
Diagnose
Generalisierte lymphatische Anomalie (GLA) – Lymphangiomatose.
Diskussion
Die Lymphangiomatose, in der neueren Klassifikation generalisierte lymphatische Anomalie
(GLA) genannt, ist eine seltene Erkrankung unbekannter Ursache mit meist kongenitaler
Abnormalität bzw. Fehlentwicklung des lymphatischen Systems. Es handeln sich dabei
um Anomalien kanulärer Lymphbahnen, teils Fehlen von Klappen, Organinfiltrationen
und teils Ausbildung von Lymphangiomen in verschiedenen Organen. Die Anomalien sind
seit der Geburt vorhanden, offenbaren sich jedoch zumeist erst bei Ausbildung von
Komplikationen in der Kindheit und Jugend. Zumeist führen vorangegangene Infektion
zu Exazerbationen bei Ödemen oder Einblutungen in Zysten zur Diagnosestellung.
Es besteht keine Geschlechterpräferenz. Es können innere Organe, Knochen, Weichteile
oder Haut betroffen sein. Die Symptomatik hängt vom Ausmaß und dem betroffenen Organsystem
ab.
Für die thorakale Manifestation einer Lymphangiomatose gibt es verschiedene Möglichkeiten.
Die diffuse pulmonale Lymphangiomatose betrifft i. d. R. beide Lungen ohne extrathorakale
Manifestation. Die thorakale GLA kann isoliert auftreten oder als Multisystem-Erkrankung
mit Befall von Knochen, Milz, Hals und Haut. Die Knochen sind bei > 75 % der Patienten
mit GLA betroffen. Die Symptomatik umfasst Schmerzen oder pathologische Frakturen.
Patienten mit einer Manifestation schon im Kindesalter oder einem Befall der Leber,
der Milz oder des Ductus thoracicus haben eine schlechtere Prognose. Im Thorax können
sowohl im Mediastinum, der Pleura, der Lunge, der Brustwand oder auch am Herzen Lymphangiome
gefunden werden. Als resultierende Symptome können unproduktiver Husten, thorakale
Schmerzen oder Druckgefühl, Dyspnoe oder Asthma-ähnliche Zustände auftreten. So war
es auch bei unserem Patienten mit Ausbildung eines Chyloperikards und eines Chylothorax,
die jeweils zu Luftnot bei Belastung geführt hatten.
Große Pleuraergüsse oder eine zunehmende pulmonale Infiltration können zu einer zunehmenden
hypoxämischen Insuffizienz führen. Die Pleuraergüsse stellen sich oft als Chylothorax
heraus, bedingt durch eine generalisierte Fehlbildung der betroffenen Lymphgefäße.
Ferner können sich Lymphangiome ausbilden, welche rupturieren können. Man sieht seltener
aber auch Chyloptysen, Hämoptysen, Chyloperikard, chylösen Aszites, Protein-Verlust-Enteropathie,
peripheres Lymphödem oder Lymphopenie.
Radiologisch können diffuse interstitielle Infiltrate und Pleuraergüsse nachweisbar
sein. In der Lungenfunktion ist typischerweise eine Restriktion nachweisbar, v. a.
bei Vorliegen von Pleuraergüssen. Es kann aber auch ein gemischt restriktiv-obstruktives
Muster gefunden werden.
In der Bronchoskopie sieht man keine spezifischen Befunde. Ein Schleimhauterythem
oder -ödem ist möglich, auch eine bronchiale Einengung durch das begleitende Lymphödem.
In den meisten Fällen kann mit einer transbronchialen Biopsie keine Diagnose gestellt
werden, sondern nur mit der chirurgischen Lungenbiopsie.
Eine Lymphografie kann diagnostisch ebenfalls helfen, ist heute aber nur noch an wenigen
Standorten verfügbar. Die wesentliche Alternative ist heute die Magnetresonanztomografie
(MRT), am besten als Ganzkörper-MRT zur Darstellung des Lymphsystems und der Organinfiltrationen.
Differenzialdiagnostisch muss man die GLA von der Gorham-Stout-Disease, solitären
Lymphangiomen, Lymphangiektasie und Lymphdysplasie-Syndrom und dem Yellow-Nail-Syndrom
abgrenzen. Solitäre Lymphangiome finden sich meist im Mediastinum. Eine primäre pulmonale
Lymphangiektasie wird i. d. R. schon im frühen Alter symptomatisch und endet meist
tödlich. Das Lymphdysplasie-Syndrom beinhaltet Lymphödem, Ergussbildung im Perikard,
Pleura oder Peritoneum ohne sonstige lymphatische Manifestation.
Die Therapie besteht meist in einer symptomatischen Behandlung und dem Versuch, den
Progress der Erkrankung zu verlangsamen. Es gibt bisher keine standardisierte Therapie
und keine größeren Studien. Diätetische Maßnahmen wie parenterale Ernährung, Gabe
von mittelkettigen Fettsäuren oder proteinreicher Kost sind nicht ausreichend wirksam.
Bei lokalisierten und kleineren Lymphangiomen kann über eine chirurgische Therapie
nachgedacht werden. Zu Beherrschung eines rezidivierenden oder refraktären Pleuraergusses
werden die chirurgische Pleurodese, Pleurektomie und im Einzelfall eine Ligatur des
Ductus thoracicus eingesetzt. Eine Radiatio kann zu einer Fibrosierung der Lymphgefäße
führen, bei größerem Strahlenfeld kann es komplizierend jedoch zu einer Strahlenpneumonitis
kommen. Systemische Chemotherapie oder Interferon-Therapie haben keine guten Ergebnisse
gezeigt. In einigen Fallberichten war eine Therapie mit dem nichtselektiven ß-Blocker
Propranolol hilfreich. Dieser kann die Spiegel des vascular endothelial growth factors
(VEGF) reduzieren, der auch lymphangiogen wirksam ist. Es gibt auch einen erfolgreichen
Bericht über eine Therapie mit Bevacizumab. In einigen Fällen wurde über eine erfolgreiche
Therapie mit dem mTOR-Inhibitor Sirolimus berichtet.