In einem Strafverfahren hatte sich das Landgericht Saarbrücken (Urteil vom 19.11.2019,
Az. 2 KLs 5/18) unter anderem mit der Frage zu befassen, welche Anforderungen an die
Stellung der rechtfertigenden Indikation nach § 23 Absatz 1 Satz 5 Röntgenverordnung
(RöV) zu stellen waren. Zwar war die Röntgenverordnung zu diesem Zeitpunkt bereits
außer Kraft getreten, Ausgangspunkt der Frage war jedoch der Vorwurf eines Abrechnungsbetruges
gegen Radiologen in den Jahren 2013 und 2014. Die Nachfolgeregelung des § 23 Absatz
1 Satz 5 RöV in der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) findet sich mit verändertem
Wortlaut in § 119 Absatz 3 StrlSchV. Eine Übertragung der Entscheidung auf die heutige
Rechtslage ist zumindest in Teilen vorstellbar, so dass eine genauere Betrachtung
der Entscheidung geboten ist.
Anforderungen an die Stellung der rechtfertigenden Indikation nach der RöV
Anforderungen an die Stellung der rechtfertigenden Indikation nach der RöV
Ausgangspunkt war in der Entscheidung des Landgerichtes der frühere Wortlaut der Röntgenverordnung.
§ 23 Absatz 1 RöV lautete in Auszügen:
„Röntgenstrahlung darf unmittelbar am Menschen in Ausübung der Heilkunde oder Zahnheilkunde
nur angewendet werden, wenn eine Person nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 hierfür die
rechtfertigende Indikation gestellt hat. Die rechtfertigende Indikation erfordert
die Feststellung, dass der gesundheitliche Nutzen der Anwendung am Menschen gegenüber
dem Strahlenrisiko überwiegt. Andere Verfahren mit vergleichbarem gesundheitlichen
Nutzen, die mit keiner oder einer geringeren Strahlenexposition verbunden sind, sind
bei der Abwägung zu berücksichtigen. [...] Die rechtfertigende Indikation darf nur
gestellt werden, wenn der die rechtfertigende Indikation stellende Arzt den Patienten
vor Ort persönlich untersuchen kann, [...]“
In dem Verfahren stellte sich dem Landgericht die Frage, ob die rechtfertigende Indikation
stets bei Röntgenuntersuchungen gestellt wurde, es verneinte diese im Ergebnis. In
dem Tatbestand des Urteils heißt es, dass im Regelfall die gesetzlich krankenversicherten
Patienten mit dem Praxispersonal im Voraus persönlich und telefonisch einen Termin
zur CT- oder Röntgenuntersuchung vereinbart hätten. Hierbei sei von den Mitarbeitern
der Praxis telefonisch nur abgefragt worden, um welche Art von Untersuchung (CT oder
Röntgen) es sich handele und welches Körperteil zu untersuchen sei. Am Untersuchungstag
seien die Patienten an der Anmeldung der Praxis erschienen und hätten dort den Überweisungsschein
des überweisenden Arztes vorgelegt. Die Mitarbeiter der Anmeldung händigten den Patienten
jeweils einen Fragebogen „Computertomographie“ oder „Röntgen“ aus. Daneben hätten
die Patienten ein Schreiben mit Angaben zur Untersuchungsdurchführung, Risiken und
mögliche Nebenwirkungen der geplanten CT-Untersuchung, gegebenenfalls auch der kontrastverstärkten
CT-Untersuchung erhalten. Am Ende des Fragebogens hätten die Patienten mit ihrer Unterschrift
ihr Einverständnis für die geplante Untersuchung bestätigt und erklärt, dass sie zurzeit
keine weiteren Fragen hätten. Die Fragebögen seien in der Regel vor Aushändigung an
die Patienten von den Ärzten blanko vorunterschrieben worden. Nach Rückgabe der Fragebögen
und des Aufklärungsbogens an die Anmeldung der Praxis legten die dortigen Mitarbeiter
eine Patientenakte an. Überweisungsschein, Fragebogen und ggf. bereits aus der Vergangenheit
vorhandene Befundberichte wurden anschließend in den Untersuchungsbereich verbracht.
Die Patienten seien von den MTRA sodann zur Untersuchung aufgerufen worden. Im Anschluss
an die Untersuchung sei der Patientenvorgang in das Arztzimmer gebracht worden. Die
Radiologen seien zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal mit dem Patientenvorgang in Berührung
gekommen.
Abgesehen von den Fällen, in denen der Radiologe vor der Untersuchung mit dem Patienten
sprach, der Überweiser den Kontakt gesucht hatte, Notfälle zu versorgen oder offene
Fragen bei der Untersuchung zu beantworten waren, sah das Landgericht nur in den Fällen
die Stellung der rechtfertigenden Indikation als gegeben an, wenn der Überweisungsschein
vom Patienten im Vorfeld der Untersuchung gefaxt oder auf sonstigem Wege in die Praxis
gebracht wurde. Lediglich in diesen Fällen, seien die Radiologen vor der Durchführung
der Röntgenuntersuchung mit einem Patientenvorgang in Berührung gekommen und in der
Lage gewesen, vor der Untersuchung die rechtfertigende Indikation zur Untersuchung
zu stellen.
Damit knüpfte das Landgericht an § 23 Absatz 1 Satz 5 RöV an, wonach die rechtfertigende
Indikation nur gestellt werden darf, wenn der die rechtfertigende Indikation stellende
Arzt den Patienten vor Ort persönlich untersuchen kann. Die Formulierung „kann“ in
dem Wortlaut der Regelung bedeutete, dass die persönliche Untersuchung des Patienten
in der Praxis möglich sein musste, sie musste aber tatsächlich nicht erfolgen, sofern
keine medizinischen oder strahlenschutzrelevanten Fragen mehr für die Stellung der
rechtfertigen Indikation zu beantworten waren.
Rechtfertigende Indikation nach der Strahlenschutzverordnung
Rechtfertigende Indikation nach der Strahlenschutzverordnung
Mit der Einführung der neuen Strahlenschutzverordnung und dem Außerkrafttreten der
Röntgenverordnung erfolgt die Stellung der rechtfertigen Indikation nunmehr im Wesentlichen
nach § 119 StrlSchV. Der aktuelle Wortlaut § 119 Absatz 3 StrlSchV lautet:
„Der die rechtfertigende Indikation stellende Arzt oder Zahnarzt hat vor der Anwendung,
erforderlichenfalls in Zusammenarbeit mit dem überweisenden Arzt oder Zahnarzt, die
verfügbaren Informationen über bisherige medizinische Erkenntnisse heranzuziehen,
um jede unnötige Exposition zu vermeiden. Zu diesem Zweck ist die zu untersuchende
oder zu behandelnde Person über frühere Anwendungen ionisierender Strahlung oder radioaktiver
Stoffe, die für die vorgesehene Anwendung von Bedeutung sein können, zu befragen.“
Geblieben ist somit die individuelle Stellung der rechtfertigen Indikation vor der
Untersuchung. Der Radiologe muss sich daher vor der Durchführung der Untersuchung
mit dem Patienten oder genauer jedenfalls mit dessen Patientenakte einschließlich
der Überweisung befassen. Dagegen ist das Erfordernis in der Strahlenschutzverordnung
nicht enthalten, dass die rechtfertigende Indikation nur gestellt werden darf, wenn
der Radiologe den Patienten vor Ort, also in der Praxis, persönlich untersuchen könnte.
Die Strahlenschutzverordnung sieht hinsichtlich der Information eines Patienten über
die Risiken einer Strahlenexposition nach § 124 StrlSchV vor:
„Der Strahlenschutzverantwortliche hat dafür zu sorgen, dass eine Person, an der ionisierende
Strahlung oder radioaktive Stoffe angewendet werden, vor der Anwendung über das Risiko
der Strahlenanwendung informiert wird.“
Die Strahlenschutzverordnung regelt nicht, wie diese Information zu erfolgen hat.
Daher besteht für eine etwaige Forderung aufgrund der Strahlenschutzverordnung, nach
der der Radiologe, hier konkret als Strahlenschutzverantwortlicher, diese Information
persönlich und in einem Gespräch dem Patienten übermitteln müsste, keine Grundlage.
Die zivilrechtliche Frage der Information zum Risiko der Strahlenanwendung und Delegation
nach § 630c Abs. 2 Satz 1 BGB haben Wigge/Loose bereits in „Ärztliche Aufklärungspflichten
bei diagnostischen Röntgenuntersuchungen“, Fortschr Röntgenstr. 2016, 188, Seiten
218–224 und 312–315 behandelt. In der Drucksache des Bundesrates (423/18) vom 05.09.2018
zur neuen Strahlenschutzverordnung findet sich entsprechend in der Begründung zu § 124
StrlSchV der Verweis auf die Informationspflicht nach § 630c Abs. 2 Satz 1 BGB und
deren Entsprechung. Hinsichtlich des Strafverfahrens vor dem Landgericht Saarbrücken
war allein die Röntgenverordnung maßgeblich, und auch übertragen auf die heutige Rechtslage
wäre die Strahlenschutzverordnung und nicht etwaige zivilrechtliche Fragen hinsichtlich
der Aufklärung maßgeblich.
Abrechnungsbetrug nach § 263 Abs. 1 StGB
Abrechnungsbetrug nach § 263 Abs. 1 StGB
In dem Verfahren vor dem Landgericht ging es um die Frage eines Abrechnungsbetruges
und dabei nur mittelbar um die Stellung der rechtfertigen Indikation. Der Vorwurf
lautete, dass die Radiologen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung entgegen der
Abrechnungsvorgaben bewusst wahrheitswidrig durch Abgabe der quartalsweisen Sammelerklärungen,
also der Quartalsabrechnung, behauptet hätten, dass sie sämtliche abgerechneten Leistungen
entsprechend den Bestimmungen zur vertragsärztlichen Versorgung, insbesondere dem
Bundesmantelvertrag-Ärzte, dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen
(EBM), den Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses und der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung, den Verträgen auf Bundes- und Landesebene, Abrechnungsbestimmungen
sowie sonstigem Satzungsrecht der Kassenärztlichen Vereinigung erbracht hätten. Auf
die vorstehenden Vorgaben findet sich regelhaft eine Bezugnahme in der Sammelerklärung.
Konkret ging es in dem Strafverfahren um die Vorgaben des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes.
In der Präambel 34 Ziffer 1 des EBM heißt es noch heute unverändert:
„Die Gebührenordnungspositionen dieses Kapitels sind nur dann berechnungsfähig, wenn
ihre Durchführung nach Maßgabe der Strahlenschutzverordnung, Röntgenverordnung und
des Medizinproduktegesetzes sowie der jeweiligen Qualitätsbeurteilungsrichtlinien
für die Kernspintomographie bzw. für die radiologische Diagnostik gemäß § 136 SGB
V i. V. m. § 92 Abs. 1 SGB V erfolgt.“
Bei einem bewussten Verstoß gegen die Röntgenverordnung oder nunmehr die Strahlenschutzverordnung
entfällt, so das Landgericht Saarbrücken in Hinblick auf die Röntgenverordnung, nach
der Präambel 34 Ziffer 1 EBM die Abrechnungsfähigkeit der Leistung. Wenn aber ein
Vertragsarzt, ein ermächtigter Arzt, eine Berufungsausübungsgemeinschaft oder ein
Medizinisches Versorgungszentrum die Leistungen wissentlich gegenüber der Kassenärztlichen
Vereinigung mit der Quartalsabrechnung geltend macht, obwohl diese Leistungen nicht
oder nicht vollständig nach den Vorgaben erbracht wurden, die Kassenärztliche Vereinigung
in dieser Frage täuscht und diese letztlich die Honorarauszahlung u. a. für diese
Leistungen veranlasst, dann nehmen die Strafgerichte in der Regel einen Abrechnungsbetrug
an.
Da das Landgericht zu der Überzeugung gelangte, dass die Radiologen unter wissentlicher
Missachtung der Anforderungen zur Stellung der rechtfertigen Indikation nach der RöV
Röntgenleistungen entgegen der Vorgabe des EBM erbracht hatten, hätten diese Leistungen
nicht gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung geltend gemacht werden dürfen. Diese
Geltendmachung der tatsächlich erbrachten Röntgenleistungen durch die Radiologen war
im Rahmen der Quartalsabrechnung erfolgt, im Ergebnis kam es seitens der Kassenärztlichen
Vereinigung zu Zahlungen für diese Leistungen.
Strafmaß aufgrund der Schadenshöhe bei einem Abrechnungsbetrug
Strafmaß aufgrund der Schadenshöhe bei einem Abrechnungsbetrug
In einem Strafverfahren kommt es zunächst darauf an, ob überhaupt und wenn dies der
Fall ist, welcher Straftatbestand erfüllt ist. Ist kein Straftatbestand verwirklicht,
stellt sich die Frage nach einem Strafmaß natürlich nicht, das Verfahren endet mit
einem Freispruch. Idealerweise kommt es nicht einmal zur Anklage, weil die Staatsanwaltschaft
das Ermittlungsverfahren einstellt. Ist aber ein Straftatbestand erfüllt, hier der
des Betruges nach § 263 StGB, kommt es hinsichtlich der Bestimmung des Strafmaßes,
also der Höhe einer Strafe, auf verschiedene Tatumstände an. Einer dieser Tatumstände,
aber ein wesentlicher Tatumstand, ist bei einem Betrug die Höhe des entstandenen Schadens.
Je höher der Schaden, umso höher fällt letztlich das Strafmaß aus. Dabei gibt keinen
strengen linearen Zusammenhang, weil weitere Tatumstände, wie z. B. Vorstrafen, ebenfalls
zu berücksichtigen sind und daneben das Strafmaß sowohl hinsichtlich einer Geld- als
auch einer Freiheitstrafe gesetzlich begrenzt ist.
In diesem Aspekt weist das Urteil des Landgerichtes ganz erhebliche Lücken auf. Ein
Betrug, ein gesonderter Straftatbestand des Abrechnungsbetruges besteht nicht und
es bedarf seiner nicht, setzt eine Reihe von Tatbestandsmerkmalen voraus. Rechtlich
vereinfacht ausgedrückt, muss der Täter durch eine Täuschung bei einer anderen Person
ein Irrtum erregen und dadurch bedingt muss es zu einer Vermögensverfügung der irrenden
Person kommen, die zu einem Vermögensschaden führt. Dabei kommen unzählige Fallgestaltungen
in Betracht, bei denen der Täter nicht selbst täuscht oder das geschädigte Vermögen
nicht der irrenden Person gehört. Einzig sicher ist dabei, dass die Person, die getäuscht
wird auch die Person ist, die sich irrt. Für Juristen bieten sich zahlreiche Gedankenspiele
an, für den Rechtsanwender ist das in der Regel weniger erbaulich. Das Landgericht
Saarbrücken hat mit einem prozentualen Abzug von 10 Prozent aufgrund von Unsicherheiten
bei dem Sachverhalt die Schadensberechnung der Kassenärztlichen Vereinigung übernommen
und im Übrigen nicht hinterfragt. Im Sozialrecht findet der strengformale Schadensbegriff
Anwendung. Danach gilt regelhaft eine Leistung als fehlerhaft, wenn es an einer bloßen
formalen Voraussetzung zur Erbringung der Leistung fehlt so dass sie nicht zu vergüten
ist. Es kommt dabei nicht darauf an, ob die Leistung medizinisch beanstandungsfrei
erbracht wurde, sondern allein auf die Verletzung rechtlicher Formalitäten. Die strafrechtliche
Rechtsprechung hat mit viel Widerspruch der Rechtswissenschaft den strengformalen
Schadensbegriff des Sozialrechts beim ärztlichen Abrechnungsbetrug übernommen. Bei
einer genauen Betrachtung der Frage, die sich das Landgericht Saarbrücken hätte stellen
müssen, kam es bei der Schadenshöhe nicht auf den strengformalen Schadensbegriff an.
Die vorgeworfene Tathandlung war die Abgabe einer bewusst fehlerhaften Quartalsabrechnung.
Daraus folgten die vorgeworfenen sieben Taten, weil der Tatzeitraum sich auf sieben
Quartale und sieben „falsche“ Sammelerklärungen erstreckte. Die sozial- und strafrechtliche
Rechtsprechung sieht in der Abgabe der Quartalsabrechnung eine Garantieerklärung des
Vertragsarztes, mit dem Inhalt, dass die zur Abrechnung eingereichten Leistungen nach
dem EBM, dem gesamten weiteren sozialrechtlichen Regelwerk oder in Bezug genommenen
anderen Regelungen im Einklang stehe. Diese Rechtsprechung verdient intensive Kritik,
weil der Vertragsarzt nur aus seiner Sicht der subjektiven Auffassung sein kann, dass
er nach seinem Verständnis der Regelungen meint, ausschließlich Leistungen geltend
zu machen, die den Anforderungen der vertragsärztlichen und in Bezug genommenen Regelungen
entsprechen. Die objektive rechtliche Feststellung kann allerdings nur ein Gericht
vornehmen und weder der Vertragsarzt noch eine Kassenärztliche Vereinigung. Liegt
allerdings ein willentliches Nichteinhalten von Vorgaben vor, dann gibt der Vertragsarzt
auch nach der vorstehend geäußerten Kritik in subjektiver Hinsicht eine falsche Sammelerklärung
ab.
Entscheidend hätte sich das Landgericht Saarbrücken die Frage stellen müssen, wenn
der Tatzeitpunkt die Einreichung einer fehlerhaften Sammelerklärung gewesen sein soll,
zu welchem Honorarunterschied die – unterstellte – überhöhte Sammelerklärung tatsächlich
geführt hat. Dazu bedarf es eines Vergleiches zu einer Honoraranforderung, die in
diesem Sinne korrekt und hier sodann niedriger gewesen wäre. Bei einer überdurchschnittlich
viele Leistungen erbringenden Praxis führt eine solche Korrektur aber in Abhängigkeit
vom dem jeweiligen Honorarverteilungsmaßstab regelmäßig nur zu einer geringeren Vergütung
im Bereich der abgestaffelten Vergütung. Der den anderen Vertragsärzten entstehende
Schaden betrifft in einem solchen Fall allein die abgestaffelte Vergütung und daher
nur einen kleinen Bruchteil des gesamten Honorars, der den anderen Vertragsärzte nicht
zur Verfügung stand oder gestanden hätte. Die Kassenärztlichen Vereinigungen berechnen
mit überwiegender Bestätigung durch die Sozialgerichtsbarkeit davon abweichend einen
Regress. Sie bilden einen Vergütungsquotienten aus dem Verhältnis der gesamten Leistungsanforderungen
in Euro und der tatsächlichen Honorarzahlung. Fiktiv erfolgt daher eine Betrachtung,
nach der jede Leistung multipliziert mit der Vergütungsquote vergütet worden sei.
Eine Betrachtung der wirtschaftlichen Folgen der Budgetzuweisung erfolgt bei den Kassenärztlichen
Vereinigen meist nicht. Bei einer Übertragung dieser seitens der Kassenärztlichen
Vereinigungen extrem vereinfachten Berechnung eines Regresses fällt der strafrechtliche
Schaden sehr viel höher aus als der tatsächliche Vorteil bei den anderen Vertragsärzten
ausgefallen wäre, wenn die vermeintliche Falschabrechnungen korrekt eingereicht worden
wäre. Im Strafrecht gilt, dass der Vermögensvorteil auf der Seite des Täters oder
eines begünstigten Dritten dem Vermögensnachteil des Geschädigten entsprechen muss.
Übernimmt aber ein Strafgericht die Regressberechnung einer Kassenärztlichen Vereinigung
jedenfalls bei einer Praxis, die die zugewiesenen Budgets überschreitet, fällt der
vermeintliche Schaden höher aus als der Vermögensnachteil für die übrigen Vertragsärzte.
Der Vorteil des betrügerisch abrechnenden Radiologen ist sodann um ein Vielfaches
größer als der Nachteil der vermeintlich betrogenen Fachgruppe. Vorteil und Nachteil
entsprechen sich daher nicht, obwohl sie dies strafrechtlich müssten. Daneben finden
sich viele weitere Faktoren, die zu einer Verzerrung der Schadenshöhe führen, weil
die vereinfachte Regressberechnung die unterschiedlichen Bewertungen von Röntgenleistungen,
CT- und MRT-Leistungen egalisiert.
Fazit
Die Entscheidung des Landgerichtes Saarbrücken erging zu der früheren Rechtslage zu
den Anforderungen an die Stellung der rechtfertigenden Indikation nach § 23 Absatz
1 Satz 5 RöV. Wenngleich der Verordnungsgeber in § 119 Absatz 3 StrlSchV den Wortlaut
der Röntgenverordnung nicht übernommen hat, besteht das Erfordernis der Stellung der
rechtfertigenden Indikation vor der Röntgenuntersuchung fort. Nach den Vorgaben der
DIN 6827-5 „Protokollierung bei der medizinischen Anwendung ionisierender Strahlung
– Teil 5: Radiologischer Befundbericht“ erfolgt die Dokumentation der Stellung der
rechtfertigenden Indikation in dem radiologischen Befundbericht. Nur kann der Radiologe
den Befundbericht nicht bereits vor der Untersuchung des Patienten formulieren, sondern
erst am Ende. Auch wenn es keine erkennbare strahlenschutzrechtliche Vorgabe gibt,
dass die Stellung der rechtfertigenden Indikation vor der Untersuchung zu dokumentieren
ist, sondern nur die wichtige Vorgabe, dass die rechtfertigende Indikation vor der
Untersuchung zu stellen ist, empfiehlt es sich, den standardisierten Arbeitsablauf
oder Standard Operating Procedure (SOP) anzupassen. Die SOP sollte sicherstellen und
möglichst die Dokumentation beinhalten, dass ein Radiologe die Patientenakte in Papierform
oder digital vor Durchführung der Röntgenuntersuchung sichten konnte und die rechtfertigende
Indikation gestellt ist.
Es sollte keine Verwunderung bestehen, dass die Angabe von wissentlich nicht erbrachten
oder unvollständig erbrachten Leistungen in der Regel einen Betrug zum Nachteil der
anderen Ärzte in der Fachgruppe darstellt. Ein solches Verhalten ist zu unterlassen.
Es kann nicht nur zur einer strafrechtlichen Verurteilung führen, sondern daneben
zu einem Regress der Kassenärztlichen Vereinigung, der Entziehung der vertragsärztlichen
Zulassung, einem berufsrechtlichen Verfahren und zum Verlust der ärztlichen Approbation.
Bei der Bestimmung der Höhe eines Betrugsschadens bestehen allerdings erhebliche Fehlvorstellungen.
Gerade hinsichtlich der Vergütungssystematik nach Honorarverteilungsmaßstäben besteht
außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit wenig bis kein Verständnis. Um die Berechnung
der Schadenshöhe eines Abrechnungsbetruges vornehmen zu können, bedarf es zwingend
der Beachtung der Vergütungssystematik, weil Leistungsanforderung und tatsächlich
ausgezahltes Honorar aufgrund der Budgetierung in der ganz überwiegenden Zahl von
Fällen auseinanderfallen – und zwar stets zum Nachteil des schädigenden Radiologen.
Die Schadenshöhe ist aber für die Festsetzung eines Strafmaßes von erheblicher Bedeutung.
Zwar lässt eine geringe Schadenshöhe den Betrug als solchen nicht entfallen, sie kann
aber im günstigsten Fall zu einer Einstellung des Strafverfahrens und im schlechtesten
Fall zu einer Reduzierung des Strafmaßes führen.
René T. Steinhäuser
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