Allgemeine Homöopathische Zeitung 2020; 265(04): 30-32
DOI: 10.1055/a-1208-4388
Forum (Nachrufe)

Nachruf für Gerhard Bleul

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Abb. 1  Gerhard Bleul (04.07.1954–03.06.2020)

Am 3. Juni hat Gerhard Bleul sein Leben in Frieden im Beisein seiner Familie vollendet. Seiner schweren Erkrankung hat er gefasst und mit einer bemerkenswerten Offenheit und Zuversicht gegenübergestanden und trotz zunehmender Einschränkungen bis zuletzt versucht, sein Engagement für die Homöopathie fortzuführen und andererseits Raum für die ihm so wichtigen Begegnungen zu schaffen.

Wir kannten uns seit meinen Studienzeiten aus Fortbildungen und als Gastdozent bei unserem studentischen Homöopathiearbeitskreis. Bald lud er mich als Studenten in den von ihm moderierten Qualitätszirkel ein, und so hatte ich früh die Gelegenheit, viele homöopathische Themen mit ihm und den anderen Kollegen zu diskutieren. Dabei fiel mir schnell seine große Neugier auf, die Homöopathie und später auch angrenzende Themenbereiche zu erkunden, wobei er sehr genau und bisweilen auch hartnäckig fragen konnte: Welche Denkansätze liegen deinem Handeln zugrunde? Wie genau bist du zu diesem Ergebnis gekommen? Welche Erfahrung hast du damit gemacht? Und nicht zuletzt: Wie genau erging es dem Patienten? Welche Erfolge hast du? Er fragte und hinterfragte lieber als zu urteilen, bemühte sich lieber, klar zu unterscheiden, Grundkonzepte und neue Ideen zu präzisieren und zu vergleichen. Im Kleinen wie auch im Großen auf Bundesebene und in Gremien initiierte er so über Jahrzehnte einen lebendigen Diskurs über strittige Themen, Ansätze verschiedener Schulen und die Integration in eine wissenschaftliche Homöopathie. Hier erwies er sich stets als ein kluger, sachlicher und fundiert argumentierender Gesprächspartner mit großer menschlicher wie fachlicher Aufrichtigkeit und einem wohltuenden homöopathischen Weitblick.

In den Weiterbildungskursen erlebte ich Gerhard als einen sehr strukturierten, didaktisch versierten Dozenten, der am liebsten mit anderen seine Freude und Faszination an der Homöopathie teilte und so ermutigte, tiefer in die Materie einzusteigen. Jahre später dann lud er mich ein, mit ihm an der Buchreihe zur Weiterbildung Homöopathie zu arbeiten, mit eigenen Texten und dem Gegenlesen der Kapitel anderer Autoren. Oft stellte er sich dabei leise nach hinten, ging mit Kritik bemerkenswert konstruktiv um und präsentierte auch seine eigenen Fehler, wenn er hoffen durfte, dass andere daraus lernen könnten. Nicht selten rief er auch noch kurz vor Mitternacht an und fragte, ob ich noch die Energie hätte, mit ihm ein Kapitel durchzusprechen. Schnell waren wir in intensive und inspirierende Gespräche vertieft, wie sie oft nur die Nacht hervorzubringen vermag. Ein intensiver und wunderbarer Lernprozess, für den ich ihm zeitlebens dankbar sein werde.

Neben der zeitgemäßen Weiterentwicklung der Homöopathie waren die Vermittlung homöopathischen Wissens und der lebendige Austausch mit Kollegen ihm zeitlebens ein wichtiges Anliegen, das er besonders als Schriftleiter der AHZ seit 2002 in wechselnden Herausgeberkonstellationen bis zu seinem Tod sehr engagiert vorantrieb. In dieser Zeit hat er allein für die AHZ 45 Fachbeiträge verfasst und unzählige Editorials, Kongressberichte, Buchbesprechungen und Vereinsnachrichten für den DZVhÄ. Es war immer eine Freude, mit ihm zusammenzuarbeiten, kollegial, inspirierend und offen für alle Fragen und die Entwicklung von neuen Themen und Vermittlungswegen.

Diese Mischung aus außerordentlichem Engagement und der Freude daran, die Homöopathie zu vermitteln, führte ihn auch dazu, an der Homöopathie interessierte Kollegen aus der Türkei in die Weiterbildungskurse einzuladen und später auch regelmäßig in Izmir Kurse für die wachsende Homöopathengemeinde der Türkei abzuhalten. Die Vorsitzende des Vereins türkischer Homöopathen, Altunay Agaoglu, schrieb uns, auch im Namen ihrer Kollegen:

„Vor mehr als 15 Jahren wurde Gerhard mein Lehrer in der homöopathischen Weiterbildung in Wiesbaden. Er gewährte 5 Ärzten aus der Türkei ein Stipendium für die Homöopathieweiterbildung unter der Voraussetzung, dass wir die Homöopathie danach in der Türkei weiterverbreiten. Damit begann unsere gemeinsame Reise und Freundschaft mit Gerhard. Seitdem kam er mehr als 10 Mal in die Türkei und gab sein Wissen mit Herz und Seele, ohne etwas zu verlangen, mit Liebe an uns weiter. Ohne sein Engagement hätte die Homöopathie in der Türkei nicht so gedeihen können.

Er war ein wunderbarer, bescheidener Lehrer, ohne Hochmut, mit ganz sanftem, feinem Herz und Seele. Er scheute sich nicht, von seinen Fehlern zu reden, und hat uns so vieles gelehrt. Ich habe einen Freund und einen guten Lehrer verloren. Ich bin mir sicher, dass er sehr gut empfangen wurde und nun im Licht ruht. Ich werde sein Lächeln nie vergessen.“

Und damit das nicht geschieht, haben sich unsere türkischen Kollegen etwas ganz Besonderes und Wunderbares ausgedacht: Sie haben zusammengelegt und stiften davon in der Türkei einen Wald mit mehr als 500 Bäumen, der den Namen „Gerhard Bleul“ tragen wird. Ein Ort, an dem die Erinnerung an ihn weiterleben wird und über den er, der unter einem wunderbaren Baum im Friedwald seine letzte Ruhe gefunden hat, sich gewiss besonders gefreut hätte.

Für diese Zeilen habe ich nach Gerhards Tod mit vielen Freunden, Kollegen und Mitdozenten gesprochen und sie um Erinnerungen und Gedanken gebeten. Immer wieder betonten sie in den vielen Geschichten, dass sie sich durch ihn nicht nur inspiriert, gefördert und motiviert fühlten, sondern auch „frei gelassen“. Man konnte ihn alles fragen, alles diskutieren und fand sich, selbst wenn er anderer Meinung war, nach genauem, undogmatischem Hinterfragen seinerseits frei in der eigenen Verantwortung wieder, das gemeinsam Erarbeitete auf den Prüfstein des eigenen medizinischen Arbeitsalltags zu stellen. Das war mehr ein „Aude sapere“ als das gebetsmühlenartige „Macht’s genau nach“ Hahnemanns. Damit war Gerhard Bleul in den letzten Jahrzehnten ein wichtiger Impulsgeber für die Entwicklung einer seriösen, zeitgemäßen Homöopathie, die gleichzeitig Raum für einen lebendigen Pluralismus bietet. Wir werden ihn als lieben Freund, geschätzten Kollegen und engagierten Homöopathen mit seiner unverstellten Menschlichkeit sehr vermissen.

Ulrich Koch



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Article published online:
03 August 2020

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