Transfusionsmedizin 2020; 10(03): 132
DOI: 10.1055/a-1208-9501
Aktuell referiert

COVID-19: Bestimmt die Blutgruppe, wie schwer der Krankheitsverlauf ist?

Ellinghaus D. et al.
Genomewide Association Study of Severe Covid-19 with Respiratory Failure.

N Engl J Med 2020;
DOI: 10.1056/NEJMoa2020283.
 

    Die Coronavirus-Krankheit 2019 (COVID-19) weist unterschiedliche Manifestationen auf, wobei die große Mehrheit der Infizierten nur leichte oder gar keine Symptome entwickelt. Die Sterblichkeitsraten werden überwiegend durch die Untergruppe der Patienten mit schwerer respiratorischer Insuffizienz bestimmt, bei starken Schwankungen von Land zu Land. Warum manche Menschen schwer an COVID-19 erkranken, während andere kaum Symptome zeigen, ist noch wenig verstanden.


    #

    Bislang brachte man Faktoren wie Alter, Bluthochdruck, Adipositas, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit der Mortalität in Verbindung. Wissenschaftler der Severe Covid-19 GWAS Group haben jetzt in einer großangelegten Studie herausgefunden, dass der Verlauf bei COVID-19 möglicherweise (auch) mit den unterschiedlichen Blutgruppen assoziiert ist.

    Auf dem Höhepunkt der Epidemie in Italien und Spanien Anfang 2020 führte das Team der Severe Covid-19 GWAS Group eine genomweite Assoziationsstudie (GWAS) durch, mit dem Ziel, Genvarianten zu identifizieren, die zu schwerem COVID-19 mit Atemversagen beitragen. Sie erhielten Blutproben von Patienten mit einem schweren COVID-19-Verlauf, definiert als Hospitalisierung mit Atemversagen und einem bestätigten SARS-CoV-2-Virus-Nachweis mittels RT-PCR aus Nasen-Rachen-Abstrichen. Die Proben stammten aus 7 Kliniken (835 Patienten in Italien, 775 Patienten in Spanien). Außerdem lagen Proben von Kontrollpersonen vor (1255 aus Italien, 50 aus Spanien). Aus den Blutproben wurde die DNA isoliert; innerhalb von nur etwa 2 Monaten untersuchte das Team 8 582 968 Einzel-Nukleotid-Polymorphismen (SNPs) und führte eine Metaanalyse beider Fallkontrollpanels durch.

    Die Wissenschaftler identifizierten 2 Genloci, einen auf Chromosom 3 und einen auf Chromosom 9. Die Assoziation mit einer erhöhten Mortalität bei den COVID-19-Patienen gegenüber den gesunden Kontrollen war für beide Loci signifikant, sowohl in der italienischen als auch der spanischen Subanalyse:

    • rs11385942 auf dem Locus 3p21.31 (Odds Ratio 1,77)

    • rs657152 auf dem Locus 9q34.2 (OR 1,32)

    Das Assoziationssignal am Locus 3p21.31 umfasste 6 Gene (SLC6A20, LZTFL1, CCR9, FYCO1, CXCR6 und XCR1). Aus den Daten geht nicht hervor, welches der Gene maßgeblich an der Risikoveränderung beteiligt sein könnte. Eines der Gene, SLC6A20, codiert beispielsweise für den Natrium-Iminosäure-(Prolin)-Transporter 1 (SIT1) und interagiert mit dem Angiotensin-konvertierenden Enzym 2 (ACE2), dem SARS-CoV-2-Zelloberflächenrezeptor. Die Wissenschaftler fanden auch heraus, dass Patienten, die mechanisch beatmet werden mussten, häufiger das Risikoallel am Locus 3p21.31 trugen als Patienten, die nur eine Sauerstoffsupplementation erhielten. Darüber hinaus waren die 19 Patienten, die homozygot für das Risikoallel am Locus rs11385942 waren, jünger als die 1591 Patienten, die heterozygot oder homozygot für das Nichtrisikoallel waren (Durchschnittsalter 59 vs. 66 Jahre).

    Am Locus 9q34.2 fiel das Assoziationssignal mit dem AB0-Blutgruppen-Locus zusammen, dem Genort für die verschiedenen AB0-Blutgruppen. In der alters- und geschlechtskorrigierten Metaanalyse fanden Ellinghaus und sein Team bei Personen mit Blutgruppe A ein höheres Risiko, schwer an COVID-19 zu erkranken, als bei Patienten mit anderen Blutgruppen (Odds Ratio 1,45). Einen protektiven Effekt fanden sie für die Blutgruppe 0 im Vergleich zu den anderen Blutgruppen (Odds Ratio 0,65).

    Fazit

    In einer GWAS von COVID-19-Patienten mit respiratorischer Insuffizienz, hospitalisiert in den europäischen Epizentren in Italien und Spanien, entdeckten Wissenschaftler einen Suszeptibilitätslocus auf Chromosom 3; von den 6 Genen dieses Clusters haben mehrere eine Funktion, die bei COVID-19 relevant sein könnte. Ein ursächliches Gen kann anhand der Daten nicht zuverlässig zugeordnet werden. Interessanterweise fanden sie auch eine mögliche Beteiligung des AB0-Blutgruppensystems: Die beiden häufigsten Blutgruppen bieten entweder einen Schutz vor (Blutgruppe 0) oder ein besonderes Risiko für (Blutgruppe A) einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf.


    #

    Dr. Michaela Bitzer, Tübingen


    Publication History

    Article published online:
    25 August 2020

    © 2020. Thieme. All rights reserved.

    Georg Thieme Verlag KG
    Stuttgart · New York