Aktuelle Rheumatologie 2020; 45(06): 535-543
DOI: 10.1055/a-1209-0659
Übersichtsarbeit

Nebenwirkungen immunonkologischer Therapien

Immune-Related Adverse Events Due to Cancer Immunotherapy
Karolina Benesova
1   Sektion Rheumatologie, Abteilung Innere Medizin V Hämatologie Onkologie Rheumatologie, Universitätsklinikum Heidelberg, Heidelberg
,
Jan Leipe
2   Sektion Rheumatologie, Medizinische Klinik V, Universitätsklinikum Mannheim, Mannheim
3   Sektion Rheumatologie und Klinische Immunologie, Medizinische Klinik und Poliklinik IV, Ludwig-Maximilians-Universität München Medizinische Fakultät, München
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Immunonkologische Therapien und insbesondere die Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICPi) als Hauptvertreter dieser neuen Substanzklasse kommen bei zunehmender Anzahl von soliden und teils auch hämatologischen Tumorentitäten und Indikationen zum Einsatz. Die relativ hohen (Langzeit-)Tumoransprechraten auch in fortgeschrittenen und therapierefraktären Stadien haben die therapeutischen Möglichkeiten der Onkologie geradezu revolutioniert. Gleichzeitig bringt der zunehmende Einsatz von ICPi auch neue Herausforderungen: Immunonkologische Therapien verursachen ein breites Spektrum an autoimmunen Nebenwirkungen, sogenannten „immune-related adverse events“ (irAEs), die teilweise klassischen Autoimmunopathien ähneln und jedes Organsystem betreffen können. Die große Mehrheit der ICPi-behandelten Patienten erlebt ein irAE an mindestens einem Organsystem und davon weisen ca. 5–20% ein rheumatisches irAEs auf. Diese sind interessanterweise mit einem besseren Tumoransprechraten bei ICPi-Therapie assoziiert und können entweder die Erstmanifestation einer klassischen entzündlich-rheumatischen Erkrankung oder auch nur eine transiente Nebenwirkung mit spezifischen Charakteristika sein. Zweifelsohne wird das interdisziplinäre Management immunvermittelter Nebenwirkungen auch den Rheumatologen in den nächsten Jahren zunehmend beschäftigen. Der vorliegende Artikel fasst die Erkenntnisse zum klinischen Management von irAEs für den praktizierenden Rheumatologen zusammen.


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Abstract

Cancer immunotherapy with immune checkpoint inhibitors (ICPi) as the major representatives of this novel substance class are increasingly applied in a growing number of solid and haematological malignancies and stages. Remarkable tumour response rates, even in advanced and refractory stages, have revolutionised the possibilities in the field of oncology. However, the increasing use of ICPi therapies also poses unprecedented challenges: immunotherapies cause a diverse spectrum of autoimmune side-effects, known as “immune-related adverse events” (irAEs), which resemble classic autoimmune diseases and involve virtually any organ system. The majority of ICPi-treated patients are affected by an irAE in at least one organ system and approx. 5–20% present with a rheumatic irAE. Interestingly, these are associated with better tumour response to ICPi therapy and can either be the initial manifestation of a classic rheumatic disease or only a transient side-effect with specific characteristics. Undoubtedly, the interdisciplinary management of immune-related side-effects will increasingly occupy rheumatologists in the coming years. This article summarises what practicing rheumatologists needs to know about the clinical management of irAEs.


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Einleitung

Immunonkologische Therapien und insbesondere die Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICPi) als Hauptvertreter dieser neuen Substanzklasse haben die Therapiemöglichkeiten in der Onkologie revolutioniert. Das hervorragende Tumoransprechen mit hohen Remissionsraten selbst in fortgeschrittenen Tumorstadien basiert auf einem zelleigenen Wirkprinzip: nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip blockieren monoklonale Antikörper gezielt das zytotoxische T-Lymphozyten-Antigen 4 (CTLA-4; Ipilimumab), das programmierte Zelltod Protein 1 (PD-1; Nivolumab, Pembrolizumab, Cemiplimab) oder den programmierten Zelltod Protein Ligand 1 (PD-L1; Atezolizumab, Avelumab, Durvalumab). Die dadurch getriggerte Aufhebung der (größtenteils Tumorzell-induzierten) Inhibierung der T-Lymphozyten führt zur Erkennung maligne entarteter Zellen und deren physiologischer Elimination. Die Entdeckung und gezielte Anwendung dieses erfolgreichen Wirkprinzips wurde 2018 mit dem Nobelpreis für Medizin gewürdigt und steht am Beginn einer umfangreichen Forschungs- und Studienpipeline, die in den nächsten Jahren eine zunehmende Zahl an zugelassenen Substanzen für eine wachsende Anzahl an Indikationen hervorbringen wird [1].

Derzeit stellen die fortgeschrittenen/metastasierten Stadien des malignen Melanoms, nicht-kleinzelligen Bronchial- (NSCLC), Urothel- und Plattenepithelkarzinoms der Kopf-Hals-Region sowie das klassische Hodgkin-Lymphom die Hauptindikationen der ICPi-Therapie dar.

Gleichzeitig hat der zunehmende Einsatz von ICPi auch neue Herausforderungen gebracht, denn die medikamentöse Einflussnahme an den Immuncheckpoints, die eine zentrale Schaltstelle der Immunantwort-Eindämmung z. B. im Kontext der „Selbst- und Fremderkennung“ des Immunsystems sind, ist ein zweischneidiges Schwert. Auch in der Rheumatologie macht sich die Immuncheckpoints in gewisser Weise therapeutisch mit dem CTLA-4-Fusionsprotein Abatacept mit einem zum ICPi Ipilimumab konträren Prinzip zunutze. Hierbei blockt CTLA-4 auf antigenpräsentierenden Zellen Moleküle, die üblicherweise eine T-Zell-Kostimulation vermitteln, mit der Folge von T-Zell-Anergie. Entsprechend entgegengesetzt sind auch die Nebenwirkungen der ICPi: sie lösen bei 60–70% der Patienten unter Anti-PD-1/PD-L1- und 80% unter Anti-CTLA-4-Antikörpertherapie eine überschießende Immunantwort mit reduzierter Eigentoleranz, sogenannte „immune-related adverse events“ (irAEs), aus [2] [3]. Diese immunvermittelten Nebenwirkungen ähneln teilweise klassischen Autoimmunopathien und können jedes Organsystem betreffen – bei einem Viertel der Patienten unter der potenteren Kombinationstherapie mit Ipilimumab und Nivolumab treten irAE im Therapieverlauf an mehr als einem Organsystem auf [2] [4]. In mehr als der Hälfte der Fälle unter der Kombinationstherapie, aber immerhin noch bei jedem vierten bis fünften Patienten unter der Monotherapie mit Anti-PD-1/PD-L1-Antikörper nehmen irAEs einen schwerwiegenden oder gar letalen Verlauf [2] [3].

Die irAEs treten an den jeweiligen Organsystemen in unterschiedlicher Häufigkeit und zu verschiedenen Zeitpunkten nach Therapiebeginn auf, wobei Hautveränderungen am häufigsten und eher frühzeitig auftreten, gefolgt von gastrointestinalen und endokrinologischen Nebenwirkungen in absteigender Häufigkeit und zunehmendem Zeitabstand zum Therapiebeginn [2] [5]. Seltener treten pulmonale, kardiale, renale, neurologische, hämatologische und rheumatologische (s.u.) Nebenwirkungen auf [2]. Auch eine verzögerte Erstmanifestation von irAEs erst nach Beendigung der ICPi-Therapie wurde beschrieben (sogenannte „delayed immune -related events“ (DIRE)) [6]. Die Hauptmanifestationen nicht-rheumatologischer Nebenwirkungen sind in [Tab. 1] zusammengefasst und nehmen in der Regel einen (hoch-)akuten Verlauf. Sie werden je nach Schweregrad mit einer Glukokortikoidstoßtherapie mit 1–2 mg/kg und ggf. vorübergehendem Einsatz von Mycophenolat und/oder Infliximab behandelt. Ausnahmen sind leichtgradige Hautveränderungen, die topisch oft ausreichend therapiert sind sowie endokrinologische irAEs, die bei meist komplettem Ausfall der betroffenen Hormonachse einer dauerhafte Hormonsubstitution bedürfen [2]. Je nach Schweregrad muss auch eine vorübergehende Unterbrechung oder Abbruch der ICPi-Therapie erwogen werden.

Tab. 1 Zusammenfassung der Hauptmanifestationen nicht-rheumatologischer irAEs. Die Organsysteme sind in der Reihenfolge der Häufigkeit von irAEs aufgelistet (adaptiert nach [2]).

Organsystem

irAE-Hauptmanifestationen

Haut

Pruritus, makulopapulöse und lichenoide Effloreszenzen, Vitiligo, seltener schwerwiegende Hautreaktionen, Psoriasis, kutane Sarkoidose oder Vaskulitis, Panniculitis u.v.m

Gastrointestinal-Trakt

Kolitis, Hepatitis, Pankreatitis

Endokrinium

Hypo-/Hyperthyreose, Hypophysitis, Diabetes mellitus und insipidus

Lunge

Pneumonitis, Sarkoidose

Niere

Akutes Nierenversagen, tubulointerstitielle Nephritis ohne Granulomnachweis, Glomerulonephritis, thrombotische Mikroangiopathie

Herz

Myokarditis, Kardiomyopathie, Perikarditis, ggf. mit akutem Herzversagen

Nervensystem

Guillain-Barré-Syndrom, sterile Encephalitiden/Meningitiden, Myasthenia gravis, Myelitis transversa, Epilepsie, Dysgeusie, Fatigue, periphere (Poly-) Neuropathie u.v.m.
Auge: Uveitis anterior, Erblindung, Xerophtalmie

Blutbildung

Zytopenie bis hin zu Panzytopenie oder Agranulozytose, autoimmunhämolytische Anämie, Immunthrombozytopenie


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Rheumatische immunvermittelte Nebenwirkungen (irAEs)

Rheumatische irAEs unter ICPi wurden lange als unspezifische muskuloskelettale Nebenwirkungen bzw. Symptome der Tumorerkrankung und physischer Inaktivität interpretiert. Erst seit ca. 2016 häuften sich die Hinweise auf objektivierbare entzündlich-rheumatische Symptomkomplexe mit teils enormer Ähnlichkeit zu bekannten Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises. Die Inzidenz rheumatologischer Nebenwirkungen wird aktuell mit ca. 5–20% unter ICPi-Therapie angegeben, variiert aber wegen inkonsistenter Erfassung und Bewertung in klinischen Studien stark [7] [8] [9] [10] [11] [12]. Die in onkologischen Studien gebräuchlichen Toxizitätskriterien (Common Terminology Criteria of Adverse Events, (CT-CAE): 1=mild, 2=moderat, 3=schwer, 4=lebensbedrohlich, 5=Tod) führten in früheren ICPi-Studien häufig trotz erheblicher Schmerzen, Funktions- und Lebensqualitätseinbußen zu einer Unterbewertung (Grad 1–2) rheumatischer irAEs [7] [8] [11]. Die zu geringe Erfassung wird vermutlich auch durch die Neigung vieler Patienten zur Dissimulation aus Sorge vor Abbruch der wirksamen ICPi-Therapie mitverursacht. Hingegen erhielten schwere Myositiden (Grad 3–4), die potenziell letal verlaufen können, frühzeitig Aufmerksamkeit [7] [8] [12] [13]. Erst verzögert fand die Abfrage und Erfassung muskuloskelettaler Manifestationen Eingang in die klinisch-onkologische Routine und Befundung der Staging-Bildgebung. In den letzten Jahren entwickelt sich in der Onkologie eine zunehmende Sensibilisierung für rheumatische irAEs durch eine verstärkte Berücksichtigung in der überarbeiteten CT-CAE Version 5.0 sowie die Zusammenarbeit in interdisziplinären Leitlinienkommissionen jüngst unter Mitwirkung der Autoren unter der Schirmherrschaft der EULAR [11] [14] [15] [16].

Erste interdisziplinäre Registerprojekte zur Erfassung rheumatischer irAEs sind entstanden, davon eines auch in Deutschland durch die Initiative der Autoren („MalheuR-Projekt“: Register für Patienten mit malignen und entzündlich-rheumatischen Erkrankungen) [9] [13] [17]. Diese Projekte ermöglichen erstmals eine detailliertere Charakterisierung dieser Nebenwirkungen und Erstellung fundierter Empfehlungen zum klinischen Management. Dem Rheumatologen kommt aufgrund seiner immunologischen Vorerfahrung bei der (frühen) Erkennung und adäquaten Behandlung rheumatischer irAEs eine Schlüsselrolle zu, nicht zuletzt da Tumorpatienten aus Unwissenheit um diese Art der Nebenwirkung teils auch auf Eigeninitiative ohne Rücksprache mit dem Onkologen beim Rheumatologen vorstellig werden.

Rheumatische irAE können sich innerhalb weniger Tage bis mehrere Monate nach Beginn der ICPi-Therapie erstmals manifestieren; durchschnittlich etwa zwischen 1.–9. Monat nach Therapieeinleitung [8] [9] [13] [18]. Sie können das gesamte Krankheitsspektrum und alle Schweregrade des rheumatischen Formenkreises nachahmen und werden namensgebend mit den „klassischen“ Erkrankungen in Verbindung gebracht (z. B. bei Polymyalgia rheumatica: „PMR-ähnlich“, im englischen Sprachgebrauch: „PMR-like“). Im MalheuR-Projekt ähnelten die irAEs phänotypisch in etwa der Hälfte der Fälle einer Spondylo- oder Psoriasisarthritis mit Arthritiden, Tenosynovialitiden und Enthesitiden. An zweiter Stelle folgten in jeweils einem knappen Fünftel der Fälle das rheumatoide Arthritis-ähnliche irAE mit symmetrischem Befallsmuster bevorzugt der kleinen Gelenke sowie das Polymyalgia rheumatica-ähnliches irAE mit stammnahen Polymyalgien und (Morgen-)Steifigkeit [17]. Der direkte Vergleich mit den „klassischen“ Erkrankungen ergibt für die irAEs jedoch in der Regel ein atypisches oder inkomplettes Bild und selten werden entsprechende Klassifikationskriterien erfüllt ([Abb. 1]) [7] [11] [12] [13]. Ohne Wissen um die Besonderheiten rheumatischer irAEs können diese Nebenwirkungen daher vom Rheumatologen leicht verkannt werden.

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Abb. 1 Vergleich der häufigsten rheumatischen irAEs mit phänotypisch ähnlichen „klassischen“ entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, deren Klassifikationskriterien jedoch in der Regel bei irAEs nicht erfüllt sind (in Anlehnung an [7] [11] [12] [29] [30] [44]). ACE=Angiotensin-konvertierendes Enzym, ACPA=Antikörper gegen citrullinierte Peptide, ANA=Antinukleäre Antikörper, ANCA=Anti-Neutrophile cytoplasmatische Antikörper, BKS=Blutkörperchensenkung, CK=Creatinkinase, CRP=C-reaktives Protein, ENA=Antikörper gegen extrahierbare nukleäre Antigene, PMR=Polymyalgia rheumatica, PsA=Psoriasisarthritis, RA=Rheumatoide Arthritis, RF=Rheumafaktor, sIL-2R=löslicher Interleukin-2 Rezeptor.

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Klinisches Management rheumatischer irAEs

Diagnostisches Vorgehen

Der Rheumatologe kann auf das ihm vertraute diagnostische Instrumentarium zur Objektivierung entzündlicher Manifestationen zurückgreifen, sollte sich aber der eventuell atypischen Präsentation von irAEs bewusst sein. Aufgrund des häufig hochakuten Verlaufs mit starken Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen sollten Patienten mit Verdacht auf ein rheumatisches irAE unter ICPi-Therapie frühzeitig innerhalb weniger Tage gesehen werden. Zur möglichst kompletten Erfassung der Leitsymptome ist eine rheumatologische Erstbeurteilung noch vor Einleitung einer Glukokortikoidtherapie wünschenswert.

In der Anamnese sollten explizit Symptome einer Polymyositis und bulbärer Begleitsymptome wie Dysphagie/-arthrie/-phonie/-pnoe, Aspirationsneigung, Zungen- und Kaumuskelschwäche, Diplopie und Ptosis erfragt und untersucht werden, um ggf. rasch die schwerwiegendste Form eines rheumatischen irAEs zu identifizieren und der Behandlung zuzuführen [7] [11]. Auch klinische Hinweise auf mögliche irAEs an weiteren Organsystemen sollten bei der Abklärung miterfasst werden. Von Interesse sind zudem Symptome und Risikofaktoren für eine entzündlich-rheumatische Erkrankung bereits vor ICPi-Einleitung, bspw. eine positive Eigen- oder Familienanamnese für assoziierte Erkrankungen wie Psoriasis oder chronisch-entzündliche Darmerkrankungen. Diese Angaben sind für die Abschätzung des Chronifizierungsrisikos hilfreich (s.u.).

Auch die onkologischen Befunde sollten berücksichtigt werden: Insbesondere Patienten mit NSCLC erhalten häufig die ICPi-Therapie in Kombination mit Cisplatin und Pemetrexed und berichten an den Chemotherapietagen von einer Besserung der muskuloskelettalen Symptomatik bedingt durch die Dexamethason-Gabe als Prämedikation. Ferner geben die Staging- und Laborbefunde Hinweise darauf, ob differenzialdiagnostisch paraneoplastische Syndrome oder Metastasen bei Tumorprogress sowie Infekte erwogen werden müssen [7] [10] [11] [19] [20]. Relevante Paraneoplasien, die im Vergleich zu den irAEs in der Regel kaum auf einen immunsuppressiven Therapieansatz ansprechen, sind unter anderem das Pierre-Marie-Bamberger-Syndrom bei NSCLC ([Abb. 2c]), paraneoplastische (Poly-)Arthritiden und Vaskulitiden [21] [22] [23]. An dieser Stelle sei auch auf die Übersichtsarbeit zu den Paraneoplasien in dieser Ausgabe verwiesen.

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Abb. 2 Patient aus dem MalheuR-Register mit nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom (NSCLC). Wenige Monate vor der Tumordiagnose traten erstmals Trommelschlegelfinger und symmetrische, distal betonte Knochen- und Gelenkschmerzen auf, die klinisch als charakteristisches paraneoplastisches Syndrom (Pierre-Marie-Bamberger-Syndrom) beim NSCLC gewertet wurden. Unter ICPi-Therapie kamen neu schmerzhafte massive Schwellungen der distalen Unterarme bis in die Hände bzw. Unterschenkel und Füße mit deutlichen Funktionseinschränkungen als irAE hinzu. a+b Objektivierung entzündlicher Veränderungen durch Gelenksonografie. a dorso-medialer Längsschnitt Handgelenk rechts: Ausgeprägte Tenosynovialitis (↓) der Extensorsehnen (*) mit Begleitsynovialitis carpal (°). b ventraler Transversalschnitt Schulter rechts: Deutliche Bicepssehnentendinitis (* Sehne) mit peritendinösem Exsudat (↓) und Begleitbursitis. c Im Röntgen der Hände zeigt sich neben deutlicher Weichteilschwellung eine typische Periostverdickung (↓) auch an den langen Röhrenknochen als Korrelat zum klinisch vermuteten paraneoplastischen Pierre-Marie-Bamberger-Syndrom.

Als Korrelat für die überschießende Immunsystemaktivierung ist das CRP nicht selten auf Werte über 50–150 mg/l erhöht, obwohl die entzündliche Manifestation bei der korrespondierenden „klassischen“ entzündlich-rheumatischen Erkrankung eine solche CRP-Erhöhung nicht erwarten lassen würde. Im MalheuR-Projekt wiesen etwa drei Viertel der Patienten eine CRP-Erhöhung auf. Hingegen ist das CRP unerwarteter Weise vor allem bei Patienten mit Polymyalgia rheumatica-ähnlichen irAEs meist normwertig ([Abb. 1]) [7] [12] [13] [17] [24] [25]. Bei Patienten mit muskulären Symptomen sollte immer auch der CK-Wert bestimmt werden, um eine Myositis nicht zu übersehen. Typische Immunlaborveränderungen „klassischer“ entzündlich-rheumatischer Erkrankungen fehlen hingegen meist: zur klinischen Manifestation passende spezifische Laborbefunde wie Nachweis von höhertitrigen ANA mit spezifischem Floureszenzmuster, positiven ENA, Myositis-Autoantikörpern, Anti-CCP-Antikörpern oder Rheumafaktor sind selten [7] [8] [10] [11] [12] [13] [17] [20] [24] [25] [26].

Da die Einleitung einer immunsuppressiven Therapie potenziell auch Auswirkungen auf den onkologischen Behandlungsverlauf nehmen kann, sollte die Notwendigkeit dieses Schrittes wann immer möglich durch objektive bildgebende und/oder histologische Befunde der entzündlichen Organmanifestation(en) untermauert werden [7] [11] [12] [20]. Im klinischen Alltag steht hierfür dem Rheumatologen die Gelenksonographie als geeignete und schnell verfügbare diagnostische Maßnahme zur Verfügung. Etwa 80% der untersuchten Patienten im MalheuR-Projekt zeigten Artikulo-/Tenosynovialitiden, Enthesitiden und/oder Bursitiden oft an multiplen Gelenken und teils in stärkerer Ausprägung, als es rheumatologischerseits bei „klassischen“ entzündlich-rheumatischen Erkrankungen sonst zu erwarten wäre ([Abb. 2a, b]) [7] [13] [17]. In einer MRT-Fallstudie mit acht irAE-Patienten mit Arthritis konnten bei drei im Hand-MRT bereits Knochenmarködeme und erosive Veränderungen nachgewiesen werden [27]. Nativradiologisch lassen sich neben den zu „klassischen“ entzündlich-rheumatischen Erkrankungen passenden Veränderungen auch typische Läsionen bei Pierre-Marie-Bamberger-Syndrom bei NSCLC darstellen: die Periostreaktion, die an den Fingern initial auch mit Proliferationen bei einer Psoriasisarthritis verwechselt werden könnte, findet sich hierbei auch an den proximalen Röhrenknochen ([Abb. 2c]) [22].

Oft ist auch die Nachbefundung bereits vorliegender Staging-(PET-) CTs/MRTs auf entzündlich-rheumatische irAE-Manifestationen zielführend, ohne dass neue Bildgebung veranlasst werden muss: Radiologischerseits wird der Fokus in den schriftlichen Befunden allzu oft auf die onkologische Fragestellung (Tumoransprechen bzw. -progress) gelegt und muskuloskelettale, myositische oder vaskulitische Pathologien sowie jüngst bei irAE-Patienten im MRT beschriebene myofasziale Entzündungen bleiben meist unerwähnt [7] [8] [9] [10] [11] [12] [20] [24] [26] [28].

Ergänzende histologische Sicherung vor allem bei schwerwiegenden Organbeteiligungen wie der Myositis, Sarkoidose, Nephritis oder Systemische Sklerose ist einerseits zur Abgrenzung anderer Ursachen (z. B. Lymphknotenmetastasen, toxischer Nierenschaden) und andererseits wegen der meist erforderlichen intensiven immunsuppressiven Therapie mit ggf. ICPi-Abbruch sinnvoll, sollte deren Einleitung aber insbesondere bei der Myositis nicht unnötig verzögern [7] [11] [12].


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Therapeutisches Management

Grundlegende Prinzipien bei der Behandlung rheumatischer irAEs, die nachfolgend ausführlicher erläutert werden, sind [7] [11] [12] [13] [29]:

  • Ein an Schweregrad und Organmanifestationen adaptiertes, patientenorientiertes irAE-Management mit dem vorrangigen Ziel der ICPi-Fortführung

  • Gemeinsame Entscheidungsfindung in enger Absprache mit behandelndem Onkologen und informierten Patienten insbesondere hinsichtlich ICPi-Pause/Abbruch

  • Defensive Therapiestrategie mit dem Ziel bestmöglicher Symptomkontrolle unter niedrigstmöglicher Immunsuppression

  • Therapie bevorzugt mit schnell wirksamen Substanzen (v. a. NSAR und/oder Glukokortikoide) und supportiven Maßnahmen

  • Mit Ausnahme schwerwiegender systemischer irAEs entgegen der Treat-to-Target Strategie zurückhaltender Einsatz von Glukokortikoiden >10 mg Prednisonäquivalent und cs/bDMARDs

Die ICPi-Therapie ist bei Patienten in fortgeschrittenen Tumorstadien oft die einzige noch wirksame und verbliebene Therapieoption. Ein Therapieabbruch ist daher in vielen Fällen mit einer Beendigung der Tumorbehandlung und Wechsel zu palliativen „Best supportive care“ Maßnahmen gleichzusetzen. Die Hauptaufgabe des Rheumatologen besteht daher darin, wann immer möglich die Fortführung der ICPi-Therapie zu ermöglichen. Entsprechend sollte die Entscheidung zur ICPi-Pause oder -Therapieabbruch aufgrund der weitreichenden Konsequenzen nie vom Rheumatologen im Alleingang getroffen werden. Eine intensive Zusammenarbeit mit dem behandelnden Onkologen und enge Absprache bei jeglichen Therapieentscheidungen wird prinzipiell empfohlen [7] [11] [13] [29].

Die immunmodulierende/-supprimierende Wirkung des rheumatologischen Therapiearsenals ist dem T-Zell-aktivierenden Wirkmechanismus der ICPi-Therapie entgegengesetzt. Der Einsatz immunsuppressiver Substanzen kann sich daher negativ auf das Tumoransprechen auswirken. Die Frage, für welche Medikamente unter welchen Voraussetzungen diese Hypothese zutrifft, ist Gegenstand intensiver Forschung [7] [11] [13]. Gegen eine aggressive Therapiestrategie spricht zudem, dass das Auftreten eines (rheumatischen) irAEs mit besseren Tumoransprech- und Überlebensraten assoziiert ist: dieser Vorteil sollte nicht durch die Therapie des irAEs gefährdet werden [7] [8] [9] [11] [12] [13] [20] [29].

Aus diesen Überlegungen heraus sollte der Rheumatologe bei leichten und moderaten muskuloskelettalen irAEs entgegen der gewohnten offensiven Treat-to-Target Strategie ein defensives Vorgehen wählen, das einen Kompromiss aus bestmöglicher Symptomkontrolle und niedrigstmöglicher Immunsuppression darstellt. Das vorrangige Ziel ist die Schmerzreduktion und weitgehende Wiederherstellung der Funktionalität im Alltag und nicht etwa die Remission [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [20] [24] [26] [29]. Naturgemäß unterscheidet sich die Definition dieses Ziels in Abhängigkeit von der individuellen Situation des jeweiligen Patienten. Das therapeutische Vorgehen sollte daher patientenorientiert in gemeinsamer Entscheidungsfindung mit dem Onkologen sowie dem über limitierte Datenlage und fehlende Langzeitbeobachtungsdaten (s.u.) informierten Patienten festgelegt werden.

Schwerwiegende systemische irAEs mit Myositis oder Organbeteiligung müssen hingegen aggressiv immunsuppressiv behandelt werden, da sie einen potenziell lebensgefährlichen Verlauf nehmen können [7] [12] [29].

[Abb. 3] fasst einen an den Schweregrad und Organbeteiligung adaptierten Therapiealgorithmus zur Behandlung rheumatischer irAEs zusammen [7] [11] [29] [30]. Bei schwerwiegenden irAEs ist eine sofortige ggf. stationäre Therapieeinleitung mit hochdosierten Glukokortikoiden und mindestens vorübergehender ICPi-Pause regelhaft erforderlich. Bei der Myositis wird bislang von der Notwendigkeit eines dauerhaften Abbruchs der ICPi-Therapie ausgegangen, allerdings sind Re-Expositionsversuche bereits bei 2 Patienten in anhaltender Remission der Myositis erfolgreich ohne ein irAE-Rezidiv verlaufen [7] [11] [12] [13] [31].

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Abb. 3 Schweregrad-adaptiertes Therapiestufenschema bei rheumatischen irAEs. Je nach klinischem Schweregrad und Ansprechen sollte die empfohlene initiale Therapiestufe im Verlauf bei Nicht-Ansprechen intensiviert bzw. bei Remission des irAE deeskaliert werden. * Add-on cs/bDMARDS: zur Glukokortikoideinsparung csDMARDS (v. a. MTX, SSZ, HCQ) oder bDMARDs (v. a. TNF-, IL6R-Inhibitoren) vor allem bei Therapieintensivierung erwägen, aufgrund des verzögerten Wirkeintritts derzeit nicht als erste Wahl in Monotherapie zu empfehlen. Supportivmaßnahmen: Nicht-NSAR Analgetika, Opioide, intraartikuläre Steroide (IACS) und/oder Heil- und Hilfsmittel auf jeder Stufe erwägen. Quelle: [29] [rerif].

Leicht- und mittelgradige irAEs sind hingegen meist gut im ambulanten Setting ohne ICPi-Unterbrechung behandelbar. Bei der Therapie stehen Glukokortikoide und/oder Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) aufgrund ihres raschen Wirkeintritts an erster Stelle. Im Gegensatz zu „klassischen“ entzündlich-rheumatischen Erkrankungen sprechen muskuloskelettale irAEs trotz ausgeprägter entzündlicher Manifestationen häufig bereits auf niedrigdosierte Glukokortikoidtherapie ≤10 mg Prednisonäquivalent sehr gut an. Sofern unter Beachtung der Komorbiditäten vertretbar, sollte einer vorübergehenden Kombination mit NSAR ggf. in Form magenverträglicherer Coxibe gegenüber einer höher dosierten Glukokortikoidtherapie Vorzug gegeben werden. Drei Viertel der irAE-Patienten waren im MalheuR-Projekt unter niedrigdosierter Glukokortikoidtherapie und/oder NSAR ausreichend symptomkontrolliert [7] [12] [13] [17] [29]. Supportive Maßnahmen wie Opioid- und Non-NSAR-Analgetika, intraartikuläre Steroidinjektionen (IACS), Physio-, Ergotherapie und Hilfsmittel sollten zur Einsparung der Immunsuppression ausgeschöpft werden.

Mit Ausnahme schwerwiegender systemischer irAEs sollten Glukokortikoidgaben >10 mg Prednisonäquivalent restriktiv verordnet werden. Ihr Einsatz vor ICPi-Einleitung korrelierte bei NSCLC-Patienten in einer Studie mit schlechterem Therapieansprechen. Unter der laufenden ICPi-Therapie kann ein negativer Effekt noch nicht endgültig ausgeschlossen werden, obgleich erste Daten diesbezüglich ermunternd sind [7] [11] [32] [33]. Onkologischerseits wird die ICPi-Therapie außerdem bei der Einleitung von >10 mg Prednisonäquivalent wegen möglicherweise reduzierter Wirksamkeit meist unterbrochen, wodurch das Risiko für einen Tumorprogress potenziell ansteigt.

Sollte dennoch eine höherdosierte Glukokortikoidtherapie unumgänglich sein, ist eine Reduktion auf ≤ 10 mg Prednisonäquivalent mittelfristig anzustreben, um die ICPi-Therapie fortsetzen zu können. Hier nimmt die steroidsparende systemische Basistherapie mit konventionellen (cs) oder biologischen (b) DMARDs einen zentralen Stellenwert ein, obgleich sie aktuell ansonsten zurückhaltend und nicht als erste Therapielinie bei rheumatischen irAEs einzusetzen sind. Gründe hierfür sind nicht nur der verzögerte Wirkeintritt, sondern auch die nicht auszuschließenden negativen Auswirkungen der DMARDs auf das Tumoransprechen unter ICPi-Therapie [7] [11] [12] [13] [29].

Erste Erfahrungen zu Methotrexat, Sulfasalazin, Hydroxychloroquin sowie bei Patienten mit Niereninsuffizienz auch zu Leflunomid liegen rheumatologischerseits vor, in der Onkologie werden bei irAEs zudem Mycophenolat oder Cyclosporin eingesetzt [7] [9] [10] [11] [12] [13] [18] [20] [24] [26]. Die Anwendung von Mycophenolat beschränkte sich bei rheumatischen irAEs bislang auf Sklerodermie-ähnliche irAEs und Myokarditis in wenigen Fallberichten [11]. Neben den üblichen Kontraindikationen ist bei NSCLC-Patienten zusätzlich zu beachten, dass wenn sie mit dem Folsäureantagonisten Pemetrexed behandelt werden, Methotrexat und Sulfasalazin aufgrund ähnlicher Metabolisierungswege wegen des Risikos verstärkter Myelosuppression nicht eingesetzt werden sollten [34].

Bei den bDMARDs liegen erste Erfahrungen bei rheumatischen irAEs vor allem für den TNF-Inhibitor Infliximab und den Interleukin-6-Inhibitor Tocilizumab vor, ersteres wird onkologischerseits regelmäßig bei der schweren Kolitis bis zur Remission des irAEs kurzzeitig ohne negative Auswirkungen auf das Tumoransprechen eingesetzt [7] [10] [11] [12] [13] [26] [35] [36] [37]. Zwar wird der Einsatz von TNF-Inhibitoren bei irAEs weiterhin kontrovers diskutiert, Daten aus einem Mausmodell wiesen jedoch auf einen potenziellen synergistischen Effekt mit ICPi hin, weswegen derzeit in einer Phase I Studie (NCT03293784) die simultane Anwendung beider Substanzen geprüft wird [11] [38]. Bei TNF-Inhibitoren wird seitens der Autoren bei rheumatischen irAEs aufgrund der kürzeren Halbwertszeit, ähnlicher Zulassungsdauer und größerer Praktikabilität im Patientenalltag meist Adalimumab gegenüber Infliximab der Vorzug gegeben, allerdings ist für dieses Vorgehen bislang keine Evidenz verfügbar.

Insgesamt erscheint es wahrscheinlich, dass mit zunehmender Erforschung und Verständnis der irAEs der Einsatz von cs/bDMARDs in der Zukunft weniger restriktiv gehandhabt wird.

Zu weiteren in der Rheumatologie zugelassenen Substanzen liegen bei irAEs nur sehr begrenzte Erfahrungen vor. Die Therapie mit Interleukin-17-Inhibitor Secukinumab war in einem Fall mit Arthralgien, Psoriasis und Colitis als irAE mit einem Tumorprogress assoziiert und wird seither zurückhaltend bei irAEs verwendet [11] [39]. Rituximab oder auch Cyclophosphamid wurden vereinzelt als Reservesubstanzen bei schwerer Vaskulitis oder Sjögren-ähnlichem irAE eingesetzt [11] [12]. Intravenöse Immunglobuline ggf. in Kombination mit Plasmapheresen und weiteren Immunsuppressiva wurden in ca. 20% der Myositisfälle mit unterschiedlichem Erfolg appliziert [11]. Die Anwendung von Abatacept als direkter Gegenspieler von Ipilimumab wird als Salvagetherapie in lebensgefährlichen irAEs diskutiert, da dies jedoch einen ICPi-Wirkverlust nach sich ziehen könnte, liegt bislang nur ein Fallbericht zu dessen erfolgreicher Anwendung bei einer therapierefraktären schweren Myokarditis vor [11] [40]. Azathioprin kann das Risiko für Hautmalignome und damit potenziell auch das Tumorprogressrisiko erhöhen, weswegen es zurückhaltend bei irAEs eingesetzt werden sollte. Da aufgrund der kurzen Zulassungsdauer bei JAK-Inhibitoren generell die Langzeitdaten zum Malignomrisiko fehlen, wird deren Anwendung von bei irAEs derzeit nicht empfohlen [7].


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Verlauf des irAE und der onkologischen Grunderkrankung

Verlaufsbeobachtungen von Patienten mit rheumatischen irAEs erfassen bislang nur einen begrenzten Zeitraum von ca. 3 Jahren. Eine wichtige Botschaft für betroffene Patienten ist, dass das Auftreten eines irAEs nicht nur rheumatischer Art, sondern auch an anderen Organsystemen mit besseren Tumoransprech- und Überlebensraten assoziiert ist. Diesbezüglich werden irAEs als ein Surrogatmarker der verstärkten T-Zellaktivierung auch Tumorzellen gegenüber interpretiert [7] [8] [9] [11] [12] [13] [20] [29] [41].

Aus der Erfahrung der Autoren können de novo irAEs zwar selbstlimitierend verlaufen, unbehandelt können sie aber wie „klassische“ entzündlich-rheumatische Erkrankungen auch eine Verschlechterungstendenz unter fortgesetzter ICPi-Therapie aufweisen. Bei frühzeitiger Intervention wird oft ein ausreichendes Ansprechen bereits auf NSAR und/oder niedrigdosierte Steroidtherapie beobachtet. Allerdings wird bei rheumatischen irAEs im Gegensatz zu irAEs an anderen Organsystemen mit regelhaft (hoch-)akuten Verläufen und Ausheilung nach immunsuppressiver Behandlung zunehmend ein chronischer Verlauf berichtet: etwa die Hälfte der irAE-Patienten mit einer de novo Arthritis wies diese auch ca. 9 Monate nach ICPi-Beendigung weiterhin auf [25].

Möglicherweise sind erosive Veränderungen in der Bildgebung prädiktiv für einen chronischen Verlauf, jedoch ist diese Hypothese bislang nicht untersucht [27]. Auch das Vorliegen eines differenzierten Immunlaborprofils wie spezifischen ENA oder anti-CCP-Antikörpernachweis könnten ein Hinweis auf eine „klassische“ entzündlich-rheumatische Erkrankung bzw. eine chronisch verlaufende Nebenwirkung sein [7] [8] [10] [11] [12] [13] [20] [24] [26]. Im MalheuR-Projekt sahen die Autoren eine Chronifizierung des irAEs vor allem dann, wenn das typische klinische Bild einer „klassischen“ entzündlich-rheumatischen Erkrankung oder weitere Risikofaktoren wie Psoriasis in der Anamnese vorlagen. Die Tendenz zu eher chronischen Verläufen v. a. der rheumatologischen irAEs wird in den nächsten Jahren Kapazitäten in der Rheumatologie beanspruchen und eine zunehmende Verordnungshäufigkeit von cs/bDMARD bei betroffenen Patienten nach sich ziehen [29].


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Klinisches Management einer vorbestehenden entzündlich-rheumatischen Erkrankung

Der Rheumatologe ist insbesondere bei Malignompatienten mit vorbestehenden entzündlich-rheumatischen Erkrankungen ein wichtiger Ansprechpartner des Onkologen. Mit der wachsenden Anzahl zugelassener Indikationen und Substanzen in der ICPi-Therapie werden Rheumatologen in den nächsten Jahren zunehmend mit dieser Problematik konfrontiert sein. Schübe der entzündlich-rheumatischen Grunderkrankung treten in etwa der Hälfte der Patienten als irAE unter ICPi-Therapie auf, ein signifikanter Anteil entwickelt auch irAEs an anderen Organsystemen. Etwa 15% der irAE-Patienten im MalheuR-Projekt hatten einen Schub der vorbestehenden Grunderkrankung, während der Rest rheumatische Symptome de novo entwickelte. Bei den meisten vorbelasteten Patienten können die irAEs therapeutisch ausreichend gut kontrolliert und die ICPi-Therapie fortgeführt werden [7] [11] [12] [13] [17] [19] [29] [42].

Entsprechend den o.g. Ausführungen sollte vor ICPi-Einleitung ggf. die laufende Basistherapie in Absprache mit dem Onkologen angepasst werden, allerdings liegen keine Untersuchungen dazu vor, ob eine Reduktion oder gar Unterbrechung der Basistherapie anzustreben ist. Insbesondere ist von der gängigen Praxis abzusehen, ab Bekanntwerden der Malignomdiagnose vermehrte entzündliche Krankheitsaktivität ausschließlich mit Glukokortikoidboli oder Dauertherapien > 10 mg Prednisonäquivalent zu therapieren, da hierunter das Ansprechen auf die ICPi-Therapie beeinträchtigt sein kann [7] [11] [29] [32]. Dies sollte auch bei Patienten bedacht werden, deren Malignomdiagnose zu den Hauptindikationen für ICPi-Therapie zählt, selbst wenn eine Therapieeinleitung zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht geplant ist.

Insgesamt stellt die vorbestehende entzündlich-rheumatische Erkrankung keine Kontraindikation gegen die ICPi-Therapie dar, allerdings sollte der Patient über das erhöhte Schubrisiko informiert und an der Entscheidungsfindung beteiligt sein [7, 11 12, 19, 29, 42]. Ob die vorbestehende Autoimmunopathie prognostisch für das Tumoransprechen auf die ICPi-Therapie eine Rolle spielt, ist bislang nicht untersucht. Bei klinisch unauffälligen Patienten sollten präformierte Autoantikörper vor ICPi-Einleitung nicht bestimmt werden, da deren Vorhersagekraft für das individuelle irAE-Risiko noch unklar ist [7] [11] [12] [13] [18] [29] [43].


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Zusammenfassung

  • Unter ICPi-Therapie treten rheumatische irAEs in 5–20% der Fälle auf, schwerwiegende Verläufe mit Myositis oder Organbeteiligung sind selten

  • Rheumatische irAEs geben meist ein atypisches oder inkomplettes Bild „klassischer“ Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises ab und chonifizieren häufig

  • Unspezifische humorale Entzündungszeichen sind häufig, spezifische Immunlaborauffälligkeiten hingegen selten. Zusätzliche bildgebende und/oder histologische Objektivierung rheumatischer irAEs sollte immer angestrebt werden.

  • Die irAE-Therapie sollte wann immer möglich die ICPi-Fortführung zum Ziel haben und in gemeinsamer Entscheidungsfindung mit dem Onkologen und Patienten festgelegt werden

  • Leichte bis moderate irAEs sollten defensiv und patientenorientiert bevorzugt mit NSAR und / oder ≤10 mg Prednisonäquivalent sowie supportiven Maßnahmen behandelt werden

  • Schwerwiegende irAEs erfordern sofortige aggressive immunsuppressive Therapie und ICPi-Pause/Abbruch, ansonsten sollten Glukokortikoide >10 mg Prednisonäquivalent und cs/bDMARDs entgegen der Treat-to-Target Strategie zurückhaltend eingesetzt werden

  • Das Auftreten rheumatischer irAEs ist mit besseren Tumoransprech- und Überlebensraten unter ICPi-Therapie assoziiert.

  • Schübe vorbestehende entzündlich-rheumatische Erkrankungen sind in etwa der Hälfte der Patienten unter ICPi-Therapie zu erwarten, stellen aber keine Kontraindikation dar.


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Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass keine unmittelbaren Interessenkonflikte bestehen.K. Benesova: A. Finanzielle Interessen: Referentin bei Workshops zu irAEs: MSD, Abbvie, BMS. Beratungs-, Referentenhonorare und Reiseunterstützung (ohne Einfluss auf die eingereichte Arbeit): Abbvie, BMS, Janssen, Medac, MSD, Mundipharma, Novartis, Pfizer, Roche, UCB – B. Nichtfinanzielle Interessen: Funktionsoberärztin und angestellte Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie der Innere Medizin V, Uniklinik Heidelberg, Heidelberg | Mitgliedschaft: DGRh. J. Leipe: A. Finanzielle Interessen: Forschungsförderung zur persönlichen Verfügung: Bedingungslose Zuschüsse von Pfizer und Novartis. – Beratungs- und Referentenhonorar (ohne Einfluss auf die eingereichte Arbeit): Abbvie, Astra Zeneca, BMS, Celgene, Hospira, Janssen-Cilag, Gilead, LEO Pharma, Lilly, MSD, Novartis, Pfizer, Roche, Sanofi, UCB . – B. Nichtfinanzielle Interessen: Sektionsleiter Rheumatologie, V. Med. Klinik, Universitätsklinikum Mannheim | Mitgliedschaft: DGRh, DGfI.


Korrespondenzadresse

Dr. Karolina Benesova
Sektion Rheumatologie
Innere Medizin V
Im Neuenheimer Feld 410
69120 Heidelberg
Deutschland   
Phone: 06221-5638059   
Fax: 06221-565256   

Publication History

Article published online:
06 October 2020

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Abb. 1 Vergleich der häufigsten rheumatischen irAEs mit phänotypisch ähnlichen „klassischen“ entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, deren Klassifikationskriterien jedoch in der Regel bei irAEs nicht erfüllt sind (in Anlehnung an [7] [11] [12] [29] [30] [44]). ACE=Angiotensin-konvertierendes Enzym, ACPA=Antikörper gegen citrullinierte Peptide, ANA=Antinukleäre Antikörper, ANCA=Anti-Neutrophile cytoplasmatische Antikörper, BKS=Blutkörperchensenkung, CK=Creatinkinase, CRP=C-reaktives Protein, ENA=Antikörper gegen extrahierbare nukleäre Antigene, PMR=Polymyalgia rheumatica, PsA=Psoriasisarthritis, RA=Rheumatoide Arthritis, RF=Rheumafaktor, sIL-2R=löslicher Interleukin-2 Rezeptor.
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Abb. 2 Patient aus dem MalheuR-Register mit nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom (NSCLC). Wenige Monate vor der Tumordiagnose traten erstmals Trommelschlegelfinger und symmetrische, distal betonte Knochen- und Gelenkschmerzen auf, die klinisch als charakteristisches paraneoplastisches Syndrom (Pierre-Marie-Bamberger-Syndrom) beim NSCLC gewertet wurden. Unter ICPi-Therapie kamen neu schmerzhafte massive Schwellungen der distalen Unterarme bis in die Hände bzw. Unterschenkel und Füße mit deutlichen Funktionseinschränkungen als irAE hinzu. a+b Objektivierung entzündlicher Veränderungen durch Gelenksonografie. a dorso-medialer Längsschnitt Handgelenk rechts: Ausgeprägte Tenosynovialitis (↓) der Extensorsehnen (*) mit Begleitsynovialitis carpal (°). b ventraler Transversalschnitt Schulter rechts: Deutliche Bicepssehnentendinitis (* Sehne) mit peritendinösem Exsudat (↓) und Begleitbursitis. c Im Röntgen der Hände zeigt sich neben deutlicher Weichteilschwellung eine typische Periostverdickung (↓) auch an den langen Röhrenknochen als Korrelat zum klinisch vermuteten paraneoplastischen Pierre-Marie-Bamberger-Syndrom.
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Abb. 3 Schweregrad-adaptiertes Therapiestufenschema bei rheumatischen irAEs. Je nach klinischem Schweregrad und Ansprechen sollte die empfohlene initiale Therapiestufe im Verlauf bei Nicht-Ansprechen intensiviert bzw. bei Remission des irAE deeskaliert werden. * Add-on cs/bDMARDS: zur Glukokortikoideinsparung csDMARDS (v. a. MTX, SSZ, HCQ) oder bDMARDs (v. a. TNF-, IL6R-Inhibitoren) vor allem bei Therapieintensivierung erwägen, aufgrund des verzögerten Wirkeintritts derzeit nicht als erste Wahl in Monotherapie zu empfehlen. Supportivmaßnahmen: Nicht-NSAR Analgetika, Opioide, intraartikuläre Steroide (IACS) und/oder Heil- und Hilfsmittel auf jeder Stufe erwägen. Quelle: [29] [rerif].