Z Sex Forsch 2020; 33(03): 164-168
DOI: 10.1055/a-1219-2329
Debatte

100 Jahre – Von Magnus Hirschfeld zur S3-Leitlinie und darüber hinaus: Körperorientierte Behandlungsverfahren als eine Option der Zukunft?

100 Years – From Magnus Hirschfeld to the S3-Guideline and beyond: Body-Oriented Treatment Methods as an Option for the Future?
Annette Güldenring
1   Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie und Psychosomatik, Westküstenklinikum Heide
,
K. Stern
2   Heilpraktiker_in für (Körper)Psychotherapie in freier Praxis, Hamburg
› Author Affiliations

Zusammenfassung

In diesem Beitrag werden zentrale Inhalte der 2018 veröffentlichten S3-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit“, die sich dem Wissen vonMagnus Hirschfeld vor 100 Jahren wieder annähert, vorgestellt und diskutiert. Der zweite Teil widmet sich körper- und emotionsfokussierten Verfahren in der Versorgung von geschlechtlich nonkonformen Menschen, die bislang nur randständig im therapeutisch-pädagogischen und beraterischen Bereich angewandt werden. Es wird dafür plädiert, körper- und emotionsfokussierte Verfahren in die Regelversorgung zu integrieren; insbesondere – wie in den AWMF-Kriterien vorgeschrieben – mit Blick auf die bevorstehende Überarbeitung der S3-Leitlinie nach fünf Jahren in 2023. Dieser Zeitpunkt gibt auch die Chance, die in der aktuellen Leitlinie verwendete Sprache weiter zu ent-gendern, um mit einer geschlechtsinklusiven Nomenklatur nicht-binärem Geschlechtererleben gerecht zu werden.

Abstract

This article presents and discusses the S3-Guideline “Gender Incongruence, Gender Dysphoria and Trans Health” published in 2018, which draws closer again to the standard of knowledge of Hirschfeld 100 years ago. The second part is devoted to approaches focusing on body and emotion in the care of gender-non-conforming people, which have so far only been applied marginally in the therapeutic, educational and counselling field. It is argued that the possibilities of body and emotion-focused procedures should be integrated into standard care. Especially – as prescribed in the AWMF criteria – in view of the upcoming revision of the S3 guideline after five years in 2023. This point in time also provides the opportunity to further degender the language used in the current guideline in order to move away from dichotomous norms governing physicality and towards truly including non-binary gender experience.



Publication History

Article published online:
16 September 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York

 
  • Literatur

  • [DGfS] Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung. Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: S3-Leitlinie zur Diagnostik, Beratung und Behandlung. Version 1.1 (22.02.2019). Berlin: AWMF; 2018. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/138–001.html
  • Güldenring A. Zur Psychodiagnostik von Geschlechtsidentität im Rahmen des Transsexuellengesetzes. Z Sexualforsch 2013; 26: 160-174
  • Güldenring A. Eine andere Sicht über Trans*. In: Rauchfleisch U. Transsexualität-Transidentität. Begutachtung, Begleitung, Therapie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht; 2016: 130-178
  • Güldenring A, Sauer A. Trans*…inklusiv? Geschlechstidentitäten in Recht, Medizin und Gesellschaft. In: Diehl E. Teilhabe für alle?!. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung; 2017: 231-257
  • Güldenring A, Trotsenburg M, Flütsch N. Queering Medicine – Dringlichkeit einer bedürfnisorientierten und evidenzbasierten Transgendergesundheitsversorgung. J Klin Endokrinol Stoffwechs 2019; 12: 84-94
  • Garcia Nuňez D, Nieder TO. Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie: Konzepte und Behandlungsempfehlungen für Trans* Menschen. Gynakol Endokrinol 2017; 15: 5-13
  • Hahne A, Stern K. Poster Trans*Körper*Wahrnehmung vor/nach deiner Mastektomie und Begleitheft Trans*Körper*Wahrnehmung – Ressourcen rund um die Mastektomie. Hamburg: Eigenverlag; 2017
  • Hamm J, Stern K. Einblicke in die Trans*Beratung – Praxis, Haltung, Reflexion. In: Naß A, Rentzsch S, Rödenbeck J. et al. Empowerment und Selbstwirksamkeit von trans* und intergeschlechtlichen Menschen. Geschlechtliche Vielfalt (er)leben. Band II. Gießen: Psychosozial; 2019: 15-32
  • Herzer M. Magnus Hirschfeld und seine Zeit. Oldenbourg: De Gruyter; 2017
  • Köhler A, Stern K, Eyssel J. et al. Zur Zweigeschlechtlichkeit und darüber hinaus: Identitäten, Körper und Behandlungsanliegen im Kontext von trans Personen. PTT – Persönlichkeitsstörungen 2019; 23: 101-113
  • Löwenberg H. Non-Binarität – Behandlung aus psychotherapeutischer Perspektive: Ein Kommentar zur neuen S3-Leitlinie. Z Sexualforsch 2020; 33: 95-99
  • [MDS] Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen. Grundlagen der Begutachtung. Begutachtungsanleitung. Geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Transsexualität. Essen: MDS; 2009
  • Nieder TO, Güldenring A. Psychotherapie und Trans*-Gesundheit: Der therapeutische Effekt der Entpsychopathologisierung. Verhaltenstherapie & Verhaltensmedizin 2017; 1: 8-25
  • Nieder TO, Güldenring A, Woellert K. et al. Spezifisch gleich behandeln: Zur Ethik einer Psychotherapie mit lesbischen, schwulen, bi-/pansexuellen und trans Menschen. In: Steger F, Brunner J. Hrsg. Ethik in der psychotherapeutischen Praxis. Stuttgart: Kohlhammer; 2019: 136-156
  • Pfäfflin F. Skalpell oder Couch. Der Spiegel 11.02.1980.
  • Ponseti J, Stirn A. Wie viele Geschlechter gibt es und kann man sie wechseln?. Z Sexualforsch 2019; 32: 131-147
  • Rauchfleisch U. „Trans*Menschen“, Psychoanalyse und Psychotherapie. Forum Psychoanal 2017; 33: 431-445
  • Sauer A, Güldenring A. Die Gesundheitsversorgung für Trans* -Männlichkeiten: Stand, Bedarfe, Empfehlungen. In: Stiftung Männergesundheit. Hrsg. Sexualität von Männern. Dritter deutscher Männergesundheitsbericht. Gießen: Psychosozial; 2017: 239-252
  • Stern K, Hahne A. Trans*Körper*Wahrnehmung. Körperpraktische Methoden als Ergänzung zu Gesprächstherapie und trans Beratung. In: Appenroth M, do Mar Castro Varela M. Hrsg. Trans & Care. Trans Personen zwischen Selbstfürsorge, Fürsorge und Versorgung. Bielefeld: transcript; 2019: 241-254
  • Stern K, Hahne A. Mein Körper und Stress – 14 Übungen für mehr Wohlbefinden. In: rubicon e. V.. Hrsg. Kleine Hausapotheke für den cis-normativen Alltag. Köln: Eigenverlag; im Druck