Schlüsselwörter
Parkinson-Syndrom - Morbus Parkinson - Allgemeinmedizin - Neurodegenerative Erkrankung
- Dopaminmangel
Frühsymptomatik
Frühsymptomatik
Eine 68-jährige Patientin, die schon lange bei Ihnen in Betreuung wegen Hypertonie
steht, konsultiert Sie in Ihrer Praxis. Heute wolle sie einmal über etwas ganz anderes
mit Ihnen reden. Sie ist Schriftführerin in einem Verein, in letzter Zeit falle ihr
das Schreiben aber immer schwerer, was sie sehr belaste. Sie sei nicht mehr so schnell
wie davor. Außerdem sei sie in letzter Zeit ungeschickter als früher, ein paar Mal
sei sie gestolpert und gestürzt.
Wie viele andere Patienten und Patientinnen in der allgemeinmedizinischen Praxis weisen
jene mit Morbus Parkinson oder anderen akinetisch-rigiden Syndromen im Frühstadium
oft unspezifische und vielfältige Symptome auf. Da die Veränderungen meist allmählich
erfolgen, entgehen diese der Aufmerksamkeit bei Routinekonsultationen. Oft sind es
Partner oder Partnerin, die mitkommen und die Veränderungen thematisieren, da die
Betroffenen zu wenig Selbstwahrnehmung haben. Möglichst früh die richtige Diagnose
zu stellen gestaltet sich daher oft als schwierig, erfordert eine aufmerksame Anamnese-Erhebung,
eine sorgfältige klinische Untersuchung sowie die frühe Zusammenarbeit mit Fachärzten/-innen
für Neurologie.
Prävalenz, Ätiologie, Pathogenese, Mortalität
Parkinson-Syndrome stellen nach Demenz die häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen
in der allgemeinmedizinischen Praxis dar. Die Prävalenz beträgt 0,15 %, steigt jedoch
mit zunehmendem Alter an: bei den > 60-Jährigen auf 1 % und bei den > 80-Jährigen
auf 3 % [1]. Männer sind i. d. R. in gleicher Häufigkeit betroffen wie Frauen.
Die häufigste Form ist das idiopathische Parkinson-Syndrom, die Ätiologie der Erkrankung
also unklar. In 5 – 15 % werden hereditäre Parkinson-Erkrankungen beobachtet. Vor
allem bei Patienten/-innen mit einer Krankheitsmanifestation vor dem 45. Lebensjahr
sowie mindestens zwei Verwandten 1. Grades mit ähnlicher Symptomatik sollte daran
gedacht werden. Weiterhin werden atypische und sekundäre Parkinson-Syndrome unterschieden
(siehe hierzu auch [Tab. 1]).
Tab. 1
Wichtige Differenzialdiagnosen zum idiopathischen Morbus Parkinson. (Daten aus [1])
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Ursache des Parkinsonismus
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Beispiele
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Sekundäre Parkinson-Syndrome
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Arteriosklerotischer (oder „vaskulärer“) Parkinsonismus
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Medikamentös bedingter Parkinsonismus
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Infektiös bedingter Parkinsonismus
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Normaldruckhydrozephalus
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Toxischer Parkinsonismus
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CO-Vergiftung
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Mangan-Vergiftung
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MPTP (1-Methyl-4-phenyl-1,2,3,6-tetrahydropyridin, entsteht als Nebenprodukt bei der
Herstellung der Designerdroge MPTP)
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Cyanid
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Methanol
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Trauma
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Metabolisch
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Hypo- und Pseudohypoparathyreoidismus mit Basalganglienverkalkungen
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idiopathische Basalganglienverkalkungen, Morbus Fahr
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Weitere Ursachen
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Tumor
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Polycythaemia vera
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Akanthozytose
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Hemiparkinson-Hemiatrophie-Syndrom, Fragiles-X-Tremor-Ataxie-Syndrom (FXTAS)
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Westphal-Variante der Chorea Huntington
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Prionenerkrankungen
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Atypische Parkinson-Syndrome
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Neurodegenerative Erkrankungen
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progressive supranukleäre Lähmung
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Multi-System-Atrophien (MSA)
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kortikobasale Degeneration
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Lewy-Körper-Krankheit
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frontotemporale Demenz
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Morbus Alzheimer mit Parkinson-Symptomen
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Hereditäre Krankheiten, bei denen Parkinson-Symptome im Vordergrund stehen können
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Pathogenetisch kommt es zu einer Degeneration dopaminerger Neurone in der Substantia
nigra und damit zu einem Dopaminmangel im Striatum. Auch Locus coeruleus, Nucleus
basalis, Hypothalamus, cerebraler Kortex, kraniale Motoneuronen sowie zentrale und
periphere Anteile des autonomen Nervensystems können von den Veränderungen betroffen
sein. Abhängig von den betroffenen Regionen manifestieren sich entsprechende Symptome.
In den meisten Fällen sind in den degenerierten Neuronen intrazytoplasmatische neuronale
Einschlüsse, sogenannte Lewy-Körperchen zu finden, in denen zahlreiche Proteine angehäuft
sind, unter anderem Synuclein und Ubiquitin [2].
Als degenerative Erkrankungen werden Krankheitsgeschehen definiert, bei denen Gewebestrukturen
und Organe in ihrer Struktur oder Funktion nachhaltig beeinflusst oder geschädigt
werden. Die Symptome kommen schleichend und sind gerade in der Frühphase sehr unterschiedlich.
Die Lebenserwartung hat sich seit Einführung der modernen Morbus Parkinson-Behandlung
wesentlich gebessert. Die Studien zur Mortalität ergeben aber sehr unterschiedliche
Ergebnisse, vermutlich abhängig von der Genauigkeit der diagnostischen Zuordnung.
Nach einer Studie der Universität Innsbruck mit einer Beobachtungszeit über 20 Jahre
zeigte sich bis nach 10 Jahre bestehender Krankheitsdauer kein signifikanter Unterschied
der Lebenserwartung, aber ein mäßiger Anstieg der Mortalität im weiteren Krankheitsverlauf
[3]. Ein erhöhtes Risiko findet sich durch die allgemeine Einschränkung der körperlichen
Aktivität, Sturzneigung, Folgen von Atemwegsinfektionen oder Aspiration wegen einer
Schluckstörung.
Erstvorstellung in der allgemeinmedizinischen Praxis
Viele Frühsymptome, die zum Teil sehr unspezifisch sind, werden von den Betroffenen
mit dem natürlichen Alterungsprozess in Zusammenhang gebracht ([Tab. 2]). Dazu zählen Unruhe, Schlafstörungen, Müdigkeit, depressive Verstimmungen, plötzliche
Schweißausbrüche, Darmträgheit. Eine Beeinträchtigung des Geruchssinns tritt häufig
Jahre vor den motorischen Zeichen auf. Brennende, ziehende oder kribbelnde Schmerzen
in Schultern und Armen oder anderen Teilen des Bewegungsapparats können ein Frühsymptom
sein, ähneln Beschwerden aus dem orthopädisch-rheumatischen Formenkreis und werden
zuerst meist nicht mit einer Parkinson-Krankheit in Verbindung gebracht. Allerdings
fallen orthopädisch-degenerative Erkrankungen und Osteoporose altersbedingt oft mit
den ersten Parkinson-Frühsymptomen zusammen.
Tab. 2
Häufige Symptome bei Morbus Parkinson.
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Frühstadium: unspezifisch
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im späteren Verlauf
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Erst mit dem Fortschreiten der Erkrankung werden die typischen Bewegungsstörungen
deutlich. Kennzeichnend ist die Bradykinese. Sie wird beschrieben als Verlangsamung
bei der Initiierung und Durchführung willkürlicher Bewegungen bzw. als zunehmende
Verlangsamung oder als Abnahme der Amplitude bei repetitiven Bewegungen. An die Diagnose
Morbus Parkinson sollte gedacht werden, sobald diese Bewegungsabnahme oder -armut
gemeinsam mit mindestens einem der Leitsymptome Ruhetremor, Rigor und/oder Standunsicherheit
im Sinne einer posturalen Instabilität (Störung der aufrechten Körperhaltung) vorliegt.
In der allgemeinmedizinischen Praxis werden die Patienten/-innen oft vordergründig
mit motorischen Symptomen wie Ungeschicklichkeit, Steifheit der Muskulatur oder Zittern
vorstellig.
Zudem werden folgende Symptome von den Betroffenen/Angehörigen angegeben:
-
Störungen der Feinmotorik,
-
Schwierigkeiten beim Schreiben bzw. Veränderung der Schrift (kleiner, unleserlicher;
Mikrografie),
-
Schwierigkeiten beim Zuknöpfen von Hemd oder Hose,
-
Schwäche der Stimme und
-
häufig eine ungewöhnlich rasche Alterung.
In späteren Stadien treten oft Schluckstörungen in den Vordergrund der Beratung.
Häufig werden zunächst ausschließlich oder hauptsächlich einseitige Beschwerden im
Bewegungsapparat beschrieben, die sich allmählich auf beide Seiten ausdehnen. Differenzialdiagnostisch
zum idiopathischen Morbus Parkinson ist ein arzneimittelinduziertes Parkinson-Syndrom
immer von Anfang an beidseitig. Auf Nachfrage sind zum Zeitpunkt der Erstvorstellung
wegen motorischer Symptome oft die in der [Tab. 3] genannten nichtmotorischen Symptome bereits seit längerem vorhanden.
Tab. 3
Nichtmotorische Symptome des Morbus Parkinson.
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Störung der autonomen Funktionen
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Kognitive Symptome
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Emotionale/psychiatrische Symptome
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-
Hyperhidrose
-
Hypersalivation
-
Seborrhoe
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Obstipation
-
vermehrter Harndrang oder Blasenentleerungsstörung
-
Kälteintoleranz
-
Kreislaufdysregulation
-
erektile Dysfunktion
-
REM-Schlaffunktionsstörungen
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Insomnie
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Tagesschläfrigkeit, Schlafattacken
-
Parästhesien, Schmerzen
-
Hyposmie, Anosmie
|
-
verlangsamtes Denken (Bradyphrenie)
-
Perseveration, krankhaftes Beharren
-
gestörte Handlungsplanung und -ausführung
-
Gedächtnisstörung
|
-
Depression
-
Apathie
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Angst
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Halluzinationen, Illusionen
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psychotische Symptomatik
-
gestörte Impulskontrolle
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Sexualfunktionsstörungen (Libidosteigerung, Libidoverlust)
|
Unspezifische Symptome wie Schlafstörungen, Obstipation oder Geruchsstörungen können
als Anzeichen der fortschreitenden Hirnerkrankung schon Jahre vor den motorischen
Hauptsymptomen auftreten.
Diagnose
Die Bradykinese kann alle Körperabschnitte betreffen. Blickdiagnostisch stechen Haltung
und Gang von Parkinsonerkrankten ins Auge. Die Muskelsteifigkeit manifestiert sich
meist als erstes im Bereich des Nackens, der Schultern oder der Oberarme. Daraus resultieren
einerseits Schmerzen, andererseits eine nach vorn gebeugte Haltung sowie eine prominente
Schulter-Nacken-Partie („Stiernacken“). Beim Gang fehlt als Frühsymptom häufig das
Mitschwingen der Arme, ein- oder beidseitig. Mit Fortschreiten der Erkrankung wird
er kleinschrittig, schlurfend, unsicher. Häufig kann eine Starthemmung beobachtet
werden. Zusätzlich fällt oft sehr früh eine abnehmende Mimik auf, die bis zur Amimie
bzw. zum Maskengesicht führen kann. Die Lidschlagfolge verringert sich, häufig bleibt
der Mund halboffen stehen.
Klinische Untersuchung
Nach der Inspektion von Mimik, Haltung und Gangverhalten erfolgt die Prüfung der Leitsymptome
des Morbus Parkinson (siehe dazu auch die Infobox 1).
Kriterien für die Diagnosestellung (Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, DGN)
-
Feststellung der Akinesie/Bradykinese mit mindestens einem der folgenden Leitsymptome:
-
muskulärer Rigor
-
Ruhetremor
-
posturale Instabilität
-
Prüfung des Vorhandenseins unterstützender Diagnosekriterien:
-
einseitiger Beginn und persistierende Asymmetrie im Krankheitsverlauf
-
klassischer Ruhetremor
-
eindeutig positives Ansprechen auf L-Dopa
-
anhaltende L-Dopa-Ansprechbarkeit über mehr als 5 Jahre
-
Auftreten von L-Dopa-induzierten choreatischen Dyskinesien
-
langsame klinische Progression mit Krankheitsverlauf über mehr als 10 Jahre
-
Fehlen von Ausschlusskriterien für die klinische Diagnosestellung einer Parkinson
Erkrankung
Laboruntersuchung
Zum Ausschluss anderer Ursachen der Symptome bzw. sekundärer Parkinson-Syndrome sind
folgende Laborparameter aufschlussreich:
-
Hämoglobin
-
Leukozyten
-
BSG
-
Schilddrüsenwerte (TSH)
-
Leberwerte (GGT, AP, GOT, GPT)
-
Glukose
-
Kreatinin
-
Bei Erkrankten < 50 Jahren: Serumkupfer und Coeruloplasmin (Ferroxidase I) zum Ausschluss
eines Morbus Wilson
Neurologische Abklärung und Bildgebung
Bei hausärztlicher Verdachtsdiagnose sollte der Patient zur Sicherung der Diagnose
sowie zum Ausschluss anderer Differenzialdiagnosen an eine Fachpraxis für Neurologie
überwiesen werden. Folgende bildgebende Maßnahmen sind möglich:
-
CT/MRT
Zum Ausschluss sekundärer Ursachen des Parkinson-Syndroms (z. B. vaskuläres Parkinson-Syndrom)
sollte eine zerebrale Bildgebung – CT oder MRT – erfolgen.
-
Transkranielle Sonografie
Zur Frühdiagnostik des Parkinson-Syndroms sowie zur Unterscheidung zwischen idiopathischem,
atypischem und sekundärem Parkinson-Syndrom kann eine transkranielle Sonografie der
Regio Substantia nigra mit nachweisbarer Hyperechogenität dienen. Da die Untersuchung
jedoch viel Erfahrung verlangt, sollte sie mit anderen Bildgebungen verbunden werden.
-
DAT-SPECT
Zur Unterscheidung zwischen idiopathischem Parkinson-Syndrom und essenziellem Tremor
bei unklarer Symptomatik kann die Messung präsynaptischer Dopamin-Transporter mittels
SPECT (DAT-SPECT) helfen. Eine reduzierte Verfügbarkeit der Transporter zeigt eine
nigrostriatale Degeneration an. Bei rein arzneimittelinduziertem Parkinson-Syndrom
ist diese Untersuchung unauffällig, bei vaskulärem Parkinson-Syndrom kann sie unauffällig
sein.
-
FDG-PET
Zur Abgrenzung atypischer neurodegenerativer Parkinson-Syndrome kann der Einsatz von
Fluordesoxyglucose Positronen-Emissions-Tomografie (FDG-PET) indiziert werden. Diese
Untersuchung bildet den regionalen zerebralen Glukosestoffwechsel ab, der eng an die
neuronale Aktivität gekoppelt ist. Differenzialdiagnostisch lassen sich damit potenziell
krankheitsspezifische Befundmuster für die jeweiligen neurodegenerativen Parkinson-Syndrome
erkennen.
Eine frühe genaue und spezifische Abklärung kann rasch zur richtigen Therapie führen
und den Betroffenen und Angehörigen viel Zeit der Unsicherheit und eingeschränkten
Lebensqualität ersparen.
Medikamentös induzierte Parkinson-Symptomatik
Medikamentös induzierte Parkinson-Symptomatik
Medikamentös induzierte Parkinson-Symptomatik
Eine 75-jährige Patientin kommt mit ihrer Tochter in die Ordination. Seit Jahren leide
die Mutter unter Depressionen und Ängsten, sie stehe unter laufender Neuroleptikatherapie.
In den letzten Monaten verschlechtere sich der Zustand zunehmend. Sie leide unter
einer zunehmenden Gang- und Bewegungsstörung, verliere ihre Mimik, werde zunehmend
hilfsbedürftiger. Außerdem falle ein vermehrtes Zittern auf, wechselnd im Bereich
der Arme, des Kopfes, zwischendurch sei der ganze Körper betroffen. Im Rahmen eines
stationären Aufenthaltes auf einer psychiatrischen Abteilung sei ein dopaminerges
Medikament verordnet worden, seither habe sich keine Besserung gezeigt. Die Tochter
nehme weiterhin eine Verschlechterung wahr.
Diagnostische Überlegungen
Ausschlusskriterien
Ausschlusskriterien für die klinische Diagnose eines Morbus Parkinson sind:
-
Behandlung mit Neuroleptika oder Exposition gegenüber anderen Morbus Parkinson auslösenden
Medikamenten oder Toxinen in zeitlichem Zusammenhang mit Erstmanifestation der Parkinson-Symptome
-
Nachweis struktureller Basalganglienveränderungen, frontaler Tumoren oder Hydrocephalus
communicans in der zerebralen Bildgebung
-
wiederholte zerebrale ischämische Insulte, die mit einer stufenweisen Verschlechterung
der Parkinson-Symptomatik assoziiert waren
-
rezidivierende Schädel-Hirn-Traumen in der Vorgeschichte
-
diagnostisch gesicherte Enzephalitis in der Vorgeschichte
-
Remissionen über längere Perioden (DGN Leitlinie)
Warnsymptome
Warnsymptome, die auf ein atypisches Parkinson-Syndrom bzw. andere Symptomursachen
hinweisen können, sind:
-
Nicht-Ansprechen auf hohe Dosen von L-DOPA ( > 1000 mg/d)
-
frühzeitige, im Verlauf auftretende schwere Störungen des autonomen Nervensystems
(orthostatische Hypotension, Synkopen, Harninkontinenz, Impotenz…)
-
frühe häufige Stürze, insbesondere nach hinten
-
innerhalb des ersten Jahres auftretende Demenz
-
innerhalb des ersten Jahres auftretende Halluzinationen
-
stark fluktuierende Vigilanz und Müdigkeit
-
Somnolenzphasen
-
ausgeprägte Dysarthrie
-
ausgeprägte Dysphagie
-
ausgeprägter Antekollis
-
zerebelläre Zeichen
-
positiver Babinski-Reflex
-
Apraxie und/oder Aphasie
-
supranukleäre vertikale Blickparese (DGN Leitlinie)
Relevante Substanzen
Nach der populationsbasierten „Bruneck-Studie“ in einer Population > 50 Jahre sind
ca. 20 % der diagnostizierten Parkinson-Syndrome auf eine medikamentöse Nebenwirkung
zurückzuführen [4]. Meist lassen sich die Symptome erklären durch Medikamente mit antagonistischen
Eigenschaften an striatalen Dopamin-D2-Rezeptoren. Die wichtigsten Vertreter sind
klassische Neuroleptika, atypische Neuroleptika, dopaminantagonistische Antiemetika
und Kalziumantagonisten ([Tab. 4]).
Tab. 4
Medikamente und Wirkstoffgruppen, die Auslöser für ein medikamentös induziertes Parkinson-Syndrom
sein können [5].
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Häufige Auslöser
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Seltene Auslöser
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-
typische Neuroleptika: Phenothiazine, Butyrophenone, Diphenylbutylpiperidine, Benzamide
-
atypische Neuroleptika: Risperidon, Olanzapin, Aripiprazol
-
Dopamin-Entspeicherer: Tetrabenazin
-
Antiemetika: Metoclopramid
-
Kalziumantagonisten: Verapamil, Flunarazin
|
-
atypische Neuroleptika: Clozapin, Quetiapin
-
Stimmungsstabilisierer: Lithium
-
Antidepressiva: SSRI
-
Antiepileptika: Valproinsäure, Phenytoin
|
Die Dauer der Neuroleptika-Einnahme scheint für das Risiko des Auftretens und die
Schwere des medikamentös induzierten Parkinson-Syndroms keine Rolle zu spielen [6]. Nach Absetzen des ursächlichen Medikaments ist das medikamentös induzierte Parkinson-Syndrom
reversibel, die Symptome können aber Wochen bis Monate anhalten.
Klinische Diagnosekriterien
Die klinischen Diagnosekriterien sind Parkinson-Symptome, die anamnestisch erst nach
Beginn der Einnahme des verdächtigen Medikaments auftraten.
-
Hinweisend ist ein bilateraler Beginn mit im Vordergrund stehender allgemeiner Bradykinese
und Rigor, die posturale Stabilität ist häufig erhalten.
-
Bei den meisten Erkrankten besteht nur eine leichte oder gar keine Gangstörung.
-
Ein klassischer Ruhetremor kann vorkommen, persistiert dann aber auch häufig als Aktionstremor.
-
Viele Betroffene weisen assoziierte Bewegungsstörungen auf, wie unkontrollierte Bewegungen
oder auffallende motorische Unruhe.
Die Klinik alleine lässt hier jedoch meist keine sichere Unterscheidung von einem
idiopathischen Parkinson-Syndrom zu. In diesem Fall sollte ein Dopamintransporter-SPECT
durchgeführt werden, welches beim medikamentös induzierten Parkinson normal ist – es
sei denn, es liegt eine Überschneidung mit dem idiopathischen Parkinson-Syndrom vor,
was bei älteren Erkrankten durchaus vorkommt.
Bei Nicht-Ansprechen der motorischen Symptome auf dopaminerge Medikamente in ausreichender
Dosis muss die Erkrankungsätiologie überdacht werden.
Angst bei früher Parkinson-Symptomatik
Angst bei früher Parkinson-Symptomatik
Angst bei früher Parkinson-Symptomatik
Ein 63-jähriger Patient wird in Ihrer Praxis vorstellig und berichtet von einem stattgehabten
Kollaps während einer Reise. Er beschreibt, im Rahmen dieses Vorfalls große Angst
verspürt und am ganzen Körper gezittert zu haben. Er habe dies nicht regulieren können.
Nach 15 Minuten ruhigem Liegen sei die Symptomatik besser geworden. Seither falle
ihm jedoch ein immer wieder kehrendes Zittern seiner linken Hand auf, was ihn sehr
störe. Auf Nachfrage trete das Zittern eher auf, wenn die Hand nichts zu tun habe,
Golfspielen funktioniere beispielsweise tadellos.
Der Patient zeigt Ihnen seine zitternde Hand, kann den Tremor aber mit Konzentration
selbst abstellen. Sie untersuchen den Patienten, stellen keinen Rigor fest, die Mimik
ist unauffällig. Beim Gehtest fällt Ihnen jedoch auf, dass der linke Arm weniger mitschwingt
als der rechte. Der Patient scheint einen ausgeprägten Nackenhartspann zu haben, sein
Kopf ist nach vorne geneigt. Schmerzen habe er keine, aber es falle ihm auf, dass
seine Haltung schlechter werde. Auf die Frage, was er denn selbst glaube, was ihm
fehle, antwortet der Patient: „Ich habe Angst, dass ich Parkinson bekomme. Mein Vater
hatte das, es war schrecklich“.
Psychische Komorbiditäten
Depression, Angst
Rund 40 % aller Parkinson-Erkrankten leiden an Depression, und ebenso viele der Betroffenen
entwickeln im Laufe der Erkrankung eine Demenz [7]
[8]. In der Literatur meist untergeordnet, jedoch in ähnlich hoher Prävalenz treten
Angstsymptome sowie Angststörungen auf, insbesondere generalisierte Angststörung,
Panik oder soziale Phobie [9]. Häufig zeigen sich emotionale und kognitive Beeinträchtigungen als Frühsymptom.
Sowohl Depression als auch Angst haben erhebliche Auswirkungen auf den Verlauf der
Erkrankung sowie auf die Lebensqualität [10]. Insbesondere die im Rahmen der Parkinson-Erkrankung beschriebenen motorischen Symptome
können durch psychischen Stress verstärkt werden [11].
Pathophysiologisch sind Depression und Angst bei der Parkinson-Krankheit am ehesten
als primäre Konsequenz degenerativer Veränderungen in katecholaminergen Neurotransmitter-Systemen
und frontokortikalen Dysfunktionen zu sehen [12]. Angst entsteht häufig auch durch die zunehmenden motorischen Defizite mit Gangunsicherheit,
Fallneigung und zunehmender Immobilität.
Angst kann aber auch als Therapienebenwirkung auftreten, beispielsweise bei einer
L-Dopa-Therapie.
Demenz, Schlafstörungen
Bei der Demenz sind zu unterscheiden
-
die Parkinson-Demenz, die sich im Spätstadium entwickelt und ebenfalls Folge der neurodegenerativen
Veränderungen ist, und
-
die Lewy-Körper-Demenz, die in der Regel mit kognitiven Symptomen beginnt und motorische
Parkinson-Symptome nach sich zieht [13].
Es kommt zu verringertem oder fehlendem Antrieb, abgeflachten Emotionen sowie zu einem
generell niedrigeren Aktivitätsniveau.
Ein sehr häufiges Symptom stellen zudem Schlafstörungen dar, bis zu 60 % der Parkinson-Erkrankten
sind davon betroffen. Sie können Teil des Krankheitsbildes, aber auch Folge der Behandlung
sein, treten in Form von Ein- und Durchschlafstörungen, Störungen des REM-Schlafes
mit vermehrt physischer Aktivität während des Träumens sowie durch Tagesmüdigkeit
und -schläfrigkeit auf. Natürlich zeigt sich hier ein Zusammenhang mit Dysthymie sowie
Abnahme der Lebensqualität.
Psychosoziale Auswirkungen
Neben den beschriebenen Komorbiditäten muss die psychosoziale Problematik diskutiert
werden, die Parkinson-Erkrankte im Allgemeinen in der sozialen Interaktion betrifft.
Die reduzierte Mimik und die dadurch fehlende emotionale Reaktion im Gesicht hinterlässt
bei Gesprächspartnern den Eindruck einer geistigen Einschränkung. Verstärkt wird dies
durch die Veränderungen von Sprechen und Sprache. Die Fehleinschätzung durch das Gegenüber
bedeutet für die Betroffenen eine oft beträchtliche soziale Benachteiligung.
Die Belastung durch die zunehmende körperliche Einschränkung ist ebenfalls groß, ebenso
das Bewusstsein der stetigen Verschlechterung bei den Betroffenen sowie deren Angehörigen.
Hier ist häufig die Angst vor Verlust von Autonomie, Mobilität sowie vor zunehmender
Hilflosigkeit und Pflegebedürftigkeit groß. Hinzu kommt ein Schamgefühl aufgrund der
zunehmenden Ungeschicklichkeit sowie der Veränderung von Mimik, Stimme, Beweglichkeit
und Körperhaltung. Oft bewirkt dies den sozialen Rückzug, der in der Folge Depression
und Ängste fördert. Nicht zuletzt sind partnerschaftliche Konflikte häufig, einerseits
aufgrund des veränderten emotionalen sowie kognitiven Verhaltens, andererseits aufgrund
des durch die Erkrankung und die Medikamente veränderten Sexualverhaltens. Psychosoziale
Unterstützung ist oft von entscheidender Bedeutung für Betroffene und ihre Angehörigen.
Eine neurodegenerative Erkrankung wie das Parkinson-Syndrom hat umfassende biopsychosoziale
Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen und deren Angehörigen und muss dementsprechend
mit verschiedensten Therapieansätzen behandelt werden.
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Therapie des idiopathischen Parkinson-Syndroms erfolgt in erster
Linie symptomatisch. Eine früher angenommene krankheitsmodulierende Wirkung einiger
Substanzklassen ist mittlerweile umstritten. Der Therapiebeginn erfolgt je nach Leidensdruck
des Betroffenen; Vorteile eines früheren oder späteren Therapiebeginns konnten in
Studien nicht gezeigt werden. Individuell ist auch die Auswahl des Präparats, das
auf Alter, Komorbiditäten und psychosoziale Problematik abgestimmt werden sollte.
Schließlich werden nach Beginn der Therapie Wirkung und Nebenwirkungen evaluiert,
gegebenenfalls wird die Dosierung angepasst bzw. auf ein anderes Präparat umgestellt.
Levodopa
In Kombination mit peripher wirkenden Decarboxylasehemmern ist Levodopa die effektivste
Therapie, da sie den der Krankheit zugrunde liegenden Dopaminmangel direkt ausgleicht.
L-Dopa ist eine Vorläufersubstanz von Dopamin, die durch den Magen-Darm-Trakt aufgenommen,
im Gehirn zu Dopamin umgewandelt wird. Die Decarboxylasehemmer (Benserazid oder Carbidopa)
verhindern eine vorzeitige Umwandlung von L-Dopa in Körpergeweben, in denen es nicht
benötigt wird. Bei älteren Patienten/-innen wird diese Kombination initial eingesetzt,
bei unzureichendem Effekt anderer Wirkstoffe auch bei jüngeren. Hier galt bislang
eine therapeutische Entscheidungsgrenze ab dem 70. Lebensjahr, wobei diese angesichts
einer mittleren Lebenserwartung von derzeit 81 Jahren relativ zu sehen ist (siehe
dazu auch die Infobox 2).
Dosierung, Dauer
Man beginnt üblicherweise mit einer niedrigen Initialdosis eines nicht retardierten
Präparates (z. B. 3 × 50 mg tgl. in Abständen von ca. 5 Stunden) und erhöht dann schrittweise
über Tage bis Wochen, je nach Ansprechen und Nebenwirkungen. Eine längere Behandlungsdauer
geht einher mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Spätkomplikationen in Form von
Wirkungsfluktuationen und Dyskinesien; entsprechende Phänomene findet man bei 40 %
der Patienten/-innen nach 5 Jahren L-Dopa-Behandlung. In frühen Erkrankungsstadien
sollte daher anderen Präparaten der Vorzug gegeben werden. Insbesondere zur Therapie
nächtlicher motorischer Symptome bleibt Levodopa in retardierter Form aber auch initial
Therapie der Wahl.
Mit der Zeit verringert sich die Wirkungsdauer jeder Dosis. Depotpräparate können
verwendet werden, erfordern jedoch höhere Dosen. Eine weitere Anwendungsform stellt
die kontinuierliche intestinale Applikation von Duodopa (Kombination aus L-Dopa und
Carbidopa in Gelform) mittels PEG-Sonde dar.
Indikation von Levodopa bei Parkinson-Erkrankten < 70 Jahren
-
unzureichende Wirkung von Dopaminagonisten
-
Unverträglichkeit von Dopaminagonisten:
-
Tagesmüdigkeit
-
Ödeme
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Halluzinationen
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Orthostase
-
Impulskontrollstörungen
-
Multimorbidität, insbesondere bei
-
gewünschter rascher Behandlungseffekt
-
therapeutische Diagnostik
Unerwünschte Wirkungen
Zu den unerwünschten Wirkungen des Levodopa zählen
Neben Dyskinesien kommt es bei 25 – 50 % der Behandelten nach 5 Jahren auch bei niedriger
Dosierung zu motorischen Fluktuationen, bei Jüngeren treten diese sogar in > 90 %
der Fälle nach 5 Jahren auf [14].
Betroffene erleben extreme Schwankungen zwischen guter Beweglichkeit („On“) und Unbeweglichkeit
(„Off“) – das sogenannte On-Off-Phänomen. Es kann sowohl zu schnellerem Abklingen
der Levodopa-Wirkung mit tagesschwankender Beweglichkeit („End-of-Dose-Akinesie“)
kommen als auch zum plötzlichen Aussetzen der Wirkung („Sudden off“). Treten die beschriebenen
Nebenwirkungen unter reiner Levodopa-Therapie auf, kann versucht werden, die Therapie
mit einem COMT-Hemmer, MAO B-Hemmern oder Dopaminagonisten zu kombinieren. Auch eine
häufigere Gabe von Levodopa in kleineren Dosen kann hilfreich sein.
Häufig beklagte Nebenwirkungen sind außerdem Übelkeit und Schwindel, wobei der Schwindel
auch krankheitsassoziiert sein kann. Zusätzlich sturzgefährdend kann sich die als
Nebenwirkung beschriebene orthostatische Hypotension auswirken. Da diese vor allem
zu Beginn der Therapie auftritt, sollten die Patienten/-innen explizit darauf hingewiesen
werden. Die Dosierungen von Levodopa sollten generell langsam erhöht werden, dabei
sollte man über Wochen auf eine wirksame Dosis steigern.
Einige Symptome der Parkinson-Erkrankung wie Schlafstörungen, Halluzinationen, orthostatische
Dysregulation, Bewegungsstörungen usw. können durch die medikamentöse Therapie verstärkt
bzw. erst ausgelöst werden.
Dopamin-Agonisten
Dopamin-Agonisten sind dem körpereigenen Dopamin chemisch sehr ähnlich, haben jedoch
eine schwächere Wirksamkeit als L-Dopa. Unterschieden werden Ergolin-basierte und
nicht-Ergolin-basierte Dopamin-Agonisten. Da Ergolin-basierte Dopamin-Agonisten zu
fibrotischen Veränderungen an Herz, Retroperitoneum und Lunge führen können, sollten
diese nur in Ausnahmefällen verschrieben und nicht-Ergolin-basierten Medikamenten
der Vorzug gegeben werden.
Dopamin-Agonisten werden insbesondere bei jüngeren Erkrankten vor dem 70. Lebensjahr
zu Beginn der Behandlung als Monotherapie verabreicht. Außerdem kommen sie in Kombination
mit Levodopa zum Einsatz, um motorische Fluktuationen oder zunehmende „Off-Phasen“
bei Erkrankten mit fortgeschrittenem idiopathischen Parkinson-Syndrom zu reduzieren.
Begonnen wird mit der niedrigstmöglichen Dosierung, die noch eine Kontrolle der Symptome
ermöglicht; wenn nötig, erfolgt eine Steigerung in wöchentlichen Intervallen. Einen
Dopamin-D2-Rezeptor-Agonisten stellt Apomorphin dar, das als kontinuierliche subkutane
Infusion mittels Pumpe oder als Pen zum Einsatz kommt.
Nebenwirkungen
Aufgrund des Nebenwirkungsprofils mit gehäuften kognitiven Störungen sollten Dopaminagonisten
bei Betroffenen mit kognitiver Leistungseinschränkung, Demenz und/oder psychotischem
Erleben nicht eingesetzt werden. Neben Beinödemen, Übelkeit und Schwindel werden auch
häufig Tagesmüdigkeit bis hin zu Einschlafattacken beschrieben. Dies ist jedoch präparatabhängig:
unter Piribedil wird weniger Tagesmüdigkeit berichtet, unter Rotigotin eine Verbesserung
des Nachtschlafs, und unter Pramipexol eine antidepressive Wirkung.
Vor allem psychosozial belastend sind Störungen der Impulskontrolle, die unter allen
dopaminergen Medikamenten auftreten können. Sie äußern sich vor allem in Form von
Spielsucht, Libidosteigerung/Hypersexualität, Kauf- oder Esszwang, aber auch als emotionale
Impulskontrollstörung.
MAO-Hemmer Typ B
MAO-B-Hemmer hemmen den Dopaminabbau im Gehirn. Sie können initial als Monotherapie
oder in Kombination mit Levodopa eingesetzt werden. Auch eine Kombination mit COMT-Hemmern
kann eine Option sein. Zur Kombinationstherapie eignet sich in erster Linie Rasigilin;
Selegilin sollte eher als Monotherapie angewendet werden. Bei älteren Patienten/-innen
wird Selegilin nicht empfohlen, und zwar aufgrund der möglichen Bildung von Amphetamin-ähnlichen
Metaboliten und damit zusammenhängender Orthostase, Refluxsymptomatik sowie Schlafstörungen.
Wichtige Komplikation: Bei Kombination mit anderen serotonergen Medikamenten kann
möglicherweise ein Serotonin-Syndrom auftreten.
COMT-Hemmer
Catechol-O-Methyl-Transferase-Hemmer vermindern ebenfalls den Dopaminabbau im Gehirn.
Sie können somit die Bioverfügbarkeit von Levodopa erhöhen und deren Wirkungsdauer
verlängern. Anders als MAO-B-Hemmer sind sie als Monotherapie nicht wirksam. Sie können
bei Erkrankten mit Fluktuationen als Kombination mit Levodopa angezeigt sein und durch
die Verlängerung der Wirkungsdauer eine Dosiserhöhung von Levodopa hinauszögern. Auch
eine Kombination mit MAO-B-Hemmern ist eine mögliche Option. Entacapon sollte dem
Tolcapon wegen des Nebenwirkungsprofils eher vorgezogen werden. Neben einer Verstärkung
der Levodopa-Wirkung kann es auch zu verstärkten Nebenwirkungen kommen, zu Diarrhoe
und Orangefärbung des Harns.
NMDA Rezeptor-Antagonisten
Der Dopaminmangel bewirkt im striatalen Regelkreis eine relative glutamaterge Überaktivität.
Ein anderer medikamentöser Ansatzpunkt ist es daher, den Neurotransmitter Glutamat
über eine Antagonisierung des N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Subtyps des striatalen Glutamatrezeptors
zu bremsen. Dadurch erfolgt ein Ausgleich der dopaminergen Hemmung bzw. der glutamatergen
Stimulation cholinerger Neurone, was zur Verbesserung des Tremors und auch der Dyskinesien
führt. Auch eine gute Wirksamkeit bei Bewegungsstarre ist beschrieben.
NMDA Rezeptor-Antagonisten können in der frühen Parkinson-Therapie als Mittel zweiter
Wahl eingesetzt werden; auch bei medikamentös induziertem Parkinson-Syndrom zeigen
sie durch den Ausgleich der oben beschriebenen Botenstoffe häufig Erfolg.
Weitere symptombezogene medikamentöse Optionen
-
Tremorsymptomatik
Nicht als Mittel erster Wahl, jedoch zur alternativen symptomatischen Therapie des
Tremors können Betablocker oder Anticholinergika versucht werden (letztere nicht bei
Älteren bzw. Erkrankten mit Demenz!).
-
Sialorrhoe (Speichelfluss aus dem Mund)
Bei der gesellschaftlich sehr unangenehmen Sialorrhoe spielen eine verminderte Schluckfähigkeit
und/oder eine erhöhte Speichelproduktion eine Rolle. Eine ausreichende Dopaminersatz-Therapie
ist Grundlage der Therapie. Reicht diese nicht aus, sind lokale Injektionen von Botulinumtoxin
in die Speicheldrüsen (off-label) und anticholinerg wirksame Medikamente zu diskutieren.
Eine sorgfältige Risiko-Nutzen-Abwägung ist dabei angezeigt.
-
Psychotische Symptomatik
In erster Linie kommen Infekte, Dehydratation und die Polypharmazie mit den zentral
wirksamen Anti-Parkinson-Medikamenten als Auslöser in Frage. Insofern sind die Infektbehandlung
und die Flüssigkeitssubstitution relevant. Häufig sind die Gabe von Antipsychotika
der 2. Generation sowie eine Dosisreduktion der laufenden Anti-Parkinson-Medikation
jedoch unerlässlich. Niedrig dosiertes Quetiapin (z. B. Beginn mit 12,5 mg abends
und allmähliche Steigerung) kommt hier in Frage.
Nichtmedikamentöse Therapie
Nichtmedikamentöse Therapie
Tiefe Hirnstimulation
Bei Patienten/-innen mit medikamentös nicht behandelbaren motorischen Fluktuationen
und Dyskinesien oder medikamentös nicht kontrollierbarem Tremor kann an eine tiefe
Hirnstimulation gedacht werden. Dabei erfolgt eine elektrische Stimulation des Nucleus
subthalamicus, des Thalamus oder Globus pallidus mittels neurochirurgisch (unter laufender
Bilddiagnostik) eingebrachter Elektroden. Diese Methode zeigte in mehreren Studien
eine gute Wirkung auf die Morbus Parkinson Leitsymptome Rigidität, Bradykinese und
Tremor. Sie verringert Levodopa-induzierte Hyperkinesen und Off-Zeiträume signifikant.
Neben üblichen neurochirurgischen Komplikationen können Nebenwirkungen auftreten durch
die Stimulation an sich: Apathie und Depression, Verstärkung von Dyskinesie und Gehstörungen,
Parästhesien, Einschränkungen der Wortflüssigkeit und des Arbeitsgedächtnisses. Meist
sind diese Nebenwirkungen jedoch reversibel.
Voraussetzungen für eine tiefe Hirnstimulation sind:
-
Leitsymptome sprechen auf Levodopa an, Tremor muss nicht zwingend ansprechen
-
keine Frühsymptome einer Demenz
-
keine signifikante psychische oder somatische Komorbidität
-
keine neurochirurgischen Kontraindikationen
-
individuelle Abwägung der Risiken des operativen Eingriffs gegen den Gewinn durch
die Therapie
Bewegungstherapie
Neben der medikamentösen Behandlung stellt die Bewegungstherapie eine der tragenden
Säulen der Therapie des Morbus Parkinson dar. Es kommt bei den Betroffenen ja nicht
nur zu den motorischen Kardinalsymptomen, sondern auch zu einer Beeinträchtigung der
intra- und intermuskulären Koordination. Dies trägt maßgeblich dazu bei, dass die
Schwierigkeiten in der Durchführung komplexer motorischer Abläufe zunehmen (z. B.
das Sich-Erheben aus einem Stuhl).
Bewegung wirkt sich positiv auf das Gehirn aus, indem sie die Bildung von Hirnzellen
stimuliert und die Ausschüttung von Dopamin anregt.
Studien zeigen, dass Personen, die an unterschiedlichen Bewegungsübungen teilnahmen,
beweglicher waren, schneller gehen und ihr Gleichgewicht besser halten konnten als
Personen, die nicht an den Übungen teilnahmen. Auch eine geringere Sturzrate bei regelmäßiger
Bewegung konnte festgestellt werden. Steigerung von Mobilität und Beweglichkeit im
Alltag sowie eine Verbesserung der Koordination erleichtern die Bewältigung von Alltagsaktivitäten
[15]
[16]
[17].
Erkrankte im Frühstadium sollten, sofern sie bereits regelmäßig Sport treiben, dazu
angeregt werden, Art und Umfang zu erhöhen. Für Menschen, die bislang keine Affinität
zu sportlichen Aktivitäten hatten, wird der Beginn eines regelmäßigen Bewegungstrainings
(moderates Ausdauer-, Kraft- als auch Koordinationstraining) empfohlen.
Bei stärkeren Einschränkungen kommt einer gezielten parkinsonspezifischen Physiotherapie
eine wichtige Bedeutung zu. Besondere Schwerpunkte sollten dabei Gang- und Gleichgewichtstraining,
Kraft- und Dehnübungen sowie Training von Bewegungsstrategien und Koordination sein.
Ziel ist der Erhalt oder die Verbesserung von Gleichgewicht, aerober Kapazität, Bewegungsamplituden,
Bewegungsinitiierung, Mobilität und Selbstständigkeit bei Aktivitäten des täglichen
Lebens. Wesentliches Augenmerk sollte außerdem auf die Sturzprävention gelegt werden.
Ergo-, Logo- und Psychotherapie
-
Ergotherapie
Ziel ist der Erhalt der Funktionsfähigkeit in Beruf und Zuhause, der autonomen Mobilität
(z. B. Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel) und der Möglichkeit für lebensförderliche
Freizeitaktivitäten. In späteren Stadien stehen Aktivitäten des täglichen Lebens wie
Essen, Trinken, Waschen, Kleiden und Toilettengang im Vordergrund.
-
Logotherapie
Zielrichtungen sind die Verbesserung von Lautstärke und Verständlichkeit des Sprechens,
und bei Schluckstörungen ein Schlucktraining.
-
Psychotherapie
Psychosoziale Unterstützung der Betroffenen und der Angehörigen ist in verschiedenen
Phasen der emotionalen Überlastung, bei ausgeprägter Ambivalenz bzgl. Prognose und
Lebensqualität und mangelnder Akzeptanz der Erkrankung sehr sinnvoll. Es gibt auch
Hinweise für den Erfolg von Kunst- Musik- oder Tanztherapie.
Notfälle
Drohende Suizidalität
Die Gattin eines 70-jährigen Patienten wird vorstellig. Ihr Mann habe vor 3 Jahren
die Diagnose Morbus Parkinson erhalten. Trotz Medikation verschlechtere sich sein
Zustand zunehmend, Treppensteigen funktioniere kaum noch, insgesamt werde das Gehen
immer schwieriger. Er sei verzweifelt, spreche immer wieder davon, sich das Leben
nehmen zu wollen. Sie wisse nicht mehr, wie sie ihn adäquat unterstützen könne.
Akinetische Krise
In späten Stadien kann es zum plötzlich eintretenden Zustand einer völligen Bewegungsunfähigkeit
kommen, zur der man eventuell als Arzt für Allgemeinmedizin gerufen wird. Meist liegt
ein ausgeprägter Rigor vor, durch den die Erkrankten weder sprechen noch schlucken
können. Durch die Schluckstörung fehlt die Medikation, besteht Aspirationsgefahr und
findet keine Flüssigkeitsaufnahme statt. Es handelt sich um einen lebensbedrohlichen
Notfall, der in der Regel stationär behandelt werden muss.
Eingeschränkte Atmung, Hyperthermie mit ausgeprägtem Schwitzen, Pulsanstieg, Aspiration,
Thromboembolien sind die zu beherrschenden Risiken. Auslöser einer solchen akinetischen
Krise sind meist fieberhafte Infektionskrankheiten, Unterbrechung der Parkinson-Medikation
oder die hochdosierte Gabe von Neuroleptika. Medikamente der Wahl sind Amantadin intravenös,
Apomorphin subkutan oder L-Dopamin über eine Magensonde.
Stürze
Schon banale Ablenkungen beim Gehen (z. B. Gedränge, Hinweise auf ein fernes Objekt
oder Unterhaltung) können einen Sturz provozieren, ursächlich sind die Verlangsamung
motorischer Reflexe und die Schwierigkeit, verschiedene Aufgaben gleichzeitig auszuführen.
Das Gleiche gilt auch für kleine Hindernisse bzw. Unebenheiten des Bodens. Das hat
für prophylaktische Maßnahmen in der Wohnung Bedeutung, aber auch für das Anraten
von Hilfsmitteln beim Gehen (Wanderstöcke).
Psychose
Psychotische Symptome beziehen sich auf Wahnvorstellungen bei fehlender Einsicht.
Risikofaktor ist eine demenzielle Begleiterkrankung oder eine Depression, Auslöser
oft die medikamentöse anticholinerge Therapie. Metabolische Probleme oder Infekte
sollten zunächst weitgehend ausgeschlossen werden, die anticholinerge Therapie sollte
man anpassen. Atypische Neuroleptika mit geringer extrapyramidalmotorischer Wirkung
sind eventuell zu erwägen [18].
Suizidalität
Parkinson-Kranke haben ein 1,87-fach erhöhtes Suizidrisiko [19]. Ein Augenmerk der betreuenden Ärzte/Ärztinnen auf die Krankheitsbewältigung ist
daher von Bedeutung. Notwendig sind gute Informationen über die vermuteten Ursachen,
über die therapeutischen Möglichkeiten, den wahrscheinlichen Verlauf, die Chancen
durch Medikamente und Selbsthilfemaßnahmen sowie über den Kontakt bei Krisen.
Depression und Angststörungen betreffen im Laufe der Erkrankung fast die Hälfte der
Parkinson-Erkrankten. Auch Suizidalität sollte daher von den behandelnden Ärzten und
Ärztinnen bedacht und aktiv angesprochen werden.
Freezing und orthostatische Dysregulation
Freezing und orthostatische Dysregulation
Freezing und orthostatische Dysregulation
Ein Ihnen langjährig bekannter Parkinson-Patient wird regelmäßig bei Ihnen zu Routinekontrollen
vorstellig. Regelmäßig kommt es während der Konsultationen zu sichtbarer Verlangsamung
(„Freezing“) des Patienten mit plötzlicher Sprach- und Bewegungsarmut. Bei der heutigen
Konsultation berichtet der Patient, dass ihm in letzter Zeit öfter schwarz vor Augen
werde, er verliere häufig kurzzeitig das Bewusstsein.
Unter dem Begriff „Freezing“ wird die plötzliche Blockade von Bewegungen bzw. Erstarren
verstanden. Etwa ab dem 5. Jahr der Manifestierung einer Parkinson-Erkrankung tritt
dieses Phänomen bei ungefähr der Hälfte der Erkrankten auf. Es kann sehr kurz oder
bis zu 30 Sekunden dauern und kann bei Überqueren einer Straße oder Verlassen eines
Verkehrsmittels zur großen Gefahr werden. Verschiedene Arten von Freezing werden beschrieben
und stellen auch für Spezialisten eine große Herausforderung dar.
Von der American Parkinson Disease Assoziation gibt es Empfehlungen, um Freezing aufzulösen,
von Richtungswechsel bis zu verschiedenen Ablenkungsversuchen (siehe Box). Natürlich
ist auch die medikamentöse Therapie zu überdenken.
Empfehlungen bei Freezing
-
eine alternative Bewegung zur Ablenkung mit den Armen durchführen (Arm zum Himmel
heben, den Kopf berühren etc.)
-
die Bewegungsrichtung ändern
-
einen Punkt am Boden fixieren und diesen ansteuern
-
ein Lied summen und zum Takt marschieren
-
bis 3 zählen, dann gehen
-
Gewichtsverlagerung von einer Seite zur anderen
-
ein paar Schritte auf der Stelle, dann vorwärts gehen
Internistische Aspekte des Parkinson-Syndroms
Internistische Aspekte des Parkinson-Syndroms
Autonome Dysfunktion
Symptomatik
Vor allem atypische Parkinson-Syndrome gehen häufig einher mit einer frühen Störung
des vegetativen (= autonomen) Nervensystems. Diese autonome Dysregulation kann sich
mit einer schweren Funktionsstörung im Sinne der orthostatischen Hypotonie (OH) oder
mit vasovagalen Synkopen (VVS) manifestieren. Ferner sind auch das posturale orthostatische
Tachykardie-Syndrom (POTS), das Karotissinus-Syndrom und eine in liegender Position
häufig in der Nacht auftretende arterielle Hypertonie zu nennen. Die möglichen klinischen
Symptome aller einer orthostatischen Dysfunktion zugrundeliegenden kardiovaskulären
Störungen umfassen Benommenheit, Schwindel, Erschöpfung, Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten,
Verschwommen-Sehen, Zittrigkeit, Blässe, Angst, Palpitationen, Frösteln oder Übelkeit
[20].
Neben einigen weiteren Entitäten der atypischen Parkinson-Syndrome (wie beispielsweise
die Lewy-Body-Demenz, die progressive supranukleäre Parese oder die kortikobasale
Degeneration, die nicht typischerweise mit einer autonomen Dysregulation einhergehen)
spielen hier in erster Linie atypische Parkinson-Syndrome eine entscheidende Rolle.
Sehr häufig präsentiert sich diese mit dem Leitsymptom einer schweren orthostatischen
Dysfunktion. Man unterscheidet 2 Formen der MSA in Abhängigkeit von der motorischen
Begleitsymptomatik:
Ein generalisiertes autonomes Versagen ohne ZNS-Beteiligung wird bezeichnet als isolierte
autonome Insuffizienz, idiopathische orthostatische Hypotonie oder (nach den Erstbeschreibern)
Bradbury-Egglestone-Syndrom. Im Unterschied zur MSA fehlt hier eine präganglionäre
oder zentrale Beteiligung, die sich je nach Lokalisation in motorischen Symptomen
zerebellärer oder parkinsonoider Art äußert. Der MSA und der isolierten autonomen
Insuffizienz gemeinsam ist hingegen, dass die autonome Störung neben dem kardiovaskulären
Symptomkomplex häufig einhergeht mit
-
gastrointestinalen Symptomen (Obstipation, verzögerte Magenentleerung, Dysphagie)
oder
-
urogenitalen Symptomen (Miktionsstörung, Inkontinenz, Nykturie, erektile Dysfunktion).
Die beschriebenen gastrointestinalen Symptome beruhen auf einer generellen gastrointestinalen
Hypomobilität mit verzögerter Peristaltik. Häufig kommt es zur Dysfunktion des Pylorus
sowie der Ileozökalklappe. Bakterielle Dysbalance und „Leaky gut Syndrom“ werden als
Folge diskutiert [21].
Weitere mögliche Manifestationen der autonomen Dysfunktion umfassen Atembeschwerden
durch einen permanenten inspiratorischen Stridor, ein Schlafapnoe-Syndrom, eine herabgesetzte
Empfindlichkeit auf hypoxische oder hyperkapnische Stimuli, eine Fehlfunktion der
Schweiß- und Talgdrüsen mit An- oder Hyperhidrose und Seborrhoe, die Xerophthalmie
oder eine durch sympathische Fehlinnervation der Alpha-Adrenozeptoren im Bereich der
Arteriolen vermittelte Vasokonstriktion, die zu einem Raynaud-Phänomen führen kann
([Tab. 5]).
Tab. 5
Häufige Symptome im Rahmen der autonomen Dysfunktion.
|
kardiovaskulär
|
gastrointestinal
|
urogenital
|
pulmonal
|
-
Schwindel
-
Müdigkeit
-
Konzentrationsstörung
-
Verschwommen-Sehen
-
Zittrigkeit
-
Palpitationen
|
|
-
Miktionsstörung
-
Inkontinenz
-
Nykturie
-
erektile Dysfunktion
|
|
Therapeutische Optionen
Entsprechend dem betroffenen dysautonomen Gebiet stehen nur symptomatische nichtmedikamentöse
und medikamentöse Maßnahmen zur Verfügung.
-
Bei der orthostatischen Dysregulation können beispielsweise physikalische Maßnahmen
zur Unterstützung der Muskelpumpe oder das Tragen von Kompressionsstrümpfen zur Anwendung
kommen.
-
Als mögliche medikamentöse Therapieoptionen stehen zur Steigerung des Intravasalvolumens
beispielsweise Fludrocortison (synthetisches Mineralokortikoid) oder zur verstärkten
Vasokonstriktion Sympathomimetika wie Midodrin zur Verfügung.
-
Zur Behandlung der genannten gastroenterologischen Manifestationen können Laxantien
wie Macrogol oder Prokinetika wie Domperidon eingesetzt werden. Obstipationsfördernde
Medikamente wie Protonenpumpeninhibitoren sollten möglichst vermieden werden. Da jedoch
die Prävalenz einer gastroösophagealen Refluxerkrankung mit 65 % vier Jahre nach Diagnosestellung
eines Parkinson-Syndroms äußerst hoch ist, gerät man hier oft in einen therapeutischen
Konflikt [22].
-
Desmopressin wird bei Nykturie angewandt.
-
Anticholinergika wie Oxybutinin oder Trospium haben als Spasmolytika einen Stellenwert
in der Behandlung von Harninkontinenz, können sich aber wiederum negativ auf die gastrointestinalen
und auf demenzielle Symptome auswirken.
-
Tamsulosin oder Doxazosin kommen bei Harnverhalt zur Anwendung, wobei Doxazosin als
Alpha-Blocker seinerseits eine orthostatische Intoleranz verstärken kann.
-
Sildenafil oder Alprostadil werden gegen erektile Dysfunktion eingesetzt.
-
Mittels Injektion von Botulinum-Toxin in die Stimmband-Adduktoren kann ein Stridor
behandelt werden, und ein Schlafapnoe-Syndrom mittels nächtlicher CPAP-Maske.
Symptome einer autonomen Dysfunktion sind bei Parkinson-Syndromen häufig. Sind diese
bereits in einem frühen Erkrankungsstadium schwer ausgeprägt, sollte an eine atypische
Parkinson-Erkrankung gedacht werden.
Metabolisches Syndrom
Die herabgesetzte Mobilität aufgrund von Gangunsicherheit und posturaler Instabilität
sowie auch kognitive Defizite scheinen bei Parkinson-Erkrankten einen maßgeblichen
Faktor für die Entwicklung metabolischer Störungen wie Diabetes mellitus Typ 2 und
Hyperlipidämie darzustellen [25]
[26]. Ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse ist die Folge [27]. Auch besteht ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Kardiomyopathie [28].
Osteoporose
Durch die beeinträchtigte motorische Fähigkeit kommt es zu einer verminderten mechanischen
Belastung der Knochen und somit zu einer Einschränkung des Knochenstoffwechsels mit
Verstärkung osteokataboler zu Ungunsten osteoanaboler Prozesse [29]. Außerdem fördert die verminderte körperliche Aktivität die Muskelatrophie, und
die fehlende Beanspruchung des muskuloskelettalen Systems bewirkt in Kombination mit
der ohnehin schon bestehenden parkinsontypischen Einschränkung der Motorik eine Verstärkung
der Gangunsicherheit. Gemeinsam mit der posturalen Instabilität und einer häufig assoziierten
autonomen Neuropathie mit gestörter Tiefensensibilität kommt es zu einer stark erhöhten
Sturzneigung mit hohem Frakturrisiko.
Die verminderte Leistungsfähigkeit kann zudem mit einer eingeschränkten Sonnenexposition
und einem Vitamin-D-Mangel vergesellschaftet sein. Zudem wird vermutet, dass Parkinson-Patienten/-innen
eine niedrigere alimentäre Kalzium-Zufuhr haben als gesunde Vergleichsprobanden. Der
Zusammenhang besteht möglicherweise in einer Interaktion bei der Aufnahme von L-Dopa
und eiweißreicher Kost, die zumeist viel Kalzium enthält. So dürften L-Dopa und Aminosäuren
bei der Aufnahme in das Blut und das ZNS um die gleichen Transportmechanismen konkurrieren
[30].
All die genannten Effekte haben zur Folge, dass eine deutliche Assoziation zwischen
dem Parkinson-Syndrom und einer verminderten Knochendichte mit damit einhergehendem
Frakturrisiko besteht.
COVID-19
Die Pflegebedürftigkeit vieler Parkinson-Patienten/-innen macht eine Kontaktlimitierung
äußerst schwierig und eine Selbstisolation vielfach unmöglich, und auch Langzeitbetreuende
und Pflegende leiden unter der derzeitigen Pandemie. In einer jüngst veröffentlichten
Studie wurde der Stellenwert von Komorbiditäten, die mit einem erhöhten Risiko für
einen schweren Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion prädisponieren, bei Parkinson-Erkrankten
untersucht. Dabei wurde eine hohe Prävalenz ermittelt von
-
chronischer Hepatitis B oder C,
-
COPD,
-
zerebrovaskulären Erkrankungen,
-
chronischer Niereninsuffizienz und
-
kardiovaskulären Erkrankungen sowie
-
insbesondere arterieller Hypertonie und Diabetes mellitus Typ 2.
Letztere weisen in der untersuchten Parkinson-Kohorte quer durch alle aufgeschlüsselten
Subgruppen Prävalenzen von etwa 50 % (arterielle Hypertonie) und 20 % (Diabetes mellitus
Typ 2) auf.
Neben diesen Komorbiditäten stützt auch die erhöhte Anfälligkeit für Pneumonien die
Hypothese, dass Parkinson-Betroffene eine Prädisposition für einen schweren Verlauf
von COVID-19 haben könnten [31].
Internistisch relevante Begleitphänomene medikamentöser Parkinson-Therapie
Orthostatische Dysregulation
Zahlreiche in der Behandlung des Parkinson-Syndroms verwendete Medikamente können
potenziell internistisch relevante Nebenwirkungen auslösen. Hier kann allerdings nicht
auf alle Wirkstoffe eingegangen werden, die zur symptomatischen Therapie der unterschiedlichen
Manifestationen autonomer Störung zum Einsatz kommen – dies würde den Rahmen des Beitrags
sprengen. Das Augenmerk soll vielmehr wiederum auf die Orthostatische Dysregulation
gelegt werden, da dieser nicht nur als Leitsymptom der erläuterten atypischen Parkinson-Syndrome,
sondern auch als Nebenwirkung vieler in der medikamentösen Behandlung verwendeter
Substanzen eine zentrale Rolle zukommt.
-
Sowohl L-Dopa als auch Dopamin-Agonisten und NMDA-Antagonisten (wie Amantadin) können
zu orthostatischer Intoleranz führen, und zwar vorwiegend in der Anfangsphase nach
Einleitung der Therapie.
-
Tri- und tetrazyklische Antidepressiva, die zur Behandlung der nicht selten mit Parkinson-Syndromen
assoziierten Depression angewandt werden, können (wie der bereits erwähnte Alpha-Rezeptor-Blocker
Doxazosin) durch eine Beeinträchtigung der peripheren Vasokonstriktion zu orthostatischer
Intoleranz beitragen [23].
Hyperhidrose und Seborrhoe können für Erkrankte, die auf transdermal applizierte Medikamente
angewiesen sind, ein Problem darstellen und die Verlässlichkeit der Medikamententransfers
stören [24].
Langzeitbetreuung
Durch den degenerativen Charakter der Erkrankung mit allmählich zunehmender motorischer,
autonomer, kognitiver und emotionaler Beeinträchtigung der Patienten/-innen stellt
Morbus Parkinson eine große Herausforderung dar, und zwar nicht nur für die Betroffenen
selber und deren Angehörige, sondern auch für die betreuenden Gesundheitsberufe. Stets
sollte ein niederschwelliger und kontinuierlicher Zugang zu medizinischer Versorgung,
multimodalen Therapieansätzen und zuverlässigen Informations- und Beratungsangeboten
im Sinne einer adäquaten biopsychosozialen Behandlung gewährleistet sein. Eine entscheidende
Rolle betrifft hiermit die betreuenden Allgemeinmediziner/-innen, die einerseits therapeutisch,
andererseits koordinativ wirksam sind und für Betroffene und deren Angehörige Kontinuität
im Umgang mit der Erkrankung gewährleisten.
Wesentlicher Bestandteil der Arzt-Patienten-Beziehung sollte hier eine hermeneutische
Kommunikation sein, die es dem Betroffenen ermöglicht, selbst Experte seiner Erkrankung
zu werden und sich somit aktiv in den Behandlungsplan einzubringen. Mit hermeneutischer
Kommunikation ist die angepasst erklärende, deutende Funktion des Gesprächs gemeint,
bei der die unterschiedlichen Verstehensmöglichkeiten der Erkrankten Berücksichtigung
finden. Nur so können Betroffene und deren Angehörige über Verlauf, Prognose, Therapiemöglichkeiten
und mögliche Komplikationen ein Bewusstsein bekommen und dementsprechend agieren.
Enge Zusammenarbeit erfolgt mit Fachärzten/-innen für Neurologie, wo Betroffene zumindest
einmal im Jahr zur Verlaufskontrolle sowie ggf. zur Anpassung der Medikation vorstellig
werden sollten. Das therapeutische Netzwerk sollte außerdem Ergotherapie, Physiotherapie,
ggf. Psychotherapie, Logopädie und in späteren Stadien Pflege durch diplomierte Pflegekräfte
umfassen. Innere Medizin, Urologie, Psychiatrie und andere spezialisierte Fachrichtungen
runden das Spektrum ab. Wesentlicher Punkt in der Betreuung von Menschen mit Morbus
Parkinson sollte in jedem Erkrankungsstadium die Achtsamkeit auf eine höchst mögliche
Lebensqualität sein. Die Schwerpunkte in der Behandlung sind dabei immer wieder unterschiedlich
zu setzen.
-
Die frühen Parkinson-Symptome entwickeln sich schleichend, individuell sehr unterschiedlich
und sind von Symptomen des normalen Alterungsprozesses oft schwer zu unterscheiden.
-
Essenzieller Tremor tritt häufiger auf als eine Parkinson-Erkrankung, betrifft hauptsächlich
Hände und Arme beidseits, und nimmt bei Bewegung zu und in Ruhe ab.
-
Die Therapie des idiopathischen Morbus Parkinson sollte rechtzeitig, altersgerecht
und effizient beginnen und sich nicht ausschließlich auf eine medikamentöse Behandlung
beschränken.
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Eine multiprofessionelle Strategie, bei der Hausärzte/-innen eine sehr zentrale Funktion
haben können, sollte essenziell sein.
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Vegetative Störungen treten sowohl als Teil der Erkrankung auf als auch in Form von
Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie.
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Bei frühzeitig auftretenden schweren Störungen des autonomen Nervensystems sollte
an ein atypisches Parkinson-Syndrom gedacht werden.
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Bei raschen Veränderungen des klinischen Bildes sollten Infekte, Exsikkose und Nebenwirkungen
der medikamentösen Therapie bedacht werden.
-
Psychologische Unterstützung ist vor allem in späteren Stadien sowohl für Betroffene
als auch für ihre Angehörigen von Bedeutung.
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist Dr. med. Reinhold Glehr, Hartberg.
IHF-Zertifizierung
Dieser Artikel wurde gemäß den Kriterien des Instituts für hausärztliche Fortbildung
im Deutschen Hausärzteverband (IHF) e.V. zertifiziert.