Aktuelle Rheumatologie 2020; 45(04): 281-293
DOI: 10.1055/a-1224-5673
Für Sie notiert

Welche Schutzmaske schützt vor COVID-19? Was ist evidenzbasiert?

Contributor(s):
Roland Schulze-Röbbecke
,
Marcus Reska
,
Sebastian Lemmen
 

Die COVID-19-Pandemie hat sowohl in der Patientenversorgung als auch in der Öffentlichkeit zu Diskussionen geführt, mit welchen Schutzmasken man sich vor einer Ansteckung schützen kann. Ähnliche Diskussionen hatte es schon 2009/10 im Rahmen der damals weltweiten Ausbreitung einer neuen Variante des Influenzavirus A (H1N1) gegeben („Schweinegrippe“). Auffällig sind damals wie heute Unklarheiten und Verwirrungen in Bezug auf die Übertragungswege von Atemwegsinfektionen und über die sich daraus ableitenden Schutzmaßnahmen.


#

Übertragungswege von Atemwegsinfektionen

Nicht als nackte Erreger

Eine häufige Fehlannahme ist, dass respiratorische Viren als „nackte“ Viruspartikel mit einem Durchmesser von z. B. 100 nm übertragen werden. In der Realität sind respiratorische Krankheitserreger bei der Übertragung von Mensch zu Mensch immer in Atemwegsekret eingebettet. Um die Übertragungsmechanismen zu verstehen, müssen wir uns daher mit dem Verhalten von Atemwegsekret-Tröpfchen, mit dem Verhalten der Erreger innerhalb des Sekrets und mit den klinischen Auswirkungen der Exposition beschäftigen.

Merke

Respiratorische Krankheitserreger werden immer eingebettet in Atemwegsekret von Mensch zu Mensch übertragen.

Übertragungswege

Respiratorische Infektionen können prinzipiell auf 3 verschiedenen Wegen übertragen werden [1] [2] [3]:

  1. Kontaktübertragung (auch als „Schmierinfektion“ bezeichnet; engl.: contact transmission)

  2. Tröpfchenübertragung (auch als „Tröpfcheninfektion“ bezeichnet; engl.: droplet transmission)

  3. Aerogene Übertragung (auch als „Luftübertragung“ oder „Aerosol-Übertragung“ bezeichnet; engl.: airborne transmission)

Kontaktübertragung

Die Kontaktübertragung zwischen 2 Personen kann direkt erfolgen, z. B. beim Küssen. Häufiger dürfte jedoch die indirekte Kontaktübertragung sein, wobei mit Atemwegsekret kontaminierte Vehikel zwischengeschaltet sind, z. B. beim Berühren von Mund, Nase und Augen mit den eigenen Händen („Selbstinokulation“) oder beim Berühren der Lippen mit einem Trinkglas [1] [2] [3].

Auch COVID-19 wird durch Kontakt übertragen. Wesentliche Präventionsmaßnahmen sind daher Händehygiene, das Vermeiden des Kontakts der Hände mit Mund, Nase und Augen sowie – im Gesundheitsdienst – das Tragen von Schutzhandschuhen.


#

Tröpfchenübertragung

Zu einer Tröpfchenübertragung kommt es, wenn respiratorische Sekrettröpfchen, die beim Sprechen, Husten und Niesen produziert werden, auf die Schleimhäute der oberen Atemwege und Augen-Bindehaut einer anderen Person gelangen. Nach Verlassen der Atemwege sinken die Tröpfchen aufgrund ihrer Masse und Größe (>5 μm) auf einer ballistischen Bahn nach unten und sedimentieren unter Innenraumbedingungen mit geringer Luftbewegung innerhalb von ca. 10 s auf einer Oberfläche. Da sie durch den Luftwiderstand rasch abgebremst werden, legen sie meist nur kurze Strecken von<1 m zurück. Ein Meter ist i. d. R. auch der maximale Abstand, über den Tröpfcheninfektionen übertragen werden. Aufgrund ihrer Masse und Trägheit dringen die Tröpfchen bei anderen Personen nicht in die unteren Atemwege jenseits der Stimmbänder ein. Eintrittspforten für die Erreger innerhalb von respiratorischen Tröpfchen sind die Nasenschleimhaut und die Augen-Bindehaut, z. T. auch die Mundschleimhaut. Beispiele für Erreger, die mit respiratorischen Tröpfchen übertragen werden, sind Influenza-, Adeno- und Rhinovirus sowie Bordetella pertussis, Mycoplasma pneumoniae und AStreptokokken [1] [2] [3]. Auch der Erreger von COVID-19 wird durch Tröpfchen übertragen.


#

Aerogene Übertragung

Die aerogene Übertragung ist dann möglich, wenn respiratorische Krankheitserreger auch in Aerosolen kleinster, luftgetragener, nichtsedimentierender Tröpfchen ihre Infektiosität beibehalten. Weniger als 1% des Sekretvolumens wird beim Husten und Niesen in Form kleinster Tröpfchen ausgestoßen, die noch während der Sedimentation durch Verdunstung zu einem Durchmesser von unter 5 μm schrumpfen, kaum noch sedimentieren und lange Zeit in der Luft schwebend verbleiben. Je geringer die Luftfeuchtigkeit ist, desto schneller ist der Verdunstungsprozess und die Volumenabnahme der Tröpfchen [4]. Die in der Luft schwebenden und daher „luftgetragenen“ Verdunstungsprodukte der Sekrettröpfchen werden auch als „Tröpfchenkerne“ (engl.: droplet nuclei) bezeichnet. Ein Gemisch aus Tröpfchenkernen (ggf. auch anderen Schwebstoffen) und Luft wird „Aerosol“ genannt. Als Aerosol können sich Tröpfchenkerne im Innenraum über Distanzen von weit über 1 m bis in Nachbarräume ausbreiten. Beim Einatmen gelangen sie auch in die unteren Atemwege. Eine aerogene Übertragung kann auch zwischen 2 Personen stattfinden, die keinen Face-to-Face-Kontakt im Abstand von<1 m haben, sondern die sich mehrere Meter voneinander entfernt an entgegengesetzten Orten eines großen Raumes aufhalten. Die aerogene Übertragung kann auch zwischen 2 Personen erfolgen, die sich nicht gleichzeitig, sondern nacheinander im selben Raum aufhalten [1] [2] [3] [5].

Entscheidendes Merkmal aerogen übertragener Infektionserreger ist, dass sie in der Luft schwebend über größere Distanzen (>1 m) und während längerer Zeit infektiös bleiben. Ausreichend belegt ist die aerogene Mensch-zu-Mensch-Übertragung bei Tuberkulose, Masern und Varizellen [1] [2] [3].


#
#

Infektiositätsverlust von Aerosolen

Während Sekrettröpfchen zu Tröpfchenkernen verdunsten, sind die darin enthaltenen Krankheitserreger biochemischen und physikalischen Stressfaktoren ausgesetzt, wie z. B. rascher Zunahme von Salzkonzentration und osmotischem Druck, Temperaturabfall sowie Licht- und UV-Strahlung, die sie in ihrer Infektiosität beeinträchtigen [6]. Möglicherweise entsteht der bei vielen Erregern beobachtete schnelle Infektiositätsverlust innerhalb von Aerosolen auch durch Verdünnungseffekte, die verhindern, dass an der mit bestimmten Rezeptoren versehenen Eintrittspforte beim Einatmen eine ausreichende Infektionsdosis erreicht wird [2] [38].

Merke

Entscheidend für die aerogene Übertragbarkeit von Krankheitserregern ist deren Eigenschaft, auch in Aerosolen ihre Infektiosität beizubehalten. Bei der Interpretation von Aerosol-Untersuchungen ist immer zu beachten, dass der PCR-Nachweis von Nukleinsäuren oder der Nachweis der In-vitro-Kultivierbarkeit eines Erregers nicht mit dem Nachweis dessen Infektiosität in vivo gleichzusetzen ist.


#

Abgrenzung Tröpfchen/aerogen

Bei den meisten Infektionskrankheiten, die durch respiratorische Sekrete übertragen werden, ist bekannt, ob sie durch Tröpfchen oder aerogen übertragen werden [2] [7]. Eine hundertprozentige Abgrenzung zwischen Erregern, die nur durch Tröpfchen und solchen, die nur aerogen übertragen werden, ist wahrscheinlich aber nicht möglich. Respiratorische Tröpfchen und Tröpfchenkerne werden nach heutigen Kenntnissen immer gemeinsam generiert. Darüber, ob ein Erreger durch Tröpfchen oder Tröpfchenkerne übertragen wird, entscheiden wahrscheinlich Faktoren wie der Ort der effektiven Eintrittspforte, die minimale Infektionsdosis und die Fähigkeit eines Erregers, in Tröpfchenkernen seine Infektiosität zu bewahren. Unter bestimmten Umständen (z. B. hohe Aerosol-Produktion, hohe Erregerkonzentration in den Tröpfchen, niedrige Luftfeuchtigkeit, schlechter Luftaustauch im Innenraum) sind bestimmte Erreger, die normalerweise durch Tröpfchen übertragen werden, möglicherweise kurzzeitig auch über Strecken von>1 m übertragbar [2].


#
#

Schutzmasken

Zum Ziel der Infektionsprävention unterscheidet man prinzipiell 2 verschiedene Typen von Masken: Nach den Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO [1]), der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC [2]) sowie der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO [7]) beim Robert Koch-Institut (RKI) zählen beide Maskentypen zur „persönlichen Schutzausrüstung“, sie haben aber grundlegend unterschiedliche Schutzfunktionen:

  • Der Mund-Nasen-Schutz (auch als „OP-Maske“ bezeichnet, engl.: medical mask, surgical mask, procedure mask, facemask) schützt vor einer Tröpfchenübertragung.

  • Die Atemschutzmaske (auch als „partikelfiltrierende Halbmaske“, „FFP-Maske“ und „Feinstaubmaske“ bezeichnet, engl.: respirator, particulate respirator, filtering face piece) schützt vor einer aerogenen Übertragung. Von praktischer Bedeutung sind FFP2 – und FFP3-Masken.

Mund-Nasen-Schutz (MNS)

MNS-Masken bestehen meist aus mehrlagigem, luftfiltrierendem Vliesmaterial, teilweise mit wasserabweisender Außenschicht. Sie werden entweder am Hinterkopf mit Bändern befestigt oder mit Gummischlaufen an den Ohren ([Abb. 1]). Sie sind immer so zu tragen, dass Mund und Nase bedeckt sind. Wenn Sie den Träger im Abtand von ca. 1 m von der Emissionsquelle vor Tröpfchen schützen sollen, sollte gleichzeitig auch ein Augenschutz getragen werden. Bei MNS-Masken handelt es sich um Einmalprodukte, deren Filterleistung in der Euronorm EN 14 683 festgelegt ist. International gibt es unterschiedliche MNS-Normen, wobei unbekannt ist, welche MNS-Merkmale am besten vor einer Tröpfchenübertragung schützen [1]. Nichtgenormte Stoffmasken schützten die Träger in einer Studie schlechter vor respiratorischen Erkrankungen und Virusinfektionen als Einmal-MNS-Masken [8]. Im Gegensatz zur Atemschutzmaske schließt der Rand eines MNS nicht dicht auf der Haut des Trägers ab, sodass ein Teil der Luft als „Leckage“ am Maskenrand vorbei eingeatmet wird. Durch diese Eigenschaft eignen sich MNS-Masken nicht zuverlässig zum Schutz vor Tröpfchenkernen und aerogen übertragenen Infektionen [1] [2] [3].

Zoom Image
Abb. 1 Mund-Nasen-Schutz (MNS) mit Gummischlaufen zur Befestigung an den Ohren. Sichtbar ist, dass der Maskenrand nicht dicht mit der Haut abschließt, sodass ein Teil der Luft am Rand vorbei eingeatmet wird. Da sich die Trägerin mit dem MNS vor Sekrettröpfchen schützen will, trägt sie gleichzeitig eine Schutzbrille.

Aufgaben des Mund-Nasen-Schutzes

Nach den evidenzbasierten Leitlinien der WHO [1] und CDC [2] sowie nach den Angaben des RKI [9] und der KRINKO [7] schützt der MNS den Träger vor respiratorischen Infektionen, die durch Tröpfchen übertragen werden. Im Einzelnen fassen die CDC die Schutzfunktionen des MNS folgendermaßen zusammen [2]:

  • Der MNS wird vom medizinischen Personal getragen, um die eigene Mund-, Nasen- und Rachenschleimhaut vor Tröpfchen und Spritzern von Blut, Sekreten, Ausscheidungen und anderen Körperflüssigkeiten zu schützen (Eigenschutz).

  • Der MNS verhindert den Kontakt von Mund und Nase mit den eigenen kontaminierten Händen (zum Eigenschutz vor einer Selbstinokulation).

  • Der MNS wird vom medizinischen Personal bei Operationen und anderen invasiven Eingriffen getragen, um zu verhindern, dass Mikroorganismen des eigenen Mund-Nasen-Rachen-Raums mit respiratorischen Tröpfchen in die Wunde des Patienten gelangen (Fremdschutz).

  • Der MNS wird Patienten mit kontagiösen Atemwegsinfektionen angelegt, um die Verbreitung infektiöser Atemwegssekrete zu begrenzen (Fremdschutz).

Merke

Die meisten Atemwegsinfektionen werden durch Tröpfchen und nicht aerogen übertragen. Der Mund-Nasen-Schutz schützt den Träger vor Tröpfcheninfektionen; zahlreiche klinische Studien haben das gezeigt.


#
#

Atemschutzmasken

Als Atemschutzmasken werden in der Medizin partikelfiltrierende Halbmasken bezeichnet. Sie bestehen aus schwebstofffiltrierendem Material (meist Vlies), durch das die Luft passieren muss, bevor sie vom Träger inhaliert wird. Um zu verhindern, dass die eingeatmete Luft als „Leckage“ zwischen Maskenrand und Haut ungefiltert vorbeiströmt, werden sie bereits in der Produktion der Anatomie des Mund-Nasen-Bereichs angepasst. Vom Träger müssen sie zusätzlich „anmodelliert“ werden, damit die Maske möglichst luftdicht auf der Haut anliegt. Um den Dichtsitz zu gewährleisten, werden Atemschutzmasken meist mit Gummizügen fixiert, die um den Hinterkopf verlaufen ([Abb. 2]). Nach dem Anlegen muss ein qualitativer Dichtigkeitstest (engl.: fit test, seal check) erfolgen, um sicherzustellen, dass bei Inspiration ein geringer Unterdruck entsteht, der die Maske leicht kollabieren lässt und fester auf die Haut drückt. Barthaare können den Dichtsitz beeinträchtigen; die Haut im Kontaktbereich mit dem Maskenrand muss daher glattrasiert sein [1] [2] [3].

Zoom Image
Abb. 2 FFP2-Atemschutzmaske ohne Ausatemventil. Erkennbar ist der dichte Kontakt des Maskenrands mit der Haut der Trägerin und die Fixierung der Maske mit 2 Gummizügen, die um den Hinterkopf verlaufen. Quelle: Reska M, Berger M. Persönliche Schutzausrüstung an- und ausziehen – Schritt für Schritt. Krankenhaushygiene up2date 2017; 12(02): 117–122.

Atemschutzmasken werden in Europa nach Euronorm EN 149 geprüft und in die Geräteklassen FFP1, FFP2 und FFP3 eingeteilt, von denen nur die Klassen FFP2 und FFP3 für den Schutz vor aerogen übertragbaren Infektionen relevant sind [1]. FFP2-Masken verfügen über einen Abscheidegrad von 95%, FFP3-Masken von 99,7%. Unter standardisierten Testbedingungen (ohne Dichtigkeitstest) ergibt sich für FFP2 – und FFP3-Masken eine nach innen gerichtete Gesamtleckage von 8 bzw. 2% [7] [10]. In den USA werden Atemschutzmasken gemäß NIOSH-Standard in die Klassen N95, N99 und N100 eingeteilt, entsprechend einem Abscheidegrad von 95, 99 bzw. 99,97% [1] [2] [11].

Aufgaben von Atemschutzmasken

In der Patientenversorgung haben Atemschutzmasken meist die Aufgabe, den Träger vor der Inhalation infektiöser Tröpfchenkerne und somit vor deren aerogener Übertragung zu schützen (Immissionsschutz). Sie dienen nicht als Emissionsschutz, d. h. sie werden nicht einem Patienten mit kontagiöser Atemwegsinfektion angelegt. Hierzu eignet sich vielmehr ein MNS [2] [3] [12].


#

Nutzung von Atemschutzmasken

Atemschutzmasken weisen einen Atemwiderstand auf. In Deutschland muss den Trägern daher gemäß Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) eine arbeitsmedizinische Vorsorge angeboten werden. In Einzelfällen ist gemäß ArbMedVV eine arbeitsmedizinische Vorsorge Pflicht, z. B. wenn mit FFP3-Masken körperlich schwer gearbeitet wird [10]. Um den Atemwiderstand zumindest beim Ausatmen zu reduzieren, gibt es Atemschutzmasken mit Ausatemventil, durch das die ausgeatmete Luft ungefiltert ausströmen kann.

Zu Zwecken des Infektionsschutzes werden Atemschutzmasken in Räumen (v. a. Isolierzimmern) getragen, in denen sich ein infektiöser Patient mit einer aerogen übertragenen Infektionskrankheit aufhält, z. B. mit infektiöser Lungentuberkulose. Das Tragen von Atemschutzmasken ist i. d. R. nur dann sinnvoll, wenn gleichzeitig auch andere Schutzmaßnahmen gegen die Übertragung aerogener Infektionen ergriffen werden (engl.: airborne precautions [1] [2] [3]): Die Tür des Raums sollte möglichst geschlossen, die Fenster können geöffnet sein. Bei vorhandener Lüftungsanlage sollte möglichst negativer Luftdruck im Raum eingestellt werden. Atemschutzmasken müssen im gesamten Raum getragen werden und nicht nur in der Nähe des infektiösen Patienten.

Merke

Atemschutzmasken sind teuer und unbequem, ihr richtiger Einsatz ist komplex und muss geübt werden. Sie schützen den Träger vor aerogen übertragenen Krankheitserregern und sind nicht dazu bestimmt, von infektiösen Personen getragen zu werden.


#
#
#

Risiken für die Übertragung von Coronaviren in der klinischen Realität

Evidenzbasierte Erkenntnisse

Bei der Frage nach evidenzbasierten Erkenntnissen über die Transmissionswege von Coronaviren sind in erster Linie klinische Studien von Interesse, die die Übertragung tatsächlicher Infektionsfälle beim Menschen analysiert haben, insbesondere durch epidemiologische Analysen von Ausbrüchen und anderen Übertragungsereignissen. Bei labor- und tierexperimentellen Untersuchungen sowie bei Untersuchungen ohne den Endpunkt „Infektionsfälle“, sondern mit Endpunkten wie „RNA-Nachweis in Aerosolen“ oder „Nachweis in-vitro-kultivierbarer Coronaviren in Tröpfchen“ ist die Übertragung der Ergebnisse auf tatsächliche Arbeits- und Lebensbedingungen nur sehr eingeschränkt möglich. Solche Untersuchungen können wertvolle Hintergrundinformationen liefern, sind aber hinsichtlich der Qualität ihrer wissenschaftlichen Evidenz grundsätzlich niedriger einzustufen als klinische Studien [13].


#

Analogien zwischen COVID-19, SARS und MERS

Über die Transmissionswege des Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2 (SARS-CoV-2), dem Erreger von COVID-19, liegen bisher nur wenige Informationen vor. Es wird deshalb davon ausgegangen, dass die Übertragungswege von COVID-19 denen des Severe Acute Respiratory Syndrome (SARS) und des Middle East Respiratory Syndrome (MERS) ähneln, deren Erreger mit SARS-CoV-2 nahe verwandt sind.


#

SARS und aerosolerzeugende Maßnahmen (AGPs)

Im Rahmen der SARS-Pandemie im Jahr 2003 kam es zu großen nosokomialen Ausbrüchen mit vielen infizierten Patienten und Mitarbeitern und es fanden sich zahlreiche Belege, dass die Krankheit hauptsächlich durch Kontakt und Tröpfchen übertragen wird. Es ließ sich aber nicht mit ausreichender Sicherheit ausschließen, dass der Erreger „fakultativ aerogen“ übertragen werden kann, insbesondere bei bestimmten aerosolerzeugenden Maßnahmen (engl.: aerosol-generating procedures, AGPs) [2]. Eine erste systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse von Studien über das Risiko der SARS-Übertragung durch AGPs wurde 2011 von Tran et al. vorgelegt [14]. Darin werteten die Autoren je 5 klinische Fall-Kontroll- und retrospektive Kohortenstudien von – gemessen an den GRADE-Kriterien [13] – sehr geringer Qualität aus und fanden signifikant erhöhte Infektionsrisiken nur für folgende AGPs:

  • Intubation (8 Studien, Gesamt Odds Ratio, OR 6,6)

  • nichtinvasive Beatmung (2 Studien, OR 3,1)

  • Tracheotomie (1 Studie, OR 4,2)

  • manuelle Beatmung vor Intubation (1 Studie, OR 2,8)

Die Arbeit von Tran et al. [14] fand keine signifikant erhöhten Infektionsrisiken für folgende AGPs: Absaugen vor und nach Intubation, manuelle Beatmung nach Intubation, Bronchoskopie, Medikamentenverneblung, Manipulationen an Sauerstoffmaske, Manipulationen an BiPAP-Maske, Defibrillation, Thorax-Kompression, Einführung Magensonde, Sammlung Sputumprobe, HFOV-Beatmung, High-flow-Sauerstofftherapie, endotracheale Absaugung, Absaugung von Körperflüssigkeit, Sauerstoffgabe, Thorax-Physiotherapie und künstliche Beatmung.


#

AGPs gemäß WHO

Die evidenzbasierte WHO-Leitlinie zur Infektionsprävention von akuten Atemwegsinfektionen mit Epidemie- und Pandemie-Risiko aus dem Jahre 2014 [1] basiert auf einer Neubewertung der Arbeit von Tran et al. [14] und einer erneuten systematischen Literaturrecherche. In dieser Leitlinie betont die WHO erneut, dass SARS hauptsächlich durch Tröpfchen und Kontakt übertragen wurde und empfiehlt bei der Routine-Versorgung von Patienten mit akuten Atemwegsinfektionen einschließlich SARS das Tragen eines MNS. Aufgrund von Hinweisen von sehr niedriger Evidenz empfiehlt die WHO aber das Tragen von FFP2-Masken bei AGPs und nennt als Beispiele für relevante AGPs explizit:

  • Intubation

  • Intubation in Kombination mit Bronchoskopie

  • Intubation in Kombination mit kardiopulmonaler Reanimation

Die aktuellen WHO-Empfehlungen zur COVID-19-Prävention in der Krankenversorgung [15] sehen bei folgenden AGPs die Indikation zum Tragen einer FFP2-Maske:

  • Intubation

  • nichtinvasive Beatmung

  • Tracheotomie

  • manuelle Beatmung vor Intubation

  • Bronchoskopie

  • kardiopulmonale Reanimation

Die Auflistung entspricht der AGP-Liste von Tran et al. [14] (s. oben) mit Zusatz von kardiopulmonaler Reanimation und Bronchoskopie. Anlass für die Hinzunahme der Reanimation ist unter anderem ein Fallbericht, der über die Übertragung von MERS auf eine Krankenpflegerin im Rahmen einer Reanimation berichtet [16] [17]. Der Bericht lässt allerdings offen, ob die Übertragung tatsächlich durch Aerosole erfolgte oder auf anderen Wegen, z. B. durch Spritzer, offene endotracheale Absaugung oder die Repositionierung der Schutzmaske mit kontaminierten Händen.


#

Andere AGP-Definitionen

Aufgrund einzelner Fallberichte und Untersuchungen der Umgebungskontamination ohne den Endpunkt „Infektion“ wurde die Liste der AGPs mit Risiko einer COVID-19-Übertragung verschiedentlich erweitert. So zählt z. B. Public Health England auch folgende Maßnahmen zu den relevanten AGPs [17]: Extubation, offene endotracheale Absaugung, Manipulationen am Tracheostoma, Endoskopie des oberen Gastrointestinaltrakts, Gebrauch schnell rotierender Instrumente, BiPAP-, CPAP- und HFOV-Beatmung, High-flow-Sauerstofftherapie sowie Sputum-Induktion. Die Einstufung solcher Maßnahmen als AGPs mit COVID-19-Übertragungsrisiko ist nicht evidenzbasiert, sondern beruht auf theoretischen Überlegungen oder auf wenig aussagekräftigen Untersuchungen.

Merke

Bisher gibt es keine ausreichenden wissenschaftlichen Belege dafür, dass Coronaviren bei der Krankenversorgung aerogen übertragen werden. Nur bei aerosolerzeugenden Maßnahmen lässt sich nicht mit ausreichender Sicherheit ausschließen, dass eine aerogene Übertragung möglich ist.


#
#

Klinischer Vergleich MNS vs. Atemschutzmasken zum Schutz vor Coronavirus-Infektionen

Da epidemiologische Analysen von COVID-19-Ausbrüchen zur Charakterisierung der Übertragungswege bisher (Stand April 2020) nicht vorliegen, muss nach anderen Ansätzen gesucht werden, um geeignete Schutzmaßnahmen zu definieren. Ein solcher Ansatz ist die Beurteilung der Effektivität von MNS- und Atemschutzmasken zum Schutz vor Coronavirus-Infektionen durch ihren vergleichenden Einsatz in klinischen Studien.

Cochrane Review 2011

Cochrane Reviews sind systematische Übersichtsarbeiten, möglichst mit Metaanalysen, in denen Forschungsergebnisse zu Fragen der Gesundheitsversorgung und -politik zusammengefasst werden. In der evidenzbasierten Gesundheitsversorgung sind sie international als Qualitätsstandard anerkannt. Eine Review aus dem Jahre 2011 befasst sich mit der Effektivität physikalischer (nichtpharmazeutischer) Interventionen zur Prävention der Verbreitung respiratorischer Viren [18]. Die Autoren fanden einen signifikanten schützenden Effekt vor SARS sowohl für die Träger von MNS (7 Fall-Kontroll-Studien, OR 0,32) als auch für die Träger von N95-Atemschutzmasken (3 Fall-Kontroll-Studien, OR 0,17). Insgesamt fanden sie aber keine Evidenz, dass Atemschutzmasken dem MNS überlegen sind.


#

Nationaler Pandemieplan 2016

Eine ähnliche Literaturübersicht wurde auch für den deutschen Nationalen Pandemieplan 2016 erstellt, der sich vornehmlich mit der pandemischen Influenza befasst [19]. Es fanden sich 3 Studien mit Vergleich zwischen MNS und Atemschutzmasken, die die Cochrane Review 2011 [18] noch nicht berücksichtigen konnte. Endpunkte waren Personen mit Labornachweis respiratorischer Erreger einschließlich Influenza, Influenza-like Illness (ILI) und akute respiratorische Erkrankungen. Zusammenfassend zeigten die ausgewerteten Studien, dass das Tragen sowohl von MNS als auch von Atemschutzmasken einen präventiven Effekt zum Eigenschutz des medizinischen Personals im Vergleich zum Nichttragen hat. Für eine Überlegenheit von FFP2-Masken gegenüber MNS fanden sich jedoch nur wenige Hinweise. Es wurden keine Studien über den Schutzeffekt von MNS gefunden, die von Patienten zum Fremdschutz getragen werden.


#

Weitere systematische Reviews

Eine systematische Übersichtsarbeit kam 2016 zu dem Ergebnis, dass N95-Atemschutzmasken zwar im Laborversuch einen größeren Schutz gegen die Erreger akuter Atemwegsinfektionen einschließlich pandemischer Influenza zu bieten scheinen als MNS, dass sich mittels Metaanalyse aber kein höherer Schutzeffekt für medizinisches Personal bei klinischer Anwendung nachweisen lässt [20]. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2017 fand einen signifikanten protektiven Effekt von MNS (OR 0,13) und Atemschutzmasken (OR 0,12) gegen SARS, jedoch keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Typen von Schutzmasken [21]. Eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit mit Metaanalyse von 4 randomisierten kontrollierten Studien kommt zu dem Ergebnis, dass MNS und N95-Atemschutzmasken das medizinische Personal bei nicht-AGPs in vergleichbarem Ausmaß gegen virale Erreger von Atemwegsinfektionen, einschließlich Coronavirus, schützen [22].


#

Eine neue Studie

In einer neueren randomisierten klinischen Studie über die Verwendung von Schutzmasken durch das medizinische Personal zum Eigenschutz vor viralen Atemwegsinfektionen fanden sich in der MNS-Gruppe und in der N95-Gruppe keine signifikant unterschiedlichen Influenza-Infektionsraten [23].

Merke

Klinische Studien haben bisher insgesamt nicht zeigen können, dass Atemschutzmasken den Träger besser vor Atemwegsinfektionen durch Coronaviren und andere respiratorische Viren schützen als der Mund-Nasen-Schutz. COVID-19 konnte in diesen Studien bisher allerdings nicht berücksichtigt werden.


#
#

Wie gut sind Stoffmasken?

Bisher liegt nur eine klinische Studie vor, in der die Schutzwirkung von Einmal-MNS-Masken und Stoffmasken beim medizinischen Personal miteinander verglichen wurde [8]. Es handelt sich um eine 3-armige (MNS, Stoffmasken, Kontrollen), clusterrandomisierte Studie, die in 14 Krankenhäusern in Hanoi, Vietnam, durchgeführt wurde. Die Einmal-MNS-Masken bestanden aus 3-lagigem Vliesmaterial und wurden einmal pro Schicht ausgetauscht. Die Stoffmasken bestanden aus 2-lagigem Baumwollgewebe und wurden nach schriftlicher Anleitung täglich zuhause mit Wasser und Seife gewaschen. Im MNS-Arm und im Stoffmaskenarm war die Compliance des Maskengebrauchs jeweils doppelt so hoch (57%) wie im Kontrollarm (24%). Die Studie fand die höchsten Erkrankungsraten sowohl an klinischen Atemwegserkrankungen als auch an Influenza-like Illness (ILI) und laborbestätigten Virusinfektionen im Stoffmaskenarm, die niedrigsten Erkrankungsraten im MNS-Arm. Bei ILI waren die Unterschiede zwischen den 3 Studienarmen statistisch signifikant. Im Labortest war die Partikeldurchdringung bei Stoffmasken mehr als doppelt so hoch verglichen mit MNS-Masken.

Merke

Eine klinische Studie hat gezeigt, dass Stoffmasken einen schlechteren Schutz vor Atemwegsinfektionen bieten als der normale Mund-Nasen-Schutz. Ob dieser Befund pauschal für alle Stoffmasken gilt, ist unbekannt.


#

Untersuchungen zur Übertragung von Coronaviren ohne Endpunkt „Infektion in vivo“

Surrogatparameter

Zahlreiche Untersuchungen haben in den letzten Jahren gezeigt, dass Maßnahmen wie Bronchoskopie [24] [25] [26] und offenes endotracheales Absaugen [24] [27] eine Umgebungskontamination mit viralen Nukleinsäuren und in-vitro-kultivierbaren Bakterien zur Folge haben. Endpunkte dieser Untersuchungen sind nicht tatsächliche Infektionen in vivo, d. h. bei lebenden Personen, sondern Surrogatparameter von unklarer Aussage. Derartige Untersuchungen [28] [29] [30] [31] sowie Untersuchungen von Tröpfchen und Aerosolen der Expirationsluft [32] [33] [34] erfolgten in jüngster Zeit auch mit SARS-CoV-2. Als Beispiel sei eine Untersuchung genannt, in der eine in-vitro-angezüchtete SARS-CoV-2-Suspension im Labor zerstäubt und die Konzentrationsabnahme in vitro kultivierbarer Viren in Aerosolen und auf Oberflächen gemessen wurde [28]. Wie ähnliche Versuche mit anderen Viren erlaubt auch diese Untersuchung kaum Rückschlüsse auf die tatsächliche Infektiosität natürlicher respiratorischer Aerosole und auf die tatsächlichen Übertragungswege in normalen Lebens- und Arbeitssituationen. Solche Untersuchungen sind kein Beleg dafür, dass COVID-19 in der Praxis tatsächlich aerogen übertragen wird und das Tragen von FFP2-Atemschutzmasken bei der Versorgung von COVID-19-Patienten (mit Ausnahme von AGPs) tatsächlich sinnvoll ist.

Merke

Laborexperimentelle Untersuchungen und Untersuchungen ohne Endpunkt „Infektion in vivo“ können interessante Hintergrundinformationen liefern, sind aber kein Ersatz für klinische Studien.


#

Die „Realität“

Auch eine aktuelle Publikation, die die aerogene Übertragung von SARS-CoV-2 als „Realität“ deklariert [35], kann sich nur auf ausgewählte Untersuchungen mit RNA-Nachweis in Umgebungsproben, Simulationsstudien, Fallberichte und Expertenmeinung berufen, die in der evidenzbasierten Medizin als Belege von geringer wissenschaftlicher Aussagekraft (low quality evidence) gelten und klinische Studien keinesfalls ersetzen [13]. Mit Sicherheit wird es weitere Untersuchungen und klinische Studien geben, um die Frage zu klären, ob Coronaviren aerogen übertragen werden oder nicht [36]. Bei einer Gesamtbewertung ist aber immer anzustreben, kognitive Verzerrungen zu vermeiden, d. h. die systematische Überbewertung bestimmter Forschungsergebnisse, die – bewusst oder unbewusst – nach bestimmten Kriterien selektiert wurden. Systematische Reviews zielen auch darauf ab, solche Verzerrungen zu vermeiden. Dies ist einer der Gründe, warum sie in der evidenzbasierten Medizin an der Spitze der Qualitätshierarchie stehen.


#
#

Einsatz von Schutzmasken in der Öffentlichkeit

Während der Anfertigung des vorliegenden Artikels (April 2020) herrschten in den Medien und in der Politik lebhafte Diskussionen über den Sinn des Tragens von Schutzmasken in der Öffentlichkeit, auch außerhalb von medizinischen Einrichtungen. Gegenstand der Diskussion sind insbesondere Einmal-MNS-Masken für den klinischen Gebrauch und industriell oder selbst angefertigte Stoffmasken.

Studien über Masken in der Öffentlichkeit

Zur Beantwortung dieser Frage wertete eine zur Zeit der Anfertigung dieses Artikels noch nicht begutachtete „schnelle systematische Übersichtsarbeit“ 31 Studien aus, davon 12 randomisierte kontrollierte Studien [37]. Die Autoren beklagen erhebliche Mängel bei vielen dieser Studien. Sie berichten, dass MNS-Masken aufgrund der Ergebnisse dieser Studien nur in sehr geringem Ausmaß gegen primäre Atemwegsinfektionen in der Öffentlichkeit schützen können und in mäßigem Ausmaß gegen Infektionen daheim, wenn sowohl infizierte als auch nichtinfizierte Haushaltsangehörige einen MNS tragen. Daraus folgern sie, dass es keine ausreichenden wissenschaftlichen Belege für den weitverbreiteten Gebrauch von MNS-Masken zum Schutz vor COVID-19 gibt. Zur Befürwortung des kurzzeitigen MNS-Gebrauchs durch besonders gefährdete Personen in vorübergehend erhöhten Risikosituationen berichten sie jedoch, ausreichende Belege gefunden zu haben. Auch die WHO sprach sich 2019 in ihrer systematischen Übersichtsarbeit über nichtpharmazeutische Maßnahmen gegen epidemische und pandemische Influenza nur bedingt für den MNS-Gebrauch in der Öffentlichkeit aus [38]. Gegen den großflächigen Einsatz von MNS spricht die Sorge vor noch schlechterer Verfügbarkeit dieser Masken für diejenigen, die sie wirklich benötigen, wie z. B. medizinisches Personal und Immunsupprimierte [39].

Kernaussagen
  • Der Mund-Nasen-Schutz (MNS, OP-Maske) schützt den Träger und sein Gegenüber vor Atemwegsinfektionen, die durch Tröpfchen übertragen werden; Atemschutzmasken (FFP2- und FFP3-Masken) schützen dagegen den Träger vor Atemwegsinfektionen, die aerogen (durch Aerosole) übertragen werden.

  • Nach bisherigem Kenntnisstand wird COVID-19 durch Kontakt („Schmierinfektion“) und Tröpfchen übertragen. Für die Möglichkeit der aerogenen Übertragung (Aerosol-Übertragung) sprechen bisher nur laborexperimentelle Untersuchungen und Untersuchungen ohne den Endpunkt „Infektion“, die jedoch kein Ersatz für klinische Studien und kein Beleg für die Relevanz im klinischen Alltag sind.

  • Da bisher keine klinischen Studien vorliegen, die die Schutzwirkung von MNS und Atemschutzmasken bei COVID-19 mit Endpunkt „Infektion“ vergleichen, muss zurzeit auf entsprechende Studien über Infektionen durch andere Coronaviren (insbesondere SARS) zurückgegriffen werden.

  • Analysen von SARS-Ausbrüchen haben gezeigt, dass der SARS-Erreger (SARS-CoV-1) durch Kontakt und Tröpfchen übertragen wurde, konnten aber nicht ausschließen, dass er bei aerosolerzeugenden Maßnahmen wie Intubation, Tracheotomie und manueller Beatmung auch aerogen übertragbar ist.

  • Klinische Studien (randomisierte, Fall-Kontroll- und Kohortenstudien) haben gezeigt, dass sowohl MNS als auch Atemschutzmasken vor der Übertragung von SARS-CoV-1 und anderen respiratorischen Viren schützen. Insgesamt konnten sie jedoch nicht belegen, dass die Schutzwirkung von Atemschutzmasken derjenigen von MNS-Masken überlegen ist.

  • Die zurzeit verfügbaren klinischen Studien mit Relevanz für Coronaviren legen die Schlussfolgerung nahe, dass bei aerosolerzeugenden Maßnahmen an COVID-19-Patienten das Tragen von Atemschutzmasken – zusammen mit anderen Maßnahmen zum Schutz vor aerogenen Infektionen-sinnvoll ist. Bei der normalen Versorgung von COVID-19-Patienten ist die Notwendigkeit des Gebrauchs von Atemschutzmasken dagegen fraglich. Aufgrund der Erfahrungen mit anderen humanpathogenen Coronaviren reicht hier wahrscheinlich ein MNS aus. Da bestätigende epidemiologische Studien über SARS-CoV-2 noch fehlen, können hier aber auch FFP2-Masken getragen werden.

  • Eine klare Empfehlung für das Tragen von Schutzmasken in der Öffentlichkeit ist aufgrund der bisher vorliegenden Studien nicht möglich. Stoffmasken schützen nach einer klinischen Studie deutlich schlechter vor Atemwegsinfektionen als Einmal-MNS-Masken.


#

Zitierweise für diesen Artikel

Schulze-Röbbecke R, Reska M, Lemmen S. Welche Schutzmaske schützt vor COVID-19? Was ist evidenzbasiert? Krankenhaushygiene up2date 2020; 15 (02): 123-132. DOI https://doi.org/10.1055/a-1133-2046.


#
#
#

Autorinnen/Autoren

Zoom Image

Roland Schulze-Röbbecke


PD Dr. med., Jahrgang 1954. Studium: Agrarwissenschaften und Medizin in Bonn, Freiburg und Toulouse. Tätigkeiten am Hygiene-Institut der Uni Bonn, der RWTH Aachen und beim Service dʼÉtude et de Recherche en Environnement Santé der Universität Nancy. 1998–2017 Krankenhaushygieniker des Universitätsklinikums Düsseldorf. Wissenschaftlicher Kooperationspartner des Zentralbereichs für Krankenhaushygiene und Infektiologie der Uniklinik RWTH Aachen.

Zoom Image

Marcus Reska


Dr. rer. nat., Jahrgang 1977. Studium der Biologie (Schwerpunkt Molekularbiologie) an der RWTH Aachen. 2005–2006 Forschungstätigkeiten in der urologischen Onkologie am Institut für Pathologie, Uniklinik RWTH Aachen. 2007–2013 wiss. Mitarbeiter im Bereich der arbeitsmedizinischen Toxikologie am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Uniklinik RWTH Aachen. 2010 Fachkraft für Arbeitssicherheit. 2011 Promotion, Uniklinik RWTH Aachen. Seit 2013 Deutsches Beratungszentrum für Hygiene (BZH GmbH).

Sebastian Lemmen

Zoom Image

Prof. Dr. med., Jahrgang 1958. Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin sowie Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie. Er war Assistenzarzt im Institut für Hygiene und Umweltmedizinder Universität Freiburg und Stipendiat an der Havard Medical School, Boston, USA. Seit 1997 leitet er den Zentralbereich für Krankenhaushygiene und Infektiologie des Universitätsklinikums Aachen, seit 2009 „Zentrum für Infektiologie“ der DGI.

Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

PD Dr. Roland Schulze-Röbbecke
Zentralbereich für Krankenhaushygiene und Infektiologie Uniklinik
RWTH Aachen
Pauwelsstraße 30
52074 Aachen
Phone: + 49 241 80–89843   
Fax: + 49 241 80–82540   

Publication History

Article published online:
28 August 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York


Zoom Image
Zoom Image
Zoom Image
Zoom Image
Abb. 1 Mund-Nasen-Schutz (MNS) mit Gummischlaufen zur Befestigung an den Ohren. Sichtbar ist, dass der Maskenrand nicht dicht mit der Haut abschließt, sodass ein Teil der Luft am Rand vorbei eingeatmet wird. Da sich die Trägerin mit dem MNS vor Sekrettröpfchen schützen will, trägt sie gleichzeitig eine Schutzbrille.
Zoom Image
Abb. 2 FFP2-Atemschutzmaske ohne Ausatemventil. Erkennbar ist der dichte Kontakt des Maskenrands mit der Haut der Trägerin und die Fixierung der Maske mit 2 Gummizügen, die um den Hinterkopf verlaufen. Quelle: Reska M, Berger M. Persönliche Schutzausrüstung an- und ausziehen – Schritt für Schritt. Krankenhaushygiene up2date 2017; 12(02): 117–122.