Pneumologie 2021; 75(01): 69-71
DOI: 10.1055/a-1251-6424
Leserbrief

Greulich T, Fähndrich S, Clarenbach C et al. Alpha-1-Antitrypsin-Mangel (AATM) – Ein Expertenstatement. Pneumologie 2020; 74: 436-442, doi:10.1055/a-1143-8186

M. Unnewehr
1   Innere Medizin V – Pneumologie, Infektiologie, Schlafmedizin, Allergologie St. Barbara-Klinik Hamm
,
A. Schlesinger
2   Lungenklinik Köln-Nord, Betriebsteil St. Marien Hospital Köln
,
S. Stieglitz
3   Medizinische Klinik I – Pneumologie, Allergologie, Schlaf- und Intensivmedizin Petrus Krankenhaus Wuppertal
,
D. Köhler
4   Ehem. Krankenhaus Kloster Grafschaft, Schmallenberg
› Author Affiliations
 

Das Expertenstatement [1] weist in einigen Punkten Unklarheiten und Widersprüche auf, insbesondere die Augmentationstherapie des Alpha-1-Antitrypsin-Mangels betreffend.

1 Messparameter für den Therapieerfolg

Die Autoren leiten das Therapiekapitel ein mit dem Hinweis darauf, dass „… viele Studien zur Augmentationstherapie keine signifikanten positiven Ergebnisse bezüglich gängiger klinischer Endpunkte wie FEV1- und DLCO-Verlust, gesundheitsbezogener Lebensqualität, Exazerbation und Mortalität liefern“, weil sich Interventionen wegen des langen Krankheitsverlaufes zu langsam bemerkbar machten.

Im anschließenden Satz wird jedoch mit der im CT gemessenen Lungendichte ein tertiärer Parameter über nicht längere Untersuchungszeiträume als Beweis für den Erfolg der Augmentationstherapie genannt.

In der zitierten Metaanalyse von 2009 werden die Daten der bis dahin vorliegenden, nicht randomisierten Studien mit den klinischen Endpunkten wie FEV1-Verlust zusammengefasst [2]. Darin wird erneut vom klinischen Nutzen der Augmentationstherapie bezüglich FEV1 und CT-Densitometrie gesprochen. Nicht erwähnt wird, dass die Studienpatienten gleichzeitig ihren Rauchkonsum reduzierten und oft auch einstellten. Da das Inhalationsrauchen den größten Einfluss auf den Verlauf der AATM-Erkrankung hat, sind die in den Studien erhobenen Befunde wegen dieses starken Confounders kaum zu bewerten.

Im Gegensatz zu FEV1, DLCO und der Belastungskapazität ist die Lungendichte im CT ein tertiärer Surrogatparameter, der zwar gut mit dem Ausmaß des Emphysems korreliert, dessen Veränderung aber auch durch andere Erkrankungen verursacht sein kann. Die bei der vorliegenden Konstellation plausibelste Erklärung ist, dass einige Patienten unter der Augmentationstherapie fibrotische Lungenveränderungen entwickelten. Dies ist als Nebenwirkung einer Dauertherapie mit Proteinlösungen beschrieben [3] und würde ebenfalls erklären, warum sich in der Summe unter Therapie FEV1, DLCO und Belastungsfähigkeit stärker verschlechtert haben.

Weiterhin beweist eine Korrelation zwischen CT-Dichte und Mortalität in anderen AATM-Studien keine Kausalität und kann nicht als mittelbarer Wirksamkeitsbeleg für die Augmentationstherapie herangezogen werden.


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2 Randomisierte, Placebo-kontrollierte Studien (RCT)

Wie von den Autoren zutreffend darstellt, sind allein die drei im Text genannten RCT zur Wirksamkeitsbeurteilung einer Augmentationstherapie relevant.

Im Vordergrund steht hier die jüngste, industrie-gesponserte RAPID-Studie von 2015, die die meisten Patienten eingeschlossen hatte [4].

Auch hier wurde eine relativ geringe, gerade signifikante Abnahme der Lungendichte bei den behandelten Patienten gefunden. Ähnlich wie in den bisherigen Studien verhielten sich jedoch die sekundären Endpunkte FEV1- und DLCO-Verlust sowie ein Belastungstest (Shuttle-Walk) gegenläufig. In der Tabelle sind die Originaldaten dargestellt ([Tab. 1])

Tab. 1

Ausgangswerte und Änderung im Zeitverlauf unter Placebo und Augmentationstherapie – Originaldaten [4].

Placebo

Augmentationstherapie

Basalwert

24 Monate

Basalwert

24 Monate

FEV1

(% Sollwert)

47,2

– 2,3 %

47,3

– 3,1 %

DLCO

(% Sollwert)

15,0

– 1,5 %

13,6

– 2,2 %

Shuttle-Walk (m)

435,1

+ 3,7 %

424,5

 + 2,5 %

CT-Dichte

(g/l/J)

48,9

– 2,19 g/l/J

45,5

– 1,45 g/l/J

Die in der Studie als sekundäre Endpunkte bezeichneten Parameter FEV1, DLCO und Belastungstest zeigten in der Behandlungsgruppe nach 2 Jahren schlechtere Ergebnisse als in der Placebogruppe.

Die Mortalität wurde nicht untersucht.

Belastungstests können analog zur COPD als bester Surrogatmarker für die Mortalität angesehen werden. Exemplarisch seien hier der etablierte BODE-Index (BMI, FEV1, Luftnotskala und 6-Minuten-Gehtest) erwähnt [5]. Die leichte Zunahme der Belastungsfähigkeit im Zeitverlauf dürfe aber an der Testwiederholung liegen. Gerade bei dem komplizierten Shuttle-Walk-Test gibt es einen vergleichsweise großen Übungseffekt.


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3 Cochrane-Analysen

In der Cochrane-Analyse von Gøtzsche und Johansen [6] wurde, wie von den Autoren des Expertenstatements inhaltlich zutreffend zitiert, bereits 2010 bemerkt, dass die behandelten Patienten einen leicht größeren FEV1-Verlust hatten, was den CT-Befunden widersprach, die sich umgekehrt verhielten.

Die Cochrane-Analyse derselben Autoren aus 2016 kam unter Berücksichtigung aller RCT einschließlich der RAPID-Studie zum selben Ergebnis wie in ihrer vorherigen Beurteilung [7]: Sie empfiehlt keine Augmentationstherapie.

Diese aktuelle Cochrane-Analyse wird in dem Positionspapier nicht erwähnt.


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4 Internationale Leitlinien

Abschließend empfehlen die Autoren die Augmentationstherapie „in Übereinstimmung mit internationalen Leitlinien“ (Empfehlungen 6, 7 a und 7 b).

Entsprechende Literaturhinweise fehlen jedoch; zitiert werden ein Expertenstatement von Köhnlein T et al. von 2014 [8], das die RAPID-Studie von 2015 nicht enthält, und ein Review von Sandhaus RA et al. Dies zeigt keine neuen Erkenntnisse gegenüber den Cochrane-Analysen, jedoch starke Interessenskonflikte der Autoren in Form finanzieller Verbindungen mit AAT-Herstellerfirmen und von diesen finanzierten Gruppierungen [9].

Es wird im Therapiekapitel nicht erwähnt, dass das im Text mehrfach zitierte Positionspapier der ERS zur AATM von 2017 keine direkte Empfehlung zur Therapie gibt [10].

Das für seine gut und objektiv recherchierten Leitlinien bekannte britische NICE-Institut (National Institute for Health and Care Excellence) empfiehlt in seiner aktuellen Leitlinie zur COPD ebenfalls keine Augmentationstherapie [11].

Auch diese Literaturstelle fehlt im Expertenstatement.


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5 Aufwand und Kosten der Therapie

Bei der Augmentationstherapie handelt es sich um eine technisch sehr aufwendige und mit Jahreskosten von 80 – 100 000 € sehr teure Therapie [3]. Auf diese wichtigen Punkte wird im Text nicht eingegangen.

Ärztliche Meinungsführer sollten jedoch auch ökonomische Aspekte wie die verantwortungsvolle Ressourcenallokation in gedeckelten Budgets berücksichtigen, hierfür ist nicht allein „die Politik“ zuständig.

Auch gerade deshalb ist eine hohe Erwartung an die klinische Wirksamkeit und Kosteneffizienz einer empfohlenen Therapie zu fordern.


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6 Zusammenfassung

Zusammenfassend stellen die Autoren im Text zunächst unmissverständlich fest, dass eine klinische Wirksamkeit der Augmentationstherapie nicht belegt ist. Möglicherweise ist sie sogar für einige Patienten schädlich.

Wie die Autoren schließlich eine gegenteilige Therapieempfehlung abgeben, ist nicht nachvollziehbar, kann doch die aktuelle Datenlage eine solche Empfehlung nicht stützen.


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Interessenkonflikt

Sven Stieglitz hat Vortragshonorare, Beratungshonorare und Reisekostenunterstützung erhalten von: Actelion, Boehringer, Bristol-Myers Squibb, Chiesi, Grifols. Die anderen Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. med. Markus Unnewehr
Chefarzt der Klinik für Innere Medizin V
Pneumologie, Infektiologie, Schlafmedizin, Allergologie
St. Barbara-Klinik Hamm GmbH
Am Heessener Wald 1
59073 Hamm
Deutschland   

Publication History

Article published online:
18 January 2021

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