JuKiP - Ihr Fachmagazin für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 2021; 10(01): 6-7
DOI: 10.1055/a-1254-6484
Kolumne

Ehrenpflegas?

Heidi Günther
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Quelle: Paavo Blåfield/Thieme Gruppe

„Nur der Überzeugte überzeugt.“

Joseph Joubert (1754–1824), französischer Moralist und Essayist

Es gibt Momente oder Situationen im Privatleben oder eben im Job, da denke ich, schlimmer geht es kaum. Einen solchen Moment hatte ich, als ich mir zum ersten Mal diese sagenumwobene Miniserie „Ehrenpflegas“ auf YouTube angesehen habe. Ich konnte es kaum fassen und musste mich erst einmal rundherum schlaumachen, was das bitte sollte.

Um zuerst das Positive an der ganzen Angelegenheit hervorzuheben: Es ist ja löblich, dass sich die Politik Gedanken macht und ein bisschen Aktionismus zeigt, um den seit ich weiß nicht wie vielen Jahren und auch in Zukunft nicht besser werdenden Personalmangel in der Pflege zu erkennen und dem dann auch irgendwie Herr zu werden. Und offensichtlich hat man auch bemerkt, dass diverse frühere Gesetze und Maßnahmen nicht so gegriffen haben wie gedacht. Also riefen gleich drei Ministerien des Landes die „Konzertierte Aktion Pflege“ (KAP) ins Leben. Super! Ich musste erst mal nachlesen, wofür das Wort „konzertierte“ steht. Also mit Musik, Konzert oder so etwas hat es eher nichts zu tun. Dennoch soll der Klang verschiedener Stimmen – in unserem Fall die des Arbeits-, des Gesundheits- und des Familienministeriums – zusammengeführt und in Einklang gebracht werden. So weit, so gut. Und dann hat man – und warum auch nicht? – Werbeagenturen (die übrigens die lustigen Namen „Zum goldenen Hirschen“ und „365 Sherpas“ tragen) und Constantin Entertainment, eine Tochterfirma der Constantin Film AG, beauftragt, sich doch mal was richtig Schönes einfallen zu lassen. Etwas, das junge, unschlüssige Menschen ansprechen soll, sich vielleicht und natürlich nur, wenn gar nichts mehr geht, doch mal Gedanken zu machen, ob nicht etwa der Pflegeberuf eine Option für die Zukunft sein könnte. Dazu bot sich die Constantin Film AG ja auch geradezu an: War sie es doch, die vor Jahren die erfolgreiche Filmkomödie „Fack ju Göhte“ mit viel Erfolg in die deutschen Kinos brachte. Etwa sieben Millionen Menschen sahen damals diesen Film und waren schier aus dem Häuschen. Und schon in diesem Film wurden dümmliche, überforderte Lehrer und Nichtlehrer und noch dümmlichere Schüler dargestellt, die es aber auch irgendwie im Leben geschafft haben, und am Ende wurde alles gut.

Niemand, der diesen Film damals gesehen hat, wird ja wohl davon ausgehen, dass Schüler mit dem Hintergrund und Niveau, wie die im Film dargestellten, im wahren Leben Jura, Physik oder – Gott bewahre – Pädagogik studieren würden. Aber für die Pflege sollte es allemal reichen. Es fehlen in Deutschland etwa 50.000 Pflegekräfte, und wenn die lustigen Filmchen auch nur annähernd so einen Erfolg haben sollten wie seinerzeit diese Komödie, dann sollte es doch ein Leichtes sein, ein paar Tausend junge Leute zu beindrucken. Da ja offensichtlich Niveau nicht sonderlich gefragt ist, hat man auch gleich einen Titel gewählt, der zumindest mich erst mal stutzig werden ließ: „Ehrenpflegas“! Ist das überhaupt ein Wort? Ich bin mir schon darüber im Klaren, dass ich nicht die Zielgruppe dieses Unterfangens bin. Aber in meinem beruflichen Alltag bin ich von haufenweise jungen Kollegen und Auszubildenden umgeben, und ich habe noch niemals, nicht ein einziges Mal dieses Wort gehört. Auch meine umfangreiche Recherche hat mich in diesem Fall nicht weitergebracht. Den Begriff kennt niemand – nur die Agenturen „…Hirschen“ und „…Sherpas“.

Besetzt wurde das Werk dann mit drei Protagonisten, die der Zielgruppe aus diversen Serien bekannt sein sollten – die mir allerdings völlig unbekannt sind. Sie stellen Dumm, Dümmer und die introvertierte Streberin dar, die aus ganz unterschiedlichen Gründen den Weg in eine Krankenpflegeschule gefunden haben. Über die dann stattfindenden Szenen, Dialoge und Gebärden möchte ich nichts sagen – weil es einfach nicht auszuhalten ist.

In einer Folge hat dann auch Frau Ministerin (ehemals Dr. – wie die Zeit einen einholt!) Giffey ihren mehr oder weniger großen Auftritt. Ich hoffe, es ist ihr wenigstens im Nachhinein ein bisschen peinlich. Denn die Reaktionen auf diese Kampagne waren durchweg und mit größtem Recht verheerend. Es wird von Peinlichkeiten und Klischees geschrieben, die überbordend benutzt werden. Es wird wild beklagt, dass unser Beruf vom Beginn in den Pflegefachschulen bis zu den Zeiten in der Praxis in den Krankenhäusern dieses Landes diffamiert wird. Der Pflegeberuf wird dargestellt, als würde jeder Depp ihn machen können. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) erklärte: „Wir distanzieren uns ausdrücklich von der Darstellung der bereits in den ersten Sekunden erzeugten Aussage, bei den Pflegefachberufen handele es sich um ein Auffangbecken für alle Personen, denen an anderer Stelle keine Perspektive eröffnet wird.“ Und: „Selbstverständnis, Ethos und Pflegefachlichkeit der Berufsgruppe (werden) verletzt.“ Viele fordern, dass diese Kampagne eingestellt wird. Eine Berliner Kollegin postete: „Vor wenigen Monaten stellte uns die Bundesregierung als Helden dar – nun als Deppen der Nation.“ Sie bringt es meines Erachtens damit auf den Punkt.

Und was sagt Frau Giffey? „Wenn wir doch junge Leute gewinnen wollen, diesen Beruf zu ergreifen, dann können wir doch den Leuten nicht täglich erzählen, wie schwierig das alles ist.“ Wir sind aber auch undankbar und nie zufrieden.

Das ganze Machwerk hat im Übrigen schlappe 700.000 Euro gekostet. Ich möchte gar nicht darüber nachdenken, was alles Sinnvolles mit diesem Geld hätte angestellt werden können.

Übrigens, diese Filme sind ja nur ein Teil der oben genannten KAP. Insgesamt sind wohl 111 Maßnahmen geplant mit dem Ziel, die Zahl der Azubis und der ausbildenden Einrichtungen bis 2023 um zehn Prozent zu steigern. Da bekomme ich schon ein bisschen Angst, was da noch kommen wird. Aber wie schon gesagt: Schlimmer geht’s kaum!

Heidi Günther

hguenther@schoen-kliniken.de



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Article published online:
08 February 2021

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