Der Ductus venosus
Der Ductus venosus (DV) spielt in der Allgemeinradiologie nur eine geringe Rolle,
da es sich um eine fetale Organstruktur handelt, die postnatal obliteriert und im
Erwachsenenleben in der Regel nicht mehr existiert. Für den Kinderradiologen gehören
hingegen Fragestellungen, die Kenntnisse über die Anatomie des Ductus venosus erfordern,
durchaus zum diagnostischen Alltag. Mit solchen Fragestellungen können aber insbesondere
auch diejenigen Allgemeinradiologen konfrontiert werden, die eine pädiatrische Einrichtung
mitversorgen, sodass Kenntnisse über die radiologische Darstellung des Ductus venosus
auch für Allgemeinradiologen von Bedeutung sein können.
Es gibt verschiedene Fragestellungen, die auf den Radiologen im Zusammenhang mit dem
Ductus venosus zukommen können: Zum einen hat der Ductus venosus eine Bedeutung bei
der postpartalen Anlage eines Nabelvenenkatheters, bei der er als Leitstruktur für
den Katheter dient, und dessen Lage durch den Radiologen auf einer konventionellen
Röntgenaufnahme des Oberbauches zu beurteilen ist. Fehllagen und andere Komplikationen
sind zu erkennen. Zum anderen wird der noch offene Ductus venosus durch den auch bei
Säuglingen zunehmenden Einsatz der Großgeräte-Schnittbildgebung bisweilen als Nebenbefund
dargestellt. Er sollte als solcher erkannt und nicht mit einem pathologischen portosystemischen
Shunt verwechselt werden. Auch sonografisch sollte der DV sicher erkannt werden. Zum
Dritten kann der Radiologe bei der Beurteilung von Pathologien des Ductus venosus
gefordert sein, dies sind zum Beispiel die Ductus-Agenesie mit der möglichen Ausbildung
von kompensatorischen intra- oder extrahepatischen Shuntverbindungen oder der fehlende
Spontanverschluss des Ductus venosus.
Zu diesen hier genannten bildgebenden Fragestellungen in Zusammenhang mit dem Ductus
venosus will der vorliegende Artikel eine Übersicht geben.
Es wurde eine Literatursuche in MEDLINE durchgeführt unter den Stichworten „umbilcal
vein catheter“ und „ductus venosus“. Die so gefundenen Arbeiten wurden herangezogen
als Evidenzquelle für die quantitativen Angaben.
Anatomie und Physiologie
Der Ductus venosus Arantii, benannt nach dem italienischen Anatomen Giulio Cesare
Aranzi (1530–1589), ist eine venöse fetale intrahepatische Shuntverbindung vom linken
Pfortaderast zur Vena cava inferior oder dem mündungsnahen Abschnitt von linker oder
mittlerer Lebervene. Seine Aufgabe ist pränatal der Transport von sauerstoffreichem
Nabelvenenblut zum rechten Vorhof. Das Blut aus der Nabelschnur gelangt durch die
Umbilikalvene zum sogenannten Recessus umbilicalis des linken Pfortaderastes, von
wo aus es Anschluss an den DV findet ([Abb. 1]). Der DV kann hierbei gegenüber der Umbilikalvene im linken Pfortaderast leicht
nach rechts versetzt sein. Beim menschlichen Fötus gelangen in der 2. Schwangerschaftshälfte
ca. 20–40 % des Umbilakalvenenbluts in den DV [1]
[2]
[3]. Durch die anatomischen und hämodynamischen Gegebenheiten vermischt sich der aus
dem Ductus venosus in die Vena cava inferior geleitete Blutstrom kaum mit dem aus
der unteren Körperhälfte kommenden Blut und ist direkt auf das Foramen ovale gerichtet.
Hierüber erreicht er den linken Vorhof und gelangt so in den Systemkreislauf, wo er
insbesondere das sich entwickelnde Gehirn des Fötus mit sauerstoffreichem Blut aus
der Plazenta versorgt [4]. Das die untere Körperhälfte des Fötus versorgende Blut ist weniger sauerstoffreich,
da es sich kaudal des Aortenbogens mit dem sauerstoffärmeren Blut aus dem Ductus arteriosus
vermischt [4].
Abb. 1 Fetale Gefäßanatomie der Leber.
Nach der Geburt sind Umbilikalvene und Ductus venosus zunächst noch offen und sonografisch
im leicht nach links gedrehten Sagittalschnitt gut erkennbar ([Abb. 2]).
Abb. 2 Sonografische Darstellung des DV in einem leicht nach links gedrehten Sagittalschnitt
über dem rechten Oberbauch. a B-Bild, b farbkodierte Dopplersonografie.
Aufgrund des Druckgradienten zwischen Pfortader und Vena cava inferior ist der dopplersonografisch
ableitbare Fluss im DV mit relativ konstanter, nur leicht modulierter Amplitude Leber-auswärts
gerichtet und unterscheidet sich deutlich vom durch die Herzaktivitäten beeinflussten
stärker undulierenden Fluss in den Lebervenen, wie dies [Abb. 3] illustriert. Der Fluss in den Lebervenen kann hierbei noch deutlich stärker undulieren
als abgebildet.
Abb. 3 Sonografischer Sagittalschnitt der Leber. Das Profil der dopplersonografischen Flusskurve
einer Lebervene a unterscheidet sich deutlich von dem des DV b.
Der DV verschließt sich beim Reifgeborenen in den ersten Lebenstagen bis -wochen.
Nach Literaturangaben ist er nach 7 Tagen in 60–75 % der Fälle verschlossen, nach
18 Tagen in 89–100 % [5]
[6]. Bei Frühgeborenen scheint sich der DV hingegen erst leicht verzögert zu schließen
[7]
[8].
Aufgrund dieses frühen postpartalen Verschlusses ist der DV im MRT nur selten zu sehen.
Mit zunehmendem Einsatz des MRTs auch bei Neu- und Frühgeborenen ist er jedoch gelegentlich
durchaus als noch offene Shuntverbindung abgebildet und sollte dann als DV richtig
erkannt und nicht als pathologischer portosystemischer Shunt fehlinterpretiert werden
([Abb. 4]).
Abb. 4 Offener DV bei einem 3 Tage alten Mädchen in einer MRT-Untersuchung. 3D-FFE nach
intravenöser Kontrastmittelgabe. Koronare und sagittale MIP (1 = DV; 2 = linker Pfortaderast).
Nabelvenenkatheter
Der offene DV ermöglicht dem Neonatologen die postpartale Anlage eines zentralen Venenkatheters
über die Umbilikalvene (Nabelvenenkatheter, NVK). Ein solcher sollte durch den Radiologen
erkannt und seine Lage beurteilt werden. Die Katheterspitze sollte sich hierbei auf
die Vena cava inferior im Übergang zum rechten Vorhof projizieren ([Abb. 5a]) [9].
Abb. 5 Darstellung eines Nabelvenenkatheters im Röntgenbild. a NVK in regelrechter Position: Die Spitze des Katheters (Pfeilspitze) projiziert sich
auf den Übergang von Vena cava inferior zum rechten Vorhof. b Fehllage: Der NVK wurde bis in den rechten Vorhof vorgeschoben, wo er umgeschlagen
ist. c Fehllage: Der NVK hat den Weg in den DV nicht gefunden, er ist in die Pfortader nach
rechts umgeschlagen.
Komplikationen eines NVK sind neben dem Auftreten von Infektionen, für die der Katheter
als Eintrittspforte dienen kann, vor allem primäre oder durch Migration verursachte
Fehllagen, Thrombosen, Perforationen und Katheterabrisse [10]
[11] ([Abb. 5], [6]).
Abb. 6 Sonografische Darstellung eines NVK und Komplikationen der Nabelvenenkatheterisierung.
In a wurde der NVK (Pfeil) zu weit vorgeschoben und reicht bis in den rechten Vorhof (Stern).
In b endet der NVK (Pfeil) zu weit distal, er sondiert den DV nicht. c Verkalkung des DV (Pfeile) in der Folge einer Nabelvenenkatheterisierung. d intrahepatisches Paravasat aus einem NVK nach Fehllage und Gefäßperforation (P).
Rechts im Bild ist die Umbilikalvene zu erkennen (Pfeil).
Fehllagen des NVK
Wird der NVK zu weit vorgeschoben, so erreicht er zunächst den rechten Vorhof, bei
noch weiterem Vorschieben kann er in den rechten Ventrikel, in die V. cava superior,
in den Sinus coronarius oder über das noch offenen Foramen ovale in den linken Vorhof
gelangen ([Abb. 5], [6]). Kardiale Fehllagen bergen das Risiko von Rhythmusstörungen, intrakardialer Thrombenbildung,
Myokardperforationen mit Perikardtamponade etc. und sind daher zu vermeiden [10].
Zu intrahepatischen Fehllagen kommt es, wenn der Katheter nicht weit genug vorgeschoben
wird oder nach Erreichen des linken Pfordaderastes nicht in den DV gelangt, sondern
in den linken oder rechten Pfortaderast abweicht ([Abb. 5], [6]).
Aufgrund der zahlreichen Möglichkeiten einer Katheterfehllage und den hieraus potenziell
resultierenden Komplikationen wird im Anschluss an jede Nabelvenenkatheterneuanlage
eine Röntgenaufnahme angefertigt, um die Katheterlage zu beurteilen und ggf. zu korrigieren.
Migrationen des Katheters werden im zeitlichen Verlauf häufig beobachtet und können
zu einer sekundären Katheterfehllage nach initial regelrechter Positionierung führen
[12]
[13].
Perforationen
Intrahepatische Fehllagen eines NVK prädestinieren zu einer Perforation des Gefäßsystems
[14]. Geschieht dies intrahepatisch, so kommt es zu einem Extravasat der infundierten
Substanzen in das Leberparenchym, wodurch sich sonografisch das Bild einer inhomogen,
unregelmäßig begrenzten Raumforderung ergibt ([Abb. 5]) [9]. In Abhängigkeit der infundierten Flüssigkeit und des zeitlichen Verlaufs kann diese
echogen oder auch echoarm sein [9]. Bisweilen ist hierbei eine Kommunikation mit der Umbilikalvene zu erkennen. Mit
der Zeit kann dieses Extravasat verkalken. Ereignet sich eine Perforation in der Umbilikalvene,
so können die über den Katheter applizierten Infusionslösungen zu sonografisch erkennbarer
freier intraabdomineller Flüssigkeit führen [11]
[15]
[16]. Auch intraabdominelle Blutungen werden beschrieben [17].
Thromben
Eine weitere Komplikation, zu der es nach Anlage eines NVK kommen kann, ist die Ausbildung
von Thromben. Einerseits können solche Thromben in der Umbilikalvene oder im Ductus
venosus auftreten [9]. Da sich diese beiden Gefäße nach der Geburt physiologischerweise ohnehin verschließen,
sind Thromben hier ohne Bedeutung. Sie können im Verlauf verkalken und sonografisch
als lineare echogene Strukturen erkennbar bleiben ([Abb. 5]). Thrombenbildungen nach NVK-Anlage werden in der Literatur jedoch auch in anderen
Venen beschrieben, wie z. B. in einem der Pfortaderäste [11]
[18], in beiden Pfortaderästen oder im Pfortaderhauptstamm [10]. Zwar bilden sich Thromben der Pfortaderäste infolge Nabelvenenkatheterisierung
häufig wieder zurück [10]
[18], jedoch kann sich bei fehlender spontaner Rekanalisation auch eine portale Hypertonie
mit den entsprechenden Konsequenzen entwickeln. Auch thromboembolische Ereignisse
kommen vor [10]
[18].
Katheterabrisse
Abrisse eines Nabelvenenkatheters sind selten, werden aber in der Literatur beschrieben.
Das intrakorporal verbliebene Katheterfragment kann hierbei in der Regel radiologisch-
interventionell über einen femoralvenösen Zugang aus dem rechten Vorhof oder über
die Umbilikalvene geborgen werden, aber auch chirurgische Katheterbergungen werden
beschrieben [19]
[20]
[21].
Pathologien des Ductus venosus
Pathologien des DV sind im Wesentlichen die Agenesie des DV sowie der ausbleibende
postpartale Spontanverschluss.
Agenesie des Ductus venosus
Genaue Angaben über die Häufigkeit einer Agenesie des DV liegen nicht vor. Eine Agenesie
des DV kann in ca. 20 % der Fälle völlig asymptomatisch verlaufen, und hat dann eine
gute Prognose [2]. Sie kann aber auch mit verschiedenen anderen pathologischen Veränderungen assoziiert
sein. Hierzu zählen unter anderem Herzvitien, chromosomale Anomalien, die Ausbildung
portokavaler Shunts oder eine Agenesie der Pfortader [2]. Folgen können ein Hydrops fetalis und eine fetale Herzinsuffizienz sein, sodass
die Prognose in diesen Fällen schlecht und die pränatale Mortalität inklusive der
Zahl iatrogener Beendigungen der Schwangerschaft hoch ist. Bei einer Agenesie des
DV lassen sich häufig assoziierte Auffälligkeiten des Gefäßsystems beobachten, durch
die das Nabelschnurvenenblut Anschluss an den Systemkreislauf des Fötus findet: So
kann die Umbilikalvene intrahepatisch statt in den linken Pfortaderast in die Vena
cava inferior münden ([Abb. 7]) oder es können sich intra- oder extrahepatische portosystemische Shuntverbindungen
ausbilden. Die Häufigkeit eines kongenitalen portosystemischen Shunts wird unabhängig
von Pathologien des DV mit 1:30 000 Geburten angegeben [22]. Allgemein lassen sich portosystemische Shunts nach Morgan und Superina klassifizieren
[23].
Abb. 7 Agenesie des DV ohne und mit Ausbildung eines portosystemischen Shunts. Obere Reihe:
Ektoper Verlauf des Umbilikalvene (Pfeile) ventral durch das Leberparenchym und Mündung
im Bereich des Konfluens der Lebervenen bei bereits pränatal diagnostizierter Agenesie
des DV. Auf dieser Abbildung ist die Umbilikalvene nicht mehr perfundiert, vgl. die
benachbarte Lebervene (rechtes Bild). Mittlere Reihe: Intrahepatischer portosystemischer
Shunt vom linken Pfortaderast zur mittleren Lebervene am 2. Lebenstag eines männlichen
Säuglings. Durch den erhöhten Blutfluss ist die mittlere Lebervene deutlich dilatiert.
Untere Reihe: Bei DV-Agenesie intrahepatischer portosystemischer Shunt vom rechten
Pfortaderast zur Vena cava inferior bei einem 8 Tage alten Mädchen mit Trisomie 21.
Intrahepatische portosystemische Shunts lassen sich postnatal gut visualisieren ([Abb. 8]). Sie haben eine hohe Spontanverschlussrate [2]
[24]
[25]
[26]. Sie sollten jedoch in größeren Abständen kontrolliert werden, da bei ausbleibendem
Spontanverschluss ein interventioneller oder chirurgischer Verschluss erforderlich
werden kann [2]
[24]. Eine Notwendigkeit hierzu ergibt sich, wenn ein Shunt symptomatisch wird und zu
einem Anstieg des Ammoniak- oder Galaktosespiegels im Serum führt oder aufgrund des
Shuntvolumens zu einer kardiologischen Belastung führt. Auch extrahepatische portosystemische
Shunts infolge einer DV-Agenesie können sich spontan verschließen, müssen aber ebenfalls
bei Persistenz in Abhängigkeit der Symptomatik unter Umständen interventionell oder
chirurgisch verschlossen werden.
Abb. 8 a Intrahepatischer portosystemischer Shunt. Sagittale MIP einer T2-gewichteten MRT-Sequenz
(1 = mittlere Lebervene; 2 = Shunt zwischen Pfortader und mittlerer Lebervene; 3 = Vena
cava inferior). b Extrahepatischer Shunt mit komplexer Gefäßfehlbildung: Kollateralgefäß (1) aus der
Vena mesenterica inferior zum Becken links mit Abstrom über das linke V.-Iliaca-Stromgebiet
zur V. hemiazgos bei hypoplastischer Vena cava inferior (1 = Kollateralgefäß; 2 = li.
Vena iliaca communis; 3 = verlängerte Vena hemiazygos; 4 = hypoplastische Vena cava
inferior).
Persistierender DV
Über einen ausbleibenden spontanen Verschluss des DV innerhalb der ersten Lebenswochen
wird in der Literatur nur selten berichtet [27].
Hierbei mögliche Begleitsymptome sind: erhöhte Leberenzyme, erhöhte Werte für das
direkte Bilirubin, Galaktosämie, Hyperammonämie sowie Leberfunktionsstörungen bis
hin zum Leberversagen und eine vermehrte kardiale Belastung [27]
[28]. Auch eine Assoziation mit Herzvitien und insbesondere einer pulmonal-arteriellen
Hypertonie ist in bis zu 25 % der Fälle zu beobachten [27]. Offenbar tragen eine Prostaglandin-Medikation und die geänderte Hämodynamik bei
pulmonal-arterieller Hypertonie zu einer Offenhaltung des DV bei [8]
[27]. Auch eine Assoziation mit Raumforderungen der Leber wird beschrieben [27].
In Abhängigkeit der Begleitsymptomatik muss ein offener DV interventionell oder operativ
verschlossen werden. Zur Vermeidung einer portalen Hypertonie kann ein mehrzeitiges
Vorgehen erforderlich werden. Hilfreich kann hierbei die Messung des portalvenösen
Druckanstiegs nach passagerer Okklusion sein [29]. In der Literatur werden auch Okklusionen des persistierenden DV nach der Säuglingszeit
bis ins Erwachsenenalter beschrieben mit gutem Erfolg und Normalisierung der Leberenzyme
und Serumbilirubin- bzw. Ammoniakwerte [29]
[30]
[31].