Geburtshilfe Frauenheilkd 2020; 80(12): 1172-1174
DOI: 10.1055/a-1287-4736
GebFra Magazin
Geschichte der Gynäkologie

„Immer noch haben geistige Werte die materiellen besiegt“[ 1 ] – Erinnerungen an Leopold Landau (1848 – 1920)

Andreas D. Ebert
,
Matthias David

Mehr als ein „Specialarzt für Frauenkrankheiten“

Am 23. Februar 1919, einem Sonntag, war es unruhig in Berlin. Überall tobten Straßenkämpfe zwischen den Agitatoren einer kommunistischen Räterepublik, Arbeitern aus den Berliner Werken, entlassenen Soldaten, radikalisierten Bürgern und den Regierungstruppen Friedrich Eberts (1871 – 1925) und Gustav Noskes (1868 – 1946) mit den ihnen angeschlossenen Freikorps. Zwei Tage zuvor war in München der USPD-Ministerpräsident Kurt Eisner (1867 – 1919) von dem Studenten Anton Graf von Arco auf Valley (1897 – 1945) ermordet worden. In ganz Mitteldeutschland drohte ein Generalstreik [1], [2]. An diesem Sonntag wählten die Berliner ihre erste Stadtverordnetenversammlung nach dem Krieg [3]. In dieser aufgeheizten poltischen Atmosphäre trafen sich an diesem Tag gegen 11 Uhr in der Wohnung des Geheimen Medizinalrates Professor Leopold Landau, Pariserplatz 6a, etwa 30 Personen und berieten über die Gründung einer „Akademie für die Wissenschaft des Judentums“ [4]. Unter den Anwesenden befanden sich so bekannte Wissenschaftler wie Albert Einstein (1879 – 1955), August von Wassermann (1866 – 1925), Leo Baeck (1873 – 1956), Ernst Cassirer (1874 – 1945) und Ismar Elbogen (1874 – 1943), aber auch bedeutende Vertreter der Finanzwirtschaft wie Oskar Wassermann (1869 – 1934), einer der Direktoren der Deutschen Bank, Max Apt (1869 – 1957), Syndikus der Berliner Handelskammer, und Jakob Goldschmidt (1882 – 1955), der Direktor der Darmstädter und Nationalbank, sowie der Botaniker Prof. Otto Warburg (1859 – 1938), der seit 1911 Präsident der Zionistischen Weltorganisation war. Nach dieser Besprechung wurde der „Verein zur Gründung und Erhaltung einer Akademie für die Wissenschaft des Judentums“ ins Leben gerufen. Zum Vorsitzenden wählten die Anwesenden den Frauenarzt Leopold Landau und zu seinem Stellvertreter den Physiker Albert Einstein (1879 – 1955). Im Mai 1919 wurde die geplante Akademie schließlich gegründet, deren Mitarbeiter und Mitglieder bis zur Akademieauflösung 1934 die religiösen, sozialen, geistigen und politischen Fragen der jüdischen (und deutsch-jüdischen) Geschichte erforschten [4].

1 Rede des Herrn Geheimrats Prof. Dr. Landau. Korrespondenzblatt des Vereins zur Gründung und Erhaltung einer Akademie für die Wissenschaft des Judentums. Heft 1 vom Mai 1919, S. 4–8.




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03 December 2020

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  • 33 Zum Portrait L. Landaus siehe auch:. Online (Stand: 06.11.2020): http://www.sammlungen.hu-berlin.de/objekte/portraetsammlung-berliner-hochschullehrer/13068