Ein PACAP-Rezeptorantikörper zur Prophylaxe der Migräne
Ein PACAP-Rezeptorantikörper zur Prophylaxe der Migräne
**** Ashina M, Dolezil D, Bonner JH, et al. A phase 2, randomized, double-blind, placebo-controlled
trial of AMG 301, a pituitary adenylate cyclase-activating polypeptide PAC1 receptor
monoclonal antibody for migraine prevention. Cephalalgia 2020; doi.org/10.1177/0333102420970889
Der monoklonale Antikörper gegen den PAC1-Rezeptor AMG 301 ist in der Vorbeugung der
Migräne nicht wirksamer als Placebo.
Hintergrund
Eine umfangreiche Evidenz spricht für eine wichtige Rolle des pituitary adenylate
cyclase-activating polypeptide (PACAP) bei Migräne und Clusterkopfschmerzen. Dieses
strukturell und funktionell dem vasoaktiven intestinalen Peptid (VIP) verwandte, in
zahlreichen Geweben und den Isoformen –27 und –38 vorkommende multifunktionelle Neuropeptid
bindet an 3 Rezeptoren (PAC1, VPAC1, VPAC2), von denen der PAC1-Rezeptor selektiv
für PACAP ist. PACAP findet sich in vielen für die Migränepathophysiologie relevanten
Strukturen des peripheren und zentralen Nervensystems, wie dem trigeminovaskulären
System und dem parasympathischen Schenkel des trigemino-autonomen Reflexbogens [1]. In der Migräneattacke wurden im Blut der V. jugularis externa erhöhte PACAP-Spiegel
mit Rückbildung unter effektiver Therapie gemessen [2], und in Provokationsstudien löste die intravenöse Gabe von PACAP bei den meisten
Patienten mit Migräne ohne Aura verzögert einsetzende migräneartige Kopfschmerzen
aus [3], [4]. Basierend hierauf erscheint die Annahme plausibel, dass die Blockade des PACAP-Signalweges
ein effektives therapeutisches Prinzip darstellen könnte. In der vorgestellten Phase-IIa-Studie
wurde AMG 301, ein monoklonaler Antikörper gegen den PAC1-Rezeptor, verwendet. Präklinische
Befunde weisen darauf hin, dass PACAP nur über diesen Rezeptor eine Aktivierung und
Sensitivierung zentraler trigeminovaskulärer Neurone vermittelt [5] und dass sich diese Prozesse durch einen selektiven PAC1-Rezeptorantikörper verhindern
lassen [6].
Zusammenfassung
An 46 internationalen Studienzentren wurden 343 Patienten im Alter zwischen 18 und
60 Jahren mit episodischer (EM, n = 224) und chronischer (CM, n = 119) Migräne eingeschlossen
und im Verhältnis 4:3:3 in die Studienarme Placebo, AMG 301 210 mg s. c. alle 4 Wochen
(210 mg Q4W) und AMG 301 420 mg s.c alle 2 Wochen (420 mg Q2W) randomisiert. Um die
Verblindung aufrechtzuerhalten, erhielten alle Teilnehmer 6 Injektionen. Zu den Einschlusskriterien
gehörte mindestens eine vorausgegangene gescheiterte präventive Therapie. Das Bestehen
eines MOH war kein Ausschlusskriterium. Im Mittel hatten die Teilnehmer etwa 12 Migränetage
pro Monat. Primärer Endpunkt war die Veränderung der monatlichen Migränetage zwischen
Baseline und den letzten 4 Wochen der 12-wöchigen Behandlungsphase. Zu den sekundären
Endpunkten gehörten neben der ≥ 50 %-Responderrate auch die Veränderung der Einnahmetage
von Akutmedikamenten und Fragebögen zur Patientensicht (patient reported outcomes).
Insgesamt beendeten 305 Patienten (88,9 %) die doppelblinde Studienphase. In der Placebogruppe
gingen die monatlichen Migränetage um 2,5 (0,4) Tage, in beiden Verumarmen um 2,2
(0,5) Tage zurück. Eine Reduktion um mindestens die Hälfte der Migränetage erreichten
unter Placebo 22,7 % und unter Verum 19,4 % (210 mg Q4W) bzw. 18,8 % (420 mg Q2W)
der Teilnehmer. Auch bei den übrigen sekundären Endpunkten sowie bei Auswertung der
EM- und CM-Subgruppen ergab sich keine Überlegenheit der Behandlung. Die Verträglichkeit
war insgesamt gut. Nebenwirkungen traten in den Verumgruppen nicht häufiger auf als
unter Placebo und führten bei 3,4 % (AMG 301) bzw. 2,2 % (Placebo) der Teilnehmer
zu einem Studienabbruch.
Kommentar
Diese Studie hat methodisch einwandfrei gezeigt, dass die Blockade des PAC1-Rezeptors
mit AMG 301 in 2 um den Faktor 4 unterschiedlichen Dosierungen in der Prophylaxe der
Migräne nicht wirksamer ist als Placebo. Die Autoren diskutieren eine Reihe von möglichen
Gründen, die von pharmakologischen Aspekten (Affinität zum resp. Konzentration am
Rezeptor?) bis hin zu Überlegungen reichen, dass die Blockade eines anderen oder mehrerer
PACAP-Rezeptoren für einen therapeutischen Effekt notwendig sein könnte, oder dass
nur eine Subgruppe von Migränepatienten profitiert. Hierbei könnte es sich angesichts
der Bedeutung von PACAP als parasympathisches Signalmolekül um diejenigen mit kranialen
autonomen Symptomen handeln. Allerdings scheint die Freisetzung von PACAP im Rahmen
spontaner Migräneattacken im Gegensatz zu VIP nicht an das Vorhandensein autonomer
Symptome gebunden zu sein (PJ Goadsby, persönliche Mitteilung). In der vorgestellten
Studie wurden kraniale autonome Symptome erfasst, jedoch erwies sich die Ausprägung
als zu gering, um eine stratifizierte Auswertung zu erlauben. Auch wenn sich eine
Wiederholung der Erfolgsgeschichte der anti-CGRP-Therapien bislang nicht abzeichnet,
bleiben weitere Bemühungen, eine Blockade des PACAP-Signalwegs therapeutisch zu nutzen,
durchaus gerechtfertigt. Ein monoklonaler Antikörper gegen das Peptid (ALD1910) befindet
sich in einem frühen Entwicklungsstadium (NCT04197349).
Borries Kukowski, Göttingen
Rimegepant als Migräne-Prophylaktikum
Rimegepant als Migräne-Prophylaktikum
Croop R, Lipton RB, Kudrow D, et al. Oral rimegepant for preventive treatment of migraine:
a phase ⅔, randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet 2021; 397(10268):
51–60
Rimegepant 75 mg jeden 2. Tag zeigte in dieser Phase-II/III-Studie nach 3 Monaten
eine gegenüber Placebo signifikante migräneprophylaktische Wirkung.
Zusammenfassung
Die Gepante kommen mit immer mehr positiven Studien ins Gesichtsfeld, sowohl in der
Akuttherapie der Migräne als auch in der prophylaktischen Therapie. In der vorgelegten
Studie ist die Substanz Rimegepant gegen Placebo getestet worden. Im klassischen Design
erhielten die Patienten über 3 Monate entweder 75 mg Rimegepant oder Placebo jeden
zweiten Tag. Im dritten Monat zeigte sich eine signifikante Reduzierung im Vergleich
bei den Migränetagen zwischen Rimegepant und Placebo. Dabei verloren die Patienten
mit Rimegepant im Durchschnitt 4,3 Migränetage und die Patienten mit Placebo im Durchschnitt
3,5 Migränetage, dieser therapeutische Gewinn von 0,8 Migränetagen war angesichts
einer Population von 695 Patienten signifikant. In ca. einem Drittel der Patienten
wurden sowohl in der Placebogruppe als auch in der Verumgruppe Nebenwirkungen angegeben.
Die Zahl der Abbrecher wegen Nebenwirkungen lag bei 1 % in der Placebogruppe und bei
2 % in der Verumgruppe.
Kommentar
Diese Studie zeigt ein positives Ergebnis für Rimegepant in der Migräneprophylaxe.
Insbesondere ist bemerkenswert, dass das Medikament sehr gut vertragen wurde und keine
relevanten unerwünschten Ereignisse aufgetreten sind. Der therapeutische Gewinn war
jedoch relativ niedrig, er lag noch unter dem von vergleichbaren Studien mit Topiramat
oder Betablocker. Wir haben jedoch gelernt, dass die Therapieeffekte in den kontrollierten
klinischen Studien häufig niedriger sind als in der Wirklichkeit außerhalb von Studien.
So ist es möglich, dass Rimegepant einen festen Stellenwert in der medikamentösen
oralen Prophylaxe der Migräne hinsichtlich der Wirksamkeit einnehmen kann. Kritisch
gesehen werden muss die Sicherheit dieser Substanz. So ist erst kürzlich gezeigt worden,
dass im Tiermodell die Infarktgröße bei einem Schlaganfall unter der Medikation mit
Rimegepant signifikant größer und dass das funktionelle Outcome nach einem Schlaganfall
unter Rimegepant schlechter gewesen ist. Es ist also noch offen, wie sicher diese
Substanz trotz der sehr guten Verträglichkeit beim Menschen wirklich ist und ob sie
allen Patienten bedenkenlos gegeben werden kann. Entscheidend wird auch sein, wie
die verschiedenen Aufsichtsbehörden das Risiko durch Rimegepant einschätzen werden.
Stefan Evers, Coppenbrügge
Prednison als Kurzzeitprophylaxe für den Clusterkopfschmerz
Prednison als Kurzzeitprophylaxe für den Clusterkopfschmerz
****Obermann M, Nägel S, Ose C, et al. Safety and efficacy of prednisone versus placebo
in short-term prevention of episodic cluster headache: a multicentre, double-blind,
randomised controlled trial. Lancet Neurol 2021; 20: 29–37
Die vorliegende randomisiert-kontrollierte Studie zeigt, dass Prednison als Kurzzeitprophylaxe
für die Behandlung von episodischen Clusterkopfschmerz-Patienten wirksam ist.
Hintergrund
Die Gabe von Kortison ist eine häufig durchgeführte Kurzzeitprophylaxe für die Behandlung
von Clusterkopfschmerz-Episoden, wobei bezüglich Dosierung und Dauer keine einheitlichen
Behandlungsempfehlungen vorliegen. Bislang wurde der Einsatz von Kortison in kleineren
Studien untersucht, allerdings liegen keine placebokontrollierten, randomisierten
Studien vor.
Zusammenfassung
Obermann et al. untersuchten in einer multizentrischen, randomisierten, doppelblinden
und placebokontrollierten Studie die Wirkung von oralem Prednison als Kurzzeitprophylaxe
in 116 Patienten. Eingeschlossen wurden episodische Clusterkopfschmerz-Patienten zwischen
18 und 65 Jahren in einer aktiven Clusterkopfschmerz-Episode. Die Episode durfte zum
Zeitpunkt des Einschlusses nicht länger als 30 Tage angedauert haben und durfte nicht
prophylaktisch behandelt sein (auch nicht mit Kortison). Die Einnahme von Akutmedikation
war zulässig. Die Studie dauerte 28 Tage, beginnend mit einer Screening Visite und
einer 1:1-Randomisierung in die Placebo- oder Prednison-Gruppe; weitere Visiten erfolgten
an Tag 7 und 28. Die Prednison-Gruppe erhielt für 5 Tage Prednison 100 mg p. o. mit
anschließender Reduktion um 20 mg alle 3 Tage. Beide Gruppen erhielten Verapamil 40
mg 1–1–1 mit Steigerung um 40 mg alle 3 Tage bis zu einer maximalen Dosierung von
360 mg/Tag sowie Pantoprazol 20 mg/Tag. Während der Studie führten die Teilnehmer
einen Attackenkalender (auf Papier). Die Anzahl der Attacken während der 3 Tage vor
Studieneinschluss wurde retrospektiv dokumentiert.
Primärer Endpunkt war die durchschnittliche Anzahl von Clusterkopfschmerz-Attacken
in der ersten Woche der Behandlung. Sekundäre Endpunkte waren u. a. die Anzahl der
Attacken von Tag 1 bis 28, die Anzahl der Tage mit Attacken von Tag 1 bis 7 bzw. 28,
eine mind. 50 %ige Ansprechrate, der Einfluss auf die Lebensqualität sowie Sicherheits-
und Verträglichkeitsdaten. Zwischen April 2013 und Dezember 2017 wurden an 10 deutschen
Kopfschmerzzentren 119 Patienten gescreent und 116 randomisiert. Die Studie wurde
nach 5 Jahren aufgrund der auslaufenden Finanzierung ohne Erreichen der geplanten
Stichprobengröße (n = 144) beendet. In die Auswertung wurden 56 Patienten (40,3 ±
10,5 Jahre; 84 % männlich) der Placebogruppe und 53 Patienten (42,4 ± 11,4 Jahre,
83 % männlich) der Prednison-Gruppe eingeschlossen. Während der Baselinephase hatten
die Patienten in der Placebogruppe 6,2 ± 4,6 und in der Prednison-Gruppe 7,1 ± 4,0
Clusterkopfschmerz-Attacken, also hochgerechnet 14,5 bzw. 16,6 Attacken pro Woche.
Die Studie erreichte ihren primären Endpunkt, während der ersten Woche der Behandlung
hatten die Patienten in der Prednison-Gruppe durchschnittlich 7,1 ± 6,5 Clusterkopfschmerz-Attacken,
die Patienten in der Placebogruppe 9,5 ± 6,0 (Differenz –2,4; p = 0,002), d. h. Patienten
in der Prednison-Gruppe hatten durchschnittlich 25 % weniger Attacken als in der Placebogruppe.
Auch die Zahl der Attacken in den ersten 28 Tagen ab Beginn der Behandlung war in
der Prednison-Gruppe signifikant reduziert im Vergleich zur Placebogruppe (15,6 ±
15,5 vs. 20,2 ± 15,0 Attacken, Differenz –4,7, p = 0,0356). 17 von 49 Patienten der
Prednison-Gruppe (35 %) waren nach 7 Tagen kopfschmerzfrei im Vergleich zu 4 von 54
Patienten (7 %) in der Placebogruppe (p = 0,0006). Nach 28 Tagen nahm die Zahl der
kopfschmerzfreien Patienten zu, allerdings gab es zwischen der Verum- und Placebogruppe
keinen signifikanten Unterschied mehr (p = 0,6510). An Tag 7 erreichten 49 % der Prednison-Gruppe
eine mind. 50 %ige Reduktion der Attackenfrequenz im Vergleich zu 15 % der Placebogruppe
(p = 0,0001). Die Einnahme von Akutmedikation war in der Prednison-Gruppe im Vergleich
zur Placebo-Gruppe in der ersten Woche und in den ersten 28 Tagen signifikant reduziert
(Tag 1–7: Prednison-Gruppe: 6,0 ± 6,8 vs. 9,2 ± 6,6; Differenz –3,2; p = 0,0012; Tag
1–28: p = 0,0373). Nebenwirkungen waren nicht unterschiedlich zwischen beiden Gruppen.
Kommentar
Die vorliegende Studie ist ein ambitioniertes Beispiel einer nicht kommerziellen Prüfung
(investigator initiated trial, IIT), also einer Studie, die unabhängig von der Pharmaindustrie
durchgeführt wird. Dabei wurde auf ein klares und gut umsetzbares Studiendesign für
Patienten und Studienzentren geachtet. Hiermit liegen zum ersten Mal evidenzbasierte
Daten vor, dass orales Prednison eine wirksame und sichere Kurzzeitprophylaxe ist,
um bspw. die Wirkung anderer prophylaktischer Medikamente einzuleiten. Die Gabe von
Prednison reduziert die Tage mit Clusterkopfschmerz-Attacken, führt zu einer schnelleren
Kopfschmerzfreiheit und zu einer reduzierten Einnahme von Akutmedikation; dies ist
insofern beachtenswert, da Patienten während Episoden mit hoher Attackenzahl die empfohlene
Tagesdosis an Triptanen häufig überschreiten. Auf der anderen Seite berichten viele
Clusterkopfschmerz-Patienten von einer unzureichenden Versorgung mit Akuttherapeutika,
so geben auch in dieser Studie 15–29 % der Patienten an, in der Vergangenheit (Nichttriptan)-Analgetika
verwendet zu haben. In dieser Hinsicht ist die vorübergehende Gabe von Prednison eine
gute Möglichkeit, um eine adäquate und nebenwirkungsarme Versorgung von Clusterkopfschmerz-Patienten
sicherzustellen.
Einschränkend könnte gesagt werden, dass in der Studie „nur“ eine Episode über einen
begrenzten Zeitraum von 28 Tagen untersucht wurde. Es wäre interessant gewesen, den
Verlauf über einen längeren Zeitraum nach Beendigung der Kortisongabe zu untersuchen.
An den Ergebnissen etwas überraschend ist vielleicht, dass „nur“ 35 % der Patienten
unter Prednison an Tag 7 schmerzfrei und 49 % um mindestens 50 % gebessert waren.
Der klinische Eindruck ist häufig, dass eine deutliche Mehrheit der Patienten von
Kortison einen sehr guten Effekt hat. Bei kortisonerfahrenen Patienten könnte auch
ein Nocebo-Effekt eine Rolle gespielt haben (Erwartung evtl. kein Kortison zu erhalten).
Dass sich am Ende des Studienzeitraums (4 Wochen) die beiden Gruppen nicht mehr unterschieden,
ist zu erwarten – bis dahin war Prednison abgesetzt, Verapamil aufdosiert und bei
einem Teil der Patienten vielleicht die Episode vorbei. Dies macht nochmals die Schwierigkeiten
der Studienplanung deutlich, da die einzelnen Verläufe der Clusterepisoden nicht vorhersagbar
sind.
Die meisten Therapien, die für den Clusterkopfschmerz angewandt werden, beruhen auf
Empfehlungen, die nie in großen randomisierten und placebokontrollierten Studien untersucht
wurden; mit der vorliegenden Studie gelingt Obermann et al. der Nachweis, dass Prednison
eine wirksame Medikation in der Behandlung von Clusterkopfschmerzen ist, und es wurde
ein entsprechendes Dosierungsschema etabliert. Die Durchführung weiterer solcher Studien
in der Behandlung des Clusterkopfschmerzes wäre wünschenswert.
Katharina Kamm, München
Die Kombination aus Rimegepant und CGRP-(Rezeptor)-Antikörper und was wir daraus lernen
können
Die Kombination aus Rimegepant und CGRP-(Rezeptor)-Antikörper und was wir daraus lernen
können
*** Mullin K, Kudrow D, Croop R, et al. Potential for treatment benefit of small molecule
CGRP receptor antagonist plus monoclonal antibody in migraine therapy. Neurology 2020;
94(20): e2121-e2125
*** Berman G, Croop R, Kudrow D, et al. Safety of Rimegepant, an Oral CGRP Receptor
Antagonist, Plus CGRP Monoclonal Antibodies for Migraine. Headache 2020; 60(8): 1734–42
2 kleine Fallserien mit 15 Patienten geben erste, wenn auch sehr vorläufige Hinweise
auf Wirksamkeit und Sicherheit der Kombination.
Hintergrund
Die in der Akuttherapie der Migräne in den USA bereits zugelassenen Gepante sind Antagonisten
am CGRP-Rezeptor und haben daher prinzipiell denselben Ansatzpunkt wie CGRP-Rezeptorantikörper
(Erenumab) und einen sehr ähnlichen wie CGRP-Antikörper (Fremanezumab und Galcanezumab).
Es ergeben sich interessante Fragen, z. B.: Wirken Gepante zur Akuttherapie überhaupt
bei Patienten, deren CGRP-Signalweg durch einen CGRP(R)-Antikörper blockiert ist?
Führt die doppelte Blockade des CGRP-Signalwegs bei Kombinationstherapie zu vermehrten
Nebenwirkungen oder Sicherheitsrisiken?
Inhalt
Die beiden Fallserien beschreiben Migräne-Patienten, die gleichzeitig Rimegepant 75
mg zur Akuttherapie eingenommen und einen CGRP-(Rezeptor)-Antikörper zur Prophylaxe
verwendet haben. Rimegepant wurde in beiden Fällen im Rahmen einer offenen Langzeitsicherheitsstudie
gegeben. In der ersten Fallserie werden 2 Patienten beschrieben, die unter laufender
Akuttherapie mit Rimegepant eine Prophylaxe mit Erenumab (70–140 mg) begonnen haben.
Die Nachbeobachtungszeit war 1 Monat. Rimegepant war auch unter Erenumab weiter wirksam
und es traten keine unerwünschten Ereignisse auf.
Die zweite Fallserie beschreibt 13 Patienten, die während laufender Therapie mit Erenumab
(n = 7), Fremanezumab (4) oder Galcanezumab (2) an einer Studie zu Rimegepant über
12 Wochen teilnahmen. Diese Patienten behandelten im Durchschnitt 7,8 Attacken pro
Monat mit Rimegepant, insgesamt wurden 224 Dosen eingenommen. Die Wirksamkeit wird
nicht berichtet, die Studie fokussiert auf die Sicherheit. 3 Patienten brachen vorzeitig
ab, mindestens einer davon wegen ungenügender Wirkung. Es traten keine schweren unerwünschten
Ereignisse auf, nur 3 unerwünschte Ereignisse wurden als potenziell mit Rimegepant
zusammenhängend eingeordnet: Eine virale Gastroenteritis (unwahrscheinlich), ein AV-Block
1. Grades (möglich, bei vorbestehender grenzwertiger PQ-Zeit) und ein Benommenheitsschwindel
(möglich). Nach Aussage der Autoren unterschieden sich die unerwünschten Ereignisse
sich nicht von denen bei Patienten ohne Prophylaxe mit einem CGRP(R)-Antikörper, dies
wurde aber nicht statistisch analysiert.
Kommentar
Die beiden Fallserien stammen aus derselben Arbeitsgruppe und sind Beispiele für die
eilige Publikation vorläufiger Daten, obwohl mehr Daten (z. B. zur Wirksamkeit in
der zweiten Fallserie) und in näherer Zukunft wahrscheinlich auch mehr Patienten zur
Verfügung gestanden hätten. Fazit ist, die Kombination von CGRP(R)-Antikörpern hat
nicht unmittelbar zu schweren Nebenwirkungen geführt, und es gibt Patienten, die unter
CGRP(R)-Antikörpern Rimegepant als wirksames Akuttherapeutikum verwenden können. Die
kleinen Patientenzahlen machen diese Ergebnisse sehr vorläufig.
Es gibt in den Publikationen aber noch einige interessante Erklärungsansätze, wie
sich eine Wirkung der Gepante unter gleichzeitiger Verwendung von CGRP(R)-Ak erklären
ließe. Zunächst wird darauf hingewiesen, dass entsprechend Modellrechnungen für Galcanezumab
die freien CGRP-Spiegel unter Langzeittherapie nur auf ca. 25–50 % des Ausgangswerts
sinken, sodass insbesondere gegen Ende des Dosisintervalls noch reichlich CGRP zur
Verfügung steht. Außerdem sind die Gepante ca. 280x kleiner als die Antikörper und
können daher Targets erreichen, die für die Antikörper nicht erreichbar sind, wird
sogar eine intrazelluläre Wirkung an internalisierten Rezeptoren diskutiert. Auch
die cAMP-Produktion, einer der intrazellulären CGRP-Signalwege, wird durch Rimegepant
stärker gehemmt als durch Erenumab. Zusätzlich wird eine differenzielle Wirkung am
Amylin-1-Rezeptor (Erenumab: keine; Rimegepant: zumindest leichte) diskutiert. Zusammenfassend
sind dies erste, sehr vorläufige Daten zu einer spannenden Fragestellung. Interessant
wäre auch, ob die Response auf Gepante mit der Response auf CGRP-(Rezeptor)-Antikörper
korreliert.
Ruth Ruscheweyh, München
Kein „Wearing-Off“-Effekt am Ende des Dosisintervalls bei Fremanezumab
Kein „Wearing-Off“-Effekt am Ende des Dosisintervalls bei Fremanezumab
*** Blumenfeld AM, Stevanovic DM, Ortega M, et al. No “Wearing-Off Effect” Seen in
Quarterly or Monthly Dosing of Fremanezumab: Subanalysis of a Randomized Long-Term
Study. Headache 2020; 60 (10): 2431–2443
Patienten, die vierteljährlich oder monatlich Fremanezumab bei chronischer oder episodischer
Migräne erhielten, zeigten kein Nachlassen des Effekts gegen Ende des Dosisintervalls.
Hintergrund
Antikörper gegen CGRP oder dessen Rezeptor ihre Wirksamkeit erwiesen und werden seit
2018 bzw. 2019 in der prophylaktischen Therapie bei episodischer (EM) und chronischer
Migräne (CM) eingesetzt. Von diesen sind als Antikörper gegen den Rezeptor Erenumab
sowie gegen den Liganden Fremanezumab und Galcanezumab auf dem deutschen Markt. Eptinezumab
ist nur in den USA verfügbar. Die Applikation erfolgt alle 4 Wochen, bei Fremanezumab
wahlweise auch in 3-facher Dosierung alle 3 Monate. Hintergrund der hier besprochenen
Post-hoc-Analyse war es, zu überprüfen, ob der Effekt von Fremanezumab gegen Ende
des Dosisintervalls nachlässt („Wearing-Off“).
Zusammenfassung
Die Analyse stützt sich auf die Daten einer Langzeitwirksamkeitsstudie über 12 Monate
zu Fremanezumab 225 mg monatlich gegenüber 675 mg vierteljährlich (verblindet, keine
Placebogruppe). Die 1890 Patienten mit EM oder CM sind teils aus den 3-monatigen placebokontrollierten
HALO-Studien in die Langzeitstudie übergegangen oder waren neu rekrutiert (n = 312).
Die Ein- und Ausschlusskriterien kann man im Detail in der Publikation nachlesen [1]. Der primäre Endpunkt, die Veränderung der durchschnittlichen Kopfschmerztage pro
Woche, wurde in folgenden Intervallen verglichen: zwischen der ersten und zweiten
Hälfte des Monats; in Wochen 1–3 gegenüber Woche 4 des Monats sowie in Wochen 1–2
gegenüber Wochen 11–12 des Quartals. Hierbei wurden Daten im 3., 6., 9. sowie 15.
Monat der Behandlung analysiert, bzw. das erste und das zweite Behandlungsquartal.
Es ergaben sich keine signifikanten Unterschiede in den durchschnittlichen Migränetagen
zwischen den Zeiträumen in den EM- und CM-Subgruppen sowie in der monatlichen und
quartalsweisen Dosierung. So zeigten sich beispielsweise in der CM-Gruppe bei der
vierteljährlichen Einnahme 2,8 Migränetage pro Woche in den ersten 2 Wochen sowie
2,7 in den letzten 2 Wochen des ersten Quartals, und im zweiten Quartal 2,5 Migränetage
pro Woche in den ersten beiden und 2,5 in den letzten beiden Wochen. Der Ausgangswert
vor Behandlung war 4,0 Migränetage pro Monat. Ähnliche Ergebnisse erbrachten die anderen
Zeiträume in den untersuchten Gruppen. Zusammenfassend zeigt sich in der dargestellten
Analyse kein Hinweis auf ein Nachlassen des Effekts, gemessen an den Migränetagen
pro Woche, von Fremanezumab kurz vor erneuter Injektion.
Kommentar
Diese Arbeit beschäftigt sich mit einer interessanten und klinisch wichtigen Fragestellung.
Bei Botulinumtoxin hat sich in mehreren Studien ein Wearing-Off gegen Ende des 3-monatigen
Behandlungsintervalls gezeigt [2]. Für Erenumab zeigen Real-World-Daten bei ca. einem Viertel bis einem Drittel der
Patienten ein subjektives Wearing-Off-Phänomen, dies basiert allerdings auf Befragung
der Patienten, nicht auf Kalenderdaten [3], [4]. Bei Galcanezumab scheinen Kalenderdaten hingegen keinen Hinweis auf einen Wearing-off-Effekt
zwischen der ersten und zweiten Hälfte des Monats zu geben [4]. Die große Fallzahl unter Verwendung von Kalenderdaten ist eine Stärke der vorliegenden
Arbeit. Leider gibt es jedoch Schwachstellen wie die fehlende Placebokontrolle, heterogene
Ein- und Ausschlusskriterien, kompliziertes Studiendesign mit unterschiedlichen Beobachtungszeiträumen
zwischen den HALO-Patienten und später eingeschlossenen Patienten. Ein Nachteil ist
auch, dass immer nur gruppierte Wochen verglichen wurden. Überzeugender wären Diagramme
mit Darstellung der Migränetage für jede Woche gewesen, insbesondere für die quartalsweise
Dosierung, denn eigentlich möchte man ja die Phase der maximalen Wirkung mit der Phase
kurz vor der nächsten Injektion vergleichen. Diskutiert wurde auch, dass ein einseitiger
Fokus auf die Häufigkeit der Kopfschmerzen gelegt wurde, und die Kopfschmerzintensität
nicht betrachtet wurde. Es ist nicht auszuschließen, dass sich das Nachlassen der
Wirkung zuerst an einer stärkeren Kopfschmerzintensität zeigt. In diesem Fall könnte
es sein, dass Patienten subjektiv von einem Nachlassen der Wirkung berichten, während
die Anzahl der Migränetage noch unverändert bleibt. Die Zusammenschau der Daten erlaubt
daher nicht die Aussage, dass ein Wearing-Off bei Erenumab vorkommt, nicht aber bei
Galcanazumab und bei Fremanezumab. Hier müssen erst weitere Studien erfolgen. Der
Ansatz sollte die Forschung, am besten prospektiv in Kombination von subjektiver Einschätzung
und Kalenderdaten anregen. Trotz der genannten Einschränkungen legt die Arbeit nahe,
dass keine Wearing-Off-Effekte gegen Ende des Dosierungsintervalls bei Fremanezumab
vorliegen. Bezüglich der Interessenskonflikte ist noch zu erwähnen, dass 6 der 8 Autoren
bei Teva beschäftigt sind oder waren.
Cem Thunstedt und Ruth Ruscheweyh, München
INFORMATION
*****
|
Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete
Übersicht bietet
|
****
|
Gute experimentelle oder klinische Studie
|
***
|
Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter
|
**
|
Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen
Mängeln
|
*
|
Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln
|
Die Kopfschmerz-News werden betreut von: Priv.-Doz. Dr. Ruth Ruscheweyh, Klinik und
Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität München, Marchioninistr. 15, 81377
München, Tel. 089/440073907, ruth.ruscheweyh@med.uni-muenchen.de
Sie wird dabei unterstützt von Dr. Thomas Dresler, Tübingen (Bereich Psychologie und
Kopfschmerz), PD Dr. Gudrun Goßrau, Dresden (Bereich Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen)
und Dr. Katharina Kamm, München (Bereich Clusterkopfschmerz).
Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen
Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.