Nervenheilkunde 2021; 40(05): 377
DOI: 10.1055/a-1298-1087
Gesellschaftsnachrichten

Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie e. V.

Eva Schielke
1   Berlin
,
Tom Bschor
,
Anja M. Bauer
› Author Affiliations
 

Mini-Weiterbildung: Neurosyphilis

Da unsere Vortragsveranstaltungen pandemiebedingt teilweise ausfallen mussten, bietet die BGPN erneut eine Mini-Weiterbildung an. Dieses Mal zur Neurosyphilis.

Um 1900 war in Deutschland bei fast jedem zweiten männlichen Patienten eine fortgeschrittene Neurosyphilis der Grund für eine stationäre Behandlung in einer Nervenheilanstalt, und die Älteren unter uns werden sich noch daran erinnern, dass der sogenannte Wassermann-Test (ein Cardiolipinflockungstest zum Nachweis von Antikörpern gegen Treponema pallidum) in zahlreichen neurologischen und psychiatrischen Kliniken routinemäßig zum Aufnahmelabor gehörte. In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurde die Syphilis immer seltener und somit auch ihre neurologischen Manifestationen.


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Epidemiologie

Seit 2010 jedoch steigt in Deutschland die Zahl von Syphilis-Infektionen kontinuierlich an und liegt derzeit bei knapp 8000/Jahr. Besonders häufig treten Neu- und Reinfektionen in Großstädten auf, allen voran Köln, Berlin, München und Hamburg. Zu ca. 95 % sind Männer betroffen, von diesen wiederum ganz überwiegend „MSM“ (infektionsepidemiologischer Terminus für „Männer, die Sex mit Männern haben“), wovon knapp die Hälfte auch HIV-infiziert ist. Bei den meisten Patienten wird die Syphilis im Primär- oder Sekundärstadium entdeckt, aber schätzungsweise 10–30 % werden erst im Stadium einer Neurosyphilis diagnostiziert.

Klinik

Die aus alten Lehrbüchern bekannten Spätmanifestationen in Form der progressiven Paralyse oder der Tabes dorsalis sind heutzutage extrem selten. Am häufigsten sind meningitische und meningovaskuläre Formen der Neurosyphilis, die meist Wochen bis Monate, selten wenige Jahre nach der Primärinfektion auftreten. Bei der rein meningitischen Form sind Kopfschmerzen und Hirnnervenausfälle am häufigsten (v. a. Augenmuskelnerven, N. facialis, auch der N. vestibulocochlearis, was sich als vermeintlicher Hörsturz zeigt), Fieber ist keineswegs obligat, ebenso wenig eine Nackensteifigkeit. Bei der meningovaskulären Form kommt es zu atypischen ischämischen Hirninfarkten, manchmal auch zu einer Querschnittssymptomatik durch Affektion der A. spinalis anterior.


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Diagnostik

Tatsächlich am wichtigsten ist es, bei den genannten Symptomen differenzialdiagnostisch an eine Neurosyphilis zu denken! Als serologisches Screening wird ein TPHA (Treponema-pallidum-Hamagglutinations-Assay) oder TPPA (Treponema-pallidum-Partikel-Agglutination) im Serum durchgeführt, zur Bestätigung meist ein Immunoassay und zur Aktivitätsbeurteilung der 19S-IgM-FTA-ABS oder der VDRL. Bei klinischem Verdacht und positivem Screening-Test im Serum folgt die Liquordiagnostik. Dabei findet sich meist eine geringe bis moderate lymphozytäre Pleozytose und – es sei dann, es liegt eine sehr frühe Meningitis vor – eine intrathekale IgG-Synthese. Der Nachweis einer Neurosyphilis erfolgt durch einen deutlich erhöhten spezifischen Antikörper-Index. Sehr häufig findet sich dann aufgrund einer Kreuzreaktion auch ein erhöhter spezifischer Antikörper-Index gegen Borrelien.


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Therapie

Mittel der ersten Wahl ist Penicillin G i. v., 24–30 I. E./Tag, verteilt auf 3–6 Einzeldosen über 14 Tage. Da dies im ambulanten Setting nicht praktikabel ist, kann alternativ Ceftriaxon 2 g/Tag i. v. über 14 Tage gegeben werden. Bei der ersten Infusion kann es zu einer Jarisch-Herxheimer-Reaktion kommen, daher wird von manchen Autoren vorgeschlagen, 30 Minuten vor der ersten Infusion Prednisolon 1 mg/kg Körpergewicht zu applizieren.


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Prognose

In der Regel sollte eine Neurosyphilis nach einer 2-wöchigen intravenösen Antibiotikatherapie ausreichend therapiert sein. Meningitische Symptome und Hirnnervenausfälle bilden sich meist gut zurück, zerebrale und spinale Ischämien hingegen hinterlassen meist bleibende Defizite. Im Serum sollte es zu einem deutlichen Titerabfall der serologischen Marker kommen, was allerdings oft Monate dauern kann. Zu beachten ist, dass auch Jahre nach einer erfolgreich behandelten Neurosyphilis weiterhin eine deutliche spezifische intrathekale Antikörpersynthese im Liquor nachweisbar ist; zur Beurteilung der Floridität ist daher die Zellzahl besser geeignet.

Eine durchgemachte und erfolgreich therapierte Syphilis hinterlässt keine Immunität. Bei entsprechendem Risikoverhalten (im Wesentlichen ungeschützter Geschlechtsverkehr) sind Reinfektionen möglich.

Auflösung BGPN-Quiz aus dem letzten Heft: 1C, 2B, 3F, 4B, 5D, 6E, 7C, 8D


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IMPRESSUM

Prof. Dr. Tom Bschor
Redaktion: Dr. Anja M. Bauer
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie e. V.
Schlosspark-Klinik, Abteilung für Psychiatrie
Heubnerweg 2, 14059
Berlin
Email: info@bgpn.de   

Publication History

Article published online:
04 May 2021

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