10 Jahre
wären laut Bündnis in etwa nötig, um eine flächendeckende hochschulische Ausbildung
für alle Therapieberufe umzusetzen.
Akademisierung gefordert – Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen
Die primärqualifizierende hochschulische Ausbildung für die angehenden Therapeuten
in Deutschland zu etablieren – das ist das Ziel des „Bündnisses Therapieberufe an
die Hochschulen“. Es hat sich 2019 gegründet und zu ihm gehören acht große Verbände
der Heilmittelbranche: Deutscher Verband der Ergotherapeuten (DVE), Deutscher Bundesverband
für Logopädie (dbl), Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten (IFK), Deutscher
Verband für Physiotherapie (ZVK), Verband Physikalische Therapie (VPT), Verbund für
Ausbildung und Studium in den Therapieberufen (VAST), Fachbereichstag Therapiewissenschaften
und der Hochschulverbund Gesundheitsfachberufe (HVG).
Auf seiner Internetseite www.buendnis-therapieberufe.de sind weitere Informationen zum Bündnis zu finden, zum Beispiel die kürzlich erschienene
Stellungnahme zum Eckpunktepapier „Gesamtkonzept Gesundheitsfachberufe“ (ERGOPRAXIS
4/20, S. 8). Darin erklären die Bündnispartner unter anderem, warum die vollständige
Akademisierung für eine gute zukünftige Klientenversorgung wichtig ist und welche
Bedeutung sie für die Attraktivität der Heilmittelberufe hat.
mru
Andreas Pfeiffer ist neuer SHV-Vorsitzender – Spitzenverband der Heilmittelerbringer
Seit dem 1. Januar 2021 hat der Spitzenverband der Heilmittelerbringer (SHV) einen
neuen Vorsitzenden: Andreas Pfeiffer (Deutscher Verband der Ergotherapeuten, DVE)
hat das Amt von Ute Repschläger (Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten,
IFK) übernommen.
Pfeiffer blickt motiviert auf das kommende Jahr: „Wir werden das Wahljahr 2021 nutzen,
um unsere aktuellen berufspolitischen Forderungen in die Politik einzubringen. Wir
wollen die Politik davon überzeugen, dass im Heilmittelbereich weiter Handlungsbedarf
besteht!“ Zu den Vorhaben des SHV zählen zum Beispiel eine angemessene Vergütung der
Heilmittelerbringer und der Abbau von Bürokratie. Mehr Informationen zum Verband und
seinen Zielen sind unter www.shv-heilmittelverbaende.de einzusehen.
mru
„Der politische Wille fehlt“ – Akademische Ausbildung
Seit 2009 ist es möglich, eine grundständige Ausbildung in der Ergo-, Physiotherapie
und Logopädie auf Hochschulebene zu erproben. Dies macht die Modellklausel in den
Berufsgesetzen möglich. Bislang war sie bis 2021 befristet. Im Referentenentwurf zum
Gesundheitsversorgungsentwicklungsgesetz (GVWG) ist nun beschrieben, dass sie bis
Ende 2026 verlängert werden soll – nicht unbedingt ein Grund zur Freude, meint Prof.
Dr. habil. Bernhard Borgetto. Er ist der 1. Vorsitzende des Hochschulverbunds Gesundheitsfachberufe
(HVG) und hat ergopraxis erklärt, warum die Verlängerung der Modellklausel ohne eine
Reform der Berufsgesetze die Modellstudiengänge gefährdet.
Herr Borgetto, die Modellklausel soll um weitere fünf Jahre verlängert werden. Wie
schätzt der HVG diesen Umstand ein?
Die Verlängerung der Modellklausel muss man im Zusammenhang mit der anstehenden Reform
der Berufsgesetze der Therapieberufe sehen. In dieser würde die Akademisierung – zumindest
für einen längeren Zeitraum – verbindlich geregelt werden. Das heißt, es würde über
die Frage entschieden werden, ob eine hochschulische Ausbildung als Zugang zum Beruf
überhaupt eine dauerhafte Möglichkeit neben der berufsfachschulischen Ausbildung wird
(die sogenannte Teilakademisierung) oder ob die hochschulische Ausbildung der alleinige
Zugang zum Beruf wird (die sogenannte Vollakademisierung). Die Modellklausel dient
dazu, die hochschulische Ausbildung zu erproben und zu evaluieren. Dies ist geschehen,
die Evaluationen sind positiv und die primärqualifizierenden Studiengänge können als
zielführend für eine zukunftsfähige und wissenschaftsbasierte Ausbildung angesehen
werden.
Ein noch wichtigerer Zusammenhang besteht mit der Einführung der an sich begrüßenswerten
Schulgeldfreiheit und der Ausbildungsvergütungen im Rahmen der berufsfachschulischen
Ausbildung. Diese bringen die primärqualifizierenden therapeutischen Studiengänge
in eine möglicherweise existenzbedrohende Schieflage, da sie hinsichtlich der finanziellen
Anreize nicht mehr mit den berufsfachschulischen Ausbildungen konkurrieren können.
Worin liegen Ihrer Meinung nach die Gründe, warum es zu einer erneuten Verlängerung
gekommen ist?
Das ist im Einzelnen schwer zu sagen. Es heißt, die Zeit sei zu kurz, um die Reform
der Berufsgesetze noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Deshalb sei es
nötig, die Modellklausel zu verlängern, ansonsten gäbe es keine gesetzliche Grundlage
mehr für die Weiterführung der Modellstudiengänge. Aber ein Blick auf das aktuelle
Gesetzgebungsverfahren zum Infektionsschutz zeigt doch: Wenn der politische Wille
vorhanden ist, dann kann ein Gesetz auch ganz schnell verabschiedet werden. Die letzte
Reform der Berufsgesetze liegt – trotz anhaltender Proteste und vorliegender Reformvorschläge
– fast ein halbes Jahrhundert zurück. Es liegt doch alles vor: positive Studiengangsevaluationen,
eine Transformationsstrategie und die Willensbekundung aller berufs- und wissenschaftspolitischen
Akteure, sogar die der Lehrerverbände der Berufsfachschulen.
Welche Vorgehensweise schlägt der HVG vor, um eine zukunftsweisende Ausbildungslandschaft
für Heilmittelerbringer zu ermöglichen?
Die Ausbildung der Therapieberufe – übrigens nicht nur für den ambulanten Sektor,
sondern auch für die stationäre Rehabilitation – muss vollständig an die Hochschulen
verlagert werden. Dabei sollte eine dem bisherigen Umfang entsprechende praktische
Ausbildung in Verantwortung der Hochschulen erfolgen, und es müssen die Wissenschaftsentwicklung,
Theoriebildung und Forschung der Therapieberufe ermöglicht werden. Dazu werden Studiengänge
wie die primärqualifizierenden Modellstudiengänge benötigt. Duale Studiengänge, bei
denen die praktische Ausbildung durch Ausbildungsverträge geregelt in der Verantwortung
von Krankenhäusern liegt, können dies weniger gut leisten.
In einer Übergangszeit sollten Hochschulen und Berufsfachschulen miteinander in hochschulischen
Studiengängen kooperieren, damit man das Personal und das Know-how der Berufsfachschulen
an die Hochschulen transferieren kann. Und nicht zuletzt sollte man sicherstellen,
dass man bereits ausgebildeten Therapeuten verkürzte Möglichkeiten zur wissenschaftlichen
Nachqualifikation anbietet.
Die Fragen stellte Julia Mischner.
Prof. Dr. habil. Bernhard Borgetto von der Hochschule für angewandte Wissenschaft
und Kunst (HAWK) setzt sich für eine ausschließlich hochschulische Ausbildung ein.
Abb.: HAWK [rerif]