War 1977 nur jedes 56. Neugeborene ein Mehrling, so sind es heute nach Angaben des
Statistischen Bundesamtes doppelt so viele. „Grund dafür ist zum einen die Zunahme
von künstlichen Befruchtungen, zum anderen aber auch das höhere Durchschnittsalter
der werdenden Mütter“, erklärt Privatdozent Dr. med. Kai-Sven Heling, Pränataldiagnostiker
und Vizepräsident der DEGUM. Denn Frauen haben mit zunehmendem Alter häufiger 2 Eisprünge
pro Zyklus [2]. Gemeinsam mit der DGGG hat die DEGUM nun die erste deutschsprachige AWMF-Leitlinie
zur Überwachung und Betreuung von Zwillingsschwangerschaften veröffentlicht. Denn
bislang gab es keine einheitlichen deutschsprachigen Empfehlungen zum Management von
Zwillingsschwangerschaften.
„Es ist von entscheidender Bedeutung, dass jene Zwillingsschwangerschaften, welche
einem erhöhten Risiko für Komplikationen unterliegen, frühzeitig identifiziert und
kontinuierlich per Ultraschall betreut werden“, erklärt Professor Dr. med. Constantin
von Kaisenberg, Bereichsleiter Geburtshilfe und Pränatalmedizin des Perinatalzentrums
der Medizinischen Hochschule Hannover und Leitlinienbeauftragter der DEGUM. „Durch
regelmäßige Ultraschall-Untersuchungen lassen sich durch die frühzeitige Erkennung
von Komplikationen und ein daraus ableitbares Management die Mortalität und Morbidität
der betroffenen Zwillinge deutlich senken“, ergänzt Professor Dr. med. Kurt Hecher
vom UKE Hamburg und Leiter der Arbeitsgemeinschaft für Geburtshilfe und Pränatalmedizin
in der DGGG.
Im Vergleich zu Einlingsschwangerschaften kommt es bei Zwillingen häufiger zu komplizierten
Verläufen. Zu den Hauptrisiken zählen Fehlbildungen und eine Frühgeburt. Die Schwangeren
haben zudem schon allein aufgrund der stärkeren körperlichen Belastung durch 2 Kinder
im Bauch ein erhöhtes Risiko für Bluthochdruck, Schwangerschaftsdiabetes, Blutarmut
und eine Schwangerschaftsvergiftung (Präeklampsie). Gefährdet sind aber vor allem
die Föten selbst. Entscheidend dabei ist vor allem, ob sich die Ungeborenen eine Plazenta
und/oder eine Fruchthöhle teilen müssen.
Zwillingsschwangerschaften, bei denen jeder Fötus eine eigene Plazenta und eine eigene
Fruchthöhle hat, sind in der Regel wenig problematisch. „Bei diesen Schwangerschaften
geht es vor allem darum, dass die Föten wenig Platz haben und zusammen ein deutlich
höheres Gewicht aufbringen als ein Einling“, erklärt von Kaisenberg. Der Druck auf
den Muttermund steige enorm, eine Frühgeburt drohe. Zwillinge werden deshalb auch
spätestens in der Schwangerschaftswoche 38 geboren.
Bei jeder fünften Zwillingsschwangerschaft teilen sich die Ungeborenen hingegen eine
Plazenta. Eine solche „monochoriale“ Schwangerschaft lässt sich bis Schwangerschaftswoche
14 mithilfe der Ultraschalldiagnostik feststellen. Diese Kinder sind in besonderer
Weise gefährdet. So kann es sein, dass eine Gefäßverbindung zwischen den Zwillingen
besteht, es droht die Gefahr des sogenannten fetofetalen Transfusionssyndroms (TTTS).
Dabei kommt es zum einseitigen Blutaustausch zwischen den Ungeborenen: Das eine gibt
Blut ab, das andere nimmt es auf. „Bei monochorialen Zwillingen muss ganz engmaschig
betreut werden, um zu sehen, ob eines der Kinder unterversorgt ist und das andere
zu viel abbekommt. Es könnte einer oder auch beide sterben“, sagt von Kaisenberg.
Er rät Schwangeren, sich in dieser Situation einen Arzt oder eine Ärztin mit hoher
Ultraschallkompetenz zu suchen. Wer beispielsweise eine DEGUM-Zertifizierung der Stufe
2 und/oder 3 besitzt, ist ausreichend qualifiziert, um Risiken zu erkennen und frühzeitige
Therapiemaßnahmen einzuleiten. Alle DEGUM-zertifizierten Ärzte kann man auf der Webseite
der Fachgesellschaft einsehen: https://www.degum.de/service/zertifizierte-aerzte.html.
„Trotz aller Risiken kommen die meisten Zwillinge heutzutage gesund und munter auf
die Welt“, erklärt Heling. „Die neue Leitlinie leistet einen Beitrag zu einer verbesserten
Versorgung – sowohl der Mütter als auch der Föten bei Zwillingsschwangerschaften.“