Hintergrund
Das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (BMBF), das Bundesministerium
für Gesundheit (BMG), die Kultusministerkonferenz (KMK) und die Gesundheitsministerkonferenz
(GMK) sowie Vertreterinnen und Vertreter der Koalitionsfraktionen des Deutschen Bundestages
haben am 31. März 2017 den „Masterplan Medizinstudium 2020“ verabschiedet. Ziel dieses
Masterplans ist u. a., die Medizinerausbildung den neuen Herausforderungen wie der
verlängerten Lebenszeit anzupassen und die ärztliche Versorgung in ländlichen Regionen
sicherzustellen. Nach Vorgaben des BMBF sieht der „Masterplan Medizinstudium 2020“
Veränderungen bei der Studienstruktur und den Ausbildungsinhalten vor. Die Lehre soll
noch mehr an der Vermittlung arztbezogener Fähigkeiten ausgerichtet werden. Insbesondere
soll eine Fokussierung auf das Arzt-Patienten-Gespräch, das maßgeblich die Arzt-Patienten-Beziehung,
den Behandlungserfolg und das Wohlbefinden der Patientinnen und Patienten beeinflusst,
erfolgen [1 ]. Die Dermatologie wird an verschiedenen deutschen Lehrstandorten durch Vorlesungen
und praktische Untersuchungskurse vermittelt [2 ]. Diese Form der Studienstruktur lehrt die organbezogene Betrachtungsweise. Für den
Erwerb einer erweiterten ärztlichen Grundhaltung ist jedoch ein spezifisch ausgerichtetes
Lehrangebot mit persönlichen Erfahrungsbereichen bereits im Medizinstudium und später
in der Facharztweiterbildung grundlegend und wünschenswert [3 ]. George L. Engel legte theoretische Überlegungen zu einem „biopsychosozialen Modell“
von Krankheit und Gesundheit als Basis vor. Egger erweiterte das seit über 100 Jahren
vorherrschende biomedizinische Modell der Humanmedizin [4 ]. Die aktuelle biopsychosoziale Medizin nutzt das erweiterte biopsychosoziale Modell
als Theorie der Körper-Seele-Einheit (body mind unity), die die Gleichzeitigkeit von
psychologischen und physiologischen Prozessen innerhalb ein und desselben Ereignisvorgangs
postuliert [5 ].
In der Dermatologie sind entsprechende Zusammenhänge gut belegt. So zeigte sich ein
signifikanter Zusammenhang zwischen atopischer Dermatitis (AD) bei Erwachsenen mit
Depression (Odds Ratio [OR], 2,19; 95 % Konfidenzintervall [CI], 1,87 – 2,57) und
Angst (OR, 2,19; 95 % KI, 1,75 – 2,73) [6 ]. Das Risiko, an einer Depression zu erkranken, ist auch bei Menschen mit Psoriasis
(Schuppenflechte) um das 1,5-Fache erhöht [7 ]. Eine Mitberücksichtigung psychosomatischer Aspekte hat einen positiven Einfluss
auf die Behandlung von dermatologischen Patienten [6 ]. Dieser Tatbestand sollte daher schon frühzeitig in der medizinischen Ausbildung
vermittelt werden. Auch die möglichen Auswirkungen der Hautläsionen auf das Erscheinungsbild
und Begleitsymptome wie Schmerzen und Jucken, wie bspw. bei der Psoriasis und der
AD häufig vorhanden, gehen mit starken Einbußen in der gesundheitsbezogenen Lebensqualität
einher [8 ]
[9 ]
[10 ]. So haben die häufigsten beiden chronisch entzündlichen Hauterkrankungen weitreichende
Auswirkungen auf die Lebensqualität von Patienten, die häufig unter Depression und
Angststörung leiden, Symptome, die bei der klinischen Versorgung Beachtung finden
müssen [11 ]. Das öffentliche Stigmatisierungserleben mit negativen Reaktionen anderer Menschen
wie auch die Selbststigmatisierung mit dysfunktionalen Verhaltensweisen wie Rückzugstendenzen
und Selbstabwertung seitens der Patienten trägt maßgeblich zu den psychosozialen Belastungen
bei [12 ]
[13 ].
Um Medizinstudierenden neben der üblichen curricularen Lehre zeitnah zusätzliche praxisnahe
Fähigkeiten und Fertigkeiten und so auch das biopsychosoziale Modell anhand von Fallbeispielen
vermitteln zu können, konnte mit Förderung durch den PerLe-Fonds (Projekt erfolgreiches
Lehren und Lernen) der CAU Kiel über das Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) seit Sommersemester 2019 ein zusätzliches dermatologisches Lehrprojekt entwickelt
werden. Evaluationen und Weiterentwicklungen erfolgten im Wintersemester 2019/20.
Dieses außercurriculare Lehrprojekt wurde in der Dermatologie angesiedelt und besteht
aus verschiedenen Modulen (z. B. Trainingskursen, Lehrvideos, speziellen Seminarvorlesungen
und Praxishospitationen). Ziel des interaktiven Seminars Psychodermatologie, das hier
im Detail vorgestellt wird, war, den teilnehmenden Studierenden das erweiterte biopsychosoziale
Modul anhand einer realen Patientenbegegnung aufzuzeigen, sodass die möglicherweise
neu gewonnene Haltung einen Einfluss auf das zukünftige ärztliche Handeln haben wird.
Methodik
Konzeption
Das Konzeptpapier und die Manualisierung des Seminars wurden in Anlehnung an den Leitfaden
zur Konzeption und Planung von Lehrveranstaltungen entwickelt und besteht aus einer
Phase der Planung zur Erstellung starker Grundkomponenten, einer Konsolidierungsphase
und einer Abschlussphase [14 ].
Das vorgestellte Seminar beginnt mit einer Einführung in die psychosomatische Dermatologie
sowie mit der Vermittlung des erweiterten biopsychosozialen Modells. Die Verknüpfung
der Wechselwirkungen über das rein Organische hinaus und der Einfluss der individuellen
menschlichen Dimension werden einerseits durch einen dermatologischen Expertenbeitrag
und andererseits durch den interaktiven Begegnungsteil mit Betroffenen praxisnah veranschaulicht.
Durch das gemeinsame Ableiten des „biopsychosozialen Modells“ am Beispiel der Betroffeneninterviews
und die Berücksichtigung eigener individueller Erfahrungen werden die Studierenden
aktiv in das Geschehen miteinbezogen. Den Abschluss des Seminars bildet ein Ausblick
zu interdisziplinären Therapiezielen und eine Rückmelderunde aller Beteiligten. Eine
Übersicht zur Konzeption findet sich in [Tab. 1 ].
Tab. 1
Übersicht zur Konzeption des Moduls „Psychosomatische Dermatologie“.
Teil
Thema
Seminar- oder Modulablauf
1
Vorstellung, Allgemeine Einführung
Begrüßung und Vorstellungsrunde aller Teilnehmer anschließend Einführung in die Psychosomatische
Dermatologie und deren Bedeutung für das Fach Dermatologie
2
Definition „biopsychosoziales Modell“
Vereinfachte Vorstellung des „biopsychosozialen Modells“ nach Engel und des Grundgedankens
des erweiterten biopsychosozialen Modells in Anlehnung an Egger
3
Expertenbeitrag
Expertenbeitrag zu ausgewählten dermatologischen Erkrankungen mit psychosomatischer
Beteiligung
4
Freiwillige Selbstöffnung eigener Erfahrung seitens der Studierenden
Selbsterfahrungsanteil der Studierenden
5
Patienteninterview mit Erstellen des individuellen „biopsychosozialen Modells“
Interaktive Patientenbefragung mit gemeinsamem Erarbeiten des individuellen Störungsmodells
unter Einbezug aller Beteiligten auf der Basis des „biopsychosozialen Modells“
6
Einbezug „biopsychosoziales Modell“ auf Therapieplanung
Ableitung möglicher fächerübergreifender Therapieziele mit Präsentation, Vorstellung
eines möglichen Einsatzes etablierter Fragebogensätze, multiprofessionelle Vernetzung
7
Abschluss
Abschluss und Rückmelderunde aller Beteiligten, Ausgabe der Evaluationsbögen
Rahmenbedingungen
Das einmalige, ca. 2 Stunden andauernde Präsenzseminar wurde als zusätzliches freiwilliges
Angebot parallel im Rahmen der üblich stattfindenden dermatologischen Lehrveranstaltungen
im klinischen Studienabschnitt in den Lehrräumen der Universitätsklinik angeboten
und terminlich wie örtlich den Gegebenheiten angepasst. Eine Teilnehmerzahl von 10
Personen pro Seminar durfte nicht überschritten werden.
Mitwirkende waren Betroffene, ein Facharzt*Fachärztin für Dermatologie, eine Facharzt*Fachärztin
für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.
Evaluation
Die Qualität des Seminars wurde im Anschluss an die Seminare mit Einsatz eines standardisierten
Evaluationsbogens überprüft und deskriptiv ausgewertet. Die schriftliche Beantwortung
der zusätzlichen freien Aussagen wurde in die qualitative Analysesoftware (Provalis
Research, QDA Miner Lite, 2004 – 2016) importiert und inhaltsanalytisch ausgewertet.
Im Zentrum der computergestützten Auswertung stand die Entwicklung eines Kategoriensystems
bestehend aus Haupt- und Unterkategorien, das aus den Themenblöcken der Leitfäden
abgeleitet und induktiv durch weitere relevante im Rahmen der Rückmeldung geäußerte
Themen ergänzt wird. Jede Kategorie wurde durch Definitionen beschrieben. Das Interviewmaterial
wurde darauffolgend im Hinblick auf die deduktiv und induktiv festgelegten Kategorien
kodiert, ein Kategoriensystem erstellt und ausgewertet. Jeder Auswertungsschritt wurde
dokumentiert, um die Nachvollziehbarkeit der Analyse zu gewährleisten [15 ]. Um die Reliabilität der Analyse zu gewährleisten, wurde die Analyse von zwei Wissenschaftler*innen
durchgeführt mit anschließendem Abgleich und Konsens („code-defining“) [16 ].
Ergebnisse
Stichprobenbeschreibung
Die Stichprobe bestand aus Studierenden im klinischen Abschnitt ihres Medizinstudiums
der Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel. Als Voraussetzung galt der absolvierte
erste Abschnitt der ärztlichen Ausbildung und die derzeitige klinische Ausbildung
am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel. Kontakt mit Betroffenen
aus verschiedenen medizinischen Fachbereichen sollte durch Vorlesungen, Seminare,
Hospitationen und Pflichtpraktika bereits vorhanden sein. Die Experten aus Dermatologie
und Psychosomatik sollten langjährige Erfahrung mit Patienten mit chronisch entzündlichen
Hauterkrankungen haben. Aufgrund der Freiwilligkeit war die Heterogenität hinsichtlich
Geschlecht, Alter und Vorerfahrung nachrangig. Insgesamt konnten im Sommersemester
2019 von insgesamt 98 Studierenden im Fachsemester Dermatologie 9 Teilnehmer*innen
für das Seminar psychosomatische Dermatologie gewonnen werden. Im Wintersemester 2019/2020
wurden von insgesamt 124 Studierenden 16 Teilnehmer*innen rekrutiert, die in zwei
Kleingruppen an unterschiedlichen Terminen innerhalb des Semesters aufgeteilt wurden.
Die Geschlechterverteilung der Teilnehmer*innen ist in [Tab. 2 ] dargestellt.
Tab. 2
Stichprobenbeschreibung der Studierenden.
Kontaktierte Student*innen
Sommersemester 2019 (n = 98)
Wintersemester 2019 /2020 (n = 124)
Gesamt (n = 222)
Gesamtzahl Teilnehmer*innen des Seminars
9 (36 %)
16 (64 %)
25 (100 %)
8 (40 %)
12 (60 %)
20 (80 %)
1 (20 %)
4 (80 %)
5 (20 %)
Evaluationsbogenauswertung
Insgesamt haben 25 Studierende im Sommersemester 2019 und im Wintersemester 2019/2020
am freiwilligen außercurricularen psychosomatischen Dermatologie-Modul teilgenommen.
22 Teilnehmer*innen haben den Evaluationsbogen ausgefüllt und zurückgegeben. Von den
Studierenden, die das zusätzliche Angebot wahrgenommen haben, waren 20 (80 %) weiblich.
Während des Sommersemesters 2019 füllten alle 9 Teilnehmer*innen die Fragebögen direkt
im Anschluss an das Seminar aus. Zur Gesamtsumme der Fachsemesteranzahl von 98 Studierenden
betrug der Anteil somit 9,2 %. Alle Studierenden haben nützliche Information erhalten,
das vorgestellte Angebot entsprach voll den Erwartungen, und alle Befragten wünschen
sich einen Ausbau des Moduls psychosomatische Dermatologie und empfehlen das Seminar
einstimmig weiter. 7 (77,8 %) Teilnehmer*innen wünschen eine Integration des Projekts
in die universitäre Lehre.
Im Wintersemester 2019/2020 nahmen 16 (12,9 %) Personen von 124 Studierenden am außercurricularen
psychodermatologischen Modul teil. Es wurden 13 Evaluationsbögen zurückgesendet. Davon
sprachen sich 100 % dafür aus, dass sie nützliche Information erhalten haben und das
Seminar weiterempfehlen würden. Bei 12 (92,3 %) Teilnehmer*innen entsprach das Seminar
den Erwartungen, und 11 (84,6 %) Studierende wünschen einen Ausbau des Moduls und
eine Integration des Projekts in die universitäre curriculare Lehre ([Abb. 1 ])
Abb. 1 Auswertung der Evaluationsbögen der Seminare. Sommersemester 2019 n = 9 → 100 %,
Wintersemester 2019/2020 n = 13 → 100 %.
Die qualitative Auswertung der zusätzlich frei formulierten Aussagen der 22 erhaltenen
Evaluationsbögen aus beiden Semestern ergab insgesamt 35 Aussagen, die in 4 Hautkategorien
mit jeweiligen Subkategorien eingeordnet werden konnten ([Tab. 3 ]).
Tab. 3
Verteilung der offenen Aussagen von insgesamt 35 Antworten im Kategoriensystem der
Teilnehmer*innen.
Hauptkategorie
Subkategorie
Anzahl der Aussagen n
Anzahl der Aussagen %
Abgleich Seminarziele und eigene Vorstellungen
Erwartungen entsprochen
5
14,3 %
abweichende Vorstellungen
2
5,7 %
Moduloptimierung/Rahmenbedingungen
mehr Terminangebote und größerer Zeitrahmen
4
11,40 %
Beibehalten der Freiwilligkeit des Moduls
4
11,40 %
Einbau in Pflichtlehre
3
8,60 %
Moduloptimierung/Inhalte
Struktur/Aufbau
3
8,60 %
Vorstellung mehrerer Patientenfallbeispiele
1
2,90 %
Erweiterung der Themengebiete
4
11,40 %
Erweiterung des eigenen Horizontes
Einflussnahme auf gesamtärztliche Sichtweise
6
17,10 %
Einflussnahme auf fachlicher Ebene
3
8,60 %
Die häufigsten Aussagen (n = 11) konnten der Hauptkategorie „Moduloptimierung/Rahmenbedingungen“
zugeordnet werden und thematisieren den zeitlichen Umfang des Seminars, die Freiwilligkeit
des Seminars oder den Einbau in die Pflichtlehre. Auffällig ist hier, dass ein größerer
Zeitrahmen gewünscht wurde, jedoch unter Beibehaltung der Freiwilligkeit. So erwähnte
bspw. ein Teilnehmer*in, dass dieses Seminar auf freiwilliger Basis beibehalten werden
sollte, da so von einer besseren Mitarbeit ausgegangen werden kann. Dabei sollte das
Seminar weiterhin viel beworben und dahingehend ausgebaut werden, dass noch mehr Interessierte
teilnehmen können. Mit 9 Aussagen folgt die Kategorie „Erweiterung des Horizontes“.
Davon berichteten 6 Teilnehmer*innen, dass dieses Seminar einen Einfluss auf die eigene
gesamtärztliche Sichtweise hat. So erwähnte bspw. ein Teilnehmer*in: „… und ich habe
den Eindruck, durch die Veranstaltung neue Denkweisen und Informationen erlernt zu
haben“. Andere berichteten, einen tiefen Einblick in die Relevanz der psychischen
Komponente bei einer chronischen Erkrankung vermittelt bekommen zu haben. Weiter wurde
betont, dass die Komplexität chronischer und psychischer Erkrankungen regelmäßiger
den Studierenden vor Augen geführt werden sollte. Der Kategorie „Moduloptimierung/Inhalte“
konnten 8 Aussagen zugeordnet werden. Hier wurden die Intensivierung der Vorstellung
des „biopsychosozialen Modells“, die Erweiterung der Themengebiete über das Fallbeispiel
hinaus, wie auch die Präsentation in Form einer Vorlesung erwähnt. Zu der Hauptkategorie
„Abgleich Seminarziele und eigene Vorstellungen“ haben 7 Teilnehmer*innen zusätzlich
im Freitext Stellung bezogen. Hier berichteten 5 Studierende, dass ihre Erwartungen
an das Seminar voll erfüllt wurden.
Diskussion
Vor dem Hintergrund der Entwicklungen und Anforderungen an moderne Lehrkonzepte entstand
das vorliegende praxisorientierte psychosomatische Seminar im Rahmen eines Gesamtkonzeptes,
Medizinstudierenden mit innovativen Methoden wichtige dermatologische Lernziele und
Inhalte zu vermitteln. Mittels deskriptiver Beschreibung der geschlossenen Fragen
des Evaluationsbogens und der qualitativen Auswertung der zusätzlichen frei formulierten
Aussagen wurde die Qualität des außercurricularen Seminarangebots zur Vermittlung
des „biopsychosozialen Modells“ in der universitären Lehre am Beispiel der Dermatologie
an der CAU Kiel erfasst. Die Ergebnisse zeigen, dass das zusätzliche innovative psychodermatologische
Lehrangebot in der medizinischen Lehre aus Sicht der Studierenden wie auch aus Sicht
der Betroffenen und Experten in der Rückmelderunde positiv wahrgenommen wird. Wie
sich bereits aus den Untersuchungen des medizinischen Ausbildungsprogramms von Studierenden
in patientenzentrierter integrativer Versorgung an der Universität Witten/Herdecke
gezeigt hat, besteht auch auf Seiten der Studierenden der CAU Kiel der Bedarf nach
einer Integration solcher Lehrformate in das derzeitige Lehrangebot [17 ]. In unserem Kontext wird die Beibehaltung der Freiwilligkeit befürwortet und könnte
mit dem derzeitigen vorgegebenen eng strukturierten Lehrplan und dem damit verbundenen
engen Zeitmanagement begründet werden. Die zunächst theoretische einführende Darstellung
des „biopsychosozialen Modells“ nach Engel und auch die Gedankenansätze zur Erweiterung
des Modells nach Egger wurden seitens der Studierenden als hilfreich empfunden [3 ]
[4 ]. Den Studierenden wurde anhand einer realen Patientenbegegnung die psychosomatische
ärztliche Perspektive dargestellt, die biologische, psychologische und soziale Einflussfaktoren
auf die Entstehung, die Auslösung und den Verlauf von körperlichen Erkrankungen und
funktionellen Körpersyndromen berücksichtigt. Das den Studierenden vorgestellte „biopsychosoziale
Modell“ versucht das traditionelle biomedizinische Modell zu überschreiten und um
weitere wichtige Dimensionen wie z. B. psychologische oder soziale Einflussfaktoren
zu erweitern [4 ]. Einer retrospektiven Befragung von 82 angehenden Ärzt*innen zufolge, die während
ihrer internistischen Ausbildung klinisch den Umgang mit dem „biopsychosozialen Modell“
erlernt hatten, integrierten diese den Ansatz im Umgang mit ihren Patienten und profitierten
auch in ihrer weiteren praktischen ärztlichen Arbeit davon [18 ]
[19 ]. Die Rückmeldungen der Experten betonen den Mehrwert durch das gemeinsam gestaltete
interaktive und multiprofessionelle Seminar und damit die Möglichkeit, die Dichotomie
der ärztlichen Sichtweise aufzulösen und für die Studierenden auch sichtbar miteinander
verbinden zu können. Es wird in dem vorgestellten Seminar aufgezeigt, dass das Arbeiten
in multiprofessionellen Teams eine Lösung ist, um einerseits der Komplexität des Krankheitsgeschehens
der einzelnen Patienten gerecht werden zu können, andererseits fächerübergreifend
voneinander zu lernen und letztlich eine gemeinsame Behandlungsstrategie entwerfen
zu können. Während der Durchführung der außercurricularen Begegnung wurde deutlich,
dass den Studierenden das „biopsychosoziale Modell“ weitestgehend unbekannt war. Der
unmittelbare reale Patientenkontakt, die gemeinsame Entwicklung des „biopsychosozialen
Modells“ in Gegenwart der/des Betroffenen und in Kombination mit eigenen Erfahrungen
mit Aufzeichnung am Flipchart nahm eine besondere Rolle ein. Die im Seminar präsentierte
gesamtärztliche Sichtweise lebt den Studierenden und angehenden Mediziner*innen die
holistische Betrachtungsweise exemplarisch vor und entspricht den Empfehlungen aus
der Stellungnahme des Ausschusses Integrative Medizin und Perspektivenpluralismus
des „Masterplans Medizinstudium 2020“ [20 ]. So konnte bspw. mit der gleichzeitigen Präsenz der Psychosomatik in der somatisch
meist biomedizinisch ausgerichteten Lehre wie konkret am Beispiel der Dermatologie
das vermittelte mechanistische Erklärungsmodell überwunden werden. Die Studierenden
sprachen sich für eine zeitnahe Integration des Seminars in der hiesigen universitären
medizinischen Lehre aus. Sie erkennen für sich bereits nach diesem einmaligen Seminar
einen Vorteil und sehen damit nicht nur den patientenzentrierten wie auch später den
möglichen ökonomischen Nutzen, sondern auch die individuelle Erweiterung für ihre
eigene ärztliche Tätigkeit.
Eine Limitation der vorliegenden medizindidaktischen Arbeit ist, dass dieses Seminar
in einer medizinischen Universität am Beispiel der dermatologischen Lehre erfolgt
ist und die Rückmeldung der Studierenden daher nur spezifisch beleuchtet werden kann.
Der hohe Organisationsaufwand mit möglichen zusätzlichen Kosten und Bedarf an zeitlichen
Ressourcen der Lehrenden für die Realisierung könnte bei der Implementierung an anderen
Standorten hinderlich sein, ließe sich jedoch auch unter Einsatz digitaler Formate
auflösen und zudem die Erreichbarkeit der Studierenden erhöhen. Ferner nahm letztlich
nur ein Teil der angesprochenen Studierenden das freiwillige außercurriculare Angebot
wahr, trotz des vorher offenkundig hohen Interesses. Es muss weiterhin davon ausgegangen
werden, dass durch die Freiwilligkeit eher motivierte Studierende das Angebot wahrgenommen
haben. Zudem spiegelt sich bei dem durchgeführten Seminar auch die bekannte Geschlechterverteilung
zugunsten von Frauen im Medizinstudium wider [21 ]. Der hohe Anteil von Frauen an dem hier vorgestellten Seminar könnte die gemachten
Aussagen beeinflussen. Es wäre möglich, dass das Interesse für eine holistische Betrachtungsweise
bei weiblichen Studierenden einen höheren Stellenwert bereits während der universitären
Ausbildung einnimmt als bei männlichen.
Aufgrund der nicht vollständig zurückgegebenen Evaluationsbögen konnte bei der qualitativen
inhaltsanalytischen Auswertung die theoretische Sättigung der frei formulierten Aussagen
nur bedingt erfüllt werden [22 ]. Die geringe Zahl der Teilnehmenden schränkt die Aussagekraft ein und lässt nur
eine deskriptive Auswertung der Ergebnisse zu.
Ein großer Vorteil liegt jedoch in der Erfassung individueller Perspektiven aus den
Freitexten, die für das Gesamtverständnis der Sichtweise auf das ärztliche Handeln
für den Studierenden unabdingbar sind.
Schlussfolgerung
Das vorgestellte interdisziplinäre Lehrmodul kann als Beispielformat für die Vermittlung
des „biopsychosozialen Modells“ und die holistische Betrachtungsweise bereits schon
während des Medizinstudiums für angehende Ärzt*innen dienlich sein. Somit kann langfristig
die Lebensqualität Betroffener, die Behandlungsqualität der Therapie aber auch die
persönliche Stärkung und Erweiterung des ärztlichen Handelns der zukünftigen Behandler*innen
verbessert werden.
Finanzierung
Das Projekt „Aus der (Haut-)Arztpraxis in den Hörsaal“ wurde vom PerLe-Fonds für Lehrinnovation
und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (Förderkennzeichen: 01PL17068)
unterstützt (Finanzierung HIWI-Stelle LMW). Die vorliegende Arbeit wurde nicht finanziell unterstützt.