Abb.: StMTK (St. Mauritius Therapieklinik Düsseldorf)
Herr Prof. Knecht, welche Auswirkungen hat die Pandemie auf die Neurorehabilitation?
Wir sehen in der aktuellen Situation alles von Klinikräumungen hin bis Kliniküberfüllungen.
Wobei die Räumungen im Wesentlichen durch Quarantänisierung von Mitarbeitern verursacht
werden. Wenn Sie so wollen, ist das die verkürzte oder komprimierte Form des demografischen
Wandels, nämlich kränkere Patienten und weniger Mitarbeiter.
Neben der jetzigen Unruhe wird bei COVID-19 meiner Einschätzung nach das dicke Ende
aber erst noch kommen. Ein Großteil der intensivmedizinisch versorgten, schwererkrankten
Patienten mit COVID-19 wird nach der Akutbehandlung eine neurologische Frührehabilitation,
meist mit intensivmedizinischen Vorhaltungen benötigen. Diese Plätze sind knapp. Das
Verständnis für dieses Problem existiert jedoch bisher noch nicht in allen für dieses
Thema zuständigen Landesregierungen.
Mit dem Tagungsmotto „Neurorehabilitation im demografischen Wandel“ legte der Kongress
der Deutschen Gesellschaften für Neurorehabilitation (DGNR) und Neurotraumatologie
und klinische Neurorehabilitation (DGNKN) im Dezember einen Fokus auf die immer älter
werdende Bevölkerung. Wie kann Neurorehabilitation in den nächsten Jahrzehnten anders
und effizienter werden und dabei human bleiben?
Die Alterung unserer Bevölkerung begleitet uns ja schon eine ganze Weile und sie wird
sich weiter fortsetzen. Zusätzlich werden in den nächsten Jahren aber die Erwerbspersonen,
also die Menschen zwischen 25 und 67, wegbrechen. Denn der ausladende Teil der Bevölkerungspyramide
bewegt sich über die Pensionsgrenze und danach folgt nur noch eine schmale Taille.
Die Erwerbsgruppe wird dadurch um 8 Millionen Menschen kleiner über die nächsten 20
Jahre – plus oder minus einige 100.000 Zugewanderte. Dadurch werden in den nächsten
Jahren weniger Berufstätige mehr Bedürftige versorgen müssen. Und das wird sich besonders
in so personalkritischen Bereichen wie der Neurorehabilitation niederschlagen. Die
große Frage ist, wie das gehen soll.
Fehlende Plätze in der Neurorehabilitation sind ein brennendes Thema. Ein aktueller
Schwerpunkt sind Bruchlinien derzeitiger Versorgungsstrukturen.
Neuroreha hat nur noch wenig mit Kur und immer mehr mit Krankenhausmedizin zu tun.
Das ist aber noch nicht hinreichend angekommen in der Sozialgesetzgebung, bei Krankenkassen
und in der Politik. Die Frage ist, wie teuer die resultierende Fehlversorgung noch
werden soll, bevor die Akteure die notwendige Transformation des Systems angehen.
Lösungsvorschläge – Bewilligung aussetzen
Als in der ersten COVID-Welle der Genehmigungsvorbehalt für neurologische Anschlussreha
ausgesetzt wurde, waren Patienten durchschnittlich sechs Tage früher in derReha –
eine sinnvolle Maßnahme, findet Prof. Dr. med. Stefan Knecht.
Verzögerungen
der Reha von stark eingeschränkten und komplikationsgefährdeten Patienten durch umständliche
Anträge grenzt an fahrlässige Körperverletzung.
Neuroreha umfasst immer mehr Krankenhausmedizin.
Dass Neuroreha Krankenhausmedizin umfasst, zeigt sich am eindrücklichsten in der Neurofrühreha.
Die meisten Bundesländer haben hier zum Glück schon reagiert und Frühreha-Abteilungen
in den Neurorehazentren zu Krankenhausabteilungen umgewandelt. Nur die aktuelle Landesregierung
in NRW etwa scheint zu glauben, man könne den umgekehrten Weg gehen, indem man neurologische
Kliniken in Regelkrankenhäusern mit Neurofrühreha beauftragt.
Die oft langwierigen Beantragungsverfahren nach klinischer Akutbehandlung, die eine
unmittelbar anschließende professionelle Rehabilitation des Patienten erst einmal
blockieren, stehen schon länger in der Diskussion. Wie sind die aktuellen Erfahrungen
dazu, auch während der COVID-19 Pandemie?
Nehmen Sie das Beispiel Genehmigungsvorbehalt für Neurorehabilitation: Die heute übliche
formalistisch umständliche Prüfung eines Antrages auf Kur ist nachvollziehbar, wenn
ein Patient zu Hause ist, stabil und wenig betroffen. Wenn Patienten nach einem Schlaganfall
im Krankenhaus hingegen stark eingeschränkt und durch Immobilität komplikationsgefährdet
sind, grenzt jede Verzögerung einer Neurorehabilitation an fahrlässige Körperverletzung.
Die Aussetzung des Genehmigungsvorbehaltes für neurologische Anschlussrehabilitation
während der ersten COVID-Welle hat uns gezeigt, dass das Bewilligungsverfahren völlig
verzichtbar ist. Die Versorgung hat bestens geklappt. Patienten waren im Mittel sechs
Tage früher in der Neuroreha und die Rehadauer war nicht verlängert. Stattdessen sind
durch Abbau der Wartezeiten auf einen Schlag 5.000 Krankenhausbetten für die Versorgung
anderer Patienten frei geworden.
Pressemeldung der Deutschen Gesellschaft für Neurorehabilitation e. V. (DGNR) und
der Deutschen Gesellschaft für Neurotraumatologie und klinische Neurorehabilitation
e. V. (DGNKN)